<

Auch nach Todesfall Bayer kämpft weiter gegen Warnhinweise für Iberogast

Foto: MedWatch © Bayer

Es kommt manchmal anders, als man denkt: Im vergangenen September hatte sich der Pharmahersteller BayerBayer Bayer ist ein Chemie- und Pharmakonzern mit Sitz in Leverkusen. Bei den meisten Produkten, die das Unternehmen produziert, handelt es sich um Medikamente; hauptsächlich für Menschen, aber auch für Tiere. Zudem vertreibt es Nahrungsergänzungsmittel, Fußpflege-Produkte und Sonnencremes. Für die Landwirtschaft entwickelt Bayer Saatgut und Pflanzenschutzmittel. Wegen des Unkrautvernichters Roundup steht der Konzern immer wieder vor Gericht. nach jahrelanger Weigerung bereit erklärt, zusätzliche Warnhinweise vor sehr seltenen Nebenwirkungen auf den BeipackzettelBeipackzettel Fertigarzneimittel dürfen ausschließlich zusammen mit einer Packungsbeilage ausgeliefert werden. Das Arzneimittelgesetz (AMG) gibt vor, wie der Beipackzettel eines Medikaments gestaltet sein muss. Es muss die vorgegebenen Angaben in festgelegter Reihenfolge beinhalten. Dazu gehören unter anderem der Name des Medikamentes, Anwendungsbereiche, Gegenanzeichen, Vorsichtsmaßnahmen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Dosierung und Nebenwirkungen. Der Beipackzettel ist in erster Linie für die Anwender des Medikamentes verfasst. Damit dieser für Menschen ohne Fachwissen verständlich ist, durchlaufen Beipackzettel einen Lesbarkeitstest. Sie werden z.B. durch das BfArM oder das PEI geprüft und genehmigt, bevor sie in den Umlauf kommen. seines Magenmittels IberogastIberogast Iberogast® ist ein pflanzliches Arzneimittel des Pharmaunternehmens Bayer gegen Magen-Darm-Beschwerden. Iberogast® Classic beinhält Schöllkraut, eine Pflanzenart aus der Familie der Mohngewächse. Bei hoher Dosierung und längerer Anwendungsdauer kann Schöllkraut die Leber schädigen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel forderte bereits 2008 den damaligen Hersteller auf, über das Leberrisiko dieses Präparates im Beipackzettel aufzuklären. Nach langem Ringen und einem Todesfall im Jahr 2018 nahm Bayer einen entsprechenden Warnhinweis in den Beipackzettel auf. Seit Ende 2020 bietet Bayer eine Schöllkrautfreie Variante an (Iberogast® Advance). zu drucken. Zuvor war es bei einem Patienten zu einem Leberversagen mit LebertransplantationLebertransplantation Bei einer Lebertransplantation wird das geschädigte Organ eines leberkranken Patienten mit Hilfe eines chirurgischen Eingriffs durch eine Spender-Leber (oder durch Teile davon) ersetzt. Eine Lebertransplantation ist zumeist bei akutem oder chronischem Leberversagen – verursacht durch Leberzirrhose und Leberkrebs oder durch angeborene Fehlbildungen und Stoffwechselstörungen – angezeigt. Die Spenderleber kann von einem Verstorbenen stammen und vollständig verpflanzt werden. Bei einer Split-Leber wird das gesunde Organ vorher geteilt und in zwei Empfänger-Patienten eingepflanzt. Auf Grund der Regenerationsfähigkeit des Organs können auch lebende Angehörige einen Teil ihrer Leber spenden. gekommen, der auch Iberogast eingenommen hatte. Der Patient starb, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) berichtete. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln in dieser Sache. Es geht um die Frage, ob der Todesfall möglicherweise hätte vermieden werden können, wenn Bayer früher vor Nebenwirkungen des Magenmittels gewarnt hätte.

Doch ob die Warnhinweise, die derzeit vor seltenen Leberschäden durch Iberogast warnen, langfristig auf dem Beipackzettel und der Fachinformation stehen werden, ist noch nicht abschließend geklärt: Die von Bayer im Jahr 2017 eingereichte Klage gegen die entsprechende Auflage des Bundesinstituts läuft trotz des Todesfalls und der zwischenzeitlichen Aufnahme der Hinweise in den Beipackzettel weiter, wie das Gericht MedWatch auf Anfrage bestätigt hat. Das BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen. erklärte hierzu:

Nachdem das BfArM (..) im Lichte der seit Mitte 2018 vorliegenden Informationen [Anmerkung der Redaktion: Die Meldung des Todesfalls unter Iberogast] mitgeteilt hatte, dass die sofortige Umsetzung geboten ist und die Anordnung der sofortigen Vollziehung angekündigt hatte, hat sich das Unternehmen vorläufig zur Umsetzung der fraglichen Textänderungen verpflichtet.

Und:

Mit der Umsetzung der angeordneten Änderungen der Fach- und Gebrauchsinformation für Iberogast hatte sich (nur) die Anordnung des Sofortvollzugs durch das BfArM erübrigt; an der Durchführung des Klageverfahrens zur Frage der Rechtmäßigkeit der angeordneten Textänderungen hält die Firma Bayer Vital GmbH jedoch fest.

Iberogast ist ein pflanzliches ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. – es besteht aus vielen Extrakten: Auszüge von Angelikawurzeln, Kamillenblüten, Kümmelfrüchten, Pfefferminzblättern und weiteren Präparaten wie SchöllkrautSchöllkraut Schöllkraut, eine Pflanzenart aus der Familie der Mohngewächse, ist in Iberogast® Classic enthalten; ein pflanzliches Arzneimittel des Pharmaunternehmens Bayer gegen Magen-Darm-Beschwerden. Bei hoher Dosierung und längerer Anwendungsdauer kann Schöllkraut die Leber schädigen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel forderte bereits 2008 den damaligen Hersteller auf, über das Leberrisiko dieses Präparates im Beipackzettel aufzuklären. Nach langem Ringen und einem Todesfall im Jahr 2018 nahm Bayer einen entsprechenden Warnhinweis in den Beipackzettel auf. Seit Ende 2020 bietet Bayer eine Schöllkrautfreie Variante an (Iberogast® Advance).. Das BfArM fordert deswegen folgende Warnhinweise, dabei geht es vor allem um das in Iberogast enthaltene Schöllkraut:

Iberogast darf nicht eingenommen werden, wenn Sie an Lebererkrankungen leiden oder in der Vorgeschichte litten oder wenn Sie gleichzeitig Arzneimittel mit leberschädigenden Eigenschaften anwenden.

Unter dem Abschnitt „Besondere Vorsicht bei der Einnahme von Iberogast ist erforderlich“, heißt es es derzeit:
„ (…) wenn Zeichen einer Leberschädigung (Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, entfärbter Stuhl, Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit, Appetitverlust, Müdigkeit) auftreten, sollten Sie die Einnahme von Iberogast® sofort beenden und einen Arzt aufsuchen.“
Ferner unter dem Abschnitt Schwangerschaft und Stillzeit:
„Iberogast darf von Schwangeren und Stillenden nicht eingenommen werden.“

In der Schweiz hatte die dortige Arzneimittelbehörde Swissmedic die Arzneimittelinformation zu Iberogast bereits Anfang 2018 anpassen lassen. Dieser Schritt war aufgrund neuerer Meldungen über sehr seltene, aber teils schwerwiegende Leberschädigungen erfolgt, wie ein Sprecher auf Nachfrage von MedWatch erklärte. Der Behörde lagen einige Berichte über Leberschädigung unter Iberogast vor, die vorwiegend in den letzten Jahren gemeldet wurden. Die Leberschädigungen unter Iberogast treten äußerst selten auf, berichtete der Sprecher, seien aber nicht voraussehbar und könnten schwerwiegend, sogar lebensbedrohend verlaufen.

Auf dem Beipackzettel von Iberogast in der Schweiz werden daher gezielt Menschen angesprochen, die an einer Lebererkrankung leiden. Diese sollen vor der Einnahme von Iberogast zunächst ihren Arzt befragen. Außerdem soll bei der Einnahme darauf geachtet werden, ob sich Anzeichen und Symptome einstellen, die „möglicherweise auf eine Leberfunktionsstörung hindeuten“: Etwa Appetitverlust, ungewöhnliche Müdigkeit oder Schmerzen im rechten Oberbauch.

Auch die Europäische Arzneimittelbehörder (EMAEMA Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gewährleistet die wissenschaftliche Bewertung, Überwachung und Sicherheitsüberprüfung von Human- und Tierarzneimitteln in der Europäischen Union, sie erleichtert die Entwicklung und Zugänglichkeit von Arzneimitteln und informiert Beschäftigte im Gesundheitswesen sowie Patienten. Darüber hinaus berät und unterstützt sie pharmazeutische Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung. Sie ist vor allem für die europäische Zulassung von Arzneimitteln zuständig und überprüft diese auch nach der Einführung auf ihre Sicherheit. Dafür hat sie ein Pharmakovigilanz-Netzwerk eingerichtet. Der ursprüngliche Sitz der EMA war London, seit 2019 ist sie in Amsterdam verortet.) weist in einem Report aus 2011 zu Schöllkraut auf die Risiken des Stoffs hin:

Assessment report on Chelidonium majus L., herba, EMA, 2011
Wer im Internet nach Informationen zur Gesundheit sucht, stößt auf gute wie auf schlechte und gefährliche Informationen. Letztere können deutliche Folgen haben – etwa die Entscheidung zu einer wirkungslosen, gefährlichen TherapieTherapie Therapie bezeichnet eine Heil- oder Krankenbehandlung im weitesten Sinn. Es kann hierbei die Beseitigung einer Krankheitsursache oder die Beseitigung von Symptomen im Mittelpunkt stehen. Ziel einer jeden Therapie ist die Widerherstellung der physischen und psychischen Funktionen eines Patienten durch einen Therapeuten. Soweit dies unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist.. In einer Serie fragen wir Gesundheits-Experten im deutschen GesundheitssystemGesundheitssystem Das deutsche Gesundheitssystem ist ein duales Krankenversicherungssystem bestehend aus der GKV (Gesetzlichen Krankenversicherung) und der PKV (private Krankenversicherungen). Seit der Gesundheitsreform 2007 muss jeder, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat, eine Krankenversicherung haben. Wichtig ist zudem das Prinzip der Selbstverwaltung und der Sachleistung. D.h. Krankenkassen erfüllen die ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben in eigener Verantwortung. Es existiert eine gemeinsame Selbstverwaltung der Leistungserbringer und Kostenträger. Wichtigstes Organ hierbei auf Bundesebene ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). nach ihrer Einschätzung: Was kann, was muss geschehen, um Verbraucher besser vor Medizin-FakesMedizin-Fakes Medizin-Fakes sind Falschinformationen im medizinischen Bereich. Oftmals werden diese bewusst falsch verbreitet, sei es, um Agenzien zu verkaufen, die Heilung versprechen oder um Politiker und Wissenschaftler zu diffamieren. Vor allem soziale Plattformen im Internet dienen der Verbreitung solcher Informationen. Die Corona-Pandemie verschaffte den Medizin-Fakes eine Hochkonjunktur. So existieren allgemeine Wissenschaftsleugner, im Spezielleren Virus- und Pandemieleugner oder gar Personengruppen, die behaupten Viren wären in Laboren gezüchtet worden und Krankheiten erfunden, damit die Pharmakonzerne ihr Geld verdienen. zu schützen? In einem ersten Gespräch hatten wir Jürgen WindelerJürgen Windeler Prof. Dr. med. Jürgen Windeler, Arzt und Professor für Medizinische Biometrie und Klinische Epidemiologie, ist (Stand Aug. 2020) Institutsleiter des IQWIG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) sowie seit 2006 außerordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission., Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG, um eine Einschätzung gebeten. Jetzt haben wir Regina Klakow-Franck getroffen: Sie war von 2012 bis Juni 2018 eines von drei unparteiischen Mitgliedern im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Das mächtige Gremium aus Kassen, Ärzten und Krankenhäusern legt fest, was, wer und wie im deutschen Gesundheitssystem operiert, therapiert und gepflegt wird. Die Selbstverwaltung definiert Auflagen für Haus- und Fachärzte, es geht um mehr Personal für Krankenhäuser, mehr Qualität in der Notfallversorgung oder die Frage, welche Medikamente oder Therapien durch KrankenkassenKrankenkassen Eine Krankenkasse ist der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Krankenkassen stellen den Versicherten Leistungen zur Verfügung, die nach Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte in Anspruch genommen werden können. Die meisten dieser Leistungen sind im SGB V festgeschrieben. Krankenkassen sind organisatorisch sowie finanziell unabhängig und unterstehen der Aufsicht von Bund oder Ländern. Im Gegensatz zu gesetzlichen Krankenversicherungen sind private Krankenversicherungsunternehmen Aktiengesellschaften oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG). erstattet werden – und welche nicht. Die Beschlüsse gelten für die derzeit 71 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland. Klakow-Franck war zuvor Stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der BundesärztekammerBundesärztekammer Die Bundesärztekammer (BÄK) vereint die 17 deutschen Ärztekammern unter sich. Sie vertritt die berufspolitischen Interessen aller Ärzt*innen in Deutschland und vermittelt den Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Ärztekammern. Ihr Ziel ist es unter anderem möglichst einheitliche Regeln zur Berufsordnung von Ärzten und Arztinnen herbeizuführen. Sie pflegt Kontakte zur Bundesregierung, zum Bundesrat sowie zu den politischen Parteien. und Leiterin der Abteilung „Qualitätssicherung in der Medizin“, von 2005 bis 2011 beriet die Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe zudem als Kuratoriumsmitglied das IQWiGIQWIG Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat als Hauptaufgabe die Evaluierung einer Nutzen-Schaden-Abwägung medizinischer Maßnahmen für Patient*innen. Es wurde im Zuge der Gesundheitsreform 2004 gegründet. Das IQWIG ist eine fachlich unabhängige wissenschaftliche Einrichtung, die das Ziel verfolgt, evidenzbasierte Entscheidungen in Gesundheitsfragen zu unterstützen. Auch möchte sie einer breiten Öffentlichkeit Gesundheitsinformationen zugänglich zu machen. Dafür informiert es in verständlicher Form u.a. mit Hilfe von Informationsberichten, Kurzantworten und Merkblättern auf seiner Internetseite unabhängig und evidenzbasiert, sowohl für Fachkreise als auch für eine breite interessierte Öffentlichkeit.. Das unabhängige wissenschaftliche Institut untersucht seit nun schon 14 Jahren den Nutzen und den Schaden von medizinischen Maßnahmen für Patientinnen und Patienten. MedWatch: Schlechte Gesundheitsinformationen im Netz können Patienten körperlich, psychisch oder wirtschaftlich schädigen. Wirksame Methoden, diese Entwicklung zu stoppen, fehlen bislang. Warum? Klakow-Franck: Diese qualitätssichernde Funktion wird niemand allein leisten können. Es braucht sowohl Gesetzesverschärfungen als auch öffentliches Engagement. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen gibt im gesetzlichen Auftrag evidenzbasierte Gesundheitsinformationen heraus. Das Deutsche Netzwerk für evidenzbasierte Medizin hat bereits die zweite Version des Leitfadens „Gute Praxis Gesundheitsinformationen“ veröffentlicht und wirbt dafür, dass sich die Ersteller von Gesundheitsinformationen freiwillig dazu verpflichten, ihn einzuhalten. Dies allein wird jedoch nicht reichen. Es entwickelt sich eine immer größer werdende Grauzone von Gesundheitsinformationen, die rein als Werbemaßnahmen eingesetzt werden.
Der G-BA ist das oberste Selbstverwaltungsgremium der Krankenkassen, Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten und Krankenhäuser. Er entscheidet unter anderem darüber, welche Medikamente die Kassen erstatten. (Foto: G-BA)
MedWatch: Was muss dann passieren? Klakow-Franck: Gute Gesundheitsinformationen über Erkrankungen und Behandlungsmethoden müssen mit verlässlichen Informationen verknüpft werden können, welche Kliniken oder Ärzte eine gute Versorgung leisten. Hier sehe ich auch den Gemeinsamen Bundesausschuss in der Pflicht. Der G-BA ist Richtlinien-Geber für die gesetzlich verpflichtenden Qualitätsberichte der Krankenhäuser. Diese Patienteninformationen sind fachlich eigentlich hervorragend, aber ihr Informationsgehalt erreicht die Patientinnen und Patienten nicht. Das eröffnet Raum für eine weitere Grauzone mit Werbe-Botschaften wie zum Beispiel „Schmerzfreies Krankenhaus“ oder „Zertifiziertes Zentrum“. Die Bandbreite von Zertifikaten und Gütesiegeln für Versorgungseinrichtungen ist sehr groß: Sie reicht von aufwendigen, transparenten und strukturierten Zertifizierungsverfahren bis hin zu selbsterfundenen „Gütesiegeln“. MedWatch: Und das wird toleriert? Klakow-Franck: Das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen, das IQTIGIQTIG Das IQTIG – Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen ist ein vom G-BA seit 2015 eingerichtetes zentrales und fachlich unabhängiges Qualitätsinstitut mit Sitz in Berlin. Das IQTIG unterstützt den G-BA, wissenschaftlich und methodisch fundierte Entscheidungsgrundlagen für Maßnahmen der Qualitätssicherung festzulegen. Seine Aufgaben sind in § 137a Abs. 1 des Sozialgesetzbuches (SGB) Fünftes Buch (V) festgelegt. Weitere Kernaufgaben für das IQTIG definiert zudem das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG)., soll im Auftrag des G-BA Kriterien zur Bewertung von Zertifikaten und Qualitätssiegeln entwickeln, die in der ambulanten und stationären Versorgung verbreitet sind. So soll es in laienverständlicher Form über die Aussagefähigkeit von Zertifikaten informieren. Die Schweizer haben so etwas bereits veröffentlicht. Auch in Deutschland wäre dies ein wichtiger Einstieg in die dringend notwendige Qualitätssicherung von Informationen über Versorgungsqualität der Krankenhäuser. MedWatch: Sollte der Zertifikate-Dschungel nicht schon lange aufgeräumt werden? Klakow-Franck: Ja. Wir befinden uns ja nicht erst seit gestern in der Situation, dass Gesundheitsversorgung weniger als Daseinsvorsorge, sondern als Wachstumsmarkt betrachtet wird, in dem die Leistungsanbieter um die Kunden konkurrieren. Gesundheitsversorgung wird inzwischen fast wie jedes andere Konsumgut beworben.  Deshalb bräuchten wir meines Erachtens im Sinne von VerbraucherschutzVerbraucherschutz Verbraucherschutz ist deutschland- und europaweit ein breit gefächertes Gebiet. So gibt es ein Amt für Verbraucherschutz, ein Bundesinstitut für Risikobewertung, die EFSA – die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – und eine Health-Claims-Verordnung. In Deutschland existieren 16 Verbraucherzentralen und weitere verbraucherpolitische Organisationen, die in einem gemeinsamen Bundesverband gebündelt sind. Verbraucherschutz beinhält Rechtsvorschriften und Verbraucherrechte die z.B. Bereiche wie Lebensmittelsicherheit, Kaufverträge und Verträge mit Banken und Geldinstituten berücksichtigen. verbindliche Mindeststandards, was die Transparenz und Qualität von Gesundheitsinformationen, Zertifikaten, Gütesiegeln etc. anbelangt. Egal ob diese nun im Internet verfügbar sind oder in Praxen und Kliniken ausliegen. Der Deutsche Ärztetag hatte bereits 2009 einstimmig den Beschluss gefasst, dass der damals schon bestehenden Zertifikate-Dschungel gelichtet werden muss. Dies wurde 2014 vom Gesetzgeber aufgegriffen. Leider ist der Startschuss zur Umsetzung des gesetzlichen Auftrags erst in diesem Jahr erfolgt. MedWatch: Wir haben 2018. Wie können Maßnahmen zum Verbraucherschutz im Gesundheitssystem so lange vertrödelt werden? Klakow-Frank: Ich habe vom Patientenrechtegesetz von 2013 eigentlich mehr Impulse erwartet. Der Gesetzgeber hat dem G-BA unter anderem konkret vorgegeben, die Qualitätsberichte der Krankenhäuser so weiterzuentwickeln, dass sie von Patientinnen und Patienten auch als relevante Entscheidungshilfe genutzt werden können. In dieser Richtung hat sich jedoch noch zu wenig getan. Dies liegt zum einen daran, dass der G-BA im Zusammenhang mit der Qualitätsoffensive Krankenhaus zahlreiche andere zusätzliche Aufträge erhalten hat, die aufgrund gesetzlich vorgegebener Fristen vorgezogen werden mussten. Es liegt aber vor allen Dingen auch daran, dass in der gesetzlich verpflichtenden Qualitätssicherung der notwendige Perspektivwechsel von der Leistungserbringer- zur Patientenperspektive nicht richtig gelingt. MedWatch: Welche Schritte in Sachen PatientenschutzPatientenschutz Der Patientenschutz wird auf verschiedenen Ebenen erwirkt. Wichtig zu wissen ist, dass Patient*innen mit ihren Behandler*innen in ein Vertragsverhältnis treten. Dieser Behandlungsvertrag besagt, dass der Behandler (Ärzt*in, Physiotherapeut*in…) seine Patienten und Patientinnen bestmöglich und nach neuestem wissenschaftlichem Standard behandelt. Dafür existieren in Deutschland Gesetzte und Regelwerke. Darin finden sich bezüglich des Patientenschutzes u.a. Rechte der Patient*innen bei Behandlungs- oder Kunstfehlern, das Recht auf Akteneinsicht, Hinweise zum Datenschutz und Vorgaben zur ärztlichen Schweigepflicht. Es ist zu beachten, dass die Beziehung zwischen einem Behandler und seinen Patient*innen zumeist nicht äquivalent ist. Es existiert ein Gefälle von der behandelnden hin zur behandelten Person. Zudem werden enge Verhältnisse erzeugt, die den Schutz der Patienten gewährleisten müssen.So vertritt z.B. die Deutsche Stiftung Patientenschutz die Interessen schwerstkranker, pflegebedürftiger und sterbender Menschen. Dafür hat sie u.a. ein bundesweites kostenfreies Patientenschutztelefon eingerichtet und engagiert sich für eine selbstbestimmte Sterbebegleitung. Die Schiedsstelle Patientenverfügung bietet zudem jedem kostenfreie Unterstützung bei Konflikten rund um die Patientenverfügung. Auch bietet sie ein Anwaltsberatungsnetz an.Die Patientenvertretung des G-BA möchte die Interessen von Patient*innen in die Politik und den G-BA einbringen und so für eine Verbesserung von Patientensicherheit und patientenorientierter Patientenversorgung sorgen. Dazu gehören u.a. eine patientenorientierte Qualitätssicherung, der gleichberechtigte Zugang für Jedermann, Barrierefreiheit und Inklusion. Auch eine unabhängige Forschung zählt hier mit rein. Der Deutsche Behindertenrat (DBR), die BundesArbeitsGemeinschaft der PatientInnenstellen (BAGP), die deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. sowie die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. haben diesbezüglich im G-BA –Mitberatungs- und Antragsrechte, jedoch kein Stimmrecht. würden Sie empfehlen? Klakow-Franck:  Es sind ja bereits viele Maßnahmen für mehr Transparenz auf den Weg gebracht worden. Hierzu zähle ich auch Informationsangebote der gesetzlichen Krankenkassen wie zum Beispiel der IGeL-Monitor über Selbstzahler-Leistungen. Andererseits stehen aber auch die Krankenkassen im Wettbewerb um die Versicherten und müssen Kundenbindung betreiben. Wechselwillige Versicherte werden durchaus mit „Lockangeboten“ beworben. Auch hierüber bräuchten wir mehr Transparenz. Aber abgesehen von der immer größer werdenden Vielzahl von Einzel-Interventionen bräuchten wir meines Erachtens eine weitere gesetzliche Absicherung der Patientenrechte. Noch sind Gesundheitsdienstleistungen von der EU-Dienstleistungsrichtlinie ausgeklammert, aber die Grenzen zu gewerblichen Dienstleistungen sind bereits jetzt fließend. Die Digitalisierung wird diesen Wandel beschleunigen.
Der IGeLIgeL IGeL – Individuelle Gesundheitsleistungen – gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung in der vertragsärztlichen Versorgung und der Patient muss bei Inanspruchnahme selbst für die Kosten aufkommen. Patient*innen sind nicht verpflichtet, diese ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Leistungen anzunehmen. Oft handelt es sich hierbei um Leistungen, für die keine ausreichenden Belege für ihren Nutzen vorliegen oder die noch keiner Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterzogen wurden.-Monitor prüft Therapien und Diagnosemethoden, die Ärzte ihren Patienten auf Selbstzahler-Basis anbieten. (Screenshot)
MedWatch: Und das Patientenrechtegesetz? Klakow-Franck:  Das Patientenrechtegesetz von 2014 war zwar ein wichtiges Signal, stellt jedoch im Wesentlichen eine Bündelung bereits seit langem bestehender Rechte eines Patienten gegenüber Ärzten, Apothekern und Krankenkassen dar, die auf verschiedene Gesetze und Verordnungen verstreut waren. Die ärztlichen Aufklärungspflichten im Rahmen des Behandlungsvertrags waren zum Beispiel schon vorher in der ärztlichen Berufsordnung geregelt. Das Patientenrechtegesetz gibt keine Antworten auf die Fragen zu den Rechten der Patientinnen und Patienten im digitalen Zeitalter. MedWatch: Was fehlt besonders? Klakow-Franck: Neue, nicht-medizinische Leistungsanbieter, deren Kerngeschäft der Daten-Handel ist, werden den Konsum von Gesundheitsgütern mit personalisierten medizinischen Leistungsangeboten anregen, und dies ausschließlich aus ökonomischem Interesse. Aber je weniger eine Maßnahme medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher sind Patientinnen und Patienten über erreichbare Ergebnisse und Risiken aufzuklären. Dieser Rechtsanspruch sollte gegenüber allen Anbietern von Gesundheitsinformationen und Gesundheitsleistungen gelten. MedWatch: Der Patient kommt in unserem „qualitätsgesicherten“ Gesundheitssystem zu wenig vor? Klakow-Franck: In der Medizin wurde eine Hochspezialisierung vorangetrieben, die die ärztliche Sicht auf den Patienten auf einzelne Aspekte einengt. Außerdem gibt es zu wenige Allgemeinmediziner, die die Spezialisierung kaum ausgleichen können. Die Folge ist, dass sich ausgerechnet Patienten mit einem höheren Bildungsniveau verstärkt für Alternativmedizin interessieren, weil diese ganzheitliche Erklärungsmodelle für Gesundheit und Krankheit anbieten, selbst wenn sie so irrational sind wie bei den Impf-Gegnern. Die ärztliche Professionsentwicklung muss sich neu aufstellen, und zwar von Beginn an: Bei der Auswahl zum Medizinstudium und bei den Inhalten des Medizinstudiums. Welches Menschenbild wird den Medizinstudenten heute eigentlich vermittelt? Ein humanistisches? Ein technokratisches? Ein digitales? Es geht eben nicht nur um neue Gebührenpositionen für die sprechende Medizin. Auch die elektronische Patientenakte, wenn sie denn dann mal allgemein verfügbar ist, wird nicht automatisch zu einer besseren Koordination und Kontinuität der Patientenversorgung beitragen, wenn die dazu erforderlichen sozialen und kommunikativen Kompetenzen fehlen. Um den „ganzen Patienten“ nicht aus den Augen zu verlieren, bestehen heute ganz andere Anforderungen an interdisziplinäre Abstimmung und ärztliche Teamfähigkeit, auch in Beziehung zu den anderen Gesundheitsberufen. Die Ärzteschaft muss sich proaktiv mit ihrer Rolle im 21. Jahrhundert auseinandersetzen. Das findet in Deutschland zu wenig statt. MedWatch: Der G-BA will jetzt verstärkt Patienten zu Therapien und Behandlungen im stationären und ambulanten Bereich befragen. Warum kommt das erst jetzt?
Regina Klakow-Franck war von 2012 bis Juni 2018 eines von drei unparteiischen Mitgliedern im Gemeinsamen Bundesausschuss. Ihr Schwerpunkt: Qualitätssicherung im System. (Fotos: G-BA)
Klakow-Franck: Patienteneinschätzungen in Form von so genannten Patient-reported-outcomes erfassen die gesundheitsbezogene Lebensqualität aus Patientenperspektive und werden in der Arzneimittelforschung seit langem eingesetzt. Wenn nicht schon bei Zulassung werden sie im Zusammenhang mit der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln eingefordert. Auch die Qualitätssicherung hat sich als oberstes Ziel die Sicherung von Ergebnisqualität gemessen an patientenrelevanten Endpunkten gesetzt. Mehr als vierzig Jahre nach ihrem Start ist sie jedoch immer noch auf einzelne Eingriffe und Therapien fixiert, statt auf Erkrankungen und die – sektorenübergreifende – Abbildung der gesamten Versorgungskette ausgerichtet. MedWatch: Warum gibt es hier kaum Fortschritte? Klakow-Franck: Die zähe Fixierung auf Therapien statt Fokussierung auf das Ergebnis für den Patienten liegt auch am deutschen Abrechnungssystem von Krankenhäusern, dem DRG-System. Dessen sogenannte „FallpauschalenFallpauschalen Über die Fallpauschale werden seit 2004 voll- und teilstationäre Leistungen ermittelt und berechnet. Für den Krankenhausbereich gibt es somit eine eigene Regelung, die sich von den Abrechnungen in Arztpraxen unterscheidet, da bei der stationären Behandlung für Privat- und Kassenpatienten gleiche Entgelte zugrunde gelegt werden. Kritiker bemängeln, dass das Fallpauschalen-System zu einer Verschiebung weg von Allgemeinkrankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft hin zu Privatkliniken führt. Grundlagen für die Fallpauschalen-Berechnung bilden die Klassifizierungssysteme ICD-10 (International Classification of Diseases) und OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel).“ sind auf erlös-relevante Prozeduren ausgerichtet, in ihnen kommt der Patient nur als „CaseMix-Faktor“ vor. Daher haben wir eine prozeduren- statt patientenorientierte Qualitätssicherung – für ein prozeduren- statt patientenorientiertes Vergütungssystem. Insofern wird im Rahmen der gesetzlich verpflichtenden Qualitätssicherung immer noch viel zu viel gemessen, ob eine Prozedur richtig gemacht wird, anstatt zu hinterfragen, ob sie überhaupt angebracht war, und ob das Ergebnis im Sinne des Patienten ist. MedWatch: Gibt es einen Ausweg? Klakow-Franck: Mit der Qualitätssicherungs-Richtlinie zu minimal-invasiven Herzklappen-Interventionen, die Anfang des Jahres in Kraft trat, ist es erstmals gelungen, die Frage in den Mittelpunkt zu stellen, ob der Eingriff überhaupt medizinisch sinnvoll ist. Auch in anderen Leistungsbereichen, zum Beispiel in der Gynäkologie, ist es leider immer noch so, dass die Gründe für die Durchführung der Gebärmutter- oder Eierstockentfernung oftmals fragwürdig erscheinen. Im Unterausschuss Qualitätssicherung des G-BA ist diese Problematik zwar erkannt, sie sollte jedoch zügiger in Angriff genommen werden. Der Sachverständigenrat empfiehlt ja in seinem neuesten Gutachten verbindliche Zweitmeinungsverfahren für nicht dringend notwendige Eingriffe.
Sie wollen über MedWatch informiert bleiben? Abonnieren Sie unseren Newsletter – oder folgen Sie uns auf Facebook oder Twitter.

Warum Bayer weiterhin durch ein Gericht klären lassen will, ob die durch das BfArM angeordneten Änderungen der Fach- und Gebrauchsinformation für Iberogast rechtmäßig sind? Das Unternehmen verwies bislang immer wieder darauf, dass seiner Ansicht nach das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Iberogast positiv sei, obwohl Experten dies anders sehen. Der Todesfall hänge mit einer äußerst seltenen, dosisunabhängigen Reaktion auf Substanzen zusammen, die in der Regel von Menschen sicher toleriert werden. Auf unsere Anfrage erklärt Bayer nun:

Bitte haben Sie (…) Verständnis, dass Bayer zu rechtlichen Verfahren keine Angaben macht.