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Lieferant des vermeintlichen Krebsmittels im Heilpraktiker-Prozess: „Ich würde der ganzen Welt helfen“

Amtsgericht Krefeld, Prozess gegen Heilpraktiker Klaus R. Foto: hfd / MedWatch

Am fünften Verhandlungstag im Prozess gegen den HeilpraktikerHeilpraktiker Heilpraktiker*in ist ein Medizinberuf, der auf dem deutschen Heilpraktikergesetz (HPG) beruht. Es handelt sich um einen sogenannten freien Beruf, dem keine einheitliche Ausbildung zugrunde liegt. Weder eine medizinische Ausbildung noch eine berufsqualifizierende Fachprüfung sind dafür erforderlich. Folgende Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsfelder sind jedoch ausgeschlossen: Geburtshilfe, Geschlechtskrankheiten, meldepflichtige übertragbare Krankheiten, die Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die Verordnung von Betäubungsmitteln. In Österreich ist der Beruf verboten. Klaus R. stand der Zeuge Daniel S. im Zentrum.: Er hatte die Substanz 3-BP3-BP 3-Brompyruvat (3-BP) ist das Bromderivat der Brenztraubensäure. Chemisch betrachtet ist es der Milchsäure sehr ähnlich und verursacht schwere Verätzungen der Haut und schwere Augenschäden. 3-Brompyruvat bindet an Cysteinreste und führt als sogenanntes Alkylans Alkylgruppen in die DNA ein. Es ist zudem in der Lage die Blut-Hirn-Schranke zu überschreiten. Für 3-Brompyruvat wird aktuell ein onkologischer Wirkmechanismus postuliert. Zellversuche deuten auf eine zytostatische Wirkweise, auf die Hemmung des Wachstums von Zellen, hin. Um einen Tumor mit dieser Substanz zu behandeln, muss 3-BP lokal verabreicht, also direkt in die Wucherung geleitet werden, um eine gezielte Wirkung zu erreichen. Es besitzt ein sehr enges Wirkspektrum, und kann schon bei leichten Überdosierungen zum Tode führen. Es existieren bisher keine klinischen Studien zu 3-Brompyruvat. Als Krebsmedikament ist es nicht hinreichend erforscht und somit in Deutschland als solches nicht zugelassen. Manche Heilpraktiker verweisen jedoch auf die effektive Krebstherapie mit 3-Bromopyruvat. Die führte bereits zu mehreren Todesfällen. besorgt, um damit seine ebenfalls an KrebsKrebs Statt eine spezifische Krankheit zu benennen, handelt es sich bei Krebs um einen Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten. Ihnen allen gemeinsam ist jedoch das unkontrollierte Wachstum von Körperzellen, aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Zellwachstum und Zelltod. Die Folge daraus ist – außer bei Blutkrebsarten – eine Geschwulst ohne organspezifische Funktion. Dringt diese in das umliegende gesunde Gewebe ein, spricht man von bösartigen Tumoren; ausschließlich bösartigen Tumore werden als Krebs bezeichnet. Krebs kann zudem metastasieren, d.h. er breitet sich im Körper aus, indem die Krebszellen über Blut- und Lymphbahnen wandern und infolgedessen in anderen Organen Tochtergeschwülste bilden. Die Ursachen für Krebs sind mannigfaltig. Einflüsse von außen wie Rauchen, Übergewicht und die damit verbundenen Stoffwechselveränderungen, UV-Strahlung etc. sind bekannt. Bei vielen Betroffenen entsteht Krebs jedoch spontan. Dem unkontrollierten Wachstum von Körperzellen gehen zwei Ausgangslagen voraus: Gene, die normalerweise eine Krebsentstehung bremsen sind ausgeschaltet und Gene, die die Krebsentstehung fördern, sind angeschaltet. Dies passiert oft durch Zufall. Bei manchen Zellteilungen kommt es zu Fehlern, die die körpereigenen Reparaturmechanismen nicht beheben. Prinzipiell können alle Organe und Gewebe des menschlichen Körpers von Krebs befallen werden, Spontanheilungen sind äußerst selten. erkrankte Frau zu behandeln. Bis zu den tödlichen Zwischenfällen im Juli 2016 belieferte er die PraxisPraxis Im medizinischen Bereich werden mit dem Begriff »Praxis« die Arbeitsräume eines niedergelassenen Arztes, Zahnarztes, Tierarztes oder Psychotherapeuten bezeichnet. Laut ärztlichen Niederlassungsrechts definiert die Arztpraxis den Tätigkeitsort der Vertragsärztin. in Brüggen-Bracht. Außerdem sagten Sachverständige vor dem Landgericht Krefeld zu den Todesursachen aus.

Als erste Zeugin hört das Gericht morgens um 9:15 Uhr die Ernährungsberaterin des verstorbenen PatientenPatienten Patienten und Patientinnen sind Person, welche in ärztlicher Behandlung oder Betreuung stehen. Der Begriff bezieht sich nicht zwangsläufig auf kranke Menschen. Denn neben diesen, zählen z.B. auch Blutspender, Neugeborene, Schwangere, zu impfende Personen und diejenigen, welche sich einer Vorsorge-Untersuchung unterziehen zu dieser Gruppe. Ein Patient geht mit seinem Behandler eine Rechtsbeziehung ein, nachdem dem Patienten eine ordnungsgemäße Behandlung nach aktuellem wissenschaftlichem Standard zusteht. Patient*innen in Deutschland haben zudem sog. Patientenrechte, mit entsprechenden Gesetzen und Regelwerken. Im deutschen Gesundheitssystem wird zwischen Kassen- und Privatpatienten unterschieden. Für erstere kommt die Gesetzliche Krankenkasse für die Behandlungskosten auf; letztere werden von Privaten Krankenkassen finanziert. Peter van O. Am Tag vor seinem Tod hatte van O. noch einen Termin in ihrer Praxis in Roermond. Die Infusion, die mutmaßlich zu seinem Tod geführt hat, hatte er zu diesem Zeitpunkt schon im Körper. Die Ernährungsberaterin berichtet, wie van O. im Laufe des Gesprächs immer müder wurde: „Er bekam alles mit, aber am Ende war er zu müde, um zu sprechen.“

Sie riet van O. und seiner Frau deshalb, in der Nähe zu übernachten. Doch die beiden wollten unbedingt nach Hause und machten sich am Abend auf den Weg ins rund anderthalb Autostunden entfernte Apeldoorn. Den nächsten Termin wollte die Ernährungsberaterin als Videokonferenz durchführen, doch dazu kam es nicht mehr.

Daniel S. sucht ein Krebsmittel für seine Frau

Gegen 10 Uhr nimmt Daniel S. Platz auf dem Zeugenstuhl. Er ist 39 Jahre alt, stammt aus Rumänien und lebt seit über zehn Jahren in den Niederlanden. An der Universität Temeswar habe er Physik studiert und anschließend promoviert. „Haben Sie eine medizinische Ausbildung“, fragt der Richter. „Nein“, antwortet S. Für MedizinMedizin Der Oberbegriff Medizin, der im weitesten Sinne die Heilkunst meint, kann in viele einzelne Sparten unterteilt werden (Gynäkologie, Infektiologie, Traumatologie…). Zumeist, wenn nicht genauer benannt, ist die Humanmedizin gemeint, welche sich der Erkennung, Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten des Menschen annimmt. Auch der medizinische Forschungs- und Entwicklungsbereich zählt hier dazu. Die Veterinärmedizin ist das Äquivalent für tierische Patienten. Es werden verschiedene Abgrenzbegriffe benutzt, die jedoch nicht immer klar definiert sind. Z.B.: Schulmedizin, Komplementärmedizin, Pseudomedizin und Alternativmedizin. Der Begriff Medizin wird teils auch als Synonym für ein Arzneimittel genutzt. habe er sich erst interessiert, als bei seiner Frau Mihaela Nierenkrebs diagnostiziert worden sei.

S. spricht leise und eindringlich. Den Angeklagten, mit dem er lange zusammengearbeitet hat und der sich nun wegen fahrlässiger Tötung verantworten muss, würdigt er im Gerichtssaal keines Blickes. S. erzählt von der OperationOperation Im medizinischen Kontext bezeichnet eine Operation (OP) ein chirurgisches Verfahren mit speziellen Instrumenten an einen Organismus. Hierbei wird Gewebe geschnitten oder geschlossen mit dem Ziel Erkrankungen, Verletzungen oder Deformitäten zu behandeln. Der Übergang bezüglich der Definition von einem medizinischen Eingriff hin zu einer Operation ist fließend. Juristisch betrachtet ist jede OP eine Körperverletzung. Durch eine vorherige Aufklärung und die Einverständniserklärung des Patienten, wird sie strafrechtlich nicht verfolgt. OPs sind nötig, um z.B. Tumore zu entfernen, um Blockierungen zu öffnen, um neue Blutversorgungen zu schaffen (Anastomose) oder um Transplantate, wie z.B. Organe, zu transferieren. Manche Operation dient dem diagnostischen Zweck. Hierfür werden Gewebestücke für genauere Laboruntersuchungen aus dem Organismus entfernt. Es kann zwischen Notfalloperationen, die innerhalb von Minuten und dringenden Operationen, welche innerhalb von Stunden stattfinden sollten, unterschieden werden. Eine geplante Operation hat mehr Zeit bis zu ihrer Durchführung; sie kann dadurch sehr gut vorbereitet und eine gute Verfassung des Patienten für die OP geschaffen werden. seiner Frau, die leider nicht den erhofften Erfolg brachte. Bereits einige Monate später, im Januar 2014, hätten die Ärzte Metastasen festgestellt. „Sie sagten, dass meine Frau nur noch wenige Monate zu leben hat.“ Mit einer sehr starken ChemotherapieChemotherapie Die Chemotherapie ist, neben OP und Strahlentherapie, eine der zentralen Behandlungsmöglichkeiten bei Krebs. Sie umfasst die zyklische Behandlung mit chemischen Substanzen – Zytostatika – in Form von Infusionen, Spritzen oder Tabletten. Die zumeist systemisch wirkenden Medikamente richten sich auch gegen gesunde Zellen, vor allem sich schnell teilende Zellen wie Haarzellen, blutbildende Zellen des Knochenmarks, Zellen der Schleimhäute im Mund-Rachenbereich sowie des Verdauungstrakts, was die typischen Nebenwirkungen wie Haarausfall, Blutarmut, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Infektionen im Mund erklärt. Die meisten Nebenwirkungen klingen nach Behandlungsende wieder ab. Man unterscheidet zwischen einer kurativen, adjuvanten, neoadjuvanten und palliativen Chemotherapie. Der Name der Behandlungsmethode geht auf ihren Begründer, Paul Ehrlich zurück. könne man etwas Zeit gewinnen, allerdings würde ihre Lebensqualität sehr darunter leiden. „Meine Frau hat dann beschlossen, dass wir nach anderen Möglichkeiten suchen müssen“, sagt S. und erzählt, wie er sich dann Tag und Nacht mit OnkologieOnkologie Die medizinische Fachrichtung der Onkologie beschäftigt sich mit der Entstehung und Entwicklung sowie der Beratung, Diagnose, Therapie und Nachsorge von gut- und bösartigen Tumorerkrankungen. Die Onkologie ist hierzulande der Internistik zugeordnet, operative Methoden fallen in andere Bereiche. Psychoonkologie und Reha-Maßnahmen spielen eine wichtige Rolle während und nach einer Therapie und auch die Palliativmedizin ist ein wichtiger Baustein in diesem Rahmen. Um die nötigen fachübergreifenden Methoden miteinander zu vernetzten, werden zunehmend immer mehr interdisziplinäre Krebszentren aufgebaut. In Deutschland existiert eine gemeinsame Struktur für hämatologische und onkologische Patienten. Denn auch wenn sich Blutkrebsarten von soliden Tumoren unterscheiden, bestehen viele gemeinsame medizinische Vorgehensweisen. beschäftigt habe: „Ich musste einfach eine Lösung finden.“

Anders als die meisten Patienten von Klaus R. sucht S. nicht unbedingt nach einer biologischen Alternative. Der Physiker durchforstet medizinische Datenbanken, spricht mit Ärzten und Wissenschaftlern in aller Welt. Zumeist bekommt er dieselbe Auskunft: Der Tumor seiner Frau sei sehr aggressiv, die Lebenserwartung gering. Über verschiedene Umwege gelangen er und seine Frau in die Praxis in Brüggen-Bracht. Zu Anfang wird die Praxis noch nicht von Klaus R. geführt, Mihaela bekommt dort verschiedene Substanzen aus dem Arsenal der alternativen KrebstherapieKrebstherapie Eine Krebstherapie ist immer spezifisch auf die jeweilige Tumorart angepasst, da Krebs keine spezifische Krankheit, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Erkrankungen ist, die auf gleichen Grundlagen beruhen. Auch ist der Verlauf einer bösartigen Tumorerkrankung von Mensch zu Mensch individuell. Es existieren neben weiteren Methoden drei zentrale Säulen in der Krebsbehandlung: Operation, Strahlen- und Chemotherapie. In vielen Fällen kann Krebs rein operativ behandelt werden. Das gilt z.B. für Haut- und Brustkrebs, wenn er frühzeitig erkannt wird. Eine Strahlentherapie kommt bei ca. jedem zweiten Krebspatienten zum Einsatz. Bei dieser Behandlungsmethode wird lokal eine hohe Dosis ionisierender Strahlung abgegeben. Hierdurch kommt es zu Schäden im Erbgut der (Tumor-)Zellen, so dass sie sich im besten Fall nicht mehr teilen können. Die Chemotherapie hingegen wirkt breit gestreut, also im gesamten Körper und belastet ihn deshalb strak. Diese Behandlung von bösartigen Tumoren mit Medikamenten (Chemotherapeutika oder Zytostatika), greift in den Vermehrungszyklus der Krebszellen ein. Vor allem bei Leukämien oder Lymphomen muss heute noch immer auf eine Stammzelltransplantation zurückgegriffen werden, da die zuvor erwähnten Methoden nicht ausreichend greifen. Hierbei werden Knochenmark oder Blutstammzellen von gesunden Menschen auf den Patienten übertragen. Große Beachtung bedarf im Zusammenhang mit Krebstherapien der Bereich ergänzender Behandlungen aus der Alternativmedizin. Die Alternativmedizin sollte nicht ohne Grund in Komplementärmedizin umbenannt werden. Denn die hierbei angebotenen Behandlungen sind unbedingt als Ergänzung und nicht als Ersatz zu verstehen. Und auch die Palliativmedizin ist ein wichtiger Baustein im Rahmen der Krebstherapien. Denn trotz enormer Fortschritte bei der Behandlung von Krebs können nicht alle Patienten geheilt werden. Ihnen ein Leben mit hoher Qualität, wenig Schmerzen und maximaler Mobilität zu ermöglichen steht hierbei im Mittelpunkt.: Vitamin B17 und Artemisinin zum Beispiel. S. sucht weiter nach einem Mittel, dessen Wirkung wissenschaftlich plausibel ist – und stößt im InternetInternet Das Internet ist ein weltweites heterogenes, dezentral organisiertes Rechnernetz, welches auf dem Netzwerkprotokoll TCP/IP basiert. Mit Hilfe des Internets können E-Mails geschrieben und Suchanfragen gestartet werden. Es kann Menschen über soziale Netzwerke, Audio- und Video-Telefonie miteinander verbinden. Daten können in das Netz hinein und aus ihm heraus geladen werden. Kartenlesen, Fernsehen und viele weitere Anwendungen sind über das Internet möglich. auf 3-BP. Er und seine Frau sind von der Substanz überzeugt: „3-BP war in der Topliste.“

„Er war mir nicht sorgfältig genug“

Anfang 2015 beschließt Daniel S., seine Frau mit 3-BP zu behandeln. Er besorgt das Mittel, kann jedoch selbst keine Infusionen legen. Das übernimmt deshalb Klaus R., der mittlerweile die Praxis führt. Der Vorsitzende Richter Johannes Hochgürtel fragt: „Es war ihre Idee, sie haben das Mittel mitgebracht?“ „Ja“, antwortet S. und berichtet, dass er alles selbst kontrolliert habe. Seine Frau sollte maximal 2,2 mg pro Kilo Körpergewicht bekommen, die Menge habe er selbst abgewogen. Mit Klaus R. habe er viel über 3-BP gesprochen. „Er war immer freundlich, hat viel gelacht“, sagt S., „aber ich habe ihm nicht richtig vertraut, er war mir nicht sorgfältig genug.“ Nach einigen Monaten möchte der Heilpraktiker Klaus R. das Mittel auch bei anderen Krebspatienten einsetzen. Die Substanz bezieht er von Daniel S. „Er hat gefragt, ob ich ihm helfen kann“, sagt S. „Gab es sonst noch jemandem, dem sie helfen wollten?“, fragt der Richter. Die Antwort von S.: „Ich würde der ganzen Welt helfen.“

Das 3-BP habe er in den USA bestellt, bei der Firma „Santa Cruz Biotechnology“, die S. immer nur „Santa Cruz“ nennt. Zu dieser Firma hatte er Vertrauen, anders als zu einem chinesischen Lieferanten, bei dem er ein einziges Mal bestellt. „Das chinesische 3-BP habe ich aber nie eingesetzt.“ Ein gutes Jahr lang behandelt Klaus R. Patienten mit dem Mittel 3-BP. Es war offenbar ein permanentes Experiment, auch der Heilpraktiker beschrieb den Einsatz des Mittels zuvor als „Ausprobieren“.

Klaus R. habe irgendwann die Dosis erhöht, erzählt S. In E-Mails berichtet der Heilpraktiker, dass er fünf Milligramm pro Kilo infundiert habe. S. rät davon ab. Vor Gericht erklärt er, dass die Selektivität von 3-BP bei höheren Dosen abnimmt, dass also auch gesunde Zellen geschädigt werden. S. redet wie ein Mediziner, er tut das so überzeugend, dass ihn die Verteidigerin des Heilpraktikers mehrfach nach medizinischen Zusammenhängen fragt. Der Richter geht dazwischen: „Das ist eine Frage für den Sachverständigen. Hier sitzt ein Laie vor uns.“ In einer Verhandlungspause platzt einem niederländischen Journalisten der Kragen: „Physiker und Heilpraktiker behandeln Krebs. Im ganzen Haus gibt es keinen Arzt, das kann doch nicht sein.“

Bis heute ist Daniel S. von 3-BP überzeugt

Schließlich geht es um die entscheidenden Tage Ende Juli 2016. Klaus R. habe ihn sofort angerufen, als es mehreren Patienten nach der Infusion schlecht ging. Für S. war das eine äußerst bedrohliche Situation: „Ich wollte meinen Lieferanten unbedingt raushalten“, sagt er. Er ist überzeugt: „Das Leben meiner Frau hing davon ab, dass ich 3-BP besorgen konnte.“ „Wir könnten sagen, das Mittel kommt aus China“, schlägt S. vor. Schließlich entscheiden sich die beiden jedoch dafür, den Lieferanten „Santa Cruz“ zu nennen. Die niederländische Polizei beschlagnahmt bei S. verschiedene Proben, darunter auch 3-BP. Es werden Laborproben genommen, dann bekommt S. die beschlagnahmten Mittel zurück. „Unverständlich“ findet das die Staatsanwältin. Im weiteren Verlauf des Prozesses wird es noch um die Ergebnisse der Analyse gehen.

Allerdings wurden wohl keine Proben aus der problematischen Lieferung von Ende Juli untersucht. Wie schon der Heilpraktiker hat auch S. die Reste vernichtet. „Wollten Sie nicht herausfinden, ob damit etwas nicht in Ordnung war?“, fragt der Vorsitzende Richter. „Ich wollte, dass dieses 3-BP nicht weiterbenutzt wird, das war mein einziges Interesse“, antwortet S. Die Todesfälle seien entweder durch eine Verunreinigung des Mittels oder durch eine zu hohe Dosierung entstanden, mutmaßt der Zeuge: „Heute glaube ich, dass die Dosis zu hoch war.“ Auch nach den Todesfällen behandelt er seine Frau weiter mit 3-BP, bis heute ist er davon überzeugt – obwohl auch Mihaela mittlerweile an ihrem Krebsleiden verstorben ist.

Für die Pathologin steht fest: Leentje C. ist an einer Vergiftung mit 3-BP gestorben

Es ist schon 17:30 Uhr, als die niederländischen Sachverständigen aussagen: ein Toxikologe und eine Pathologin, beide haben große Teile des Prozesses verfolgt. Zunächst geht es um die Blutuntersuchungen bei der belgischen Patientin Leentje C. Das Ergebnis ist allerdings nicht eindeutig: „Ich kann keine toxikologische Ursache feststellen, aber auch nicht ausschließen“, so fasst der Sachverständige seine Ergebnisse zusammen. Trotz dieser Bilanz geht es danach lange darum, wie man die auffälligen Werte bei Leentje C. interpretieren könne. Direkt lässt sich 3-BP nicht nachweisen, es wird sehr schnell abgebaut. Dazu kommt, dass die Blutproben längere Zeit im Gefrierschrank lagen. Auch dabei könnten sich die entscheidenden Werte verändert haben, so der Toxikologe.

Klarer fällt das Urteil der Rechtsmedizinerin Bela Kubat aus: „Leentje C ist infolge einer ernsten Hirnschädigung und Hirneinklemmung gestorben“, führt die Professorin aus. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Hirnschädigung aufgetreten ist durch toxische Effekte. Und wahrscheinlich durch toxische Effekte von 3-BP.“ Kubat erklärt, dass die Hirnödeme, die in der gesamten Großhirnrinde gefunden wurden, auf einen Mangel an Sauerstoff oder Glukose hindeuten. Auch in tieferen Bereichen des Hirns hat sie Schädigungen und Blutungen festgestellt. „Wir kennen ähnliche Symptome von einer Kohlenmonoxid-Vergiftung“, sagt Kubat. Vereinfacht ausgedrückt könne das Gehirn dann keine Energie mehr produzieren. Bei Kohlenmonoxid fehle der Sauerstoff, bei 3-BP die Glukose. Die Verteidigung fragt nach anderen Erklärungen, aber für Professor Kubat steht fest: „Dieses Muster tritt nur bei Vergiftungen auf.“ Auch die Krebserkrankung sei keine Erklärung für den Tod von Leentje C.: „Sie war komplett krebsfrei“, berichtet die Pathologin. Weder an der Bauchspeicheldrüse noch an anderen Organen wurde Tumorgewebe gefunden – auch bei der vorangegangenen Verhandlung hieß es, sie sei tumorfrei gewesen [LINK „klang biologisch“]. Die Befunde zeigen, dass 3-BP – zumindest in hoher Dosierung – die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. So sei es zu den Schäden gekommen, die letztlich wohl zum Tod der Patientin geführt haben.

Peter van O., der niederländische PatientPatient Ein Patient / eine Patientin ist eine Person, welche in ärztlicher Behandlung oder Betreuung steht. Der Begriff bezieht sich nicht zwangsläufig auf kranke Menschen. Denn neben diesen zählen z.B. auch Blutspender, Neugeborene, Schwangere, zu impfende Personen und diejenigen, welche sich einer Vorsorge-Untersuchung unterziehen zu dieser Gruppe. Ein Patient geht mit seinem Behandler eine Rechtsbeziehung ein, nachdem dem Patienten eine ordnungsgemäße Behandlung nach aktuellem wissenschaftlichem Standard zusteht. Patient*innen in Deutschland haben zudem sog. Patientenrechte, mit entsprechenden Gesetzen und Regelwerken. Im deutschen Gesundheitssystem wird zwischen Kassen- und Privatpatienten unterschieden. Für erstere kommt die Gesetzliche Krankenkasse für die Behandlungskosten auf; letztere werden von Privaten Krankenkassen finanziert., litt vor seinem Tod an ganz ähnlichen Symptomen wie Leentje C. Übelkeit, epileptische Anfälle und computertomografische Aufnahmen, die vor dem Tod von van O. gemacht wurden, lassen auf eine ähnliche Todesursache schließen. „Es war möglicherweise eine Vergiftung“, sagt Bela Kubat. So eindeutig wie bei Leentje C. könne sie das aber nicht sagen, da die Obduktion zu einem späteren Zeitpunkt stattfand. „Der Zustand war zu fortgeschritten“, so Kubat, vieles habe man nicht mehr sehen können. Van O. habe jedoch nach wie vor an Krebs gelitten, auch Metastasen wurden gefunden. „Eine HeilungHeilung Den Prozess der Rückbildung einer Erkrankung bezeichnet man als Heilung, Rekonvaleszenz oder Genesung. Ganzheitlich betrachtet kann dies auf physischer, psychischer und/oder sozialer Ebene stattfinden. Die Heilung kann körpereigen ablaufen und spontan ausheilen. Auch durch äußeres Intervenieren, wie die Anwendung einer Therapie, eines Medikamentes, einer Lebensumstellung etc. kann eine Heilung erzielt werden. Sie findet vollständig oder partiell statt. Im letzteren Fall handelt es sich um eine Defektheilung. war da nicht mehr möglich.“ Die akuten Symptome Ende Juli und der Tod seien jedoch durch die Krebserkrankung nicht zu erklären.

Es ist bereits 20 Uhr, als das Gericht die Vernehmung der Sachverständigen am fünften Verhandlungstag beendet. Anfang Juni wird der Prozess fortgesetzt. Dann geht es um den dritten Todesfall – die Patientin Joke van der K.

Bisherige Berichterstattung von MedWatch über den Prozess

Foto: Hinnerk Feldwisch / MedWatch