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Homöopathische Behandlungen Gesundheitsministerium hat „keine Informationen“ zu Folgekosten

Schild an einem Eingang des Bundesgesundheitsministeriums; Bundesadler mit dem Text_ Bundesministerium für Gesundheit
© Hinnerk Feldwisch-Drentrup / MedWatch

Nachdem die französische Regierung kürzlich entschieden hat, dass die dortige gesetzliche Krankenversicherung mangels Wirksamkeitsbelegen zukünftig nicht mehr erstatten darf, gab es auch in Deutschland vermehrt Forderungen von Politikern hierzu. „Für Glauben sind die Kassen nicht zuständig“, sagte etwa Erwin Rüddel, Vorsitzender des Bundestags-Gesundheitsausschusses. „Wir sind selbst schuld, weil wir das ermöglicht haben.“ SPD-Gesundheitspolitiker Karl LauterbachKarl Lauterbach Karl Wilhelm Lauterbach, Mediziner, Epidemiologe, Gesundheitsökonom und Politiker (SPD). Seit 2005 ist Karl Lauterbach Mitglied des Deutschen Bundestages und seit dem 8. Dezember 2021 Bundesminister für Gesundheit (Stand 2022). hatte sich schon 2010 dafür ausgesprochen, die Kassenerstattung abzuschaffen – und auch Bundesgesundheitsminister Jens SpahnSpahn Spahn, Jens; Bankkaufmann und Politologe, war 2018 bis 2021 Bundesminister für Gesundheit. Seit 2002 ist er Mitglied des Bundestages. (CDU) erklärte damals als gesundheitspolitischer Sprecher der Union, es gebe keinen wissenschaftlichen Nachweis für einen Nutzen der HomöopathieHomöopathie Der deutsche Arzt Samuel Hahnemann postulierte gegen Ende des 18. Jh.s: »Ähnliches heilt Ähnliches«. So leitet sich das Wort Homöopathie von Homoion (für ähnlich) und Pathos (für Leiden) ab. Hahnemann verfolgte die Theorie, dass der Auslöser einer Krankheit oder der Auslöser für bestimmte Symptome auch zu deren Therapie genutzt werden kann. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Chinarinde, mit der früher Malaria behandelt wurde. Die Einnahme dieser löste in einem Selbstversuch Hahnemanns Symptome einer Malaria aus. Damit sah er seine Theorie bestätigt. Die Homöopathie ist heute eine eigenständige Therapieform in der Alternativmedizin. Häufig werden für Globuli und Tinkturen die eingesetzten Substanzen zur Behandlung so stark verdünnt, dass in ihnen kein Wirkstoff mehr vorhanden ist. Für die Wirkung der Verdünnungen (Potenzen) wird ein Gedächtnis des Lösungsmittels, z.B. Wasser, angenommen. Für solch ein Gedächtnis von Wasser oder für eine generelle Wirkweise der Homöopathie über den Effekt eines Placebos hinaus gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege; trotz mehr als 200 hochwertiger Studien dazu..

Lauterbach hielt seitdem am Ziel fest, brachte das Thema aber nicht groß voran – im Interview mit MedWatch erklärte er im April 2019, im Parlament sei keine Mehrheit für einen derartigen Schritt zu gewinnen. Spahn erklärte hingegen am Dienstag, auch die Alternativmedizin und Homöopathie hätten grundsätzlich „ihre Berechtigung“ – dies sei „ohne Frage“ so. Auf einer Diskussionsveranstaltung des Redaktionsnetzwerks Deutschland sagte er, grundsätzlich gelte zwar das Prinzip, dass Kassen nur bezahlen, wenn es einen Nachweis durch Studien gibt, „dass es tatsächlich auch in der Behandlung wirkt, einen Unterschied macht, was nützt“. Dies sei „bei der Homöopathie jedenfalls bei den allerwenigsten Produkten gelungen“, erklärte Spahn.

Bislang keine wissenschaftlichen Belege

Tatsächlich gibt es pharmazeutisch keinerlei Plausibilität, dass Behandlungen mit hochverdünnten Homöopathika eine Wirkung über den PlaceboeffektPlaceboeffekt Der Placeboeffekt bezeichnet die therapeutische Wirkung eines Medikamentes oder einer Behandlung ohne eigentlichen Wirkstoff bzw. Wirkmechanismus. Die therapeutische Wirkung eines Placebos (Scheinmedikament oder Schein-Behandlung) ist bedingt durch die äußeren Umstände, den Kontext. Hierzu zählen primär die Verabreichung eines Mittels, die Behandlung mit einer Methode und z.B. auch die Interaktion mit medizinischem Personal. Die Wirkung beruht auf dem inneren Glauben des Patienten, dass sie eintreten wird. Aus diesem Grund sind Placebo-Kontroll-Gruppen bei klinischen Studien äußerst wichtig. Hierbei wird ausgeschlossen, ob die Wirkung am Inhaltsstoff des Medikamentes oder auf dem Glauben an seine Wirkung beruht. Früher ging man davon aus, dass der Placeboeffekt nur eintritt, wenn der Patient oder die Patientin davon überzeugt ist, ein wirksames Medikament zu erhalten. Heute weiß man, dass er selbst mit dem Wissen ein Scheinprodukt zu erhalten eintreten kann. hinaus haben könnten. Laut etwa einer großen australischen Übersichtsstudie gibt es keinerlei Nachweis, dass Homöopathika bei dutzenden untersuchten Krankheiten eine Wirkung haben, die über den Placeboeffekt hinausgehen. Und im aktuellen Jahresbericht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) heißt es, die Behörde habe noch kein homöopathisches ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. zugelassen, bei dem sich der Hersteller „auf eine zum Beleg der Wirksamkeit geeignete Studie berufen hätte“ – das BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen. ist Spahns Ministerium nachgeordnet.

„Ich bin immer dafür, Debatten richtig einzuordnen“, erklärte Spahn am Dienstagabend – und verwies anschließend darauf, dass in Deutschland jährlich zwischen 40 und 50 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben würden. „Für Homöopathie geben die KrankenkassenKrankenkassen Eine Krankenkasse ist der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Krankenkassen stellen den Versicherten Leistungen zur Verfügung, die nach Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte in Anspruch genommen werden können. Die meisten dieser Leistungen sind im SGB V festgeschrieben. Krankenkassen sind organisatorisch sowie finanziell unabhängig und unterstehen der Aufsicht von Bund oder Ländern. Im Gegensatz zu gesetzlichen Krankenversicherungen sind private Krankenversicherungsunternehmen Aktiengesellschaften oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG). 20 Millionen aus im Jahr“, erklärte er. Hierüber könne man jetzt „mit ganz viel Emotionen“ und indem man Anhänger der Homöopathie „im Zweifel voll vorn Kopf stößt“ diskutieren. Oder man könne sich die Frage stellen, ob dies angesichts der Größenordnung die Debatte Wert ist. „Ich habe mich entschlossen: Es ist so okay, wie es ist“, erklärte Spahn.

Laut Studie 2000 Euro Mehrkosten pro Patient

Dabei ergibt eine Anfrage von MedWatch, dass Spahns Ministerium eigentlich gar keine Vorstellung von den Kosten hat, die durch homöopathische Behandlungen entstehen. Es trifft zwar zu, dass die Ausgaben von Krankenkassen für GlobuliGlobuli Globuli (Plural für „Kügelchen“) sind eine in der Homöopathie verwendete Darreichungsform. Auch in der Bach-Blütentherapie oder bei Schüßler-Salzen finden sie Anwendung. Die Kügelchen werden in verschiedenen Potenzen angeboten, d.h. in verschiedenen Verdünnungen der eigentlichen Substanz. Die Verdünnungen sind jedoch so hoch, dass die Stoffe in den Globuli nicht mehr vorhanden sind. Die Theorie des Potenzierens basiert darauf, dass das Wasser, in dem die Stoffe verdünnt wurden, ein Gedächtnis für die Substanz hat und auf Grund dessen wirkt. Die weißen bis gelben Zuckerkügelchen bestehen aus Rohrzucker (Saccharose). Mit der HPLC (einer sehr sensitiven chromatographischen Analysemethode) können in der Regel keine weiteren Zusatzstoffe nachgewiesen werden. Bis heute gibt es keine Belege für eine Wirksamkeit über die eines Placebos hinaus. und andere Mittel lediglich einige Millionen pro Jahr betragen – hinzu kommen aber Ausgaben für homöopathisch arbeitende Ärzte und Apotheker, die von Krankenkassen teils eigen vergütet werden. Außerdem fallen durch homöopathisch behandelten Patienten laut einer groß angelegten Studie der Techniker-Krankenkasse erhebliche Mehrkosten im Vergleich zu Patienten an, die nicht auf Kassen-Angebot aus dem Bereich der Homöopathie zurückgreifen. Während Patienten in der Kontrollgruppe durchschnittliche Kosten von 10.428 Euro verursachten, betrugen diese für homöopathisch behandelte Patienten 12.414 Euro – auch in Folge von vermehrten Arbeitsunfähigkeitstagen. Die genauen Gründe hierfür konnte die Studie nicht aufschlüsseln – aber eine Erklärung sind Folgekosten, die durch die fehlende Behandlung mit wirksamen Mitteln entstehen. Dem BundesgesundheitsministeriumBundesgesundheitsministerium Das Bundesgesundheitsministerium, oder auch Bundesministerium für Gesundheit, erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. lägen „keine Informationen oder Schätzungen zu den Folgekosten für homöopathisch behandelte Patienten“ vor, räumt eine Sprecherin ein.

Gegen die Erklärungen Spahns, die Erstattung der Homöopathika aufgrund der geringen Ausgaben beizubehalten, gab es viel grundsätzlichen Widerstand. „Das sehe ich definitiv nicht so“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Sabine Dittmar. Auch ihr Parteifreund Lauterbach widersprach Spahn bei Twitter: Die Wissenschaft dürfe in der Medizin nicht nur deshalb aufgegeben werden, weil es wenig kostet, „medizinischen Unsinn“ zu bezahlen. „Der Staat muss zur Wissenschaft stehen – auch im Konflikt“, schrieb er. „Immerhin stirbt der Patient, wenn er falsch behandelt wird.“

Lauterbach hatte kürzlich noch angekündigt, dass es nun Zeit sei, über das Thema Kassenerstattung zu sprechen. Doch derzeit kandidiert er für den Parteivorstand: Daher hat er kürzlich auf seinen Posten im SPD-Parteivorstand verzichtet, wo er für Gesundheit zuständig war – nun sei erstmal mit keinen Initiativen in diese Richtung zu rechnen, heißt es aus seinem Büro.

„Volle Kostenübernahme – ganz bequem per GesundheitskarteGesundheitskarte Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) ist seit 2015 der ausschließliche Berechtigungsnachweis, um Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse in Anspruch nehmen zu können. Daten wie Name, Geburtsdatum, Anschrift und Angaben zur Krankenversicherung sind standardmäßig auf der Karte gespeichert. Ein Lichtbild auf der Karte ist verpflichtend für alle über 15 Jahren. Die Rückseite wird von den Kassen oft für die "Europäische Krankenversicherungskarte" verwendet und stellt so eine unbürokratische Behandlung innerhalb Europas sicher. Seit 2020 ist es möglich freiwillig zusätzliche Daten auf der Karte zu hinterlegen. Das können Informationen zu Arzneimittelunverträglichkeiten, Allergien und chronischen Erkrankungen sein, die im Notfall wichtig sind. Schwangerschaften, Informationen zu Implantaten, zu Organ- und Gewebespenden, Patientenverfügungen sowie weitere Kontaktdaten können hier hinterlegt werden.

Dieses Amt wird voraussichtlich zukünftig seine Parteifreundin Bärbel Bas einnehmen. „Alternative Heilmethoden, für die es keine oder nur unzureichende wissenschaftliche Studien gibt, sind aus gutem Grund nicht Teil der Regelversorgung“, erklärte sie. „Bei der Homöopathie liegen diese Nachweise nicht vor. Es fehlt daher die Grundlage für eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen.“ Sie selbst war früher Abteilungsleiterin bei der Krankenkasse „BKK futur“, welche inzwischen in die „BKK VBU“ übergegangen ist. Sie zählt zu den Kassen, die Kosten für homöopathische Behandlungen erstatten – „weit über den gesetzlichen Leistungskatalog hinaus“, heißt es auf der Homepage. „Für die homöopathische Behandlung beim Arzt bieten wir unseren Kunden schon von Geburt an die volle Kostenübernahme – ganz bequem per Gesundheitskarte.“ Die Chefin der BKK VBU Andrea Galle bezeichnete die Diskussion um die Kostenerstattung gegenüber Zeit Online kürzlich als „grandioses Sommertheater“. „Liegt es nicht auch in der Logik des medizinischen Fortschritts, dass Therapien angewandt und teils auch erstattet werden, deren Wirksamkeit erst später bewiesen oder vielleicht auch widerlegt wird“, fragte sie.

Andere Kassenchefs sehen dies deutlich anders: AOK-Bundesverbandschef Martin Litsch hatte gegenüber MedWatch erklärt, er fordere ein Erstattungsverbot für Homöopathie. Laut einer Erhebung des Bundesversicherungsamtes glauben praktisch alle Kassen nicht daran, dass Homöopathie helfen würde – sie nutzen es offenbar als Lockmittel für neue, für sie attraktive Versicherte.