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Digitalunternehmen Health4Future Was tut man eigentlich als einzige Initiative, die das Problem Long Covid lösen kann?

Visualisierung des Coronavirus - kugelähnliches Gebilde mit Y-förmigen Strukturen auf der Oberfläche
Ein Leitlinien-Autor warnt vor den Empfehlungen von Health4Future © Fusion Medical Animation / Unsplash

Health4Future trat an, Long Covid zu heilen. Betroffene setzten große Hoffnungen in das Start-Up – bei dem nicht alles ist, wie es scheint. Manche Experten weisen sogar auf Risiken hin.

Franziska Böhler wirkt empört. „Stellt euch vor, wir machen einen Runden Tisch zur Automobilindustrie – ohne VW?“, fragt die Krankenschwester und Buchautorin, die als „thefabulousfranzi“ auf Instagram eine große Reichweite hat. „Stellt euch vor, ihr macht einen Runden Tisch wegen der Energiekrise – ohne RWE?“ Nach mehreren solcher Fragen kommt @thefabulousfranzi in ihrem Instagram-Video aus dem August 2023 auf den Punkt: „Und jetzt stellt euch vor, ihr macht einen Runden Tisch zu Long Covid ohne Health4Future…“ 

Diesen offenbar abwegigen Plan erlaubte sich Bundesgesundheitsminister Karl LauterbachKarl Lauterbach Karl Wilhelm Lauterbach, Mediziner, Epidemiologe, Gesundheitsökonom und Politiker (SPD). Seit 2005 ist Karl Lauterbach Mitglied des Deutschen Bundestages und seit dem 8. Dezember 2021 Bundesminister für Gesundheit (Stand 2022). (SPD) in diesem Herbst 2023 tatsächlich. Zu einer Gesprächsrunde über die Versorgung von postviral Erkrankten bat er Wissenschaftler:innen und Betroffenenverbände, Politik und Behörden an einen Tisch. Nicht jedoch Health4Future. Das Start-Up hatte dem Video zufolge eine Teilnahme beantragt, jedoch eine Absage erhalten. Für Böhler ein Unding: „Die einzige Initiative, die die Möglichkeit hätte, Therapien, Forschung und eine Lösung für dieses Problem zu erarbeiten und daran mitzuwirken, wird nicht eingeladen“, sagt sie. 

Die „einzige Initiative“ also, die das Problem Long Covid lösen kann? Ein Krankheitsbild, das Forschenden rund um den Globus Rätsel aufgibt, dessen Mechanismen bis heute nicht verstanden sind, und für das noch niemand eine heilende TherapieTherapie Therapie bezeichnet eine Heil- oder Krankenbehandlung im weitesten Sinn. Es kann hierbei die Beseitigung einer Krankheitsursache oder die Beseitigung von Symptomen im Mittelpunkt stehen. Ziel einer jeden Therapie ist die Widerherstellung der physischen und psychischen Funktionen eines Patienten durch einen Therapeuten. Soweit dies unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist. gefunden hat? 

„Schlussendlich Heilung“ lautet das Ziel

Wie kommt Franziska Böhler zu dieser Bewertung? 

Auf ihrem Instagram-Kanal bezeichnet sie sich als „Member of @health4future_de“, als „Mitglied“ jener Digitalgesellschaft also, die man auf den ersten Blick für eine gemeinnützige Initiative halten könnte. Ein Blick ins Handelsregister zeigt: Böhler ist auch Gesellschafterin, Miteigentümerin des Unternehmens. Eine Anfrage über ihren Buchverlag bleibt ohne Antwort. 

Auch ins Lobbyregister des Deutschen Bundestages hat sich Health4Future eingetragen. Sein „Schwerpunkt“, so steht es da, sei die „Ursachenforschung des Krankheitsbildes Long Covid, dessen Therapie und schlussendlich Heilung.“ Allein mit Chuzpe lässt sich das kaum erreichen. Was also steckt hinter der Initiative? 

Als Health4Future Ende 2021 an den Start ging,1https://www.instagram.com/p/CXeNSWNoEnv/ weckte es schnell einige Hoffnung unter Long-Covid-Erkrankten. Gegründet von den Schwestern Philomena und Penelope Poetis, Töchter eines früheren pakistanischen Honorarkonsuls, setzt das Start-Up auf einen umfangreichen „Symptomfragebogen“. Gut 13.000 Menschen haben ihn dem Unternehmen zufolge bisher online ausgefüllt, mutmaßlich in Erwartung der versprochenen „Handlungsempfehlungen“. Die Not ist schließlich groß. Eine heilende Therapie für die Betroffenen fehlt. Oft ist es bereits schwer, eine Arztpraxis zu finden, die sich der vielfältigen Symptome kompetent annimmt. Die Aussicht, dass „ein Team von Long Covid und Post-COVID-19Covid-19 COVID-19 ist ein Akronym für die englische Bezeichnung Coronavirus Disease 2019, was so viel wie Corona-Virus-Krankheit 2019 heißt. Sie wird von dem neuen Beta-Coronavirus SARS-CoV-2 und seinen Varianten ausgelöst. Eine Erkrankung mit COVID-19 äußert sich zumeist – ca. vier bis sechs Tage nach Infektion – relativ unspezifisch durch Husten, Schnupfen, Halsschmerzen und Fieber sowie Störungen des Geruchs- und/oder Geschmackssinns. Atemnot, Kopf- und Gliederschmerzen, allgemeine Schwäche oder auch Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall können hinzukommen. Die Symptome können je nach Virusvariante variieren. Auch schwere Verläufe mit Aufenthalten auf der Intensivstation bis hin zum Tod sind möglich. Experten die weitere Behandlung des Patienten“ erarbeite“,2https://health4future.com/whyh4f mehr noch: „für dich eine ideale Therapie“,3https://health4future.com/wehelp wie es Health4Future angibt, ist da natürlich attraktiv. Auf der Website gaben die Menschen ihre Beschwerden und Daten zur Krankheitsgeschichte ein. Den Berichten mehrerer Betroffener zufolge passierte dann allerdings erst einmal: nichts.

Nutzer:innen fragten sich, was genau mit ihren Daten passiert. Es gibt auch einen Symptomfragebogen für die Multisystemerkrankung ME/CFS. ME/CFS gilt als schwerste Ausprägung von Long Covid, aber bereits lange vor CoronaCorona Mit Corona bezeichnet die Allgemeinbevölkerung zumeist SARS-CoV-2 (Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2). Es ist ein neues Beta-Coronavirus, welches zu Beginn des Jahres 2020 als Auslöser der Krankheit COVID-19 identifiziert wurde. Coronaviren waren schon vor 2020 altbekannt. In Menschen verursachen sie vorwiegend milde Erkältungskrankheiten (teils auch schwere Lungenentzündungen) und auch andere Wirte werden von ihnen befallen. SARS-CoV-2 hingegen verursacht wesentlich schwerere Krankheitsverläufe, mit Aufenthalten auf der Intensivstation bis hin zum Tod. Der Virusstamm entwickelte und entwickelt seit seiner Entdeckung verschiedene Virusvarianten, die in ihren Aminosäuren Austausche aufweisen, was zu unterschiedlichen Eigenschaften bezüglich ihrer Infektiosität und der Schwere eines Krankheitsverlaufes führt. Seit Dezember 2020 steht in Deutschland ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung. Menschen schlimmstenfalls zu Pflegefällen gemacht hat. Die Erkrankung ist komplex. Es gibt für sie noch nicht einmal eine Leitlinie. Und auch das Health4Future-System scheint sich mit ihr noch schwerer zu tun. Ein ME/CFS-Fragebogen, von dem MedWatch Kenntnis hat und der im April 2023 ausgefüllt wurde, wartet bis heute auf Antwort. 

Kern der Auswertung ist eine „Diagnoseempfehlung“ für den Arzt

Bei Long Covid geht das offenbar schneller. Die Teilnehmenden haben, soweit bekannt, inzwischen ihre Auswertung erhalten.4https://www.instagram.com/stories/highlights/18088414063344306/ In Form eines digitalen „Health Compass“, laut Health4Future von einem interdisziplinären Ärzteteam erarbeitet. In einem Interview wird Poetis damit zitiert, dass dieses Ärzteteam „die nächsten Schritte“ erarbeiten würde. Und zwar „für jeden Betroffenen individuell.“5https://www.im-io.de/digital-health-2/eine-datenbank-sagt-long-covid-den-kampf-an/

MedWatch liegen mehrere „Compasse“ vor. Sie bestehen im Wesentlichen aus einer „Diagnoseempfehlung“ für den behandelnden Arzt. „Verdacht auf Long Covid“ oder auch „Gesichert Long Covid“, heißt es darin zum Beispiel. Eine detailliertere Auswertung geht aus der Rückmeldung nicht hervor. Es folgen Links, über die Nutzer:innen Bücher des Start-Ups bestellen können, sowie allgemeine Empfehlungen, etwa für Yoga-Übungen. 

Manch Betroffener, der sich individuelle Therapieansätze erhofft hatte, reagierte enttäuscht. „Ich habe keine individuellen Handlungsempfehlungen erhalten, sondern nur nach über einem Jahr die Empfehlung ihrer kostenpflichtigen Tagebücher/Handbücher“, berichtet eine Nutzerin gegenüber MedWatch. „Im Großen und Ganzen eine riesen Verarschung“, kritisiert eine andere. „Als Hilfe habe ich nichts empfunden. Und die angeblichen Tipps kann man sich überall holen, dafür braucht man nicht seine ganzen heiklen Daten weiterzugeben.“ 

Auswertung kostet nun auch Geld

Inzwischen verlangt Health4Future für die anfänglich kostenlose Auswertung der Long-Covid-Fragebögen Geld, verspricht dafür eine Antwort binnen 48 Stunden. 28,56 Euro „Eigenanteil“ waren das bis vor kurzem, den Rest der Gesamtkosten von 95,20 Euro übernehme „ein Sponsor“, hieß es. Inzwischen zahlen Betroffene 35,70 Euro.6https://health4future.com/home/shop

Es ist ein Angebot, das Fragen aufwirft. Menschen, die den Verdacht hegen, unter Long Covid zu leiden, tragen ihre Symptome und weitere Daten in ein Onlineformular ein und erhalten auf Basis ihrer Selbstangaben zum Beispiel die Rückmeldung, „gesichert Long Covid“ zu haben. Neuerdings zahlen sie eine Gebühr für diese „Diagnoseempfehlung“. Während sie bei ihrem Hausarzt Anspruch auf eine Diagnose als Kassenleistung haben, und zwar auf Basis einer ärztlichen Untersuchung, vielleicht auch von Laborwerten und weiterer Abklärung durch Spezialisten. Und das kostenlos.

Geprüft durch das Bundesforschungsministerium – oder doch nicht?

Anfrage bei Philomena Poetis – die Soziologin ist Geschäftsführerin des Start-Ups: Was ist der Mehrwert einer solchen „Diagnoseempfehlung“? Welche Sponsoren übernahmen Teile der Gebühren für die Auswertung der Fragebögen? Warum wird darin – als optionale Angabe – auch die Krankenkasse und die Versichertennummer erfragt, die für die Bewertung von Symptomen keinerlei Bedeutung hat? Poetis geht auf konkrete Fragen nicht ein, ihre Antwort beginnt sie so:

Gott sei Dank haben Sie nachgefragt! Nicht nur, dass wir bereits von Meta, X und Apple mit Millionen finanziert wurden, Elon Musk befindet sich bei uns im geheimen Beirat und verwendet unsere Daten nicht nur für die Perfektionierung seiner selbstfahrenden Tesla-Modelle, sondern auch um seiner dringendsten Frage nachzugehen, wie Menschen durch medizinische Überwachung auf dem Mars überleben können. Alle Daten wurden – selbstverständlich personalisiert – an die Bill Gates-Stiftung weitergeben, um endlich Impf-Chips entwicklen [sic!] zu können, die uns alle zu hirnlosen Robotern machen, während ich hier gerade mit meinen – durch Lug und Betrug erworbenen – Millionen auf den Cayman Islands sitze und Jan Marsalek zuproste.

Auszug aus der E-Mail-Antwort von Philomena Poetis, Geschäftsführerin von Health4Future

Poetis‘ Nachricht lässt nicht nur Fragen offen, sie wirft auch weitere auf. Am Ende der E-Mail befindet sich ein grünes Banner. „Fighting4Health!“, steht darauf in großen Lettern – darunter der Hinweis: „Geprüft und gefördert durch“ – es folgt das Logo des Bundesforschungsministeriums (BMBF). Auch auf der Website findet sich ein solcher Verweis. Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin des BMBF allerdings: Eine Förderung durch das Ministerium „wurde und wird“ nicht ausgesprochen, „auch hat das BMBF nichts bestätigt.“ Tatsächlich sei die – im Besitz der Poetis-Familie befindliche – „Powergroup GmbH Business Design“ berechtigt, für ein „Vorhaben“ namens „Health4Future“ eine Forschungszulage bei der Finanzverwaltung zu erhalten. Die Frage, ob dies in Anspruch genommen wird, beantwortet Poetis ebenfalls nicht. Fest steht: Die angebliche Förderung durch das Bundesforschungsministerium gibt es nach dessen Angabe nicht. 

Leitlinien-Autor warnt vor den Empfehlungen

Eine wichtige Person bei Health4Future ist der Allgemeinmediziner Andreas Durstewitz. Er ist Betriebsarzt des Unternehmens und zudem „Boss Healther“, also so etwas wie der Chef der Ärzte, mit denen Health4Future nach eigener Darstellung zusammenarbeitet. Die MedWatch bekannten „Health Compasse“ sind in seinem Namen gezeichnet. In einem Video7https://health4future.com/home/new/72?offset=0 erklärt Durstewitz, die „Diagnoseempfehlungen“ würden „die Türen ganz weit für die Therapieempfehlungen“ öffnen. „Das ist das, was meine Kollegen brauchen.“

Doch kann eine Aussage wie „gesichert Long Covid“ allein auf Basis von Selbstauskünften verlässlich sein? Beim Selbsthilfeverband Long Covid Deutschland ist man skeptisch – eine solche Rückmeldung könnte sogar „gefährlich werden“, sagt Vertreterin Anni Conrad. 

„Ich habe da Magenschmerzen“, meint auch Rembert Koczulla. Der Chefarzt des Fachzentrums für Pneumologie der Schön Klinik Berchtesgadener Land, ist der koordinierende Autor der Leitlinie für das Long/Post-Covid-Syndrom. Bei diesem, erläutert er, handele es sich um eine Ausschlussdiagnose: Bevor ein Arzt sie stellt, klärt er ab, ob andere Erkrankungen vorliegen. „Dies ist mit einem solchen Fragebogen meines Erachtens nicht zuverlässig möglich“, so Koczulla. „Kein Fragebogen kann bisher das umfängliche ärztliche Gespräch und ggf. weitere Untersuchungen ersetzen.“

Und auch der Leitlinien-Autor warnt vor Risiken für die Patient:innen: „Letztlich kann eine solche Diagnoseempfehlung den behandelnden Arzt in seiner Ersteinschätzung beeinflussen. Wenn der bei der Untersuchung des Patienten zu einer anderen Diagnose kommt – wem soll der Patient dann glauben? Das kann Probleme aufwerfen.“ Zudem sei es „nicht optimal“, dass die Betroffenen „zunächst mit der Diagnoseempfehlungen und sehr pauschalierten Empfehlungen allein gelassen“ würden. Mit Blick auf Schwerbetroffene mit dem Symptom Post-Extertionelle Malaise (PEM, eine Zustandsverschlechterung nach Überbelastung) sagt er: „Yoga für einen PEM-Patienten würde ich nicht ohne klinischen Kontakt empfehlen, das kann meines Erachtens gefährlich werden.“

„PostVac“-Fragebogen soll „Gewissheit“ schaffen

Health4Future baut sein Angebot indes weiter aus, kündigte zuletzt auch einen „PostVac“-Fragebogen an. Gerichtet an Menschen mit Verdacht auf Beschwerden infolge einer ImpfungImpfung Eine Impfung hilft, vor schwer verlaufenden Infektionskrankheiten zu schützen. Durch abgeschwächte Erreger, durch Bruchteile von Erregern oder seit Neuestem mit mRNA-Stücken von Erregern wird bei einer aktiven Schutzimpfung das Immunsystem über die gezeigten Antigene spezifisch aktiviert. Dem Körper wird durch eine Impfung vorgegaukelt mit einem echten Erreger infiziert zu sein. Dadurch wird die gesamte Immunsystem-Kaskade in Gang gesetzt, inklusive der Bildung spezifischer Gedächtniszellen. Ist der Organismus später dem tatsächlichen Erreger ausgesetzt, kann er schnell, effizient und spezifisch reagieren ohne schwere Komplikationen zu entwickeln. Eine generelle Impfpflicht gibt es in hierzulande nicht. Die Ausnahme bildet die Masernimpfung: Seit 2020 muss bei Eintritt in eine Kindertagesstätte oder Schule ein Masern-Impfnachweis erbracht werden. Die STIKO gibt für Deutschland Impfempfehlungen heraus, an denen sich orientiert werden kann. heißt es auf der Internetseite: „Schaffe dir Gewissheit, ob deine Symptome tatsächlich von einer Impfung kommen und gehe so den ersten Schritt in Richtung Genesung“. Als ob es so einfach wäre, „Gewissheit“ über die Impfung als kausale Ursache von Symptomen zu schaffen. 

Durstewitz, der als niedergelassener Mediziner eine Praxis in Pullach betreibt und dem Vorstand des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbandes (ÄKBV) München – der lokalen Gliederung der Ärztekammer – angehört, zeigt sich überzeugt von dem Ansatz. Im Sommer 2022 berichteten die vom ÄKBV herausgegebenen Münchener Ärztlichen Anzeigen als Titelthema („Mit Daten gegen Long Covid“) über Health4Future.8https://www.aerztliche-anzeigen.de/sites/default/files/2022-07/MA%CC%88A-15-2022online.pdf Durstewitz schrieb das Editorial, lobte den „spannenden digitalen Ansatz“. 

Dass er „Betriebsarzt, Vorsitzender des H4F-Gesundheitsbeirats und Boss Healther“ des Unternehmens ist, erwähnte er nicht.

Im August 2023 schwärmt Durstewitz in einem Beitrag für das Magazin “digital health industry”9https://digital-health-industry.de/long-covid-neue-app-als-gamechanger-fuer-betroffene/ davon, wie Health4Future mit einer App zum „Gamechanger für Betroffene“ werde, wenn ein Algorithmus „innerhalb weniger Stunden“ testen könne, „ob ihre Symptome tatsächlich dem neuen Krankheitsbild zuzuordnen sind“. Kurz: „ein regelrechter Durchbruch in der Long-Covid-Therapie.“ Als der Artikel erscheint, ist Durstewitz bereits als Gesellschafter bei Health4Future eingestiegen. Doch wieder fehlt der Hinweis auf seinen Bezug zum Unternehmen. 

Ärztekammer prüft „eventuelle Verstöße gegen die Berufsordnung“

„Im Nachgang betrachtet, hätte ich die Verbindung kenntlich machen sollen“, räumt Durstewitz auf Anfrage für beide Fälle ein. Anders als Geschäftsführerin Poetis antwortet er auf konkrete Fragen und erklärt: Mit der Diagnoseempfehlung wolle man den Hausärzten „lediglich eine Handreichung und Orientierung geben“, zumal „die meisten Hausarztpraxen heute überlaufen sind und oft nur wenig Zeit für ein ausführliches Patientengespräch“ bleibe. Die Patienten könnten die gesamte Anamnese zum Behandlungstermin mitbringen. „In einer Vielzahl von Gesprächen [mit ärztlichen Kolleg:innen] haben wir ein positives Feedback erhalten“, so Durstewitz. Er selbst habe von Health4Future weder Honorare oder Gehälter erhalten noch eine Ausschüttung als Gesellschafter. 

Eine „Diagnoseempfehlung“ gegen Gebühr, wo Patienten Anspruch auf eine richtige Diagnose als Kassenleistung haben, noch dazu auf Grundlage eines von Experten kritisierten Fragebogens. Neben dem Angebot des Start-Ups sorgt auch die Rolle Durstewitzs für Irritationen. Die bayerische LandesärztekammerLandesärztekammer Die 17 deutschen Landesärztekammern dienen der Selbstverwaltung der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Für jeden Arzt und jede Ärztin besteht eine Pflichtmitgliedschaft in ihrer oder seiner jeweiligen Ärztekammer. Welche Kammer zuständig ist, hängt davon ab, in welchem Bundesland er oder sie seine ärztliche Tätigkeit ausübt. Die Aufgaben der einzelnen Landesärztekammern sind durch die jeweiligen Kammergesetze des Landes geregelt. Dazu gehören Aufgabenbereiche aus der Berufs- und Gesundheitspolitik, ärztliche Weiter- und Fortbildung und Qualitätssicherung. Die einzelnen Landesärztekammern haben die Bundesärztekammer als Spitzenorganisation. teilte auf Anfrage mit, eine berufsrechtliche Prüfung angestoßen zu haben: „Es besteht der Verdacht auf eventuelle Verstöße gegen die Berufsordnung für die Ärzte Bayerns“, sagt eine Sprecherin. Pikant dabei: Verantwortlich für das Verfahren ist der ÄKBV München, bei dem Durstewitz im Vorstand sitzt. 

Kooperationen mit Kassen geplant?

Doch was ist eigentlich das Geschäftsmodell von Health4Future? In den Nutzungsbedingungen heißt es explizit: „Health4Future selbst ist kein Gesundheitsdienstleister und erbringt keine Gesundheitsdienstleistungen gegenüber dem Nutzer.“10https://health4future.com/terms Der Registereintragung zufolge ist der Gegenstand der GmbH unter anderem die „wissenschaftliche Ursachenforschung“, aber auch, „Investitionen zwischen Venture Capitalists (Wagniskapitalgebern) und StartUps zu ermöglichen“. 

Mit Gebühren für die Auswertung von Fragebögen und dem Verkauf einzelner Buchtitel dürfte sich nicht viel Umsatz generieren lassen. „Um mit ihrer Idee Geld zu verdienen“, schrieb die Süddeutsche Zeitung vor wenigen Monaten, wolle das Unternehmen „Kooperationen mit KrankenkassenKrankenkassen Eine Krankenkasse ist der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Krankenkassen stellen den Versicherten Leistungen zur Verfügung, die nach Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte in Anspruch genommen werden können. Die meisten dieser Leistungen sind im SGB V festgeschrieben. Krankenkassen sind organisatorisch sowie finanziell unabhängig und unterstehen der Aufsicht von Bund oder Ländern. Im Gegensatz zu gesetzlichen Krankenversicherungen sind private Krankenversicherungsunternehmen Aktiengesellschaften oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG). schließen und kostenpflichtige Therapieangebote verkaufen.“11https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sz-wirtschaftsgipfel-startups-pitch-organifarms-health4future-1.6303283 Ist das der Plan? Fragt Health4Future deshalb in seinem Symptomfragebogen auch nach Krankenkassendaten? Geschäftsführerin Poetis lässt auch diese Frage unbeantwortet. Auf der erst kürzlich erneuerten Internetseite heißt es dazu inzwischen: Nutzer:innen könnten ihre Daten „in der Hoffnung, dass die von uns angebotenen Dienste bald von Krankenkassen erstattet werden“ bereits jetzt eintragen. Offen bleibt, ob es eine Grundlage für eine solche Hoffnung gibt.

Dass das Unternehmen seinen Zielen bei der Forschung nähergekommen wäre, lässt sich von außen ebenfalls nicht erkennen. Die Ursachen- und Therapieforschung bei Long Covid voranbringen will Health4Future laut Eigendarstellung. Wie dies mit Selbstangaben aus Online-Fragebögen gelingen soll, ist nicht leicht nachzuvollziehen. „Ein Fragebogen muss immer validiert und mit den vorhandenen klinischen Diagnosen abgeglichen werden, wenn er sinnhaft eingesetzt werden soll“, betont Leitlinien-Autor Koczulla. „Man sollte doch wissen, wie exakt und plausibel er in der Diagnosesicherung ist, wenn damit geworben wird.“

„Boss Healther“ Durstewitz bleibt dazu vage. „Je mehr Daten vorliegen“, erklärt er, „umso größer sind die Chancen, den Betroffenen wirksam zu helfen“. In dem 2022 erschienenen Text in den „Münchener Ärztlichen Anzeigen“, wurde Poetis noch konkreter, sie sagte: „[…] Gleichzeitig arbeiten wir mit Prof. Göran Kauermann und Dr. Ursula Berger vom Institut für Statistik und Institut für medizinische Informationsverarbeitung und Epidemiologie an der LMU [Ludwig-Maximilians-Universität München] zusammen. Sie helfen uns, die richtigen Fragestellungen zu finden, die Daten zu validieren und sie für die Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Uns ist wissenschaftliche Evidenz sehr wichtig. Unsere Daten müssen sauber erhoben sein, damit wir anhand dessen Ursachenforschung betreiben und Therapiekonzepte entwickeln können.“ 

Held werden per Datenspende

Menschen, die die Fragebögen ausfüllen, nennt Health4Future daher auch „Heroes“, Helden, weil sie mit ihrer „Datenspende“ die Forschung erst ermöglichen und damit anderen helfen könnten. 

Allein: Von einem laufenden Forschungsprojekt ist nichts bekannt. 

„Da läuft gar nichts“, sagt LMU-Statistiker Kauermann auf Anfrage. Er bestätigt, dass es vor längerer Zeit einen Austausch mit Health4Future auf Anfrage Durstewitz‘ gegeben habe. Er habe „Potenzial“ darin gesehen, allerdings „nie einen Einblick in die Daten gehabt“. Letztlich habe man sich beraten, ob und wie die Informationen ausgewertet werden könnten, wozu aus Sicht Kauermanns auch die Expertise etwa von Medizinern nötig gewesen wäre. Eine Finanzierung habe jedoch gefehlt. „Das ist dann im Sande verlaufen“, so Kauermann. Durstewitz gibt an, dass „trotz vieler Bemühungen und diversen Forschungsanträgen der Health4Future-Initiative“ Forschungsgelder fehlten. 

Lobby-Gespräche mit Abgeordneten

Um eine Förderung ging es offenbar auch bei einigen Gesprächen mit Politiker:innen, die Health4Future anstrengte. „Wir waren im Bundestag“, ließ das Unternehmen seine Follower auf Instagram im April 202312https://www.instagram.com/p/CqqQdIWs6vx/?img_index=1 wissen. Der FDP-Abgeordnete Stephan Seiter bestätigt ein Treffen mit dem Unternehmen. Er habe „stets ein offenes Ohr für Start-Ups“ und „einen interessanten Vortrag erlebt“, sagt Seiter. Ob er tatsächlich eine „langfristige Unterstützung“ plane, wie es in den Instagram-Angaben von Health4Future hieß, und wie diese aussehen könnte, geht aus seiner Antwort jedoch nicht hervor. 

Und manchmal unterscheidet sich die Wahrnehmung des Gesprächs auch sehr. Wie bei dem CDU-Abgeordneten Thomas Jarzombek. Der „möchte uns bei politischer Sichtbarkeit helfen“, plane eine Unterstützung der Forschung und habe Health4Future bereits im Forschungsausschuss des Bundestages vorgestellt, berichtete das Start-Up auf Instagram. 

Jarzombek erinnert sich anders. „Die von Ihnen genannten Texte entsprechen nicht dem Gesprächsinhalt und waren mit uns nicht abgestimmt“, schreibt er auf Anfrage. „Eine Vorstellung im Ausschuss fand nicht statt.“ Er habe Health4Future empfohlen, eine Bewerbung bei der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) einzureichen. „Diese hatte in der Folge eine negative Entscheidung getroffen“, teilt Jarzombek mit. „Daraufhin kam Frau Poetis auf uns zu mit der Bitte um Unterstützung, dies haben wir schriftlich abgelehnt.“

„Wir sagen Danke“, würde Franziska Böhler dazu vielleicht sagen, mit dem zutiefst ironischen Unterton, in dem „thefabulousfranzi“ bereits die Nicht-Einladung zum Runden Tisch kommentiert hat.


Redaktion: Nicola Kurt, Nicole Hagen

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    https://www.instagram.com/p/CXeNSWNoEnv/
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    https://health4future.com/whyh4f
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    https://health4future.com/wehelp
  • 4
    https://www.instagram.com/stories/highlights/18088414063344306/
  • 5
    https://www.im-io.de/digital-health-2/eine-datenbank-sagt-long-covid-den-kampf-an/
  • 6
    https://health4future.com/home/shop
  • 7
    https://health4future.com/home/new/72?offset=0
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    https://www.aerztliche-anzeigen.de/sites/default/files/2022-07/MA%CC%88A-15-2022online.pdf
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    https://digital-health-industry.de/long-covid-neue-app-als-gamechanger-fuer-betroffene/
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    https://health4future.com/terms
  • 11
    https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sz-wirtschaftsgipfel-startups-pitch-organifarms-health4future-1.6303283
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    https://www.instagram.com/p/CqqQdIWs6vx/?img_index=1