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Unhaltbare Glücksversprechen Serotalin – ein Nahrungsergänzungsmittel gegen Depressionen?

Person in der Hocke. Bildausschnitt ohne Gesicht.
Serotalin ORIGINAL verspricht mehr Energie, bessere Stimmung und Konzentration bei depressiven Verstimmungen. Der Hersteller verschweigt jedoch mögliche Nebenwirkungen. © Anemone123 / pixabay

„Fitter, wacher und glücklicher“ durch mehr Serotonin – und das nahezu ohne Nebenwirkungen: Mit diesen Versprechen ködert das NahrungsergänzungsmittelNahrungsergänzungsmittel Nahrungsergänzungsmittel werden den Lebensmitteln zugeordnet und sind abgegrenzt von Medikamenten zu betrachten. So dürfen sie, wie der Name schon sagt, die normale Ernährung ergänzen, sie jedoch nicht ersetzen und zudem keine arzneiliche Wirkung zeigen. Sie werden als Kapseln, Tabletten, Tropfen oder Ähnliches angeboten und enthalten oft Vitamine, Mineralstoffe oder sonstige Nährstoffe, die eine Wirkung erzielen sollen. Sie dürfen jedoch nicht wie ein Arzneimittel beworben werden. Die Hersteller dürfen keine spezifische Wirkung wie die Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit anpreisen oder für ein definiertes Anwendungsgebiet werben. Serotalin ORIGINAL Menschen mit Depressionen. Jedoch: Eine Wirkung ist nicht ausreichend belegt. Und die Vermarktungsstrategie ist in Teilen unzulässig.

„Mehr Energie, bessere Stimmung und Konzentration? Ja, das will ich.“ So dachte Anna S., als sie das erste Mal die Webseite von Serotalin besuchte. Dort wirbt der Hersteller mit Aussagen wie „Ich fühle mich fitter, wacher und glücklicher“ oder „deine tägliche Portion Glück“.

Anna S. ist Anfang 30 und leidet seit Jahren unter Depressionen, fühlt sich oft antriebslos und niedergeschlagen. Eine Freundin empfiehlt ihr das Nahrungsergänzungsmittel Serotalin ORIGINAL. Es ist ohne Rezept auf der Webseite des Herstellers erhältlich. „Ich habe mir davon versprochen, dass ich mehr Antrieb habe, dass ich konzentrierter arbeiten und fokussierter sein kann. Ich dachte, es ist den Versuch wert.“

„Machst du dir ständig Sorgen?“ – fragwürdiger Selbsttest auf der Serotalin-Webseite

Antriebslosigkeit, gedrückte Stimmung, Konzentrationsschwierigkeiten, Selbstzweifel, Hoffnungslosigkeit – nach diesen Symptomen einer DepressionDepression Die Depression ist eine schwere psychische Erkrankung, die sich durch zahlreiche Beschwerden äußert und in jedem Alter auftreten kann. Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, ein Leben ohne Antrieb und Interesse gehören ebenso zur breiten Palette der Symptome als auch körperliche Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Appetitstörungen und Schmerzen. Auch die Entwicklung von Suizidgedanken gehört zum Symptomspektrum. Nur wenige können sich selbst helfen, zudem sind Frauen doppelt so häufig von dieser Störung betroffen als Männer. Durch ihr vielfältiges Erscheinungsbild wird die Depression vom Hausarzt oft nicht erkannt. Dabei lässt sie sich mit psychotherapeutischen Behandlungen, wenn nötig auch mit Medikamenten, sehr gut behandeln. fragt ein Selbsttest auf der Serotalin-Webseite. Der Test soll herausfinden, ob Menschen einen Mangel an Serotonin – einem körpereigenen, stimmungsaufhellenden Botenstoff im Gehirn – haben.

Machst du dir ständig Sorgen?

Fühlst du dich antriebslos?

Bist du in letzter Zeit grundsätzlich schlecht gelaunt?

Hast du Schwierigkeiten dich zu konzentrieren oder hast du Probleme dir etwas zu merken?

Nach der Beantwortung dieser Fragen empfiehlt der Hersteller ein Serotalin-Produkt.

Anna S. nahm das Nahrungsergänzungsmittel einige Tage ein, fühlte sich dadurch unruhig. „Ich war zittriger und aufgeregter“, erinnert sie sich, „aber nicht energetischer“. Die depressiven Verstimmungen blieben.

Was hat Serotonin mit Depressionen zu tun?

Der Hauptbestandteil von Serotalin ORIGINAL ist die Afrikanische Schwarzbohne (Griffonia simplicifolia). Die Hülsenfrucht dieser Pflanze enthält die Aminosäure 5-Hydroxytryptophan (5-HTP), die im Körper zu Serotonin verstoffwechselt wird.

Serotonin, 5-HTP, Tryptophan – was verbindet diese Substanzen?


Nervenzellen kommunizieren miteinander über chemische Botenstoffe. Die sendende Zelle schüttet einen Neurotransmitter aus – etwa Serotonin –, den die nachgeschaltete Zelle aufnimmt. Wurde das Signal übertragen, nimmt die sendende Nervenzelle das Serotonin wieder auf – sie recycelt es sozusagen für den nächsten Einsatz.

Menschen mit Depressionen haben zu wenig Serotonin im Gehirn – so lautet eine Hypothese aus den 1960er-Jahren. Forscher:innen fanden in Gehirnflüssigkeit depressiver Menschen weniger eines Serotonin-Abbauprodukts. Zudem verringerten Medikamente, die den Serotoninspiegel erhöhen, Symptome einer Depression.

Allerdings kann Serotonin nicht einfach in Medikamente verpackt und Menschen verabreicht werden, denn es scheitert an der Blut-Hirn-Schranke. Antidepressiva wie die Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRI, umgehen dieses Dilemma, indem sie verhindern, dass der Neurotransmitter „recycelt“ wird. 1Fast alle verschreibungspflichtigen Antidepressiva hemmen die Serotonin-Wiederaufnahme, unterscheiden sich aber in Details. Trizyklische Antidepressiva etwa gelten als nicht-selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; Monoaminoxidase-Hemmer hemmen Enzyme, die Serotonin aufspalten (https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S016372580500135X). Dadurch bleibt mehr Serotonin im Spalt zwischen den Nervenzellen, die Serotoninkonzentration steigt.

5-HTP statt Serotonin?

Im Gegensatz zu Serotonin kann dessen Vorstufe 5-HTP die Blut-Hirn-Schranke überwinden – ein Argument, welches Hersteller entsprechender Produkte anführen: Dementsprechend – so deren These – könne die Einnahme von 5-HTP Depressionen lindern.

Zwar erhöhte 5-HTP in Studien den Serotoninspiegel in Gehirnen von Ratten.2https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/10867971/,3https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/11065183/ Ob das aber beim Menschen mit vergleichbaren Dosen ebenfalls geschieht, ist unklar. Zudem bezweifelten Fachleute die Wirksamkeit von 5-HTP bereits Anfang der 1990er-Jahre.

Generell gibt es wenig neue Forschung zu 5-HTP. Die meisten Untersuchungen stammen aus den 1970er-Jahren – und sind von geringer Qualität. Die Autor:innen einer Übersichtsstudie aus dem Jahr 2019 bemängeln zum Beispiel, dass 10 der 13 ausgewerteten Studien zu 5-HTP nicht placebokontrolliert sind. Ihr Fazit: Weitere Forschung ist nötig.

Was jedoch bekannt ist: 5-HTP ist nicht harmlos, bei Einnahme drohen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel, Durchfall, Erbrechen und Oberbauchschmerzen.4https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S016372580500135X,5https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8711266/pdf/CD003198.pdf In den 1980er-Jahren gelangte 5-HTP als Wirkstoff Oxitriptan gegen Depressionen in den Handel und wurde nur wenige Jahre später wieder vom Markt genommen. Im Zusammenhang mit 5-HTP trat das Eosinophilie-Myalgie-Syndrom (EMS) auf, das zu Muskelschmerzen, Hautveränderungen und zum Teil irreversiblen Organschäden bis zum Tod führen kann. Mittlerweile vermuten Fachleute, dass Verunreinigungen die EMS-Fälle auslösten.6https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/7699627/,7https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20021026/

Hinzu kommt: Befindet sich zu viel Serotonin im synaptischen Spalt, werden die Rezeptoren überstimuliert – es droht das Serotonin-Syndrom. In schweren Fällen ist diese Überdosis des Neurotransmitters tödlich. Beim Menschen beobachteten Mediziner:innen bislang kein Serotonin-Syndrom im Zusammenhang mit 5-HTP. Jedoch wird die Substanz in Studien genutzt, um bei Ratten ein Serotonin-Syndrom gezielt auszulösen. Außerdem gab es Fälle eines Serotonin-Syndroms bei Patient:innen, die die 5-HTP-Vorstufe L-Tryptophan und Antidepressiva zusammen einnahmen.

Serotalin – Hersteller verschweigt mögliche Nebenwirkungen

Von möglichen Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit Medikamenten lesen Interessierte auf der Serotalin-Webseite aber nichts. Unter dem Reiter „Ist Serotalin ORIGINAL gut verträglich?“ schreibt der Hersteller nur: „In seltenen Fällen kann in den ersten Tagen der Einnahme das in Serotalin ORIGINAL enthaltene 5-HTP zu leichter Übelkeit führen.“

Die angeblich gute Verträglichkeit war einer der Gründe, warum Anna S. sich für das Nahrungsergänzungsmittel entschied. Sie hatte zuvor bereits ein Antidepressivum verschrieben bekommen, doch sie fürchtete die Nebenwirkungen. Serotalin versprach eine Antidepressiva-ähnliche Wirkung – ohne starke Nebenwirkungen.

„Manche Menschen glauben, dass ein Medikament, welches man aus der Natur nimmt, besser ist als ein künstlich hergestelltes”, sagt Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Naturheilmittel bestünden aber ebenfalls aus chemischen Substanzen. Allerdings wisse man nicht, welche, wie viele und in welchen Konzentrationen diese antidepressiv wirkten. „Der Unterschied ist also, dass man bei dem einen ziemlich genau weiß, was drin ist und bei dem anderen nicht“, sagt Hegerl.

MedWatch fragte beim Hersteller Serotalin nach, wie viel 5-HTP in dem Nahrungsergänzungsmittel Serotalin ORIGINAL enthalten ist. Schließlich ist der Rohstoff Griffonia simplicifolia, also eine Pflanze, deren 5-HTP-Gehalt naturgemäß schwanken kann. Bis zum Redaktionsschluss beantwortete Serotalin keine der Fragen.

Depressionen – eine komplexe Erkrankung ohne simple Lösung

Fachleute diskutieren die Serotonin-Hypothese immer wieder. Eine Meta-Studie aus dem Jahr 2022 kommt zu dem Schluss, dass es keinen klaren Beleg für einen Zusammenhang zwischen Depressionen und Serotonin gibt. Mittlerweile geht man davon aus, dass Depressionen und die Wirkweise von Antidepressiva viel komplexer sind. Das sagt auch Ulrich Hegerl. „Einen Serotoninmangel als Ursache der Depression anzusehen ist eine grobe Vereinfachung, die schlicht falsch ist.“

Dementsprechend würde es auch wenig helfen, Serotonin-Vorstufen wie 5-HTP einzunehmen. Basiert das Geschäftsmodell von Serotalin also auf einer falschen Annahme? MedWatch befragte den Hersteller zu den aktuellen Erkenntnissen, doch dieser äußerte sich nicht.

Serotalin: Koffein gegen Depressionen?

Warum aber fühlte Anna S. sich durch Serotalin ORIGINAL unruhig und zittrig? Sie schaute nach und las in der Produktbeilage: Das Nahrungsergänzungsmittel enthält nicht nur Extrakte aus Griffonia simplicifolia, sondern auch Koffein – immerhin 49 Milligramm in einer Tagesdosis (Kapsel oder Pulver). Das ist etwas mehr als eine halbe 250-Milliliter-Dose eines bekannten Energydrinks. Zusammen mit ihren täglichen zwei Tassen Kaffee war Anna S. dadurch unangenehm aufgedreht.

„Als ich das Serotalin ORIGINAL gekauft habe, habe ich nicht bewusst wahrgenommen, dass Koffein enthalten ist“, sagt sie und ist der Meinung, dass der Hersteller deutlicher darauf hinweisen müsse. Sie fühlt sich getäuscht. „Wenn man wenig oder gar kein Koffein zu sich nimmt und dann dieses Nahrungsergänzungsmittel, ist man natürlich irgendwie wacher und vielleicht auch aufnahmefähiger und aktiver.“ Das habe aber eben nichts mit Serotonin oder 5-HTP zu tun.

„Depressionen sind eine schwere und lebensgefährliche Erkrankung“

Für den Hersteller Serotalin scheint die Sache aber klar zu sein: „Serotalin ORIGINAL unterstützt mit seiner einzigartigen Happy Energy-Formel die Freisetzung von Serotonin im Gehirn und schenkt dir dadurch mehr Energie, Motivation, Wohlbefinden, Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit.” Und er fordert die Menschen auf: „Nimm dein Glück selbst in die Hand!”

Psychiater Hegerl nennt solche Werbeaussagen unverantwortlich. „Depression ist eine schwere und oft lebensgefährliche Erkrankung“, sagt er. Laut der Deutschen Depressionshilfe sind Depressionen die Hauptursache für Suizide. Im Jahr 2021 starben 9.215 Menschen in Deutschland durch Suizid.8https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/suizid.html,9https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Tabellen/verkehrstote-nach-alter.html,10auf den Seiten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM findet sich mit dem Diagnosesystem ICD-11 die deutschsprachige Mortalitätsstatistik. https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html; unter der Ziffer 06 – Psychische Störungen, finden sich dort auch die depressiven Störungen) Das Wichtigste sei, dass die Menschen rasch in die Hände von Fachleuten kämen, die eine leitlinienkonforme Behandlung anbieten, sagt Hegerl: Wer das Gefühl habe, „bei mir verändert sich was, ich erkenne mich selber nicht mehr wieder, bin völlig hoffnungslos, erschöpft, voller Schuldgefühle, grüble, kann nicht schlafen, habe keinen Appetit“, der solle zu einer Hausärztin oder einem Psychiater gehen.

Hinweise auf professionelle Hilfe suchen Besucher:innen der Serotalin-Webseite vergebens. Stattdessen fragt der Hersteller im Selbsttest typische Symptome einer Depression ab und empfiehlt denen, die bis zum Ende durchklicken, eines seiner Produkte. Selbst wer alle 22 Fragen mit „Trifft nicht zu“ beantwortet, bekommt ein Nahrungsergänzungsmittel empfohlen. Auf die Frage, auf welcher Grundlage der Test diese Produkte empfiehlt, reagierte Serotalin nicht.

Unzulässige Fernbehandlung und Werbung?

Auch rechtlich ist der Selbsttest problematisch, denn mit den Fragen nach gedrückter Stimmung, Antriebslosigkeit oder dem Gefühl von Hoffnungslosigkeit fragt der Hersteller ein Krankheitsbild ab, um anschließend ein Produkt als Lösung möglicher Probleme zu empfehlen. Gemäß § 9 Satz 1 Heilmittelwerbegesetz ist eine solche „Fernbehandlung“ unzulässig.

Außerdem suggeriert Serotalin mit dem Test, dass die empfohlenen Produkte gegen die abgefragten Symptome helfen könnten. Nahrungsergänzungsmittel jedoch gelten rechtlich als Lebensmittel. Laut EU-Verordnung ist es verboten, für ein Lebensmittel mit HeilversprechenHeilversprechen Bei einem Heilversprechen handelt es sich um die Zusage Heil zu bringen. Das Heil ist die Vorstellung eines gesunden Zustandes. Besonders in Krisenphasen – ob global betrachtet oder auf ganz individueller Ebene wie schweren Schicksalsschlägen – erhalten diese Heilversprechen Konjunktur. Ganz im Widerspruch zum modernen Leben, werden Heilversprechen oft auf Basis eines mythologischen Hintergrundes gegeben und geglaubt. Um als Anwender einer therapeutischen Methode, als Vertreiber eines medizinischen Produktes oder als Anbieter eines Heilverfahrens keine irreführenden Formulierungen zu tätigen, gibt es definierte Vorgaben, die durch das Heilmittelwerbegesetz geregelt sind. zu werben. Werbung darf nicht einmal den Anschein erwecken, dass ein Lebensmittel Krankheiten heilen, behandeln oder vorbeugen kann.

Mitunter ist die Werbung mit gesundheitsbezogenen Aussagen erlaubt, etwa dass ein Lebensmittel bestimmte Körperfunktionen unterstützt – allerdings nur, wenn dieser Zusammenhang wissenschaftlich bewiesen und die Aussage explizit zugelassen ist. Was nicht auf der Liste der sogenannten Health Claims steht, darf nicht beworben werden. Für 5-HTP sind keine Health Claims zugelassen.

Aber: Einige pflanzliche Stoffe nehmen eine Sonderstellung ein, die Europäische Behörde für LebensmittelsicherheitLebensmittelsicherheit Lebensmittelsicherheit ist ein komplexer Bereich. Es wird zwischen sog. horizontalen und vertikalen Bestimmungen unterschieden. Ersteres bedient Bestimmungen für die Lebensmittelkennzeichnung, für Zusatzstoffe in Lebensmitteln sowie für Rückstände in Lebensmitteln. Vertikale Bestimmungen beziehen sich auf Nahrungsergänzungsmittel, Milch, Eier, Fisch, Fruchtsäfte und vieles mehr. Auch für kosmetische Produkte wie z.B. Zahncreme, Shampoo, Nagellack sowie Bedarfsgegenstände (Spielzeug, Geschirr, Schuhe, Textilien, Modeschmuck…) gilt das Lebensmittelrecht. Zusatzstoffe und neuartige Lebensmittel müssen zugelassen sein, schädliche Rückstände von Pflanzenschutzmitteln sind verboten. Kennzeichnungen müssen erkennbar machen, ob zum Beispiel Allergene enthalten sind. (EFSAEFSA Die EFSA ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Sie wurde 2002 mit Sitz in Parma eingerichtet, um die Lebensmittelsicherheit in der EU zu verbessern und ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Zu ihren Aufgaben gehört die wissenschaftliche Beratung zu bestehenden und aufkommenden Risiken in der Lebensmittelkette durch wissenschaftliche Gremien und Ausschüsse. Der Großteil ihrer Arbeit erfolgt auf Ersuchen durch die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten, manche der wissenschaftlichen Arbeiten werden auf eigene Initiative durchgeführt. Die EFSA kooperiert mit dem BfR – Bundesinstitut für Risikobewertung – und wird über den EU-Haushalt finanziert. Die Bewertung von lebensmittelbedingten Risiken erfolgt unabhängig von politischen Entscheidungsfindungen.) hat sie noch nicht geprüft. Haben Hersteller Werbeaussagen vor 2008 beantragt, dürfen sie diese für diese sogenannten Botanicals verwenden. Für Griffonia simplicifolia findet sich auf dieser Liste: „Verbesserung der Gehirnaktivität“. Es ist fraglich, ob die spezifische Aussage „Serotalin erhöht den Serotonin-Spiegel im Gehirn“ unter diesen Claim fällt und damit zulässig ist.

Die Verbraucherzentrale kritisierte Serotalin bereits wegen gesundheitsbezogener Aussagen. Das Unternehmen veränderte einige Inhalte und merkte an, dass die Werbeversprechen alle „rechtlich korrekt“ seien. Auf Nachfrage von MedWatch äußerte sich Serotalin auch dazu nicht.

Ist Serotalin ORIGINAL eigentlich ein Funktionsarzneimittel?

Nach einem Hinweis von MedWatch sah sich die Verbraucherzentrale Bayern die Webseite von Serotalin erneut an und meldete mögliche Werbeverstöße an die zuständige Lebensmittelüberwachungsbehörde in Kelheim. Die sagt: Serotalin ORIGINAL ist ein Funktionsarzneimittel. Das Produkt würde verabreicht, um durch seine Wirkung Funktionen des Körpers „wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen“.

Diese Einschätzung ist nicht neu. Bereits im Januar 2023 stellte das Verwaltungsgericht Bayreuth in einem Urteil über ein Nahrungsergänzungsmittel fest: „Auch wenn die Studienlage zum Einsatz von 5-HTP bei Depressionen nicht ganz eindeutig ist, so ist dennoch die pharmakologische Wirkung des Stoffes, nämlich eine Beeinflussung des Serotoninspiegels definitiv nachgewiesen.“ Damit sei 5-HTP ein Funktionsarzneimittel und zulassungspflichtig.

Außerdem stellte das Verwaltungsgericht fest: 5-HTP ist verschreibungspflichtig, dürfe also nur nach ärztlicher Diagnose und gegen ein Rezept herausgegeben werden. Denn auch wenn alle Medikamente vom Markt genommen wurden, steht 5-HTP als Wirkstoff Oxitriptan weiterhin auf der Liste der Stoffe, die der Verschreibungspflicht unterliegen.

Die Verbraucherzentrale Bayern hat sich nun an die Regierung von Oberbayern gewandt. Es ist unklar, wie diese mit dem Produkt Serotalin ORIGINAL weiter verfährt. Nach dem Urteil in Bayreuth musste ein ähnliches Produkt mit 5-HTP vom Markt genommen werden. Dies könnte auch im Fall Serotalin ORIGINAL passieren.

Anna S. würde das Nahrungsergänzungsmittel nicht noch einmal kaufen. Neben der Empfehlung ihrer Freundin, hatten sie auch die Versprechungen des Herstellers überzeugt. Doch jetzt weiß sie: „Die haben einfach ein sehr gutes Marketing.“ Mit der Hoffnung auf „Glück“ bewirbt Serotalin ein Nahrungsergänzungsmittel, dessen Wirkung nicht vollständig erwiesen ist. Im schlimmsten Fall verlassen sich Kund:innen auf diese Versprechen, anstatt sich professionelle Hilfe für eine potenziell lebensgefährliche Erkrankung zu suchen.

Hinweis: In dringenden Fällen können sich Menschen mit Depressionen jederzeit an die Telefonseelsorge unter der Nummer 0800.1110111 oder 0800.1110222 wenden.


Redaktion: Sigrid März, Angela Bechthold, Nicole Hagen

  • 1
    Fast alle verschreibungspflichtigen Antidepressiva hemmen die Serotonin-Wiederaufnahme, unterscheiden sich aber in Details. Trizyklische Antidepressiva etwa gelten als nicht-selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; Monoaminoxidase-Hemmer hemmen Enzyme, die Serotonin aufspalten (https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S016372580500135X).
  • 2
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/10867971/
  • 3
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/11065183/
  • 4
    https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S016372580500135X
  • 5
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8711266/pdf/CD003198.pdf
  • 6
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/7699627/
  • 7
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20021026/
  • 8
    https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/suizid.html
  • 9
    https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Tabellen/verkehrstote-nach-alter.html
  • 10
    auf den Seiten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM findet sich mit dem Diagnosesystem ICD-11 die deutschsprachige Mortalitätsstatistik. https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html; unter der Ziffer 06 – Psychische Störungen, finden sich dort auch die depressiven Störungen)