Im Internet verbreiten sich irreführende und gesundheitsschädliche Informationen zu medizinischen Therapien rasend schnell – gleichzeitig erlebt Deutschland derzeit gleich mehrere ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten.-Skandale. Es geht um unterdosierte Krebsmittel und um verunreinigte BlutdrucksenkerBlutdrucksenker Bei Blutdrucksenkern handelt es sich um Medikamente, die einen zu hohen Blutdruck regulieren. Von erhöhten Blutdruckwerten ist die Rede, wenn der obere Wert über 140 liegt (systolischer Druck) und der untere über 90 (diastolischer Druck). Am häufigsten werden dafür ACE-Hemmer, Betablocker, Diuretika, Kalziumantagonisten und Sartane (Angiotensin-Antagonisten) angewandt und so Folgeerkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Diabetes verhindert. 2-in-1 Präparate sind hierbei gängig, um durch die Niedrigdosierung der einzelnen Substanzen Nebenwirkungen zu reduzieren., die hunderttausende Patienten offenbar über Jahre ahnungslos genommen haben. Was muss geschehen?
Nachdem Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiGIQWIG Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat als Hauptaufgabe die Evaluierung einer Nutzen-Schaden-Abwägung medizinischer Maßnahmen für Patient*innen. Es wurde im Zuge der Gesundheitsreform 2004 gegründet. Das IQWIG ist eine fachlich unabhängige wissenschaftliche Einrichtung, die das Ziel verfolgt, evidenzbasierte Entscheidungen in Gesundheitsfragen zu unterstützen. Auch möchte sie einer breiten Öffentlichkeit Gesundheitsinformationen zugänglich zu machen. Dafür informiert es in verständlicher Form u.a. mit Hilfe von Informationsberichten, Kurzantworten und Merkblättern auf seiner Internetseite unabhängig und evidenzbasiert, sowohl für Fachkreise als auch für eine breite interessierte Öffentlichkeit.), Regina Klakow-Franck, bis zum Sommer beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), und Martin Litsch, Chef des AOKAOK Allgemeine Ortskrankenkasse. Krankenkasse mit 11 Regionalkassen.-Bundesverbands, im MedWatch-Interview bereits Antworten auf drängende aktuelle Fragen gegeben haben, schickten wir eine Anfrage auch an Bundesgesundheitsminister Jens SpahnSpahn Spahn, Jens; Bankkaufmann und Politologe, war 2018 bis 2021 Bundesminister für Gesundheit. Seit 2002 ist er Mitglied des Bundestages.. Aufgrund der „hohen Termindichte bei Minister Spahn“, wie die Pressestelle uns schrieb, konnten wir unsere Fragen nur schriftlich stellen. Statt direkter, ungefilterter Antworten erhielten wir am Ende nur Aussagen aus der Kommunikationsabteilung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG).
Wir wollten wissen, wie Jens Spahn angesichts der Masse an problematischen Gesundheitsinformationen im Netz Patienten helfen möchte, verlässliche Inhalte von Quacksalberei zu unterscheiden – und wie er schlechten und schädlichen Gesundheitsinformationen im Netz etwas entgegenstellen möchte. Im Koalitionsvertrag ist die Schaffung eines „Nationalen Gesundheitsportals für schnelle und verlässliche Information zu medizinischen Fragen“ vorgesehen. Wann soll dieses Portal eingerichtet werden – und reicht es im Kampf gegen gefährliche Gesundheitsinfos aus?
Die Antwort vom Ministerium:
Es gibt in der Tat einen wachsenden Markt mit kommerziell genutzten Gesundheitsinformationen im Internet. Die Orientierung im Gesundheitsinformationsangebot ist dabei für Laien und zum Teil auch für Experten immer schwieriger. Nutzer können nicht erkennen, welches Ziel das Angebot wirklich verfolgt und wissen nicht wie ihre Daten genutzt werden. Deshalb soll in dieser Legislaturperiode ein nationales GesundheitsportalNationales Gesundheitsportal Das Nationale Gesundheitsportal wurde von Jens Spahn im Herbst 2020 gestartet. gesund.bund.de soll unabhängige und evidenzbasierte Gesundheitsinformationen liefern. Das Nationale Gesundheitsportal kam schnell in die Kritik, da für das Online-Angebot und seine Suchanfragen eine Kooperation des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mit Google bestand. Diese Zusammenarbeit wurde nach mehreren Gerichtsentscheiden aufgehoben.Aktuell (Stand September 2022) wird über eine Klage des Wort & Bild Verlags entschieden, der durch das staatlich finanzierte Info-Angebot die Pressefreiheit verletzt sieht. im Internet eingerichtet werden, das Informationen rund um alle Fragen der Gesundheit qualitätsgesichert und werbefrei anbietet. Inhalte sollen leicht verständlich vermittelt werden. Auch Ärztinnen und Ärzte sollen die Möglichkeit haben, auf die dort eingestellten Informationen zu verweisen und so die Kommunikation zwischen ihnen und den Patientinnen und Patienten erleichtern. So können wir einen zentralen Beitrag für mehr Gesundheitskompetenz im digitalen Zeitalter leisten.
Bei Fragen zum Umgang mit den jüngsten Arzneimittel-Skandalen fällt die Antwort des Gesundheitsministeriums ebenfalls recht knapp aus – und dass, obwohl etwa im Fall Valsarten nach Schätzungen der Bundesregierung allein letztes Jahr 900.000 Patienten in Deutschland betroffen sind oder unzählige Krebspatienten durch die Panschereien des Bottroper Apothekers geschädigt wurden. Dass die Aufsichtsbehörden erhebliche Fehler gemacht haben, steht für Experten fest. Muss die Arzneimittel-Aufsicht in Deutschland komplett auf den Prüfstand? Braucht es zum Beispiel eine Arzneimittelaufsicht auf Bundesebene?
Das BundesgesundheitsministeriumBundesgesundheitsministerium Das Bundesgesundheitsministerium, oder auch Bundesministerium für Gesundheit, erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. wertet die Ergebnisse und Erkenntnisse aus den jüngsten Arzneimittelskandalen derzeit noch intensiv aus. Am Ende dieser Aufarbeitung werden Vorschläge für konkrete gesetzgeberische Maßnahmen stehen.
MedWatch stellte außerdem zwei Fragen zum Bereich der so genannten „Alternativmedizin“ – so zu Heilpraktikern, die immer wieder durch gefährliche Krebsbehandlungen oder misslungene Therapien auffallen. Vor gut zwei Jahren starben mehrere Krebspatienten eines Heilpraktikers aus Brüggen-Bracht. Spahns Vorgänger Hermann Gröhe machte eine kleine Gesetzesänderung, die zu Leitlinien für einheitliche Zulassungsprüfungen geführt haben – doch weiterhin dürfen HeilpraktikerHeilpraktiker Heilpraktiker*in ist ein Medizinberuf, der auf dem deutschen Heilpraktikergesetz (HPG) beruht. Es handelt sich um einen sogenannten freien Beruf, dem keine einheitliche Ausbildung zugrunde liegt. Weder eine medizinische Ausbildung noch eine berufsqualifizierende Fachprüfung sind dafür erforderlich. Folgende Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsfelder sind jedoch ausgeschlossen: Geburtshilfe, Geschlechtskrankheiten, meldepflichtige übertragbare Krankheiten, die Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die Verordnung von Betäubungsmitteln. In Österreich ist der Beruf verboten. KrebsKrebs Statt eine spezifische Krankheit zu benennen, handelt es sich bei Krebs um einen Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten. Ihnen allen gemeinsam ist jedoch das unkontrollierte Wachstum von Körperzellen, aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Zellwachstum und Zelltod. Die Folge daraus ist – außer bei Blutkrebsarten – eine Geschwulst ohne organspezifische Funktion. Dringt diese in das umliegende gesunde Gewebe ein, spricht man von bösartigen Tumoren; ausschließlich bösartigen Tumore werden als Krebs bezeichnet. Krebs kann zudem metastasieren, d.h. er breitet sich im Körper aus, indem die Krebszellen über Blut- und Lymphbahnen wandern und infolgedessen in anderen Organen Tochtergeschwülste bilden. behandeln oder Infusionen legen, ohne dass sie eine Ausbildung gemacht haben müssen. Den Landesgesundheitsministern reicht dies nicht: Sie forderten von Spahn die Prüfung weiterer Änderungen. MedWatch fragte beim Minister nach, welche Veränderungen aus seiner Sicht nötig sind – und wann sie kommen werden. Seine Pressestelle antwortete:
Seit sieben Monaten sind Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärtern in Kraft, die das BMG gemeinsam mit den Ländern erarbeitet hat. Sie haben neben einer Vereinheitlichung der Überprüfung das Ziel, das Wohl des einzelnen Patienten und seinen Schutz noch stärker als bisher in den Fokus der heilpraktischen Tätigkeit zu rücken. Mit Blick auf die kurze Zeit, die die Leitlinien erst gelten, erscheint es angemessen, zunächst zu prüfen, ob und inwieweit ihre verbindliche Anwendung zum Schutz des Patientenwohles beiträgt, ehe weitere gesetzliche Maßnahmen in Betracht gezogen werden sollten. Das gilt besonders vor dem Hintergrund, dass sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Heilberufe auf Regelungen beschränkt, die die Zulassung zum Beruf betreffen, nicht aber dessen Ausübung.
Und schließlich fragte MedWatch zu Homöopathika, deren Zulassung ohne echten Wirksamkeitsnachweis schon lange umstritten ist. Spahn selbst forderte bereits vor acht Jahren ein Verbot der Erstattung durch KrankenkassenKrankenkassen Eine Krankenkasse ist der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Krankenkassen stellen den Versicherten Leistungen zur Verfügung, die nach Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte in Anspruch genommen werden können. Die meisten dieser Leistungen sind im SGB V festgeschrieben. Krankenkassen sind organisatorisch sowie finanziell unabhängig und unterstehen der Aufsicht von Bund oder Ländern. Im Gegensatz zu gesetzlichen Krankenversicherungen sind private Krankenversicherungsunternehmen Aktiengesellschaften oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG)., AOK-Chef Martin Litsch erklärte gegenüber MedWach ebenfalls, dass er ein gesetzliches Verbot der Erstattung homöopathischer Leistungen durch Krankenkassen unterstützen würde. Wann geht Spahn das Thema nun an? Das Ministerium schreibt:
Krankenkassen dürfen ihren Versicherten in einigen Monaten keinen Wahltarif* zur Übernahme der Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen mehr anbieten. Die Streichung wird mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz umgesetzt. Davon werden auch homöopathische Mittel betroffen sein. Jedoch sind Behandlungsmethoden und Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen grundsätzlich nicht von der Versorgung in der GKV ausgeschlossen.
Das Ministerium verweist an dieser Stelle auf eine geplante Streichung der sogenannten Wahltarifen, die jedoch bereits zuvor damit begründet worden war, dass lediglich 562 Versicherte in ganz Deutschland hiervon Gebrauch gemacht haben. Ein Verbot der Satzungsleistungen, wie Spahn es einmal thematisiert hatte, forciert sein Haus derzeit also nicht – sondern verweist auf die bestehende Gesetzeslage.
Die Fragen stellten Nicola Kuhrt und Hinnerk Feldwisch-Drentrup.
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