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In eigener Sache Bundesregierung und Arzneimittelsicherheit: „Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen!“

Auch für Flüchtlinge gut zur Orientierung: Schriftzug Apotheke und Apotheken 'A'
Genau geregelt: Krankenversicherung und medizinische Versorgung für Flüchtlinge in Deutschland © Joho345 / Wikimedia Commons (public domain)

Obwohl im Fall des wegen tausenden Unterdosierungen in erster Instanz zu zwölf Jahre Haft verurteilten Bottroper Apotheker Peter S. die zuständigen Behörden jahrelang seine Apotheke nicht kontrolliert haben, und es auch beim Brandenburger Pharmagroßhändler erhebliche Lücken bei der Aufsichtsbehörde gab, macht die Bundesregierung nicht von ihren Möglichkeiten Gebrauch: Dies ergibt eine Kleine Antwort der FDP-Fraktion, die MedWatch vorliegt. „Die Bundesregierung tauscht sich in regelmäßigen Abständen auf unterschiedlichen fachlichen Ebenen mit Vertretern der Länder zum Vollzug der Gesetze aus“, erklärt sie in ihrer Antwort lediglich. „Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit keine Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter nach Artikel 84 Absatz 3 Satz 2 GG in Landesbehörden zur Aufsicht der Ausführung des Arzneimittelgesetzes oder des Heilmittelwerbegesetzes entsandt.“

Zwar ist der Bund für die Gesetzgebung in Sachen Arzneimitteln zuständig, und die Länder für die Durchführung der Gesetze in Form von Aufsichtsbehörden – doch kommt dem Bund die Pflicht zu, sicherzustellen, dass die Aufsicht in Deutschland gesetzeskonform erfolgt. „Die Bundesregierung übt die Aufsicht darüber aus, dass die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Rechte gemäß ausführen“, heißt es in Artikel 84 Absatz 3 des Grundgesetzes. Obwohl die Landesbehörden die Aufsichtsarbeit eigentlich eigenständig ausführen, kann die Bundesregierung laut Grundgesetz (GG) sogar Oberkontrolleure – so genannte Beauftragte – zu den obersten Landesbehörden entsenden.

Arzneimittelskandal um Krebsmittel: Jens SpahnSpahn Spahn, Jens; Bankkaufmann und Politologe, war 2018 bis 2021 Bundesminister für Gesundheit. Seit 2002 ist er Mitglied des Bundestages. will nicht weiter aktiv werden

Obwohl die Brandenburger Aufsicht laut dem Bericht einer Expertengruppe erhebliche Probleme um offenbar illegal importierte Krebsmittel gab, will das Haus von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dort nicht aktiv werden. Der Expertenbericht hatte festgestellt, „dass es bei den zuständigen Verantwortlichen nicht nur an einem Mangel an Detailkenntnissen, Erfahrungen in der Einschätzung und zum Umgang mit Risiken sowie der hinreichend frühen und genauen Information der Vorgesetzten fehlte, sondern insbesondere an der Verinnerlichung des obersten Gebot der Risikoabwehr und damit des Patientenschutzes“. Dennoch erklärt die Bundesregierung nun, sie habe keine Mitarbeiter in das Brandenburger Landesamt für Arbeitsschutz, VerbraucherschutzVerbraucherschutz Verbraucherschutz ist deutschland- und europaweit ein breit gefächertes Gebiet. So gibt es ein Amt für Verbraucherschutz, ein Bundesinstitut für Risikobewertung, die EFSA – die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – und eine Health-Claims-Verordnung. In Deutschland existieren 16 Verbraucherzentralen und weitere verbraucherpolitische Organisationen, die in einem gemeinsamen Bundesverband gebündelt sind. Verbraucherschutz beinhält Rechtsvorschriften und Verbraucherrechte die z.B. Bereiche wie Lebensmittelsicherheit, Kaufverträge und Verträge mit Banken und Geldinstituten berücksichtigen. und Gesundheit Brandenburg entsandt. „Dies ist auch nicht beabsichtigt“.

Spahns Ministerium will auch keine Bewertung dazu abgeben, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden über Jahre nicht mitbekommen haben, dass die PatientensicherheitPatientensicherheit Die Patientensicherheit ist ein wichtiger Punkt im Rahmen des Gesundheitswesens und kann als Abwesenheit unerwünschter Ereignisse definiert werden. Damit sind Ereignisse gemeint, die auf der Behandlung an sich beruhen und nicht auf der Erkrankung der Patient*innen. In Deutschland fallen Aufgaben und Maßnahmen der Patientensicherheit in den Zuständigkeitsbereich der Selbstverwaltung der Ärztekammern. 2005 kam es zudem zur Gründung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. (APS) unterstützt durch das BMG. Bezüglich der Patientensicherheit existieren gesetzlich verankerte Qualitäts- und Sicherheitsvorgaben (z.B. Arzneimittel- und Medizinproduktegesetz, Infektionsschutzgesetz) sowie Verpflichtungen zur Qualitätssicherung (z.B. gemäß SGB V). Mit den Maßnahmen soll Behandlungsfehler vorgebeugt sowie eine Fehlervermeidungskultur gefördert werden. durch die Probleme in der Landesaufsicht in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg erheblich beeinträchtigt beziehungsweise gefährdet war. „Zu Einzelvorgängen, die im Rahmen der Überwachung durch die zuständigen Behörden der Länder stattgefunden haben, kann seitens der Bundesregierung keine Stellungnahme abgegeben werden“, erklärt die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Weiss. „Rückschlüsse aus unterschiedlichen Einzelfällen dürfen nicht Anlass dafür sein, das gesamte ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten.überwachungssystem in Frage zu stellen“, sagt sie.

Dabei hatte schon im Jahr 2015 Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. (BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen.), zentrale Zuständigkeiten gefordert. Der Föderalismus hat seine Vorteile, erklärte er gegenüber dem ARD-Politikmagazin „Kontraste“: Aber wo konkret Patientensicherheit in Gefahr ist, „würden wir uns schon manchmal wünschen, da stärker auch selber tätig werden zu können“, sagte er.

„Regelmäßig stattfindende Besprechungen“

Wie hat die Bundesregierung hierauf reagiert? Das Ministerium stehe im ständigen Austausch mit Bundesoberbehörden wie dem BfArM, erklärt Spahns Haus nun. Dabei würden „in regelmäßig stattfindenden Besprechungen auch grundsätzliche Positionen erörtert“. In seinem kürzlich vorgelegten Entwurf für ein Gesetz, dass laut seinem Titel die ArzneimittelsicherheitArzneimittelsicherheit Arzneimittelsicherheit – auch Pharmakovigilanz genannt – bedeutet die fortwährende und systematische Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln nach ihrer Zulassung und Markteinführung. Dafür werden eingehende Verdachtsfälle zu Nebenwirkungen bewertet und Risiken im Verhältnis zum Nutzen eines Arzneimittels überwacht. Zuständig sind das Paul-Ehrlich-Institut sowie das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte), letzteres sogar über die Grenzen Deutschlands hinaus. Über Rote-Hand-Briefe kommen Ärzte und Apotheker an aktualisierte sicherheitsrelevante Informationen zu den Arzneimitteln pharmazeutischer Unternehmen. Den Verdacht auf eine Arzneimittel-Nebenwirkung kann jeder melden. erhöhen soll, will Spahn den Bundesoberbehörden nur koordinierende Tätigkeiten einräumen, nicht aber zentrale Zugriffsmöglichkeiten.

Außerdem sei auf Initiative der Bundesregierung 2014 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu Arzneimittelfälschungen eingerichtet worden – diese diene „der Stärkung des Informationsflusses sowie der Verbesserung der Zusammenarbeit der beteiligten Behörden und der Optimierung der Verfahrensabläufe“, erklärt das BundesgesundheitsministeriumBundesgesundheitsministerium Das Bundesgesundheitsministerium, oder auch Bundesministerium für Gesundheit, erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. in der Antwort. Zudem sei eine gemeinsame Informationsplattform in Form einer Datenbank geschaffen worden, die einen „schnellen Überblick“ über die in Deutschland ergriffenen Maßnahmen der zuständigen Behörden der Länder ermögliche.

„Eine Zersplitterung auf Länderebene führt zu einer Schwächung der Expertise und so zur Schwächung der Schlagkraft“, hatte der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann bereits im April gegenüber MedWatch gesagt. Mit harten Worten kritisiert er nun die Antwort auf die Kleine Anfrage. „Angesichts des in der breiten Öffentlichkeit bekannt gewordenen Vollversagens der Arzneimittelüberwachung in den Ländern im Fall LunapharmLunapharm Die Lunapharm Deutschland GmbH aus Mahlow (Brandenburg) ist ein inzwischen geschlossener Arzneimittelhändler, welcher mutmaßlich Krebsmedikamente illegal nach Deutschland eingeführt hat. Ab 2017 ermittelte die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen die Geschäftsführerin Susanne Krautz-Zeitel auf Grund des Vorwurfs der Hehlerei und Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz. Die teuren Arzneimittel wurden wohl jahrelang aus einer griechischen Apotheke bezogen und Kühlketten bei deren Transport eventuell nicht eingehalten. Für die Wirksamkeit der Medikamente konnte so nicht mehr garantiert werden. Dies betrifft Patienten vom Zeitraum 2013 bis 2018. Besagte Apotheke war nicht zum Großhandel berechtigt, was Lunapharm bewusst gewesen sein soll. Des Weiteren hat die Firma bestimmte Arzneimittel gegen Brustkrebs aus Italien importiert, obwohl dies auf legalem Wege nicht möglich war. Es wird von verschleierten Betriebswegen ausgegangen. Das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit des Landes Brandenburg hat daraufhin erreicht, dass Lunapharm keine Arzneimittel mehr herstellen oder mit ihnen handeln darf. Das Oberverwaltungsgericht sah die erhobenen Vorwürfe bestätigt. sowie im Bottroper Apotheker-Fall ist die Reaktion der Bundesregierung ernüchternd“, sagt Ullmann, der Obmann seiner Fraktion im GesundheitsausschussGesundheitsausschuss Der Gesundheitsausschuss entwickelt auf nationaler und EU-Ebene die Reformen der gesetzlichen Krankenkassen. Patientenrechte, ärztliche Belange, ethische Fragen der Medizin sowie Arzneimittelversorgung und -sicherheit gehören ebenso zu seinen Aufgabengebieten. Im Bereich der Krankenversicherungen beschäftigt sich der Gesundheitsausschuss mit dem Leistungs- und Beitragsrecht und kümmert sich zudem um die Rechte der Vertragsärzte sowie Verbände und vieles mehr. Der Gesundheitsausschluss kann ausschließlich Beschlussempfehlungen abgeben, die Sitzungen sind nicht öffentlich. des Bundestags ist. Trotz erheblicher Defizite beim Vollzug des strengen Arzneimittelrechts reagiere die Bundesregierung nach dem Motto: „Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen!”, kritisiert er.

Spahn betreibt mit Gesetzentwurf „Etikettenschwindel“

Herr mit Brille und kurzen hellgrauen Haaren. Lächelnd mit Sakko, Hemd und blauer Krawatte.
FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann.
© FDP-Abgeordnetenbüro

Der von Spahn vorgelegte Gesetzesentwurf sei in vielen Teilen ein „Etikettenschwindel“. Dies zeigten Regelungen wie geplante Neuerungen zu biotechnologischen Arzneimitteln sowie der Versorgung von Patienten mit Gerinnungsstörungen. „Es geht dort nicht um mehr Patientensicherheit, sondern reine Kostendämpfung“, sagt Ullmann.

Auch die von Spahn geplanten Konkretisierungen in Überwachungsregelungen seien lediglich Kosmetik. „Es können keine Zweifel bestehen, dass diese Überwachungsbefugnisse so bereits vorher bestanden haben“, erklärt er. Die Stärkung der Koordinierungsfunktion des BfArM und des Paul-Ehrlich-Instituts für Rückrufe von Arzneimitteln lösten die Probleme von Nichtüberwachung oder mangelhafter Überwachung in Ländern oder Gemeinden nicht.

„So sind die nächsten Fälle praktisch vorprogrammiert“, sagt der FDP-Politiker. Daher müsse die Arzneimittelüberwachung „grundsätzlich reformiert und vom Kopf auf die Füße gestellt werden!“, fordert er. Wie die Vereinigten Staaten mit ihrer Food and Drug Administration (FDAFDA FDA ist die US-amerikanische Arzneimittelbehörde U.S. Food and Drug Administration. Zu ihren Aufgabengebieten gehören u.a. die Zulassung, Kontrolle und Überwachung von Arzneimitteln, Impfungen und Medizinprodukten in den USA. Das deutsche Äquivalent ist die EMA, die europäische Arzneimittel-Agentur.) bewiese, könne eine effektive Arzneimittelüberwachungsstruktur auch auf der Bundesebene etabliert werden.

„Die Tatsache, dass eine mangelhafte Arzneimittelüberwachungen in einem Bundesland Auswirkungen auf die komplette Bundesrepublik haben kann, zeigt, was geboten ist“, sagt Ullmann: Es helfe nichts, wenn die Überwachung beispielsweise in Schleswig-Holstein tadellos funktioniert, wenn eine Firma mit Sitz in Brandenburg auch dorthin mangelhafte oder gefälschte Arzneimittel vertreibt. „Dagegen spielen für eine Bundesbehörde mit eigenen Überwachungs- und Ermittlungsbefugnissen Ländergrenze keine Rolle“, sagt er.