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Das Schlaf-Hormon Melatonin und Pistazien Der Steinfrucht Kern

Sehr viele Pistazien.
© Johanna Kosinka / Unsplash

Melatoninhaltige Tabletten, genauer freiverkäufliche Pillen mit MelatoninMelatonin Melatonin – ein Hormon, welches den Tag-Nacht-Rhythmus steuert – wird größtenteils im Gehirn durch die Zirbeldrüse synthetisiert. Seine Ausschüttung ist abhängig von der Tageslichtmenge, die auf die Netzhaut des Auges fällt. Dunkelheit regt die Ausschüttung an, weswegen es auch Schlafhormon genannt wird. Melatonin wird in letzter Zeit vermehrt als Wundermittel gehandelt. Es soll zusätzlich zu Schlafstörungen als Anti-Aging-Agenz und gegen Krebs wirken. In Deutschland wurde bisher nur ein Medikament mit Melatonin zugelassen. Dies ausschließlich zur kurzfristigen Einnahme von Patienten über 55, bei denen eine (auf keiner Krankheit beruhende) Schlafstörung besteht. Hochdosierte Melatonin-Präparate sind zudem verschreibungspflichtig. Über die schlafstimulierende Wirkung hinausgehende Anwendungen sind bisher nur unzureichend untersucht. Dies gilt ebenso für Langzeit-, Neben- und Wechselwirkungen des Hormons sowie für die Einnahme durch Schwangere und Stillende. Ungeachtet dessen wird das Hormon in Form von Nahrungsergänzungsmitteln und Sprays vertrieben., waren Inhalt unseres ersten Checks zu Einschlafhilfen. Enthalten diese mehr als 0,28 Milligramm des körpereigenen Hormons, sind sie nach Meinung von Fachleuten aus Bundesbehörden keine freiverkäuflichen NahrungsergänzungsmittelNahrungsergänzungsmittel Nahrungsergänzungsmittel werden den Lebensmitteln zugeordnet und sind abgegrenzt von Medikamenten zu betrachten. So dürfen sie, wie der Name schon sagt, die normale Ernährung ergänzen, sie jedoch nicht ersetzen und zudem keine arzneiliche Wirkung zeigen. Sie werden als Kapseln, Tabletten, Tropfen oder Ähnliches angeboten und enthalten oft Vitamine, Mineralstoffe oder sonstige Nährstoffe, die eine Wirkung erzielen sollen. Sie dürfen jedoch nicht wie ein Arzneimittel beworben werden. Die Hersteller dürfen keine spezifische Wirkung wie die Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit anpreisen oder für ein definiertes Anwendungsgebiet werben. (NEM) mehr, sondern als ein ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. einzustufen: Apotheke statt Drogerie, hochwertige Zulassungsstudie statt formloser Anmeldung beim Amt. Für Pharmahändler hatte und hätte der Behördenbeschluss weitreichende Folgen, ihre Tabletten benötigen eine offizielle Zulassung.

Arzneimittel

Arzneimittel sollen dazu dienen, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu verhüten, zu lindern oder zu heilen, physiologische Körperfunktionen positiv zu verändern oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Arzneimittel unterliegen den strengen Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes (AMG). Sofern es sich nicht um homöopathische oder andere Mittel der „besonderen Therapierichtungen“ handelt, müssen sie zugelassen werden. Arzneimittel können rezeptpflichtig oder rezeptfrei sein. Fast alle Arzneimittel sind apothekenpflichtig, doch gibt es auch einige wenige, die etwa in Drogerien verkauft werden dürfen.

Nahrungsergänzungsmittel

Nahrungsergänzungsmittel (NEM) sind eine besondere Gruppe Lebensmittel, die der Förderung der Gesundheit dienen sollen. Sie sind dazu bestimmt, die normale Ernährung zu ergänzen. NEM können beim Bundesamt für VerbraucherschutzVerbraucherschutz Verbraucherschutz ist deutschland- und europaweit ein breit gefächertes Gebiet. So gibt es ein Amt für Verbraucherschutz, ein Bundesinstitut für Risikobewertung, die EFSA – die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – und eine Health-Claims-Verordnung. In Deutschland existieren 16 Verbraucherzentralen und weitere verbraucherpolitische Organisationen, die in einem gemeinsamen Bundesverband gebündelt sind. Verbraucherschutz beinhält Rechtsvorschriften und Verbraucherrechte die z.B. Bereiche wie Lebensmittelsicherheit, Kaufverträge und Verträge mit Banken und Geldinstituten berücksichtigen. und LebensmittelsicherheitLebensmittelsicherheit Lebensmittelsicherheit ist ein komplexer Bereich. Es wird zwischen sog. horizontalen und vertikalen Bestimmungen unterschieden. Ersteres bedient Bestimmungen für die Lebensmittelkennzeichnung, für Zusatzstoffe in Lebensmitteln sowie für Rückstände in Lebensmitteln. Vertikale Bestimmungen beziehen sich auf Nahrungsergänzungsmittel, Milch, Eier, Fisch, Fruchtsäfte und vieles mehr. Auch für kosmetische Produkte wie z.B. Zahncreme, Shampoo, Nagellack sowie Bedarfsgegenstände (Spielzeug, Geschirr, Schuhe, Textilien, Modeschmuck…) gilt das Lebensmittelrecht. Zusatzstoffe und neuartige Lebensmittel müssen zugelassen sein, schädliche Rückstände von Pflanzenschutzmitteln sind verboten. Kennzeichnungen müssen erkennbar machen, ob zum Beispiel Allergene enthalten sind. (BVL) registriert werden, danach ist die sofortige Vermarktung möglich. Behördliche Kontrollen erfolgen nur auf Verdacht beziehungsweise Aufforderung durch die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder. Nahrungsergänzungsmittel dürfen nicht als Arzneimittel beworben oder mit Aussagen, die sich auf die Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beziehen, angeboten werden.

Diätische Lebensmittel

Diätische Lebensmittel für spezielle Gruppen sollen besonderen Ernährungserfordernissen etwa für Kranke, Schwangere, Kleinkinder oder Säuglinge entsprechen. Die Anforderungen an Lebensmittel für spezielle Gruppen sind in Deutschland in der Verordnung über diätetische Lebensmittel (Diätverordnung) sowie in EU-Verordnungen geregelt. Dort ist auch festgelegt, dass sich Lebensmittel für spezielle Gruppen für den angegebenen Ernährungszweck eignen und aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung oder Herstellung deutlich von normalen Lebensmitteln unterscheiden müssen.

Die Einschätzung der Experten kommt dabei nicht von ungefähr: Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, es beeinflusst das Schlaf-Wachverhalten von Lebewesen sowie weitere biologische Funktionen des Körpers wie den Blutdruck oder die Nierenfunktion. Es sollte nicht leichtfertig eingenommen werden, warnen Pharmakologen. Doch das will nicht jeder Pharmahersteller für sein Produkt akzeptieren.

Der Streit, ob die melatoninhaltigen Pillen zulassungspflichtig sind oder nicht, bringt die die Beteiligten seit vielen Jahren immer wieder vor Gericht, denn nicht alle Unternehmen in Deutschland halten sich an die Einschätzung. Mindestens zwei mittelständische PharmaunternehmenPharmaunternehmen In einem Pharmaunternehmen werden Arzneimittel erforscht, entwickelt, produziert und / oder vermarktet. Es kann sich hierbei um eigens neu entwickelte Medikamente oder um Generika (Nachahmungen) handeln. Für die Herstellung von Arzneimitteln oder Arzneistoffen brauchen pharmazeutische Unternehmen eine behördliche Erlaubnis und unterliegen speziellen arzneimittelrechtlichen Verpflichtungen, um Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit ihrer Produkte zu gewährleisten. Zu dem Produktsortiment der Pharmaunternehmen gehören verschiedenste verschreibungspflichtige und rezeptfreie Arzneimittel für die Human- und Veterinärmedizin, wie z.B. Medikamente, Blutprodukte und Impfstoffe. vertreiben derzeit melantoninhaltige Pillen als Nahrungsergänzungsmittel über Drogerien. Ohne Studien – und ohne Zulassung als Arzneimittel durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter..

Nach Veröffentlichung unseres ersten Textes zu diesem Thema schrieb uns ein Leser, dass die Kritik seitens der Pharmakologen an der mangelnden Zulassung doch vollkommen überzogen sei: In Lebensmitteln, vor allem in Pistazien, stecke doch auch viel Melatonin, da brauche es doch nur 100 Milligramm und man habe doch ausreichend müde machenden Wirkstoff eingenommen.

Pistazien?

Wird etwa jeder Mensch sehr müde, wenn er die Früchte dieser Steinfrucht genießt? Eine neuerliche Recherche in Sachen Melatonin begann, in der wir letzten Endes eine Anfrage nach Informationsfreiheitsgesetz (IFG) stellten. Aber von vorn.

Schon auf Wikipedia findet sich die Aussage, dass ein paar Milligramm Pistazien eine besonders hohe Dosis des Hormons enthalten. Die Aussage zum Melatoningehalt stammt aus einer Studie aus dem Fachmagazin “Spectrochimica Acta Part A: Molecular and Biomolecular Spectroscopy”, durchgeführt durch eine iranische Forschergruppe um den Chemiker Ali Mostafavi. Der Artikel enthält einige Merkwürdigkeiten: Die gefundenen Melatonin-Gehalte fielen für vier verschiedene Pistazienarten sehr ähnlich aus – Fehlerwerte wurden nicht angegeben. „Wenn man die zahlreichen medizinischen Effekte von Melatonin betrachtet, kann seine Anwesenheit in Pistazienkernen – eine verbreitete Nuss – eine geschmackvolle Melatonin-Quelle für uns darstellen“, heißt es in der Zusammenfassung des Artikels. Für eine wissenschaftliche Publikation eine erstaunlich eloquente Formulierung – aus dem Land des Pistazien-Exporteurs Iran.

Kann dies sein? Wir befragten zunächst Lebensmittelexperten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die äußerten sich zurückhaltend: Grundsätzlich sei es so, dass in Lebensmitteln die Aminosäure Tryptophan enthalten ist, aus der in mehreren Stufen Melatonin gebildet wird. „Daher sollte die Aussage, wie viel Melatonin in Lebensmitteln enthalten ist und inwieweit hier Wirkungen auf den Schlaf-Wach-Rhythmus über den Verzehr bestimmter Lebensmittel vorhanden sind, sehr kritisch betrachtet werden“, erklärt uns eine Sprecherin.

Genauer weiß es das BVL zu berichten:

„Es gibt kein uns bekanntes Lebensmittel, das signifikante Gehalte von Melatonin aufweist. In einer Pistazienstudie sind zwar überraschend hohe Melatoninwerte gemessen worden. Bei Überprüfung dieser Studie ist festgestellt worden, dass falsche Werte gemessen wurden und die Analysemethoden ungeeignet waren. Das BVL hat in einem Gerichtsverfahren einen Beweisvorschlag gemacht und Pistazienkerne von einem renommierten Institut auf ihren Melatonin-Gehalt untersuchen lassen: Es konnten keine Melatolin-Gehalte gemessen werden.“

Der Herausgeber der Zeitschrift „Spectrochimica Acta A“ – der Frankfurter Biophysiker Werner Mäntele – verwies zunächst darauf, dass der Artikel begutachtet wurde: „Wir müssen uns als Editoren auf die Reviewer und ihre Gutachten verlassen, da wir zum Teil bis zu 500 Manuskripte pro Editor und Jahr bearbeiten“, erklärte er.

Also beschlossen wir, uns das Gutachten aus dem Gerichtsprozess genauer anzuschauen, von dem das Verbraucherministerium berichtet hat. Leider war hier wieder Geduld gefragt. Die Untersuchung war im Rahmen eines Gerichtsprozess erstellt worden: Der Hersteller eines Nahrungsergänzungsmittel, das 3 Milligramm Melatonin enthält, wollte dieses in Deutschland vertreiben, was das BVL abgelehnt hatte – weil es sich aufgrund des Melatoningehalts um ein Arzneimittel handele. Dagegen hatte der Hersteller geklagt. Dabei hatte das Unternehmen die Pistazienstudie als Beleg angegeben, dass auch Lebensmittel hohe Mengen Melatonin enthalten – und somit die Forderung, das eigene Produkt als Arzneimittel zuzulassen, unnötig sei. Wir stellten einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz, um die Details des Gutachtens einsehen zu können.

Nach rund vier Wochen legte das BVL das Gutachten vor. In einem Institut für Pharmazie hatte man die Inhaltsstoffe gemessen, in acht verschiedenen Proben – jeweils einmal mit einer Tandem-Massenspektrometrie und mit einer Fluoreszenzdetektion. Die Probenvorbereitung entsprach dabei weitestgehend dem Vorgehen der iranischen Forscher. Ergebnis: Es steckt keinerlei Melatonin in Pistazien. Die iranische Studie ist fehlerhaft.

Der Pharmahändler, der damals gegen den Zulassungsbescheid des BVL geklagt hatte, zog nach dem Gutachten die Klage übrigens zurück.

Das Fachmagazin will sich angesichts des Gutachtens nun der Sache annehmen: Voraussichtlich wird den iranischen Autoren die Möglichkeit eingeräumt, ein „Korrigendum“ zu verfassen, erklärt Mäntele gegenüber MedWatch. Wenn keine Reaktion erfolgt, würden die Herausgeber die Möglichkeit in Betracht ziehen, den Artikel zurückzuziehen – oder die Zeitschrift würde eine Stellungnahme veröffentlichen, eine so genannte „Reply to Publication“.

Wie andere Zeitschriften bliebe auch „Spectrochimica Acta Part A“ leider nicht von Falschmessungen, Fehlinterpretationen oder, schlimmstenfalls, von bewusst gefälschten Daten und Interpretationen verschont, schreibt Mäntele. „Die Moral vieler Autoren sowohl im In- als auch im Ausland ist oft nicht die beste, und die Möglichkeiten der Reviewer und Editoren, diese Fehler vor der Publikation zu identifizieren, sind begrenzt.“

Ausblick

In den weiteren Artikeln diese Woche zum Thema Einschlafhilfen geht es um melatoninhaltige Produkte, die über das Netz bestellt werden können. Wir sprechen außerdem mit einem Schlafforscher, der uns über das Phänomen “Schlaf” aufklärt, Pharmokologe Gerd GlaeskeGerd Glaeske Gerd Glaeske (1945 bis 2022) war Pharmakologe, Gesundheitswissenschaftler und u.a. jahrelanger Mitarbeiter für Bittere Pillen. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er durch Funk, Fernsehen und diverse Printmedien bekannt. 23 Jahre lange hatte er die Professur für Arzneimittelanwendungsforschung am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen inne und war zudem Mitglied des MedWatch-Beirates. bewertert für uns die gängigen Schlafmittel auf dem Markt. Zuletzt schauen wir in die „Höhle des Löwen“ – in der Fernsehshow gewann das Produkt „Sleep well“ die Gunst der Juroren. Hier wollte ein Leser von MedWatch wissen: Was ist das denn eigentlich, dieses „Sleep well“?