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Alternativmedizin „Verbraucher müssen zuverlässig geschützt werden“

Glasflasche mit gelber Flüssigkeit. aus einer Apparatur führt ein dünner Schlauch in die Flasche.
Chlordioxid Generator © Hinnerk Feldwisch-Drentrup / MedWatch

Deutsche Gesundheitsbehörden versagen beim Schutz von Patienten vor gefährlicher Pseudo-Medizin: Eine gemeinsame Recherche des ARD-Politikmagazins Kontraste und MedWatch für den STERN hat aufgedeckt, wie die Überwachung und Strafverfolgung bei einem gefährlichen „Wundermittel“ wie MMSMMS MMS ist die Kurzform für Miracle Mineral Supplement. Damit wird eine Chlordioxid-Lösung, auch CDL genannt, bezeichnet. Der Begriff geht auf Jim Humble zurück, welcher ein ehemaliges und langjähriges Scientology-Mitglied war und 2010 eine weitere Sekte gründete (Genesis II, Church of Health & Healing). Chlordioxid, ClO2, ist bei Raumtemperatur ein bernsteinfarbenes Gas, welches bei einer Konzentration von über 10% in der Luft explosiv ist. Deshalb wird es zumeist in wässriger, nicht explosiver, Lösung angeboten (MMS / CDL). Chlordioxid besitzt eine oxidative Wirkung, so dient es z.B. als Bleichmittel von Zellstoff (z.B. Papier) oder auch der Desinfektion von Trinkwasser. Auf vielen Foren wird es als Allheilmittel – auch gegen Corona – beschrieben, oft mit verehrenden gesundheitlichen Folgen. Die Anrufe beim Giftnotruf häufen sich und auch die Gabe von CDL / MMS an kleine Kinder wird propagiert. Für die angepriesene Heilung der verschiedensten Krankheiten gibt es aktuell keine wissenschaftliche Grundlage. (Miracle Mineral SupplementMiracle Mineral Supplement Miracle Mineral Supplement – MMS bezeichnet eine Chlordioxid-Lösung, auch CDL genannt. Der Begriff geht auf Jim Humble zurück, welcher ein ehemaliges und langjähriges Scientology-Mitglied war und 2010 eine weitere Sekte gründete (Genesis II, Church of Health & Healing). Chlordioxid, ClO2, ist bei Raumtemperatur ein bernsteinfarbenes Gas, welches bei einer Konzentration von über 10% in der Luft explosiv ist. Deshalb wird es zumeist in wässriger, nicht explosiver, Lösung angeboten (MMS / CDL). Chlordioxid besitzt eine oxidative Wirkung, so dient es z.B. als Bleichmittel von Zellstoff (z.B. Papier) oder auch der Desinfektion von Trinkwasser. Auf vielen Foren wird das Miracle Mineral Supplement als Allheilmittel – auch gegen Corona – beschrieben, oft mit verehrenden gesundheitlichen Folgen. Die Anrufe beim Giftnotruf häufen sich und auch die Gabe von CDL / MMS an kleine Kinder wird propagiert. Für die angepriesene Heilung der verschiedensten Krankheiten gibt es aktuell keine wissenschaftliche Grundlage.) über Jahre vernachlässigt wird. Wir haben Jürgen WindelerJürgen Windeler Prof. Dr. med. Jürgen Windeler, Arzt und Professor für Medizinische Biometrie und Klinische Epidemiologie, ist (Stand Aug. 2020) Institutsleiter des IQWIG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) sowie seit 2006 außerordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission., Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiGIQWIG Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat als Hauptaufgabe die Evaluierung einer Nutzen-Schaden-Abwägung medizinischer Maßnahmen für Patient*innen. Es wurde im Zuge der Gesundheitsreform 2004 gegründet. Das IQWIG ist eine fachlich unabhängige wissenschaftliche Einrichtung, die das Ziel verfolgt, evidenzbasierte Entscheidungen in Gesundheitsfragen zu unterstützen. Auch möchte sie einer breiten Öffentlichkeit Gesundheitsinformationen zugänglich zu machen. Dafür informiert es in verständlicher Form u.a. mit Hilfe von Informationsberichten, Kurzantworten und Merkblättern auf seiner Internetseite unabhängig und evidenzbasiert, sowohl für Fachkreise als auch für eine breite interessierte Öffentlichkeit., um eine Einschätzung gebeten.  Als unabhängiges wissenschaftliches Institut untersucht das IQWiG seit nun schon 14 Jahren den Nutzen und den Schaden von medizinischen Maßnahmen für Patientinnen und Patienten.

MedWatch: Herr Windeler, Sie haben einmal erklärt, dass es im Bereich der Therapiesicherheit von zugelassenen Arzneimitteln ein gut funktionierendes Kontrollsystem gebe. Doch das, was nicht in diesen Bereich gehört, sei gar nicht reguliert. Besonders bei den Produkten, die in eine Grauzone fallen, machten sich das die Hersteller oft sehr geschickt zu Nutze. Wie könnte und sollte diese Grauzone – auch im Sinne des Verbraucherschutzes – in eine evidenzbasierte Zone verwandelt werden?

Jürgen Windeler
Jürgen Windeler, Leiter des IQWiG
© IQWiG

Jürgen Windeler: Es gibt ja Regelungen, etwa im HeilmittelwerbegesetzHeilmittelwerbegesetz Das Heilmittelwerbegesetz (HWG) regelt den Wortlaut im Zusammenhang mit Heilversprechen. Es darf nach dem HWG nichts behauptet werden, was nicht stimmt. Wird damit geworben, dass ein Medikament oder eine Therapie wirkt, muss diese Wirksamkeit auch wissenschaftlich belegt sein. Dafür muss der Bewerber selbst wissenschaftliche Studienergebnisse vorlegen. Da kaum eine alternativmedizinische Behandlungsmethode wissenschaftlich belegt ist, dürfen Heilpraktiker keine Heilversprechen abgeben.. Nehmen wir das Beispiel NahrungsergänzungsmittelNahrungsergänzungsmittel Nahrungsergänzungsmittel werden den Lebensmitteln zugeordnet und sind abgegrenzt von Medikamenten zu betrachten. So dürfen sie, wie der Name schon sagt, die normale Ernährung ergänzen, sie jedoch nicht ersetzen und zudem keine arzneiliche Wirkung zeigen. Sie werden als Kapseln, Tabletten, Tropfen oder Ähnliches angeboten und enthalten oft Vitamine, Mineralstoffe oder sonstige Nährstoffe, die eine Wirkung erzielen sollen. Sie dürfen jedoch nicht wie ein Arzneimittel beworben werden. Die Hersteller dürfen keine spezifische Wirkung wie die Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit anpreisen oder für ein definiertes Anwendungsgebiet werben.: Diese Produkte darf man bewerben und verkaufen, aber man darf keine überzogenen gesundheitlichen Versprechungen machen, also nicht so tun, als wirke ein solches Mittel gegen eine bestimmte Erkrankung, wie ein ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten.. Diese Regelungen sind aber nur wirksam, wenn ihre Einhaltung auch kontrolliert wird. Eine besonders wirkungsvolle Regelung ist das Arzneimittelgesetz: Neue Arzneimittel werden auf ihre Wirksamkeit und Unschädlichkeit geprüft, bevor sie verkauft werden dürfen. Es gibt eigentlich keinen logischen Grund, so eine Zulassung vor dem Marktzugang nicht auch für andere Dinge einzuführen, etwa MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. oder Produkte der sogenannten Alternativmedizin. Das klappt aber eben nur bei neuen Produkten, die noch eine Zulassung benötigen. Für all das, was bereits auf dem Markt ist, ist diese Regelung ein stumpfes Schwert. Und gerade im Alternativmedizin-Sektor ist ja vieles ein alter Hut.

MedWatch: Wie bewerten Sie dann, dass Produkte wie die ätzende Chlorbleiche MMS auf Kongressen wie kürzlich dem „Spirit of HealthSpirit of Health Spirit of Health ist ein jährlich stattfindender Kongress, auf welchem massive Werbung für Wunderheilungen sowie für das gesundheitsschädliche MMS (Mineral Miracle Supplement) betrieben wird. Bei MMS handelt es sich um eine Chlordioxid-Mischung, die zu ernsthaften Verätzungen führen kann. Der Spirit of Health Kongress wird vom Jim Humble Verlag ausgerichtet. Jim Humble ist ein ehemaliges Scientology-Mitglied.“ in Berlin zur Einnahme, zum Einlauf oder zur Infusion bei KrebsKrebs Statt eine spezifische Krankheit zu benennen, handelt es sich bei Krebs um einen Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten. Ihnen allen gemeinsam ist jedoch das unkontrollierte Wachstum von Körperzellen, aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Zellwachstum und Zelltod. Die Folge daraus ist – außer bei Blutkrebsarten – eine Geschwulst ohne organspezifische Funktion. Dringt diese in das umliegende gesunde Gewebe ein, spricht man von bösartigen Tumoren; ausschließlich bösartigen Tumore werden als Krebs bezeichnet. Krebs kann zudem metastasieren, d.h. er breitet sich im Körper aus, indem die Krebszellen über Blut- und Lymphbahnen wandern und infolgedessen in anderen Organen Tochtergeschwülste bilden., AutismusAutismus Autismus ist ein Sammelbegriff, der verschiedene Entwicklungsstörungen benennt: die sog. Autismus-Spektrum-Störungen. Dabei handelt es sich um tiefgreifende neurologische Entwicklungsstörungen, die das soziale Leben erschweren, zu Problemen mit sozialen Kontakten führen, und auch Einfluss auf die Kommunikation und Sprache haben. Sie wirken sich ebenso auf das Verhaltensrepertoire aus uns führen zu stereotypen Handlungen. Autismus äußert sich in Art, Ausprägung und Schwere sehr individuell. Manche entwickeln nur leichte Symptome, andere sind schwer beeinträchtigt. Es gibt z.B. den frühkindlichen Autismus, das Asperger-Syndrom und den atypischen Autismus. Es kann zu Intelligenzminderung oder zu Inselbegabungen (Savant-Syndrom) kommen. oder vielen anderen Krankheiten beworben werden?

Windeler: Menschen dürfen vieles behaupten, auch Dinge, die mir sehr missfallen. Man kann solche Kongresse kaum verbieten, und selbst wenn man es könnte, würde das nicht viel helfen. Die Menschen – sowohl die Anbieter als auch die Empfänger solcher Heilsbotschaften – würden einfach auf andere Kanäle ausweichen. Es geht daher nur über mehr Aufklärung, und zwar von allen Seiten: Ämter, Initiativen zur Patientenberatung, Anbieter von Gesundheitsinformationen und Medien, die auf Gefahren und mangelnde Evidenz hinweisen. Eine kritische Öffentlichkeit ist unabdingbar.

MedWatch: Einem Verkäufer von MMS, der letztes Jahr in erster Instanz zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, haben die Richter zu Gute gehalten, dass er „durch das zögerliche Verhalten der überörtlichen Behörden bei der Einschätzung von ‚MMS‘ bestätigt fühlen durfte“: Erst gut vier Jahre nach Start seines Online-Shops gab es die erste Warnung vom BfRBfR Das BfR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, ist eine Bundesbehörde die dem BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) zugeordnet ist. Sie soll unabhängig von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessen z.B. die Sicherheit von Lebensmitteln, Chemikalien, Bioziden, Pflanzenschutzmitteln, Textilien, Lebensmittelverpackungen, Kosmetika und Tabakerzeugnisse bewerten. Auch die Bewertung gentechnisch veränderter Organismen in Lebens- und Futtermitteln, Pflanzen und Tieren zählt hier dazu. Die wissenschaftsbasierte Risikobewertung geschieht als Grundlage für den gesundheitlichen Verbraucherschutz innerhalb und außerhalb von Deutschland., erst nach sieben Jahren stufte das BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen. es als bedenklich ein. Inwiefern gibt es Ihrer Ansicht nach Handlungsbedarf bei der Verfolgung von Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz und Heilmittelwerbegesetz?

Türschild IQWiG
Das IQWiG hat unter anderem den gesetzlichen Auftrag, Vor- und Nachteile von medizinischen Verfahren zu bewerten, also zum Beispiel verschiedene Arzneimittel oder Operationsverfahren untereinander zu vergleichen.
© IQWiG

Windeler: Vor allem im Nachhinein ist immer leicht gesagt, dass die Behörden schneller hätten reagieren müssen. Wenn ein Gesundheitsamt oder eine andere Behörde ein Verbot ausspräche, das nicht von der Gesetzeslage gedeckt ist, würden dieselben Richter die Verbote einkassieren und die Ämter rügen – und zwar zu Recht. Es braucht viel Fingerspitzengefühl, um einschätzen, welche Relevanz eine Handlung oder ein Produkt hat, auch um diesem nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Und es gibt mehrere Toleranzschwellen. Wenn Erwachsene in nicht lebensbedrohlichen Situationen mit Bachblüten experimentieren wollen, etwa in Stresssituationen Rescue-Tropfen ausprobieren, dann ist das zwar unwirksam, aber das Produkt an sich ist harmlos. Wenn eine TherapieTherapie Therapie bezeichnet eine Heil- oder Krankenbehandlung im weitesten Sinn. Es kann hierbei die Beseitigung einer Krankheitsursache oder die Beseitigung von Symptomen im Mittelpunkt stehen. Ziel einer jeden Therapie ist die Widerherstellung der physischen und psychischen Funktionen eines Patienten durch einen Therapeuten. Soweit dies unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist. oder ein Produkt dagegen Nebenwirkungen hat, was in Ihrem Beispiel ja der Fall ist, sieht das schon anders aus. Wenn es dann noch bei Kindern angewendet werden soll, erst recht bei besonders schutzbedürftigen Kindern, ist die Grenze wirklich überschritten: Dann müssen die Behörden reagieren.

MedWatch: Karl Broich, Direktor des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, hat einmal gesagt: „Der Föderalismus hat seine Vorteile, aber bei solchen Dingen, wo eben konkret PatientensicherheitPatientensicherheit Die Patientensicherheit ist ein wichtiger Punkt im Rahmen des Gesundheitswesens und kann als Abwesenheit unerwünschter Ereignisse definiert werden. Damit sind Ereignisse gemeint, die auf der Behandlung an sich beruhen und nicht auf der Erkrankung der Patient*innen. In Deutschland fallen Aufgaben und Maßnahmen der Patientensicherheit in den Zuständigkeitsbereich der Selbstverwaltung der Ärztekammern. 2005 kam es zudem zur Gründung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. (APS) unterstützt durch das BMG. Bezüglich der Patientensicherheit existieren gesetzlich verankerte Qualitäts- und Sicherheitsvorgaben (z.B. Arzneimittel- und Medizinproduktegesetz, Infektionsschutzgesetz) sowie Verpflichtungen zur Qualitätssicherung (z.B. gemäß SGB V). Mit den Maßnahmen soll Behandlungsfehler vorgebeugt sowie eine Fehlervermeidungskultur gefördert werden. in Gefahr ist, würden wir uns schon manchmal wünschen, da stärker auch selber tätig werden zu können.“ Inwiefern halten Sie dies für sinnvoll?

Windeler: Zunächst sollte man der Frage nachgehen, warum manche Landesbehörden Fälle nur zögerlich prüfen oder sie nach Möglichkeit wegdelegieren. Wenn sich zeigt, dass der gesetzliche Ermessensspielraum für die Landesbehörden zu groß ist, muss man den unter Umständen einengen, sodass es nicht mehr vom Bundesland oder gar Regierungsbezirk abhängt, ob eine Behörde einen Fall wirklich prüft. Das gilt nicht nur für HeilpraktikerHeilpraktiker Heilpraktiker*in ist ein Medizinberuf, der auf dem deutschen Heilpraktikergesetz (HPG) beruht. Es handelt sich um einen sogenannten freien Beruf, dem keine einheitliche Ausbildung zugrunde liegt. Weder eine medizinische Ausbildung noch eine berufsqualifizierende Fachprüfung sind dafür erforderlich. Folgende Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsfelder sind jedoch ausgeschlossen: Geburtshilfe, Geschlechtskrankheiten, meldepflichtige übertragbare Krankheiten, die Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die Verordnung von Betäubungsmitteln. In Österreich ist der Beruf verboten., sondern auch etwa für Medizinprodukte wie Hüftgelenke. Und wo der Föderalismus tatsächlich ein verlässliches, bundesweit ähnliches Vorgehen verhindert, muss man über eine Zentralisierung von Aufgaben nachdenken, also etwa dem BfArM ein Mandat zur Überprüfung erteilen. Die Verbraucher müssen sicher sein können, dass ihre Anliegen zuverlässig geschützt werden.

MedWatch: Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Szene der Heilpraktiker in Deutschland? Der Berufsstand ist nicht zuletzt seit den drei Todesfällen in Brüggen-Bracht in der Kritik, Gröhe hat dennoch lediglich die Prüfungsstandards vereinheitlicht. Heilpraktiker dürfen weiterhin Arzneimittel herstellen, Infusionen legen, und gänzlich ungeprüfte Therapien anwenden.

Windeler: Auf die Frage, wie mit Heilpraktikern umzugehen ist, gibt es – grob gesagt – drei Antworten. Erstens könnte man verlangen, dass diese Menschen eine standardisierte, wissenschaftlich fundierte Ausbildung durchlaufen müssen, bevor sie auf Patientinnen und Patienten „losgelassen“ werden. Das wirft allerdings die Frage auf, was diesen Beruf dann noch von anderen Gesundheitsberufen wie etwa Physiotherapeuten oder Ärzten unterscheiden würde – und ob sich Menschen, die Heilpraktiker werden möchten, auf eine solche standardisierte Ausbildung einlassen würden. Jedenfalls würde eine staatlich geregelte Ausbildung den Beruf aufwerten; darüber muss man sich im Klaren sein.

Zweitens kann man die Abschaffung des Heilpraktiker-Berufs verlangen. Das kann aber mit der grundgesetzlich verbrieften Berufsfreiheit kollidieren. Abgesehen davon müsste es sehr lange Übergangsfristen geben. Und die Leute würden mit ihren Problemen ja weiterhin zu irgendwem gehen, von dem es heißt, er oder sie kenne sich aus. Drittens, und das scheint mir derzeit der sinnvollste Weg zu sein, kann man die Tätigkeiten, die Heilpraktiker anbieten dürfen, gesetzlich einschränken – ihnen also zum Beispiel verbieten, Krebskranke zu therapieren, Injektionen zu geben, Arzneimittel herzustellen und auszuhändigen und so weiter, wie es ja in vielen Kantonen der Schweiz schon geschehen ist.

Die meisten Menschen, die zum Heilpraktiker gehen, suchen dort ohnehin andere Dinge als bei ihrer Ärztin, die sie bei ernsten Erkrankungen ja weiterhin aufsuchen. Zum Problem wird das erst, wenn Heilpraktiker Produkte abgeben, die nicht zugelassen sind, riskante Therapien verordnen oder von notwendigen Therapien abraten. Da fehlt dann wirklich eine klare, einheitliche Reaktion der Landesbehörden.