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„Viele gehen völlig am Krückstock“ Warum Ärzte, Pflegende und Therapeuten vom #Twankenhaus ein besseres Gesundheitssystem planen

© @twankenhaus / Twitter

Seit November 2018 gibt es die Twitter-Initiative „Twankenhaus“, die Missstände und Reformideen im Gesundheitswesen diskutiert. Gestartet wurde es durch rund 50 Menschen aus dem Gesundheitswesen, die sich mehr oder weniger zufällig auf Twitter kennenlernten – und feststellten, dass sie alle die gleichen Probleme haben: Arbeiten im Gesundheitswesen ist heute selten so, wie es sein sollte: Nah am Patienten, genug Zeit etwa für Anamnese und Pflege. Stattdessen Zeitdruck, Überstunden, Schichten ohne Pause. Im „Twankenhaus“ sind alle Professionen vertreten: Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, Studentinnen und Studenten, Menschen aus dem Rettungsdienst, Patientenvertreterinnen und Vertreter und Physiotherapeutinnen und Therapeuten. Ein erstes Treffen in der echten Welt führte die Aktiven im Frühjahr nach Hamburg, seitdem wird in Arbeitsgruppen diskutiert, Themenwochen etwa zur Realität im Rettungsdienst durchgeführt und Positionspapiere erarbeitet.

Das „Twankenhaus“ versteht sich als Thinktank, in dem jeder Gesundheitsfachberuf seine Stimme hat und einen Einblick in die jeweilige Perspektive liefert. Diese Multiprofessionalität aus Krankenpflegekräften, Rettungskräften, Therapeuten, Ärzten und weiteren Berufen soll es ermöglichen, Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten.

Zuallerst wussten es die Leser der „Bild am Sonntag“. Unter der Überschrift „Die ImpfpflichtImpfpflicht Eine Impfpflicht ist die rechtliche Verpflichtung, sich mit einem Impfstoff gegen eine Virus-Erkrankung impfen zu lassen. Im Rahmen einer Pandemiebekämpfung kann es zu solch einer gesetzlichen Anordnung kommen; medizinisch ist jedoch immer die freiwillige Impfung einer breiten Bevölkerung anzustreben. Seit 2020 besteht in Deutschland eine gesetzliche Impflicht gegen Masern für Kinder und Betreuungspersonen in Kindertagesstätten und Schulen. Von 1874 bis 1975/1976 gab es in Deutschland – unter Otto von Bismarck – eine Impfpflicht gegen Pocken; die bisher einzige allgemeine Impflicht. 1959 wurde vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass solch eine Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sofern diese zur Abwehr schwerer Erkrankungen dient. Nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) kann grundsätzlich eine Impfpflicht für eine bestimmbare Personengruppe festlegt werden. Diese Verpflichtung muss verhältnismäßig sein. Das ist der Fall, wenn kein anderes milderes Mittel mehr zur Verfügung steht. kommt“ erfuhren Besucher der Website des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) am vergangenen Wochenende: „Bundesgesundheitsminister Jens SpahnSpahn Spahn, Jens; Bankkaufmann und Politologe, war 2018 bis 2021 Bundesminister für Gesundheit. Seit 2002 ist er Mitglied des Bundestages. führt Impfpflicht für Kita- und Schulkinder ein.“ Details hatte der umtriebige Minister da bereits Deutschlands größtem Boulevardblatt in einem Interview erklärt.
Die Ankündigung des Ministeriums vom Sonntag.
Der Ministeriums-Website waren zu diesem Zeitpunkt kaum mehr Informationen zu entnehmen. Der eigentliche Gesetzentwurf zur MasernMasern Masern sind eine meldepflichtige Erkrankung, die durch Masern-Viren (Morbilliviren) verursacht wird. Die Krankheit ist für alle Altersgruppen über Tröpfcheninfektion und Aerosole hoch ansteckend. Früher war sie hauptsächlich als Kinderkrankheit verbreitet, mittlerweile stecken sich vor allem ungeimpfte Jugendliche und Erwachsene an. Auf Grund eines erhöhten Risikos für Komplikationen sind Masern hier oft mit schwereren Komplikationen verbunden. Masernviren schwächen die körpereigene Abwehr über Monate, manchmal sogar Jahre. Es kann zu weiteren Infektionen wie Mittelohr-, Lungenentzündung oder Magen-Darm-Infekten kommen. Sehr selten führen Masern zu einer Hirnentzündung, die tödlich sein kann. Bei Schwangeren kann eine Infektion mit dem RNA-Virus ein Früh- oder Fehlgeburt nach sich ziehen.Seit 2020 besteht eine Masern-Nachweispflicht für den Besuch einer Kindertagesstätte, einer Schule oder einer anderen Gemeinschaftseinrichtung. Diese gilt für alle Kinder über einem Jahr sowie für dort Beschäftigte, die nach 1970 geboren wurden. Gegen Masernviren gibt es ausschließlich Medikamente, die die Beschwerden mildern, jedoch keine Behandlung an sich.Wer einmal eine Masernerkrankung durchgemacht hat, ist lebenslang immun. In Deutschland vorhandene Impfstoffe sind Kombi-Präparate, meist MMR (Masern-Mumps-Röteln) oder MMRV (MMR + Windpocken/Varizellen).Nach ein bis zwei Wochen Inkubationszeit, tauchen erste Symptome wie Fieber, Husten Schnupfen und Halsschmerzen, Kopfschmerzen und Flecken an der Wangeninnenseite auf. Das Fieber sinkt und es entwickelt sich ein Hautauschlag, welcher im Gesicht beginnt und sich anschließend auf den gesamten Körper ausbreitet. Die einzelnen Flecke werden größer und ‚fließen‘ ineinander. Das Fieber steigt wieder an. Bereits einige Tage vor dem typischen Hautauschlag kann man das Virus übertragen. Da der Ausschlag der Masern leicht mit dem von Röteln oder Scharlach verwechselt werden kann, erfolgt eine genaue Abklärung über einen Rachenabstrich, eine Urinprobe oder einen Bluttest.-Impfpflicht fand sich zudem erst einen Tag später auf der Homepage. Was zunächst nach einem Akt der Tatkraft klingt – „…Spahn führt Impfpflicht ein…“ – lässt im zweiten Moment stutzen: Den Bundestag als eigentlichen Gesetzgeber scheint Spahn an diesem Sonntag eloquent hintenanzustellen. Auf Twitter lässt erster Spott nicht lange auf sich warten. Ob Spahn seinen Gesetzentwurf eigentlich dem Bundestag oder gleich der Bildzeitung vorgelegt habe, fragt ein Nutzer und orakelt weiter: „Der Gesetzgeber war ihm vielleicht zu langsam?“ Sollte man sich jetzt mit demokratischen Kleinlichkeiten aufhalten? Endlich macht ein Minister mal etwas, raunt es von den Zuschauerrängen des Gesundheitssystems. Derart motiviert kommuniziert das Ministerium das Thema dann auch auf seiner Facebook-Seite, dekoriert mit einer großen Spritze als Symbolbild.
Das BundesgesundheitsministeriumBundesgesundheitsministerium Das Bundesgesundheitsministerium, oder auch Bundesministerium für Gesundheit, erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. auf Facebook.
„Die Impfpflicht kommt“ ist dort zu lesen, auch hier „führt Spahn die Impfpflicht ein“ – wer braucht schon eine Legislative? Nach weiterer Kritik im Netz antwortet dann der Pressesprecher Spahns. Der Mann, bis zu Spahns Amtseinführung Redakteur der „Bild“ in Berlin, erklärt, den missverständlichen Satz ändern zu lassen. Und so heißt es ein paar Stunden später nur noch Spahn „schlägt Impfpflicht vor“ – inzwischen wurde daraus „Impfpflicht soll Kinder vor Masern schützen“. Die bedrohliche Grafik einer Spritze bleibt. Bei aller Kritik an der öffentlichkeitswirksamen Vorgehensweise Spahns: Wie sinnvoll ist das Gesetz überhaupt? Neue Zahlen hat das Robert Koch-InstitutRobert Koch-Institut Das Robert-Koch-Institut (RKI) ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Seine Kernaufgaben sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere von Infektionskrankheiten. Das Robert-Koch-Institut wirkt bei der Entwicklung von Normen und Standards mit. Es informiert und berät die Fachöffentlichkeit, sowie die breite Öffentlichkeit. (RKIRKI Das RKI – Robert-Koch-Institut – ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Seine Kernaufgaben sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere von Infektionskrankheiten. Das RKI wirkt bei der Entwicklung von Normen und Standards mit. Es informiert und berät die Fachöffentlichkeit, sowie die breite Öffentlichkeit.), es betrachtet die Impflücken bei Masern weiterhin als zu groß. Zwar haben 97,1 Prozent der Schulanfänger die erste ImpfungImpfung Eine Impfung hilft, vor schwer verlaufenden Infektionskrankheiten zu schützen. Durch abgeschwächte Erreger, durch Bruchteile von Erregern oder seit Neuestem mit mRNA-Stücken von Erregern wird bei einer aktiven Schutzimpfung das Immunsystem über die gezeigten Antigene spezifisch aktiviert. Dem Körper wird durch eine Impfung vorgegaukelt mit einem echten Erreger infiziert zu sein. Dadurch wird die gesamte Immunsystem-Kaskade in Gang gesetzt, inklusive der Bildung spezifischer Gedächtniszellen. Ist der Organismus später dem tatsächlichen Erreger ausgesetzt, kann er schnell, effizient und spezifisch reagieren ohne schwere Komplikationen zu entwickeln. Eine generelle Impfpflicht gibt es in hierzulande nicht. Die Ausnahme bildet die Masernimpfung: Seit 2020 muss bei Eintritt in eine Kindertagesstätte oder Schule ein Masern-Impfnachweis erbracht werden. Die STIKO gibt für Deutschland Impfempfehlungen heraus, an denen sich orientiert werden kann. bekommen. Aber bei der entscheidenden zweiten Masernimpfung gäbe es große regionale Unterschiede, sodass auf Bundesebene die gewünschte Impfquote von 95 Prozent noch immer nicht erreicht wird. Nach den neuen Daten des RKI sind gut 93 Prozent der Schulanfänger 2017 zweimal gegen Masern geimpft, also rund zwei Prozent zu wenig. Was neben der Impfung gegen Masern Sorgen macht: Die Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten oder auch gegen Kinderlähmung haben bei den Schulanfängern bereits im dritten Jahr in Folge abgenommen, berichtet das RKI und schließt seine Analyse mit der Forderung, dass gemeinsame Anstrengungen der am Impfsystem beteiligten Akteure notwendig seien, um hohe Impfquoten zu erreichen und zu halten.

Die wirklichen Probleme liegen laut Experten anderswo

Derartige Forderungen sind nicht neu, längst als zögerlich kritisiert – die bisherigen Bemühungen tatsächlich nicht von Erfolg gekrönt. Es gibt viele Akteure im GesundheitssystemGesundheitssystem Das deutsche Gesundheitssystem ist ein duales Krankenversicherungssystem bestehend aus der GKV (Gesetzlichen Krankenversicherung) und der PKV (private Krankenversicherungen). Seit der Gesundheitsreform 2007 muss jeder, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat, eine Krankenversicherung haben. Wichtig ist zudem das Prinzip der Selbstverwaltung und der Sachleistung. D.h. Krankenkassen erfüllen die ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben in eigener Verantwortung. Es existiert eine gemeinsame Selbstverwaltung der Leistungserbringer und Kostenträger. Wichtigstes Organ hierbei auf Bundesebene ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)., die dieser Stillstand nervt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gibt an, das ändern zu wollen. „Trotz aller Aufklärungskampagnen sind die Impfquoten in den vergangenen Jahren nicht entscheidend gestiegen. Deshalb muss die Masern-Impfung in Kindergärten und Schule verpflichtend werden“, lässt sich der Minister in der zur Veröffentlichung der aktuellen Impfzahlen herausgegebenen Pressemitteilung zitieren. „Denn wer sich impft, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch die Gemeinschaft. Und weiter: „95 Prozent der Bevölkerung müssen gegen Masern geimpft sein, damit diese hochansteckende Viruserkrankung ausgerottet werden kann. Das ist unser Ziel.“
Gesundheitsminister Jens Spahn bei Instagram.
Interessanterweise offenbart bereits das in der gleichen Pressemitteilung direkt nachfolgende Statement des RKI-Präsidenten Lothar H. WielerLothar H. Wieler Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Lothar H. Wieler ist seit März 2015 Präsident des Robert Koch-Instituts. Er ist Fachtierarzt für Mikrobiologie und unter anderem Mitglied der One Health Global Leaders Group on Antimicrobial Resistance der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE). Seit Mai 2016 ist Lothar Wieler zudem Gastmitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Leibniz-Instituts für Experimentelle Virologie (LIV) in Hamburg. (Stand August 2022) eine deutlich andere Beurteilung der Situation. Der als kühner Befreiungsschlag daherkommende Plan Spahns kommt plötzlich eher einer unüberlegten Hauruck-Aktion gleich. Während der Gesundheitsminister jetzt eine Impfpflicht für Kinder einführt, sehen Experten eine ernste Problemlage in Sachen Masern an anderer Stelle: „Fast die Hälfte der Erkrankten sind junge Erwachsene, das weist auf die großen Impflücken in diesen Altersgruppen hin“, erklärt RKI-Präsident Wieler. Die Ständige Impfkommission empfiehlt daher für die nach 1970 Geborenen die Impfung nachzuholen, wenn im Impfpass keine oder nur eine Masernimpfung aus der Kindheit vermerkt ist oder der Impfstatus unklar ist. Wie besseres Impf-Management gehen kann, verrät Wieler ebenfalls. „Fachübergreifendes ImpfenImpfen Eine Impfung hilft, vor schwer verlaufenden Infektionskrankheiten zu schützen. Durch abgeschwächte Erreger, durch Bruchteile von Erregern oder seit Neuestem mit mRNA-Stücken von Erregern wird bei einer aktiven Schutzimpfung das Immunsystem über die gezeigten Antigene spezifisch aktiviert. Dem Körper wird durch eine Impfung vorgegaukelt mit einem echten Erreger infiziert zu sein. Dadurch wird die gesamte Immunsystem-Kaskade in Gang gesetzt, inklusive der Bildung spezifischer Gedächtniszellen. Ist der Organismus später dem tatsächlichen Erreger ausgesetzt, kann er schnell, effizient und spezifisch reagieren ohne schwere Komplikationen zu entwickeln. Eine generelle Impfpflicht gibt es in hierzulande nicht. Die Ausnahme bildet die Masernimpfung: Seit 2020 muss bei Eintritt in eine Kindertagesstätte oder Schule ein Masern-Impfnachweis erbracht werden. Die STIKO gibt für Deutschland Impfempfehlungen heraus, an denen sich orientiert werden kann. sollte unabhängig von Bundesland und Krankenkasse Normalität sein, Betriebsärzten das Impfen erleichtert werden und auch automatisierte Impferinnerungen sollten Standard sein. Wenn dann noch niedrigschwellig Impfungen aktiv angeboten werden, bin ich überzeugt davon, dass die Impfquoten steigen.“ Ein Mitarbeiter Wielers hatte sich im April ebenfalls gegen die Impfpflicht-Pläne ausgesprochen, die Spahn und der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach verfolgen. „Ich finde, bevor wir eine Impfpflicht einführen, sollten wir erst einmal versuchen, andere Sachen zu optimieren bei uns“, sagte der Leiter der Impfprävention am RKI, Ole Wichmann, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk.

Impfpflicht nur als letzter Weg vertretbar

Ulrich Heininger etwa, Mitglied der Ständigen ImpfkommissionImpfkommission Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut berät und empfiehlt mit Hilfe eines unabhängigen Expert*innengremiums welche Impfungen wann sinnvoll sind. Ihre Empfehlungen haben weitreichende Konsequenzen. Aus diesem Grund folgt die STIKO der systematischen Methodik der Evidenzbasierten Medizin (EbM) und bewertet das Nutzen-Risiko-Verhältnis jeder Impfung. Sie gibt Impfkalender heraus und informiert über Impfabstände. Die STIKO beantwortet in ihrem Internet-Auftritt Fragen von Bürgern und Ärzten rund um das Thema »Impfen« und möchte so eine breite Öffentlichkeit umfangreich informieren. Eingerichtet wurde sie bereits im Jahre 1972, seit 2001 ist die STIKO zudem gesetzlich über das Infektionsschutzgesetz verankert. Seit 2007 entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf Grundlage der STIKO-Empfehlungen, ob eine Impfung zur Pflichtleistung der Gesetzlichen Krankenkassen wird. Seit Ende 2015 existiert zudem eine Ständige Impfkommission Veterinärmedizin (StIKo Vet) am Friedrich-Loeffler-Institut, welche den Einsatz von Impfstoffen in der Tiermedizin bewertet. (StikoStiko Die STIKO - Ständige Impfkommission - am Robert-Koch-Institut berät und empfiehlt mit Hilfe eines unabhängigen Expert*innengremiums welche Impfungen wann sinnvoll sind. Ihre Empfehlungen haben weitreichende Konsequenzen. Aus diesem Grund folgt die ständige Impfkommission der systematischen Methodik der Evidenzbasierten Medizin (EbM) und bewertet das Nutzen-Risiko-Verhältnis jeder Impfung. Sie gibt Impfkalender heraus und informiert über Impfabstände. Die STIKO beantwortet in ihrem Internet-Auftritt Fragen von Bürgern und Ärzten rund um das Thema »Impfen« und möchte so eine breite Öffentlichkeit umfangreich informieren. Eingerichtet wurde sie bereits im Jahre 1972, seit 2001 ist die ständige Impfkommission zudem gesetzlich über das Infektionsschutzgesetz verankert. Seit 2007 entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf Grundlage der STIKO-Empfehlungen, ob eine Impfung zur Pflichtleistung der Gesetzlichen Krankenkassen wird. Seit Ende 2015 existiert zudem eine Ständige Impfkommission Veterinärmedizin (StIKo Vet) am Friedrich-Loeffler-Institut, welche den Einsatz von Impfstoffen in der Tiermedizin bewertet.), spricht sich für die Impfpflicht aus: Mit ihrer Einführung würde Impfen zur Normalität werden. Impflücken beruhten außerdem häufiger auf Gleichgültigkeit und Unwissenheit, als dass sie aktiv abgelehnt werden. Durch eine Impfpflicht würden weniger Impfungen „vergessen“. Allerdings sieht Heininger eine Pflicht zu Impfen nicht nur für Masern, sondern gleich für alle von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen geboten. Deutlich anders sieht es Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU): Natürlich gebe es gute ethische Gründe, die Bemühungen zur Erhöhung der Masern-Impfquote weiter zu intensivieren, sagt er. Durch eine hohe Durchimpfungsrate seien eben nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch Dritte geschützt, die selbst keine ausreichende Immunität aufbauen können. „Eine gesetzliche Impfpflicht ist jedoch erst dann ethisch vertretbar, wenn alle anderen möglichen Interventionen wie Informationskampagnen, Erinnerungssysteme, gezielte Nachimpfung und weitere versagt haben.“ Erfahrungen anderer Länder, insbesondere Skandinaviens, würden zudem belegen, dass auch ohne eine gesetzliche Impfpflicht ausreichend hohe Impfquoten für die Eliminierung der Masern erreicht werden können. „Eine gesetzliche Impflicht erscheint deshalb in Deutschland aktuell nicht gerechtfertigt, zumal mit einer Gegenbewegung der ImpfgegnerImpfgegner Eine Impfgegnerin oder ein Impfgegner ist eine Person, die Impfungen ablehnt, oder sie zumindest verzögert wahrnimmt, trotz guter Verfügbarkeit eines Impfangebotes. Diese Haltung beruht wohl auf einem mangelnden Bewusstsein gegenüber dem Gefahrenpotential einer Infektionskrankheit wie Masern, Polio und Co., da diese Krankheiten samt ihren negativen Folgen aktuell aufgrund jahrelanger konsequenter Impfungen in der Bevölkerung nicht mehr wahrnehmbar sind. Weitere Gründe sind sowohl mangelnde Information sowie eine mangelnde Informationsbereitschaft als auch bewusst falsch gesetzte Fehlinformationen über Impfungen und mögliche Impfreaktionen. So lauten oft aufgeführte Argumente: »Impfungen helfen nicht, da auch Geimpfte erkranken.«, »Impfungen sind schädlich und können Krankheiten wie Autismus auslösen.« sowie »Es ist besser, der Körper setzt sich auf natürliche Weise mit dem Erreger auseinander.« All diese Argumente sind falsch. Im extremsten Fall leugnen Impfgegner*innen sogar das Viren Krankheiten auslösen oder gar die Existenz von Viren an sich. zu rechnen ist und die Durchsetzung der Impfpflicht viele noch offene Fragen aufwirft“, erklärt Marckmann. Zwei Prozent der Menschen in Deutschland lehnen Impfungen generell ab, berichtet Ethiker Marckmann. 13 Prozent stehen der Impfungen kritisch gegenüber. Gründe seien vor allem die Angst vor Nebenwirkungen oder die Überzeugung, dass es besser ist, Krankheiten selbst durchzumachen. „Diese impfkritischen Personen sind nicht durch eine gesetzliche Impflicht zu überzeugen, sondern nur durch proaktive Information und Aufklärung.“ Im Gegenteil: Eine gesetzliche Impflicht könnte das Vertrauen in die anderen empfohlenen Impfungen weiter unterminieren, argumentiert er.

Kommt die Masern-Impfpflicht jetzt?

Es scheint derzeit relativ sicher, dass das Gesetz zur Impfpflicht bei Masern noch in diesem Jahr vom Bundestag beschlossen wird. Am Mittwoch hat laut Informationen der Deutschen Presseagentur auch Angela Merkel ihre Zustimmung signalisiert. Wer sich impfen lasse, könne Zivilisationskrankheiten vermeiden erklärte die Kanzlerin bei einem Kongress der Union zu Gesundheitsfragen in Berlin. SPD-Chefin Andrea Nahles und SPD-Vize Lauterbach hatten ihre Zustimmung bereits vor einigen Tagen erklärt. Auch die Grünen haben ihre abwehrende Haltung teils aufgegeben, wie die Partei nach einer Debatte am Dienstag bekannt gab.Die Partei will die Masern-Impfung nun zur verbindlichen Bedingung für die Aufnahme von Kindern in Kitas machen, heißt es in einem Antrag, der MedWatch vorliegt. Zudem muss jeder, der in Betreuungseinrichtungen für Kinder, Schulen oder Pflegeeinrichtungen arbeitet „so schnell wie möglich einen ausreichenden Impfschutz“ nachweisen. Um die Impfquoten bei Erwachsenen für Masern und anderen empfohlenen Impfungen zu erhöhen, soll ein „Einladungswesen“ durch niedergelassene Ärzte etabliert werden. Kritik am Gesundheitsminister gibt es dennoch.  Spahn habe etwa „überhaupt keine Antworten“ auf die unzureichende Impfquote bei Erwachsenen, erklärte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gegenüber der Deutschen Presseagentur. Die Grünen rücken zudem den Nationalen Impfplan 2015-2020 wieder in den Blick. Sie fragen die Bundesregierung in ihrem Antrag, welche Maßnahmen, die seinerzeit durch Spahns Vorgänger Hermann Gröhe ähnlich tösend verkündet wurden, bisher bereits umgesetzt sind. Impfkritiker haben derweil eine Petition erstellt – und bereits fast 100.000 Stimmen gegen die Einführung einer Impfpflicht gesammelt. Fotos: Screenshots 

Im September haben sich die Menschen hinter der Twitter-Initiative in Mainz zu einem eigenen Verein zusammengeschlossen. Wir haben mit einigen der Aktiven aus dem Vereinsvorstand gesprochen:

Katharina Bröhl: Ärztin aus Berlin, steht kurz vor der Prüfung zur Fachärztin für Innere Medizin.

Bettina Frank: Vertritt die Patientensicht im „Twankenhaus“. Sie ist Migräne-Patientin und Gründerin des Migräne-Selbsthilfe-Netzwerks Headbook. Sie ist für Social Media zuständig.

Jochen Stather: Rettungssanitäter und zusätzlich Operationsassistent bei niedergelassenen Orthopäden.

Kathrin Hüster: Seit 18 Jahren Krankenschwester, davon sieben auf Intensivstationen. Sie legt Wert auf Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Ärzten, Pflegern und Patienten.

Christian Lübbers: Hals-Nasen-Ohrenarzt aus München und Sprecher des Informationsnetzwerks HomöopathieHomöopathie Der deutsche Arzt Samuel Hahnemann postulierte gegen Ende des 18. Jh.s: »Ähnliches heilt Ähnliches«. So leitet sich das Wort Homöopathie von Homoion (für ähnlich) und Pathos (für Leiden) ab. Hahnemann verfolgte die Theorie, dass der Auslöser einer Krankheit oder der Auslöser für bestimmte Symptome auch zu deren Therapie genutzt werden kann. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Chinarinde, mit der früher Malaria behandelt wurde. Die Einnahme dieser löste in einem Selbstversuch Hahnemanns Symptome einer Malaria aus. Damit sah er seine Theorie bestätigt. Die Homöopathie ist heute eine eigenständige Therapieform in der Alternativmedizin. Häufig werden für Globuli und Tinkturen die eingesetzten Substanzen zur Behandlung so stark verdünnt, dass in ihnen kein Wirkstoff mehr vorhanden ist. Für die Wirkung der Verdünnungen (Potenzen) wird ein Gedächtnis des Lösungsmittels, z.B. Wasser, angenommen. Für solch ein Gedächtnis von Wasser oder für eine generelle Wirkweise der Homöopathie über den Effekt eines Placebos hinaus gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege; trotz mehr als 200 hochwertiger Studien dazu..

MedWatch: Was will das „Twankenhaus“?

Christian Lübbers: Der Ansatz ist weit gefasst: Wie gelingt es, die Medizin besser zu machen? Wie können Ärzte und Therapeuten wieder mehr Zeit für ihre Patienten haben, ohne im Hamsterrad der budgetierten Medizin zu Dumpingpreisen gefangen zu sein? Mein persönliches Anliegen ist es, die Medizin ehrlicher, ethischer und vor allem menschlicher zu machen, damit weniger Patienten Gefahr laufen, in die Falle der Pseudomedizin zu tappen. Unsere große Stärke ist der direkte Einblick von Beschäftigten. Im Gegensatz zu vielen Standespolitikern wissen wir wirklich, worüber wir reden.

MedWatch: Im Gesundheitssystem ist vieles verbesserungsbedürftig. Durch den Austausch im „Twankenhaus“ über alle Fachbereiche hinaus: Was würden Sie als wichtige gemeinsame Baustellen bezeichnen?

Katharina Bröhl: Finanzierung und Budgetierung (Anmerkung der Red.: Betriebswirtschaftliche Planungsprozesse, Ziel ist die Erstellung eines Budgets, welches die geplante Zukunft eines Unternehmens in Form von Zahlen abbildet) lähmt uns alle und macht uns unglaublich große Schwierigkeiten. Dies ist zum Nachteil für die Patienten, zum Nachteil für die Pflege, den Rettungsdienst, die Ärzte und die anderen therapeutischen Berufe.

MedWatch: Was ist genau das Problem daran?

Jochen Stather: Längst ist es so, dass die Finanzierung des Gesundheitswesens die medizinische Versorgung steuert, die wir alle erhalten: Die Medizin ist nicht primär daran ausgerichtet, was sinnvoll ist, sondern daran, ob und wo eine medizinische Leistung vergütet wird. Dabei müsste es doch umgekehrt sein – erst die Entscheidung über Notwendigkeit und Nutzen und dann Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots.

Und die Bürger machen sich überhaupt nicht klar, wie sehr die Medizin längst den Regeln des Marktes unterworfen ist.

„Als Arzt erlebe ich seit sechs Jahren, dass Jim HumbleJim Humble Jim Humble, Gründer der Sekte »Genesis II, Church of Health & Healing« (zu deutsch: Zweite Schöpfung, Kirche für Gesundheit und Heilung) war zuvor jahrelanges Scientology-Mitglied. Humble bezeichnet sich selbst als Erzbischof. Auf ihn geht die Bezeichnung MMS – Miracle Mineral Supplement – zurück, welches so ziemlich alle Krankheiten heilen soll. MMS ist Chlordioxid in wässriger Lösung. Normalerweise findet es Verwendung als Bleichmittel für Zellstoff (z.B. Papier) oder auch in der Desinfektion von Trinkwasser. und seine Methode toll ist“, erklärte der Thüringer Allgemeinmediziner Lutz R. vor drei Jahren. Dabei bezog er sich auf ein vermeintliches Wundermittel, das der Amerikaner und Ex-Scientologe Jim Humble unter dem Namen „Miracle Mineral SupplementMiracle Mineral Supplement Miracle Mineral Supplement – MMS bezeichnet eine Chlordioxid-Lösung, auch CDL genannt. Der Begriff geht auf Jim Humble zurück, welcher ein ehemaliges und langjähriges Scientology-Mitglied war und 2010 eine weitere Sekte gründete (Genesis II, Church of Health & Healing). Chlordioxid, ClO2, ist bei Raumtemperatur ein bernsteinfarbenes Gas, welches bei einer Konzentration von über 10% in der Luft explosiv ist. Deshalb wird es zumeist in wässriger, nicht explosiver, Lösung angeboten (MMS / CDL). Chlordioxid besitzt eine oxidative Wirkung, so dient es z.B. als Bleichmittel von Zellstoff (z.B. Papier) oder auch der Desinfektion von Trinkwasser. Auf vielen Foren wird das Miracle Mineral Supplement als Allheilmittel – auch gegen Corona – beschrieben, oft mit verehrenden gesundheitlichen Folgen. Die Anrufe beim Giftnotruf häufen sich und auch die Gabe von CDL / MMS an kleine Kinder wird propagiert. Für die angepriesene Heilung der verschiedensten Krankheiten gibt es aktuell keine wissenschaftliche Grundlage.“ seit langem zur Behandlung praktisch aller Krankheiten empfiehlt. Seit gut zehn Jahren wird es auch in Deutschland beworben, obwohl die zuständigen Bundesoberbehörden seit einigen Jahren vor dem Bleich- und Desinfektionsmittel deutlich warnen: Es handelt sich hierbei um ätzendes ChlordioxidChlordioxid Chlordioxid, ClO2, ist bei Raumtemperatur ein bernsteinfarbenes Gas, welches bei einer Konzentration von über 10% in der Luft explosiv ist. Deshalb wird es zumeist in wässriger, nicht explosiver, Lösung angeboten (CDL). Chlordioxid besitzt eine oxidative Wirkung, so dient es z.B. als Bleichmittel von Zellstoff (z.B. Papier) oder auch der Desinfektion von Trinkwasser. Auf vielen Foren wird es als Allheilmittel – auch gegen Corona – beschrieben, oft mit verehrenden gesundheitlichen Folgen. Die Anrufe beim Giftnotruf häufen sich und auch die Gabe von CDL (oder MMS) an kleine Kinder wird propagiert. Für die angepriesene Heilung der verschiedensten Krankheiten gibt es aktuell keine wissenschaftliche Grundlage.. „Ob die 90-jährige Oma von heute auf morgen ihre Grippe weghat“, ein Bodybuilder eine „schwerste Lungenentzündung“ mit 15 Tropfen kuriert, oder eine Mutter mit ihrem autistischen Kind zu ihm kommt: R. prahlte 2015 mit seinen Erfahrungen mit MMSMMS MMS ist die Kurzform für Miracle Mineral Supplement. Damit wird eine Chlordioxid-Lösung, auch CDL genannt, bezeichnet. Der Begriff geht auf Jim Humble zurück, welcher ein ehemaliges und langjähriges Scientology-Mitglied war und 2010 eine weitere Sekte gründete (Genesis II, Church of Health & Healing). Chlordioxid, ClO2, ist bei Raumtemperatur ein bernsteinfarbenes Gas, welches bei einer Konzentration von über 10% in der Luft explosiv ist. Deshalb wird es zumeist in wässriger, nicht explosiver, Lösung angeboten (MMS / CDL). Chlordioxid besitzt eine oxidative Wirkung, so dient es z.B. als Bleichmittel von Zellstoff (z.B. Papier) oder auch der Desinfektion von Trinkwasser. Auf vielen Foren wird es als Allheilmittel – auch gegen Corona – beschrieben, oft mit verehrenden gesundheitlichen Folgen. Die Anrufe beim Giftnotruf häufen sich und auch die Gabe von CDL / MMS an kleine Kinder wird propagiert. Für die angepriesene Heilung der verschiedensten Krankheiten gibt es aktuell keine wissenschaftliche Grundlage., zu sehen ist das Video weiterhin bei Youtube. „Fang damit an“, habe er der Mutter gesagt. Das Kind habe später zum ersten Mal eine Stunde spielen können, behauptet R. – „das war nach sechs acht Wochen Einläufen mit diesem Zaubermittel“. Mediziner sprechen bei derartigen Fällen von Kindesmisshandlung.

Recherchen belegen: R. hatte kürzlich noch MMS vorrätig

Wie eine versteckte Recherche des ARD-Magazins „Kontraste“ und MedWatch ergab, empfahl der Thüringer Allgemeinmediziner auch vor wenigen Wochen noch MMS – und verkaufte es sogar direkt an Patienten. Dabei wurde Ende letzten Jahres ein Verkäufer von MMS-Präparaten vom Landgericht Hildesheim in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Auf Nachfrage einer Testpatientin – die mir ihrem Sohn zu R. ging, da der Junge an AutismusAutismus Autismus ist ein Sammelbegriff, der verschiedene Entwicklungsstörungen benennt: die sog. Autismus-Spektrum-Störungen. Dabei handelt es sich um tiefgreifende neurologische Entwicklungsstörungen, die das soziale Leben erschweren, zu Problemen mit sozialen Kontakten führen, und auch Einfluss auf die Kommunikation und Sprache haben. Sie wirken sich ebenso auf das Verhaltensrepertoire aus uns führen zu stereotypen Handlungen. Autismus äußert sich in Art, Ausprägung und Schwere sehr individuell. Manche entwickeln nur leichte Symptome, andere sind schwer beeinträchtigt. Es gibt z.B. den frühkindlichen Autismus, das Asperger-Syndrom und den atypischen Autismus. Es kann zu Intelligenzminderung oder zu Inselbegabungen (Savant-Syndrom) kommen. leide – bestätigte der Arzt, dass das Mittel geeignet sei. „Sie werden MMS-Patienten, sie werden nämlich Einläufe machen“, sagte er zu ihr, und verwies auf Erfahrungen mit einem anderen jungen Patienten. „Er ist dadurch kindergartenfähig geworden“, sagte R. Später ging er in einen Nebenraum, wo er MMS griffbereit hatte und es der Mutter verkaufte. R. bestritt auf Nachfrage von MedWatch, MMS empfohlen zu haben. „Ich behandle niemanden mit Chlordioxid-Lösung“, schrieb er. „Ausführungen über die Chlordioxid-Anwendung bei einem autistischen Kind waren private Erfahrungen.“ Auch seine Ehefrau äußerte sich gegenüber „Kontraste“: „Solange wir hier als Kassenarzt tätig sind, würde es uns nie einfallen, irgendwelche Substanzen anzuwenden, die jetzt nicht offiziell erlaubt sind“, sagte sie.

Darf R. weiter praktizieren?

„Wenn solche Verhaltensweisen bekannt werden, gehört für mich bei Ärzten die ApprobationApprobation Die Approbation (lateinisch approbatio ‚Anerkennung‘, ‚Genehmigung‘) entspricht der Genehmigung zur eigenverantwortlichen Berufsausübung entsprechend der jeweiligen Approbationsordnung. Wichtige Voraussetzungen für eine Approbation ist ein erfolgreich abgeschlossenes Studium, auch ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis gehört dazu, ebenso gesundheitliche Eignung und ausreichende Sprachkenntnisse. Weitere Voraussetzungen für die Berufserlaubnis variieren und unterscheiden sich je nach Heilberuf. Approbationen werden für die Bereiche Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeut, Apotheker oder Tierarzt erteilt. Die dazugehörigen Approbationsordnungen erlässt das Bundesministerium für Gesundheit. entzogen“, erklärt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, gegenüber MedWatch. „Es ist unglaublich. Sowas muss Konsequenzen haben“, sagt die Abgeordnete, die früher selber als Hausärztin tätig war. Auf Nachfrage von MedWatch erklärt die Staatsanwaltschaft Erfurt, dass sie prüft, ob ein Anfangsverdacht für strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt (Az. 630 AR 356/18). Eine Nachfrage, ob eine Razzia vorgenommen wurde, ließ der Sprecher offen. „Auf Grund der arzneimittelrechtlichen Bestimmungen sind nicht zugelassene ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. grundsätzlich nicht verkehrsfähig“, erklärt ein Sprecher des Thüringer Gesundheitsministeriums. Bisher habe es keine Erkenntnisse über unzulässiges Inverkehrbringen von MMS in Thüringen gegeben – auch nicht dazu, dass Ärzte oder HeilpraktikerHeilpraktiker Heilpraktiker*in ist ein Medizinberuf, der auf dem deutschen Heilpraktikergesetz (HPG) beruht. Es handelt sich um einen sogenannten freien Beruf, dem keine einheitliche Ausbildung zugrunde liegt. Weder eine medizinische Ausbildung noch eine berufsqualifizierende Fachprüfung sind dafür erforderlich. Folgende Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsfelder sind jedoch ausgeschlossen: Geburtshilfe, Geschlechtskrankheiten, meldepflichtige übertragbare Krankheiten, die Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die Verordnung von Betäubungsmitteln. In Österreich ist der Beruf verboten. MMS anwenden. Doch seien „die Ergebnisse der Medienberichterstattung“ an das zuständige Landesamt für VerbraucherschutzVerbraucherschutz Verbraucherschutz ist deutschland- und europaweit ein breit gefächertes Gebiet. So gibt es ein Amt für Verbraucherschutz, ein Bundesinstitut für Risikobewertung, die EFSA – die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – und eine Health-Claims-Verordnung. In Deutschland existieren 16 Verbraucherzentralen und weitere verbraucherpolitische Organisationen, die in einem gemeinsamen Bundesverband gebündelt sind. Verbraucherschutz beinhält Rechtsvorschriften und Verbraucherrechte die z.B. Bereiche wie Lebensmittelsicherheit, Kaufverträge und Verträge mit Banken und Geldinstituten berücksichtigen. weitergegeben worden, um die Vorwürfe zu überprüfen. „Außerdem wurden die LandesärztekammerLandesärztekammer Die 17 deutschen Landesärztekammern dienen der Selbstverwaltung der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Für jeden Arzt und jede Ärztin besteht eine Pflichtmitgliedschaft in ihrer oder seiner jeweiligen Ärztekammer. Welche Kammer zuständig ist, hängt davon ab, in welchem Bundesland er oder sie seine ärztliche Tätigkeit ausübt. Die Aufgaben der einzelnen Landesärztekammern sind durch die jeweiligen Kammergesetze des Landes geregelt. Dazu gehören Aufgabenbereiche aus der Berufs- und Gesundheitspolitik, ärztliche Weiter- und Fortbildung und Qualitätssicherung. Die einzelnen Landesärztekammern haben die Bundesärztekammer als Spitzenorganisation. Thüringen und die Thüringer Approbationsbehörde über die Medienberichte zur Berufsausübung von Dr. R. [von der Redaktion gekürzt] informiert und um Prüfung hinsichtlich der Berufsausübung und der Approbation gebeten.“ Auch sei das für Kinder- und Jugendschutz zuständige Ministerium informiert worden.

Berufsrechtliche Überprüfung der Ärztekammer

Der Landesärztekammer Thüringen seien die früheren Äußerungen R.s noch nicht bekannt gewesen, erklärt ein Sprecher – doch nun werde die Kammer „die notwendigen Schritte zur berufsrechtlichen Überprüfung einleiten“. Daneben informiere sie die Staatsanwaltschaft, das Landesverwaltungsamt in Weimar als zuständige Approbationsbehörde und die Kassenärztliche Vereinigung. Die BundesärztekammerBundesärztekammer Die Bundesärztekammer (BÄK) vereint die 17 deutschen Ärztekammern unter sich. Sie vertritt die berufspolitischen Interessen aller Ärzt*innen in Deutschland und vermittelt den Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Ärztekammern. Ihr Ziel ist es unter anderem möglichst einheitliche Regeln zur Berufsordnung von Ärzten und Arztinnen herbeizuführen. Sie pflegt Kontakte zur Bundesregierung, zum Bundesrat sowie zu den politischen Parteien. verwies auf Nachfrage auf die Überprüfung der Landesärztekammer – und auf die Bundesärzteordnung, welche die Erteilung und den Widerruf von Approbationen regelt. Nach dieser ist die Approbation zu widerrufen, wenn Ärzte sich eines Verhaltens schuldig machen, aus dem sich ihre Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Doch erfahrungsgemäß ziehen sich derartige Verfahren über Monate oder gar Jahre hin.

Bröhl: Die Einführung der DRGs (Anmerkung der Redaktion: abgekürzt „Diagnosis Related Groups“, deutsch: diagnosebezogene Fallgruppen) in den Krankenhäusern war ja gut gedacht, um Kosten und die exorbitanten Liegezeiten einzugrenzen. Doch es ist nach hinten los gegangen und hat die Türe für die Kommerzialisierung der Medizin geöffnet. Zudem stehen hinter vielen Krankenhäusern und auch zunehmend Praxen Investoren, die Gewinne abschöpfen wollen. Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser Profit erwirtschaften müssen und dass das Geld, das vorhanden ist, oft in völlig falsche Bereiche gesteckt wird – nämlich in die, die besonders lukrativ sind, das heißt in die interventionelle oder operative Medizin. Alles das führt zur Unterfinanzierung und letztlich auch Unterversorgung in der konservativen Medizin, zum Beispiel in Kinderklinken, in einer guten Behandlung von alten oder psychisch kranken Menschen – das ist nämlich selten profitabel. Aber so funktioniert Medizin nicht.

Dazu kommt eine ausufernde Bürokratisierung in der Medizin. Die Pflegekräfte sind meist damit beschäftigt, irgendwelche Sachen zu dokumentieren, damit etwas abgerechnet werden kann, statt wirklich Pflege am Menschen zu leisten.

Kathrin Hüster: Ich warte noch auf den Tag, an dem ich dokumentieren muss, dass ich auf die Toilette gegangen bin. Ich dokumentiere auf Papier, im PC und noch mal extra etwas für die Geschäftsführung. Bei acht Stunden Pflege heute gehen gern bis zu vier Stunden für Dokumentation drauf. Gute Pflege wird durch die Kassen nicht refinanziert.

MedWatch: Betrifft das nur die Situation in der Klinik?

Bröhl: Auch die niedergelassenen Kollegen werden mit drohender Regressforderungen und überbordender Bürokratie sowie immer neuen Regularien von der Arbeit am Patienten abgehalten. Der Ansatz, Pauschalisierungen einzuführen, war vielleicht nicht falsch, aber das Prinzip ist gescheitert, und darunter leiden wir alle. Geld wird ja leider immer noch wenig genutzt, um zum Beispiel mehr Pflegekräfte einzustellen, neue Personaloffensiven scheitern an schlechter Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen – die sind auch in den anderen Berufsgruppen seit Jahren immer schlechter geworden. Der Fachkräftemangel ist exorbitant in allen Bereichen. Das sind alles Probleme, die in der Politik und auch in der breiten Öffentlichkeit zu wenig diskutiert werden. Es wird auch mit den falschen Leuten gesprochen. Warum hat die Politik externe Berater, anstatt einmal mit den Leuten zu sprechen, die in den Berufen arbeiten und mit den Patienten zu tun haben?

Hüster: Als ich meine Ausbildungen gemacht habe, gab es noch keine DRGs, da war die Krankenhauswelt noch anders. Das heißt: Ich kenne noch Frühdienste mit neun Kollegen, heute unvorstellbar. Dann kamen die DRGs, das hatte man sich in Australien abgeschaut – und dort sind die längst wieder abgeschafft. Mit den FallpauschalenFallpauschalen Über die Fallpauschale werden seit 2004 voll- und teilstationäre Leistungen ermittelt und berechnet. Für den Krankenhausbereich gibt es somit eine eigene Regelung, die sich von den Abrechnungen in Arztpraxen unterscheidet, da bei der stationären Behandlung für Privat- und Kassenpatienten gleiche Entgelte zugrunde gelegt werden. Kritiker bemängeln, dass das Fallpauschalen-System zu einer Verschiebung weg von Allgemeinkrankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft hin zu Privatkliniken führt. Grundlagen für die Fallpauschalen-Berechnung bilden die Klassifizierungssysteme ICD-10 (International Classification of Diseases) und OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel). wird ja die komplette Behandlung weitgehend unabhängig vom Pflegebedarf im Einzelfall bezahlt.

„Als Arzt erlebe ich seit sechs Jahren, dass Jim Humble und seine Methode toll ist“, erklärte der Thüringer Allgemeinmediziner Lutz R. vor drei Jahren. Dabei bezog er sich auf ein vermeintliches Wundermittel, das der Amerikaner und Ex-Scientologe Jim Humble unter dem Namen „Miracle Mineral Supplement“ seit langem zur Behandlung praktisch aller Krankheiten empfiehlt. Seit gut zehn Jahren wird es auch in Deutschland beworben, obwohl die zuständigen Bundesoberbehörden seit einigen Jahren vor dem Bleich- und Desinfektionsmittel deutlich warnen: Es handelt sich hierbei um ätzendes Chlordioxid. „Ob die 90-jährige Oma von heute auf morgen ihre Grippe weghat“, ein Bodybuilder eine „schwerste Lungenentzündung“ mit 15 Tropfen kuriert, oder eine Mutter mit ihrem autistischen Kind zu ihm kommt: R. prahlte 2015 mit seinen Erfahrungen mit MMS, zu sehen ist das Video weiterhin bei Youtube. „Fang damit an“, habe er der Mutter gesagt. Das Kind habe später zum ersten Mal eine Stunde spielen können, behauptet R. – „das war nach sechs acht Wochen Einläufen mit diesem Zaubermittel“. Mediziner sprechen bei derartigen Fällen von Kindesmisshandlung.

Recherchen belegen: R. hatte kürzlich noch MMS vorrätig

Wie eine versteckte Recherche des ARD-Magazins „Kontraste“ und MedWatch ergab, empfahl der Thüringer Allgemeinmediziner auch vor wenigen Wochen noch MMS – und verkaufte es sogar direkt an Patienten. Dabei wurde Ende letzten Jahres ein Verkäufer von MMS-Präparaten vom Landgericht Hildesheim in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Auf Nachfrage einer Testpatientin – die mir ihrem Sohn zu R. ging, da der Junge an Autismus leide – bestätigte der Arzt, dass das Mittel geeignet sei. „Sie werden MMS-Patienten, sie werden nämlich Einläufe machen“, sagte er zu ihr, und verwies auf Erfahrungen mit einem anderen jungen Patienten. „Er ist dadurch kindergartenfähig geworden“, sagte R. Später ging er in einen Nebenraum, wo er MMS griffbereit hatte und es der Mutter verkaufte. R. bestritt auf Nachfrage von MedWatch, MMS empfohlen zu haben. „Ich behandle niemanden mit Chlordioxid-Lösung“, schrieb er. „Ausführungen über die Chlordioxid-Anwendung bei einem autistischen Kind waren private Erfahrungen.“ Auch seine Ehefrau äußerte sich gegenüber „Kontraste“: „Solange wir hier als Kassenarzt tätig sind, würde es uns nie einfallen, irgendwelche Substanzen anzuwenden, die jetzt nicht offiziell erlaubt sind“, sagte sie.

Darf R. weiter praktizieren?

„Wenn solche Verhaltensweisen bekannt werden, gehört für mich bei Ärzten die Approbation entzogen“, erklärt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, gegenüber MedWatch. „Es ist unglaublich. Sowas muss Konsequenzen haben“, sagt die Abgeordnete, die früher selber als Hausärztin tätig war. Auf Nachfrage von MedWatch erklärt die Staatsanwaltschaft Erfurt, dass sie prüft, ob ein Anfangsverdacht für strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt (Az. 630 AR 356/18). Eine Nachfrage, ob eine Razzia vorgenommen wurde, ließ der Sprecher offen. „Auf Grund der arzneimittelrechtlichen Bestimmungen sind nicht zugelassene Arzneimittel grundsätzlich nicht verkehrsfähig“, erklärt ein Sprecher des Thüringer Gesundheitsministeriums. Bisher habe es keine Erkenntnisse über unzulässiges Inverkehrbringen von MMS in Thüringen gegeben – auch nicht dazu, dass Ärzte oder Heilpraktiker MMS anwenden. Doch seien „die Ergebnisse der Medienberichterstattung“ an das zuständige Landesamt für Verbraucherschutz weitergegeben worden, um die Vorwürfe zu überprüfen. „Außerdem wurden die Landesärztekammer Thüringen und die Thüringer Approbationsbehörde über die Medienberichte zur Berufsausübung von Dr. R. [von der Redaktion gekürzt] informiert und um Prüfung hinsichtlich der Berufsausübung und der Approbation gebeten.“ Auch sei das für Kinder- und Jugendschutz zuständige Ministerium informiert worden.

Berufsrechtliche Überprüfung der Ärztekammer

Der Landesärztekammer Thüringen seien die früheren Äußerungen R.s noch nicht bekannt gewesen, erklärt ein Sprecher – doch nun werde die Kammer „die notwendigen Schritte zur berufsrechtlichen Überprüfung einleiten“. Daneben informiere sie die Staatsanwaltschaft, das Landesverwaltungsamt in Weimar als zuständige Approbationsbehörde und die Kassenärztliche Vereinigung. Die Bundesärztekammer verwies auf Nachfrage auf die Überprüfung der Landesärztekammer – und auf die Bundesärzteordnung, welche die Erteilung und den Widerruf von Approbationen regelt. Nach dieser ist die Approbation zu widerrufen, wenn Ärzte sich eines Verhaltens schuldig machen, aus dem sich ihre Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Doch erfahrungsgemäß ziehen sich derartige Verfahren über Monate oder gar Jahre hin.

MedWatch: Was bedeutet das?

Hüster: Für uns, die wir Tag für Tag am Patienten arbeiten heißt das, dass der Aufwand unserer Arbeit nicht gegenfinanziert wird. Außer bei schwersten Pflegefällen, macht es keinen Unterschied, ob ein junger Mensch nach einer leichten Blinddarmentzündung behandelt werden muss oder ein sehr alter Patient mit vielen Begleiterkrankungen und einer nicht unerheblichen Hilfsbedürftigkeit operiert wurde. Das ist ein großes Problem. Im Endergebnis sehe ich heute jeden Tag überarbeitete Assistenzärzte, die völlig erschöpft sind, dazu viele überforderte Pflegekräfte.

MedWatch: Warum machen Ärzte und Pfleger das mit?

Hüster: Es kommt noch stark aus dem grundlegenden Aufopferungsgedanken in der Pflege – das wandelt sich gerade ein wenig. Viele lernen, konsequent Nein zu sagen. Dann gibt es auch den Druck durch die Arbeitgeber, die Gewinnmaximierung schwebt über allem. Geplant wird mit viel zu hohen Fallzahlen, viel zu vielen Patienten und viel zu wenig Personal. Das kommt zudem auch nicht nach. Unser Assistenzarzt betreut dann zum Beispiel die Intensivstation, die Intensivüberwachungspflege und nachts zusätzlich noch den OP. Das kann der nicht schaffen, selbst wenn ich als erfahrene Pflegekraft versuche, das aufzufangen. Dass ist nicht meine Aufgabe, von Haftungsfragen mal ganz abgesehen. Viele gehen völlig am Krückstock.

Ich habe viele Assistenzärzte gesehen, die mit dieser Situation nicht zurechtkommen. Ich sage ihnen dann, dass sie doch bitte mal zu Hause bleiben und sich ausschlafen sollen. Trotzdem kommen sie am nächsten Tag wieder. Wenn ich sehe, dass ein 28-Jähriger Assistenzarzt kurz vor dem Burnout steht, dann läuft definitiv etwas schief, das kann so nicht weiter gehen. Die Leidtragenden sind die Patienten.

Bettina Frank: Definitiv. Auch immer mehr Patienten merken, wie viel schiefläuft, etwa wenn sie beim niedergelassenen Arzt sind. Dieser kann sich ja kaum noch Zeit nehmen, etwa für eine Anamnese, er muss die Patienten schnell durchschleusen und kann sich oft nicht ausreichend um den Einzelnen kümmern. Aber er muss aus wirtschaftlichen Zwängen weitermachen. Der Patient soll bloß keine Zusatzfragen stellen. Die sprechende Medizin muss gestärkt werden, damit Patienten nicht abwandern in Pseudotherapien. Unter diesen Alternativen, die keine sind, verschlechtern sich Erkrankungen, chronifizieren und bedeuten Zusatzkosten für unser Gesundheitssystem.

MedWatch: Sind die DRGs das einzige Problem?

Lübbers: Nein. Der bereits genannte Personalmangel in vielen Bereichen ist eine große Belastung, die schwindende Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, Übertherapien oder das fehlende Bekenntnis zu evidenzbasierten Medizin und die zunehmende Zahl von Impfverweigerern stellen weitere gravierende Probleme dar.

MedWatch: Welche Forderungen und Vorschläge hat das „Twankenhaus“, hier etwas zu ändern?

Frank: Das Gesundheitssystem muss wieder den Patienten, den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Kliniken sollten zwar rentabel sein, aber keine Wirtschaftsunternehmen mehr. Auch sollten Ärzte nicht gezwungen sein, Patienten wie am Fließband abzufertigen, nur um die Praxis halten zu können. Termine beim Facharzt müssten wieder zeitnaher möglich sein, nicht selten bestehen Wartezeiten von einem halben Jahr und mehr.

Bröhl: Unser Themenspektrum ist breit gefächert: Bisher haben wir uns mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, der Situation im Rettungsdienst und den Zusammenhängen von Klimawandel und Gesundheit befasst. Andere wichtige Themen stehen an, wie einer besseren Aus- und Weiterbildung in den Gesundheitsberufen oder eine kluge und verantwortungsvolle Digitalisierung. Zudem befassen wir uns viel mit einer besseren Gesundheitsbildung. Unsere Forderungen entstehen gerade in der Diskussion. Wir stehen nicht mit Plakaten vor dem Bundesgesundheitsministerium, sondern wir überlegen, wie wir in einen zielführenden Diskurs gehen können. Es haben sich mittlerweile verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die Vorschläge erarbeiten.

„Als Arzt erlebe ich seit sechs Jahren, dass Jim Humble und seine Methode toll ist“, erklärte der Thüringer Allgemeinmediziner Lutz R. vor drei Jahren. Dabei bezog er sich auf ein vermeintliches Wundermittel, das der Amerikaner und Ex-Scientologe Jim Humble unter dem Namen „Miracle Mineral Supplement“ seit langem zur Behandlung praktisch aller Krankheiten empfiehlt. Seit gut zehn Jahren wird es auch in Deutschland beworben, obwohl die zuständigen Bundesoberbehörden seit einigen Jahren vor dem Bleich- und Desinfektionsmittel deutlich warnen: Es handelt sich hierbei um ätzendes Chlordioxid. „Ob die 90-jährige Oma von heute auf morgen ihre Grippe weghat“, ein Bodybuilder eine „schwerste Lungenentzündung“ mit 15 Tropfen kuriert, oder eine Mutter mit ihrem autistischen Kind zu ihm kommt: R. prahlte 2015 mit seinen Erfahrungen mit MMS, zu sehen ist das Video weiterhin bei Youtube. „Fang damit an“, habe er der Mutter gesagt. Das Kind habe später zum ersten Mal eine Stunde spielen können, behauptet R. – „das war nach sechs acht Wochen Einläufen mit diesem Zaubermittel“. Mediziner sprechen bei derartigen Fällen von Kindesmisshandlung.

Recherchen belegen: R. hatte kürzlich noch MMS vorrätig

Wie eine versteckte Recherche des ARD-Magazins „Kontraste“ und MedWatch ergab, empfahl der Thüringer Allgemeinmediziner auch vor wenigen Wochen noch MMS – und verkaufte es sogar direkt an Patienten. Dabei wurde Ende letzten Jahres ein Verkäufer von MMS-Präparaten vom Landgericht Hildesheim in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Auf Nachfrage einer Testpatientin – die mir ihrem Sohn zu R. ging, da der Junge an Autismus leide – bestätigte der Arzt, dass das Mittel geeignet sei. „Sie werden MMS-Patienten, sie werden nämlich Einläufe machen“, sagte er zu ihr, und verwies auf Erfahrungen mit einem anderen jungen Patienten. „Er ist dadurch kindergartenfähig geworden“, sagte R. Später ging er in einen Nebenraum, wo er MMS griffbereit hatte und es der Mutter verkaufte. R. bestritt auf Nachfrage von MedWatch, MMS empfohlen zu haben. „Ich behandle niemanden mit Chlordioxid-Lösung“, schrieb er. „Ausführungen über die Chlordioxid-Anwendung bei einem autistischen Kind waren private Erfahrungen.“ Auch seine Ehefrau äußerte sich gegenüber „Kontraste“: „Solange wir hier als Kassenarzt tätig sind, würde es uns nie einfallen, irgendwelche Substanzen anzuwenden, die jetzt nicht offiziell erlaubt sind“, sagte sie.

Darf R. weiter praktizieren?

„Wenn solche Verhaltensweisen bekannt werden, gehört für mich bei Ärzten die Approbation entzogen“, erklärt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, gegenüber MedWatch. „Es ist unglaublich. Sowas muss Konsequenzen haben“, sagt die Abgeordnete, die früher selber als Hausärztin tätig war. Auf Nachfrage von MedWatch erklärt die Staatsanwaltschaft Erfurt, dass sie prüft, ob ein Anfangsverdacht für strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt (Az. 630 AR 356/18). Eine Nachfrage, ob eine Razzia vorgenommen wurde, ließ der Sprecher offen. „Auf Grund der arzneimittelrechtlichen Bestimmungen sind nicht zugelassene Arzneimittel grundsätzlich nicht verkehrsfähig“, erklärt ein Sprecher des Thüringer Gesundheitsministeriums. Bisher habe es keine Erkenntnisse über unzulässiges Inverkehrbringen von MMS in Thüringen gegeben – auch nicht dazu, dass Ärzte oder Heilpraktiker MMS anwenden. Doch seien „die Ergebnisse der Medienberichterstattung“ an das zuständige Landesamt für Verbraucherschutz weitergegeben worden, um die Vorwürfe zu überprüfen. „Außerdem wurden die Landesärztekammer Thüringen und die Thüringer Approbationsbehörde über die Medienberichte zur Berufsausübung von Dr. R. [von der Redaktion gekürzt] informiert und um Prüfung hinsichtlich der Berufsausübung und der Approbation gebeten.“ Auch sei das für Kinder- und Jugendschutz zuständige Ministerium informiert worden.

Berufsrechtliche Überprüfung der Ärztekammer

Der Landesärztekammer Thüringen seien die früheren Äußerungen R.s noch nicht bekannt gewesen, erklärt ein Sprecher – doch nun werde die Kammer „die notwendigen Schritte zur berufsrechtlichen Überprüfung einleiten“. Daneben informiere sie die Staatsanwaltschaft, das Landesverwaltungsamt in Weimar als zuständige Approbationsbehörde und die Kassenärztliche Vereinigung. Die Bundesärztekammer verwies auf Nachfrage auf die Überprüfung der Landesärztekammer – und auf die Bundesärzteordnung, welche die Erteilung und den Widerruf von Approbationen regelt. Nach dieser ist die Approbation zu widerrufen, wenn Ärzte sich eines Verhaltens schuldig machen, aus dem sich ihre Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Doch erfahrungsgemäß ziehen sich derartige Verfahren über Monate oder gar Jahre hin.

Lübbers: Ein Ziel unseres Thinktanks ist schon bereits durch den Diskussionsprozess erreicht. Aber darauf aufbauend schreiben wir Positionspapiere in der Hoffnung, dass wir mit dem multiprofessionellen Ansatz unseres Diskurses auch treffendere und vor allem tragfähigere Lösungen für das gesamte Gesundheitssystem finden können.

MedWatch: Denken Sie, dass Sie mit Ihren Forderungen in absehbarer Zeit wirklich etwas erreichen können?

Lübbers: Natürlich sind wir Realisten und wissen, dass wir dieses große Gesundheitssystem nicht in wenigen Jahren umkrempeln können. Aber wir freuen uns, wenn die multiprofessionellen Perspektiven des „Twankenhaus“ frischen Wind in verfahrene Diskussionen bringen können.

Stather: Genau, wir wollen durch den Austausch zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen breit aufgestellte Lösungsansätze entwickeln, die Grundlage für eine echte Änderung im Gesundheitswesen darstellen können.