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Arzneimittel Bayer verweigert neue Warnhinweise: Das Zaudern der Behörden

Pflanze mit gelber Blüte
© JarkkoManty / Pixabay

Die Situation hat etwas Kafkaeskes: In der Schweiz finden Menschen, die zum Magenmittel IberogastIberogast Iberogast® ist ein pflanzliches Arzneimittel des Pharmaunternehmens Bayer gegen Magen-Darm-Beschwerden. Iberogast® Classic beinhält Schöllkraut, eine Pflanzenart aus der Familie der Mohngewächse. Bei hoher Dosierung und längerer Anwendungsdauer kann Schöllkraut die Leber schädigen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel forderte bereits 2008 den damaligen Hersteller auf, über das Leberrisiko dieses Präparates im Beipackzettel aufzuklären. Nach langem Ringen und einem Todesfall im Jahr 2018 nahm Bayer einen entsprechenden Warnhinweis in den Beipackzettel auf. Seit Ende 2020 bietet Bayer eine Schöllkrautfreie Variante an (Iberogast® Advance). greifen, auf der Packungsbeilage zusätzliche Warnhinweise, dass es durch Einnahme des schöllkrauthaltigen Produkts es in sehr seltenen Fällen zu schweren Leberschädigungen kommen kann. Die dortige Gesundheitsbehörde hat die Änderung des Beipackzettels verfügt – obwohl der Hersteller BayerBayer Bayer ist ein Chemie- und Pharmakonzern mit Sitz in Leverkusen. Bei den meisten Produkten, die das Unternehmen produziert, handelt es sich um Medikamente; hauptsächlich für Menschen, aber auch für Tiere. Zudem vertreibt es Nahrungsergänzungsmittel, Fußpflege-Produkte und Sonnencremes. Für die Landwirtschaft entwickelt Bayer Saatgut und Pflanzenschutzmittel. Wegen des Unkrautvernichters Roundup steht der Konzern immer wieder vor Gericht. dies nicht wollte und gerichtlich dagegen vorgeht.

In Deutschland fehlen vergleichbare Hinweise (wir berichteten) auf dem Iberogast-Beipackzettel. Warum das so ist? Man könnte kurz und verknappt antworten, dass die zuständigen Behörden es bis heute aus diversen Gründen offenbar nicht vermochten, die Maßnahme gegen den Widerstand eines Pharmaherstellers durchzusetzen.

Die detaillierte Antwort lesen Sie hier:

Das Bundesinstitut für ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. und MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. (BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen.) hat in Sachen SchöllkrautSchöllkraut Schöllkraut, eine Pflanzenart aus der Familie der Mohngewächse, ist in Iberogast® Classic enthalten; ein pflanzliches Arzneimittel des Pharmaunternehmens Bayer gegen Magen-Darm-Beschwerden. Bei hoher Dosierung und längerer Anwendungsdauer kann Schöllkraut die Leber schädigen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel forderte bereits 2008 den damaligen Hersteller auf, über das Leberrisiko dieses Präparates im Beipackzettel aufzuklären. Nach langem Ringen und einem Todesfall im Jahr 2018 nahm Bayer einen entsprechenden Warnhinweis in den Beipackzettel auf. Seit Ende 2020 bietet Bayer eine Schöllkrautfreie Variante an (Iberogast® Advance). schon im Jahr 2008 ein Verfahren eingeleitet. Schrittweise und in Gespräch mit den Herstellern sollten Präparate mit einer Schöllkraut-Tagesdosis von mehr als 2,5 mg ihre Zulassung verlieren, für alle anderen sollten Hinweise auf mögliche Leberschädigungen in der Packungsbeilage vorgeschrieben werden.

© Screenshot www.bfarm.de

Damals lagen dem BfArM 48 Fallberichte aus Deutschland vor, bei denen ein Zusammenhang zwischen Leberschäden und schöllkrauthaltigen Präparaten vermutet wurde ­– Iberogast war nicht darunter. Der Hersteller des Magenmittels – erst das Unternehmen Steigerwald, mittlerweile gekauft durch Pharmamulti Bayer – legte 2008 Widerspruch ein. Erst 2017 hat das BfArM diesen Widerspruch dann zurückgewiesen. Bereits im Mai 2015 lagen der Behörde vier Fallberichte zu Nebenwirkungen von Iberogast vor, bei denen ein Zusammenhang mit dem Mittel gesehen wird. Daher ging das BfArM davon aus, dass es vor Gericht gegen Bayer bestehen könne, erklärte ein Sprecher. Denn man ging davon aus, dass Bayer klagen würde. Und so kam es denn auch: Die Pharmafirma legte Klage gegen den BfArM-Bescheid ein. Der Fall liegt jetzt vor dem Verwaltungsgericht Köln – da das Gerichtsverfahren aufschiebende Wirkung hat, ist von Warnhinweisen weiterhin keine Spur.

Warum das GesundheitsministeriumGesundheitsministerium Das Gesundheitsministerium ist das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Es erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. nichts unternimmt

Die Grüne-Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-AscheKordula Schulz-Asche Kordula Schulz-Asche, Kommunikationswissenschaftlerin und Gründungsmitglied des heutigen Bündnis 90/Die Grünen ist Mitglied des Deutschen Bundestages. Nach langjähriger Arbeit für Entwicklungsorganisationen in Afrika war sie für das GIZ-Projekt „HIV/AIDS-Bekämpfung in Entwicklungsländern“ tätig. Kordula Schulz-Asche ist (Stand 2022) unter anderem Mitglied der Deutschen Afrika Stiftung, Ehrenamtliches Beiratsmitglied bei der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen e.V., des Gesundheitsausschusses sowie des Unterausschusses Globale Gesundheit sowie stellvertretendes Mitglied des Familienausschusses. wollte die Situation nicht hinnehmen und brachte das Thema vergangene Woche in den GesundheitsausschussGesundheitsausschuss Der Gesundheitsausschuss entwickelt auf nationaler und EU-Ebene die Reformen der gesetzlichen Krankenkassen. Patientenrechte, ärztliche Belange, ethische Fragen der Medizin sowie Arzneimittelversorgung und -sicherheit gehören ebenso zu seinen Aufgabengebieten. Im Bereich der Krankenversicherungen beschäftigt sich der Gesundheitsausschuss mit dem Leistungs- und Beitragsrecht und kümmert sich zudem um die Rechte der Vertragsärzte sowie Verbände und vieles mehr. Der Gesundheitsausschluss kann ausschließlich Beschlussempfehlungen abgeben, die Sitzungen sind nicht öffentlich. des Bundestags ein. Das BundesgesundheitsministeriumBundesgesundheitsministerium Das Bundesgesundheitsministerium, oder auch Bundesministerium für Gesundheit, erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. (BMGBMG BMG ist die Abkürzung für das Bundesministerium für Gesundheit. Es erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum.) entsandte den Parlamentarischen Staatssekretär Thomas Gebhart. Auf die Frage, warum das BMG nicht längst im Sinne des Patientenschutzes eingegriffen habe, gab es durch das BMG dem Vernehmen nach eine überraschende Antwort, die selbst erfahrene Experten in Staunen versetzte:

Ein sofortiger Vollzug, also ein Handlungsbedarf zum Schutz der Patienten durch das Bundesgesundheitsministerium, wäre nur erforderlich und durch das Arzneimittelgesetz rechtlich zwingend gewesen, wenn das betreffende Arzneimittel eine negative Nutzen-Risiko-Relation vorweisen würde. Im vorliegenden Fall wurde Iberogast vom BfArM jedoch nur ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis bescheinigt, hieß es – so wurde MedWatch die Aussage aus mehreren Quellen berichtet.

„Sofortvollzug nicht verhältnismäßig“

Wir wollten nun wissen, was genau im konkreten Fall der Unterschied von „Relation“ und „Verhältnis“ ist und warum die Behörden vor schöllkrauthaltigen Produkten warnt, aber die Durchsetzung nicht per Sofortvollzug auch im Fall Bayer / Iberogast durchsetzt.

„In Bezug auf die Entscheidung über die sofortige Vollziehung des Bescheids war eine Abwägungsentscheidung zu treffen“, antwortete uns eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums. In diesem Rahmen sei insbesondere die sehr geringe Zahl an Nebenwirkungsberichten mit zumindest möglicher Kausalität im Verhältnis zu einer sehr häufigen Anwendung über einen langen Zeitraum zu berücksichtigen gewesen.

Es ist derzeit nach Einschätzung des BfArM im Hinblick auf die ArzneimittelsicherheitArzneimittelsicherheit Arzneimittelsicherheit – auch Pharmakovigilanz genannt – bedeutet die fortwährende und systematische Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln nach ihrer Zulassung und Markteinführung. Dafür werden eingehende Verdachtsfälle zu Nebenwirkungen bewertet und Risiken im Verhältnis zum Nutzen eines Arzneimittels überwacht. Zuständig sind das Paul-Ehrlich-Institut sowie das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte), letzteres sogar über die Grenzen Deutschlands hinaus. Über Rote-Hand-Briefe kommen Ärzte und Apotheker an aktualisierte sicherheitsrelevante Informationen zu den Arzneimitteln pharmazeutischer Unternehmen. Den Verdacht auf eine Arzneimittel-Nebenwirkung kann jeder melden. verhältnismäßig, Änderungen der Produktinformationstexte zu Iberogast nicht durch Anordnung der sofortigen Vollziehung durchzusetzen.

Warum man in diesem speziellen Fall nicht dennoch eingeschritten ist, um die jahrelange Untätigkeit im Sinne des Patientenschutzes abzuändern, erklärt das BMG so:

An eine solche Anordnung sind aber, weil sie die Ausnahme darstellt, hohe (Begründungs-) Anforderungen zu stellen. Da die Evidenzlage zwar im Sinne eines begründeten Verdachts als Eingriffsschwelle der Arzneimittelsicherheit für die Anordnung der Textänderungen ausreichend war, sich aber auf eine begrenzte Zahl an Nebenwirkungsfällen über einen langen Zeitraum stützte, wurde von einer Durchsetzung der Maßnahmen durch Sofortvollzug abgesehen.

Immerhin: Die frühere Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach – ihres Zeichens auch Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten – habe in einem Brief vom 26. Februar 2018 an die Verantwortung der Firma Bayer für die PatientensicherheitPatientensicherheit Die Patientensicherheit ist ein wichtiger Punkt im Rahmen des Gesundheitswesens und kann als Abwesenheit unerwünschter Ereignisse definiert werden. Damit sind Ereignisse gemeint, die auf der Behandlung an sich beruhen und nicht auf der Erkrankung der Patient*innen. In Deutschland fallen Aufgaben und Maßnahmen der Patientensicherheit in den Zuständigkeitsbereich der Selbstverwaltung der Ärztekammern. 2005 kam es zudem zur Gründung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. (APS) unterstützt durch das BMG. Bezüglich der Patientensicherheit existieren gesetzlich verankerte Qualitäts- und Sicherheitsvorgaben (z.B. Arzneimittel- und Medizinproduktegesetz, Infektionsschutzgesetz) sowie Verpflichtungen zur Qualitätssicherung (z.B. gemäß SGB V). Mit den Maßnahmen soll Behandlungsfehler vorgebeugt sowie eine Fehlervermeidungskultur gefördert werden. appelliert, berichtet die BMG-Sprecherin. In der Antwort habe die Firma Bayer mitgeteilt, dass man die Verantwortung für die Patientensicherheit ernst nehme, im Fall Iberogast aber zu einer anderen Einschätzung als das BfArM gelange.

Zehn Jahre lang: Beide Augen zugedrückt

Kordula Schulz-Asche, die die neuerliche Debatte um Iberogast angestoßen hatte, spart nicht an Kritik. „Es ist schlimm genug, dass das BfArM Bescheide verhängt, deren Umsetzung es offenbar selbst nicht unbedingt für notwendig hält. Damit untergräbt es seine Glaubwürdigkeit als Behörde für Arzneimittelsicherheit massiv. Dass aber auch das Bundesgesundheitsministerium, ausgerechnet bei einem der meistverkauften rezeptfreien Arzneimittel diesen Vorgängen acht Jahre untätig zusieht, ist der eigentliche Skandal“, sagt sie MedWatch. Scheinbar seien hier beide Augen solange zugedrückt worden, bis die Lage zu Nebenwirkungsmeldungen nicht mehr weiter von der Hand zu weisen waren. Damit stellt sich für die Gesundheitspolitikerin die Frage, ob es Fahrlässigkeit oder gar Absicht war, die das BMG dazu bewog, acht Jahre untätig zu bleiben.

© Screenshot www.bfarm.de

Eine Antwort wird es auf diese Fragen wohl nicht geben: Nun entscheidet das Verwaltungsgericht Köln darüber, ob es die zusätzlichen Warnhinweise auf Iberogast geben muss oder nicht. Der zuständige Richter möchte den Fall noch in diesem Jahr entscheiden, heißt es auf Nachfrage. Bis Juni habe das BfArM jetzt Zeit, auf den Widerspruch Bayers zu reagieren. Das Institut könnte aber auch Verlängerung beantragen.