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Arzneimittel Werbung für Kinderarzneimittel: „Eltern schlecht informiert“

Kind auf Kissen liegend.
© David D / Flickr (CC BY-2.0)

Wenn das mal kein Schnäppchen ist: Wer für sein Kind ein Fläschen Fiebersaft in einer Online-Apotheke bestellt, bekommt ein paar Söckchen geschenkt. Zwar mit Aufdruck der Marke, aber zusätzlich mit süßem Bärchen-Motiv. Wer Strümpfe nicht mag: Eine andere Apotheke legt coole Gratis-Kühlpads gratis dazu. Und auf der Homepage eines Präparats gegen Übelkeit können Mami und Papi Hörspiele für die Kids runterladen, für unterwegs. Bunte Bilderbücher und Magazine informieren schon in der Kita und Schule, etwa über den Segen der forschenden Pharmaindustrie.

Dabei ist Werbung für ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. in Deutschland verboten und bußgeldbewährt, wenn Kinder unter 14 Jahren adressiert werden – so steht es im Heilmittelwerbegesetz. Aus gutem Grund: Werbung bewirkt eine Indikationsverschiebung, sagt Kinder- und Jugendarzt Boris Zernikow: Welche Behandlung bei einem bestimmten Krankheitsbild angemessen ist und eingesetzt werden soll, wählt dann plötzlich nicht mehr der Arzt oder Apotheker, sondern das Kind selbst, kritisiert der Leiter des Deutschen Kinderschmerzzentrums Datteln. „Da kommt ein Kind mit Kopfschmerzen plötzlich zu seinen Eltern und fragt: ‚Hast du mal `ne Ibu?‘“ Die Grenzverschiebung kann zum leichtfertigen Einsatz von Arzneimitteln verleiten, schlimmstenfalls zu lebensbedrohlichen Überdosierungen.

Facebook, Instagram, Youtube: Werbung für KinderarzneimittelKinderarzneimittel Um die Sicherheit von Kinderarzneimitteln zu verbessern ist 2007 eine EU-Verordnung in Kraft getreten. Die meisten Medikamente sind für Erwachsene entwickelt, geprüft und zugelassen worden. Dosierung und Darreichungsformen für Kinder werden daher häufig auf Grundlage von Erfahrungswerten ermittelt. Nach der neuen Verordnung ist es nun bei Zulassung eines Arzneimittels erforderlich anhand entsprechender Studien dessen Wirkung an Kindern und Jugendlichen nachzuweisen. Mit einem Symbol soll dies auf den Medikamentenverpackungen gekennzeichnet werden. Zudem wurde am BfArM eine Kommission gebildet, die bei der Zulassung von Kinderarzneimitteln mitwirken soll. Für bereits auf dem Markt existierende Medikamente für Erwachsene ermittelt die Kommission, inwiefern diese auch bei Kindern und Jugendlichen sicher angewandt werden können. Des Weiteren kann sich auf den Seiten der »Initiative Arzneimittel für Kinder« rund um das Thema Kinderarzneimittel informiert werden. Die Initiative wurde vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) ins Leben gerufen und ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein. Träger sind der BAH, Mitglieder der Arzneimittelindustrie, der Apothekerschaft sowie der Forschung. ist überall

Nicht jeder Arzneimittelhersteller hält es mit der Nicht-Werbe-Vorschrift offenbar so genau, längst ist Werbung für Arzneimittel auch in die Sozialen Netzwerke eingesickert. So können Fotografien einer glücklichen, gesunden Familie auf Instagram geliket werden – sie alle sind fit dank Vitaminpillen. Mit einer Kleinen Anfrage „Werbung bei Kinderarzneimitteln“ an die Bundesregierung hat jetzt die Grünen-Obfrau im Bundestags-GesundheitsausschussGesundheitsausschuss Der Gesundheitsausschuss entwickelt auf nationaler und EU-Ebene die Reformen der gesetzlichen Krankenkassen. Patientenrechte, ärztliche Belange, ethische Fragen der Medizin sowie Arzneimittelversorgung und -sicherheit gehören ebenso zu seinen Aufgabengebieten. Im Bereich der Krankenversicherungen beschäftigt sich der Gesundheitsausschuss mit dem Leistungs- und Beitragsrecht und kümmert sich zudem um die Rechte der Vertragsärzte sowie Verbände und vieles mehr. Der Gesundheitsausschluss kann ausschließlich Beschlussempfehlungen abgeben, die Sitzungen sind nicht öffentlich. Kirsten Kappert-GontherKirsten Kappert-Gonther Kirsten Kappert-Gonther, Medizinerin und Politikerin (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ist in ihrer Fraktion Berichterstatterin für seelische Gesundheit, Bioethik sowie für die Legalisierung von Cannabis. Seit Januar 2022 ist sie stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses (Stand 2022). das BundesgesundheitsministeriumBundesgesundheitsministerium Das Bundesgesundheitsministerium, oder auch Bundesministerium für Gesundheit, erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. zu einer Einschätzung der Situation aufgefordert. In ihrer Antwort an die Gesundheitspolitikerin verweist das Ministerium meist auf andere Stellen: Es gelte die Harmonisierungsrichtlinie des EU-Parlaments. Und: „Die Überwachung einer konkreten Werbung obliegt im Einzelfall der jeweils zuständigen Landesbehörde“, erklärt das Ministerium an anderer Stelle. Im Klartext: Das Ministerium fühlt sich nicht zuständig.

„Wer wäre bei Facebook oder Snapchat denn die zuständige Landesbehörde, wenn da Kinder adressiert werden?“, fragt Kinderarzt Zernikow. „Dieses System hat vielleicht vor 30 Jahren funktioniert, heute funktioniert es nicht mehr, kann es auch gar nicht“, sagt der Mediziner. Die Überwachung in Sachen Kinderarzneimittelwerbung sollte besser durch eine Bundesbehörde gelöst werden, fordert er.

Werbung für Kinderarzneimittel beeinflusst natürlich auch die Eltern, etwa wenn in Blogs nicht immer eine echte Mutti ihre guten Erfahrungen mit der Tablette Pipalon mit anderen teilt. Perfide seien Videoclips, in denen suggeriert wird, dass wegen des Fiebers ein Kind nicht die nächsten wichtigen Entwicklungsschritte machen kann, sagt Zernikow – wie es teils nahegelegt wird.

Besondere Vorsicht bei Kinderarzneimitteln

Bei der Arzneimittel-Gabe an Kinder ist stets besondere Vorsicht geboten. Aktuell befasst sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. (BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen.) mit der Wirkstoffgruppe der AntihistaminikaAntihistaminika Eine übermäßige Produktion von Histamin führt zu einer allergischen Reaktion. Antihistaminika verhindern die Bindung des körpereigenen Botenstoffs Histamin an seine spezifischen Rezeptoren und lindern so auf schnelle Art und Weise Symptome wie Rötung, Schwellung und Juckreiz., besser bekannt als Heuschnupfenmittel. Die erste Generation dieser Medikamente wird von Allergikern heute nicht mehr genutzt, sie setzen auf neuere Mittel. Auch, weil diese weniger müde machen.

Doch die alten Medikamente sind weiter auf dem Markt – und zwar für Kinder. Denn sie können durch ihren Einfluss aufs Nervensystem Kinder beruhigen oder bei Übelkeit und Erbrechen helfen. Doch dies ist unter Experten stark umstritten.  Bekannte Mittel sind Vomex oder Emesan KEmesan K Emesan® K Kinderzäpfchen, ein dimenhydrinat- und diphenhydramin-haltiges Arzneimittel zur Behandlung und Vorbeugung von Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang bei einer Reisekrankheit. Es gehört zur Gruppe der H1-Antihistaminika. In zu hohen Dosen können massive Halluzinationen bis hin zum totalen Realitätsverlust auftreten. – diese dürfen Kinder ab sechs beziehungsweise acht Kilo erhalten, wenn sie unter Übelkeit oder Erbrechen leiden. Sie enthalten den Wirkstoff DiphenhydraminDiphenhydramin Diphenhydramin ist ein Antihistamin, ein antiallergischer Wirkstoff, der ersten Generation. Es wird auf Grund seiner sedierenden Wirkung zur kurzfristigen Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt. Da Antihistaminika der zweiten Generation im Gegensatz zu Diphenhydramin die Blut-Hirn-Schranke kaum noch überwinden, bleibt bei diesen die Müdigkeit als Nebenwirkung aus. Es kann gegen Übelkeit, z.B. verursacht durch die Reisekrankheit, und allergische Reaktionen angewandt werden. oder DimenhydrinatDimenhydrinat Dimenhydrinat wird zumeist gegen die Reisekrankheit und ihre Symptome wie Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. Es ist das Salz des Antihistaminikums Diphenhydramin mit Chlorotheophyllin. Diphenhydramin entfaltet durch seine zentral dämpfende und antihistamine Eigenschaften die eigentliche Wirkung des Medikamentes. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Schläfrigkeit, Benommenheit, Schwindel, Muskelschwäche, Sehstörungen, eine Erhöhung des Augeninnendrucks und ein schneller Herzschlag. Chlortheophyllin wirkt – ähnlich wie Coffein – anregend und so der auftretenden Müdigkeit entgegen. Dimenhydrinat kann als dämpfendes und halluzinogenes Rauschmittel missbraucht werden.. Auf dem Markt ist auch der Saft Sedaplus (Wirkstoff DoxylaminDoxylamin Doxylamin ist ein Antihistaminikum der ersten Generation mit beruhigenden und schlaffördernden Eigenschaften. Durch seine zentral dämpfende Wirkung mit einem besonders stark ausgeprägtem Sedierungseffekt, wird es nicht mehr als Antiallergikum, sondern ausschließlich als Schlafmittel eingesetzt. Es ist Bestandteil mancher Erkältungsmittel. Zusammen mit B6 wirkt Doxylamin gegen Schwangerschaftsübelkeit. Doxylamin ist ein Racemat und liegt in Arzneimitteln als Doxylaminhydrogensuccinat vor, ein weißes, in Wasser leicht lösliches Pulver. Es gehört zu den Ethanolamin- und Pyridinderivaten.), zugelassen zur Kurzzeitanwendung bei Schlafstörungen – sogar ab dem sechsten Lebensmonat.

Experten fordern umfassende Rezeptpflicht

Bei diesen Mitteln ist größte Vorsicht geboten, sagt Zernikow. „Wenn man hier überdosiert, ist das für Kinder ganz schlecht, sie können Krämpfe bekommen und sogar daran sterben.“ Seit vielen Jahren mahnt das BfArM, die empfohlene Dosis solle bei Kindern auf keinen Fall eigenmächtig zu überschritte werden. In der Vergangenheit starben fünf Kinder, eines der Babys war erst vier Wochen alt.

Nun soll Sedaplus mit dem Wirkstoff Doxylamin nicht länger ohne Rezept erhältlich sein, auf den anderen Dimenhydrinat und Diphenhydrinat-haltigen Produkten gegen Fieber und Erbrechen sollen auf der Packung zusätzliche Warnhinweise angebracht werden. Experten der Medizinzeitschrift Gute Pillen, schlechte Pillen geht dies nicht weit genug. Sie fordern, dass alle Antihistaminika der ersten Stunde nur noch auf Rezept erhältlich sein sollen: „Das wäre eine konsequente Schutzmaßnahme, denn dann ist außerdem auch keine öffentliche Werbung mehr möglich“ – und zwar auch nicht mehr bei Eltern.

Kappert-Gonther: Eltern schlecht informiert, Nebenwirkungen vorenthalten

Am Ende der Kleinen Anfrage erkundigt sich die Grünen-Politikerin, welchen Handlungsbedarf die Regierung bei der Regulierung und Überwachung der Werbung für Kinderarzneimittel sieht und welche weitere Initiativen sie plane. Doch das Ministerium von SpahnSpahn Spahn, Jens; Bankkaufmann und Politologe, war 2018 bis 2021 Bundesminister für Gesundheit. Seit 2002 ist er Mitglied des Bundestages. verweist lediglich auf die „Vorbemerkung“ – und somit auf die bestehenden Gesetze und die Prüfung der Verschreibungspflicht von Doxylamin, Diphenhydramin oder Dimenhydrinat.

Alles gut also? Nein, sagt Kappert-Gonther – das Bundesgesundheitsministerium stecke „den Kopf in den Sand“, erklärt sie gegenüber MedWatch. „Wieder mal scheinen wirtschaftliche Interessen wichtiger zu sein als ein wirksamer Schutz von Kindern und Jugendlichen. Selbst Werbung für Kinderarzneimittel, die schwerwiegende Nebenwirkungen haben können, hält Spahns Ministerium für unproblematisch.“ Ihrer Ansicht nach werden Eltern schlecht informiert: Ihnen seien schwere Nebenwirkungen einzelner frei verkäuflicher Medikamente gar nicht bewusst. „Die Ausrede, der Bundesregierung seien aufgrund der EU-Gesetzgebung die Hände gebunden, ist vorgeschoben“, kritisiert die Politikerin. „Niemand hindert sie daran, sich auf EU-Ebene für ein umfassendes Werbeverbot für Kinderarzneimittel einzusetzen oder bestimmte Mittel für Kinder verschreibungspflichtig zu machen.“