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Schöllkraut-Tropfen Iberogast: Ermittlung gegen Bayer-Verantwortliche eingestellt

Bayer Logo; Ein Kreis in dem senkrecht und horizontal in Großbuchstaben das Wort 'BAYER' steht. Das 'Y' teilen sich beide Wörter, so dass sie wie ein Kreuz im Kreis wirken.
Bayer © Conen / flickr (CC BY 2.0)

Ist ein Mensch gestorben, weil sich der PharmakonzernPharmakonzern Ein Pharmakonzern ist ein Großunternehmen, in dem mehrere Pharmaunternehmen zu einem Verbund zusammengeschlossen sind. Hier werden Arzneimittel erforscht, entwickelt, produziert und / oder vermarktet. Es kann sich hierbei um eigens neu entwickelte Medikamente oder um Generika (Nachahmungen) handeln. Für die Herstellung von Arzneimitteln oder Arzneistoffen brauchen pharmazeutische Unternehmen eine behördliche Erlaubnis und unterliegen speziellen arzneimittelrechtlichen Verpflichtungen, um Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit ihrer Produkte zu gewährleisten. Zu dem Produktsortiment der Pharmaunternehmen gehören verschiedenste verschreibungspflichtige und rezeptfreie Arzneimittel für die Human- und Veterinärmedizin, wie z.B. Medikamente, Blutprodukte und Impfstoffe. BayerBayer Bayer ist ein Chemie- und Pharmakonzern mit Sitz in Leverkusen. Bei den meisten Produkten, die das Unternehmen produziert, handelt es sich um Medikamente; hauptsächlich für Menschen, aber auch für Tiere. Zudem vertreibt es Nahrungsergänzungsmittel, Fußpflege-Produkte und Sonnencremes. Für die Landwirtschaft entwickelt Bayer Saatgut und Pflanzenschutzmittel. Wegen des Unkrautvernichters Roundup steht der Konzern immer wieder vor Gericht. jahrelang weigerte, wichtige zusätzliche Warnhinweise zu seltenen aber schweren Leberschädigungen auf dem BeipackzettelBeipackzettel Fertigarzneimittel dürfen ausschließlich zusammen mit einer Packungsbeilage ausgeliefert werden. Das Arzneimittelgesetz (AMG) gibt vor, wie der Beipackzettel eines Medikaments gestaltet sein muss. Es muss die vorgegebenen Angaben in festgelegter Reihenfolge beinhalten. Dazu gehören unter anderem der Name des Medikamentes, Anwendungsbereiche, Gegenanzeichen, Vorsichtsmaßnahmen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Dosierung und Nebenwirkungen. Der Beipackzettel ist in erster Linie für die Anwender des Medikamentes verfasst. Damit dieser für Menschen ohne Fachwissen verständlich ist, durchlaufen Beipackzettel einen Lesbarkeitstest. Sie werden z.B. durch das BfArM oder das PEI geprüft und genehmigt, bevor sie in den Umlauf kommen. von IberogastIberogast Iberogast® ist ein pflanzliches Arzneimittel des Pharmaunternehmens Bayer gegen Magen-Darm-Beschwerden. Iberogast® Classic beinhält Schöllkraut, eine Pflanzenart aus der Familie der Mohngewächse. Bei hoher Dosierung und längerer Anwendungsdauer kann Schöllkraut die Leber schädigen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel forderte bereits 2008 den damaligen Hersteller auf, über das Leberrisiko dieses Präparates im Beipackzettel aufzuklären. Nach langem Ringen und einem Todesfall im Jahr 2018 nahm Bayer einen entsprechenden Warnhinweis in den Beipackzettel auf. Seit Ende 2020 bietet Bayer eine Schöllkrautfreie Variante an (Iberogast® Advance). auszuweisen? Seit Sommer 2019 hatte die Staatsanwaltschaft Köln den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung gegen zwei Mitarbeiter des Konzerns geprüft. Nun wurden die Ermittlungen eingestellt.

Rückblick: Im Juli 2018 waren neue Nebenwirkungsmeldungen von Leberschädigungen im Zusammenhang mit der Anwendung des Arzneimittels Iberogast bekannt geworden. Im Juli desselben Jahres wurde ein zweiter Fall gemeldet, bei dem die LeberLeber Die Leber ist ein Stoffwechselorgan im menschlichen Körper. Als Hauptentgiftungsstelle verantwortet sie die Verwertung von Nahrungsbestandteilen, den Abbau und die Ausscheidung von Stoffen. Sie baut, zusammen mit anderen Organen, alte oder beschädigte Blutkörperchen ab. Auch die Produktion lebenswichtiger Proteine gehört zu ihren Aufgaben. Sie speichert Vitamine und Spurenelemente und stellt mit Hilfe von Vitamin K Eiweiße her, die für die Blutgerinnung wichtig sind. Die Leber steuert zusätzlich den Blutzuckerspiegel und stellt Ausgangsprodukte für die Hormonproduktion her. Sie nimmt eine wichtige Rolle im Fettstoffwechsel ein. Eine Besonderheit der Leber ist, dass sie sich nach Verletzungen zu einem Großteil regenerieren kann, was für andere Organe nicht der Fall ist. einer Patientin versagte. Die Betroffene starb – trotz LebertransplantationLebertransplantation Bei einer Lebertransplantation wird das geschädigte Organ eines leberkranken Patienten mit Hilfe eines chirurgischen Eingriffs durch eine Spender-Leber (oder durch Teile davon) ersetzt. Eine Lebertransplantation ist zumeist bei akutem oder chronischem Leberversagen – verursacht durch Leberzirrhose und Leberkrebs oder durch angeborene Fehlbildungen und Stoffwechselstörungen – angezeigt. Die Spenderleber kann von einem Verstorbenen stammen und vollständig verpflanzt werden. Bei einer Split-Leber wird das gesunde Organ vorher geteilt und in zwei Empfänger-Patienten eingepflanzt. Auf Grund der Regenerationsfähigkeit des Organs können auch lebende Angehörige einen Teil ihrer Leber spenden.; das Bundesinstitut für ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. und MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. (BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen.) berichtete.

Iberogast-Hersteller Bayer verpflichtete sich seinerzeit, bestimmte Warnhinweise in den Beipackzettel aufzunehmen, wonach Schwangere, Stillende und Menschen mit Leberschäden die schöllkrauthaltigen Tropfen nicht einnehmen sollten. Zu spät? Immerhin hatte das BfArM schon sehr viel früher auf mögliche Gefahren hingewiesen. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelte seit Juli 2019.

Jetzt meldete sich die Staatsanwaltschaft Köln auf unsere Rückfragen. Die Ermittlungsverfahren gegen zwei ehemalige Verantwortliche der Bayer Vital GmbH wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung in einem Fall sowie der fahrlässigen Körperverletzung in zehn Fällen wurden eingestellt.

Iberogast: Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen ein

Die Staatsanwaltschaft Köln sah keinen hinreichenden Tatverdacht, wie sie auf Nachfrage von MedWatch nun mitteilte. Im Falle der verstorbenen Patientin konnte die Rechtsmedizin der Uniklinik Köln offenbar keinen sicheren Kausalzusammenhang zwischen der Einnahme von Iberogast und der tödlichen Leberschädigung feststellen.

Nach Ansicht der Ermittlungsbehörde fehlte es auch an einer für den Fahrlässigkeitsvorwurf notwendigen Sorgfaltspflichtverletzung. Das bedeutet: Die damals bekannten Verdachtsmomente reichten aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht aus, um vor September 2018 die Pflicht zur Aufnahme eines Warnhinweises zu begründen. Diese Auffassung erscheint angesichts des bereits 2008 erlassenen Bescheids des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und den 2011 veröffentlichten Warnhinweisen der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMAEMA Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gewährleistet die wissenschaftliche Bewertung, Überwachung und Sicherheitsüberprüfung von Human- und Tierarzneimitteln in der Europäischen Union, sie erleichtert die Entwicklung und Zugänglichkeit von Arzneimitteln und informiert Beschäftigte im Gesundheitswesen sowie Patienten. Darüber hinaus berät und unterstützt sie pharmazeutische Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung. Sie ist vor allem für die europäische Zulassung von Arzneimitteln zuständig und überprüft diese auch nach der Einführung auf ihre Sicherheit. Dafür hat sie ein Pharmakovigilanz-Netzwerk eingerichtet. Der ursprüngliche Sitz der EMA war London, seit 2019 ist sie in Amsterdam verortet.) wenig nachvollziehbar.

SchöllkrautSchöllkraut Schöllkraut, eine Pflanzenart aus der Familie der Mohngewächse, ist in Iberogast® Classic enthalten; ein pflanzliches Arzneimittel des Pharmaunternehmens Bayer gegen Magen-Darm-Beschwerden. Bei hoher Dosierung und längerer Anwendungsdauer kann Schöllkraut die Leber schädigen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel forderte bereits 2008 den damaligen Hersteller auf, über das Leberrisiko dieses Präparates im Beipackzettel aufzuklären. Nach langem Ringen und einem Todesfall im Jahr 2018 nahm Bayer einen entsprechenden Warnhinweis in den Beipackzettel auf. Seit Ende 2020 bietet Bayer eine Schöllkrautfreie Variante an (Iberogast® Advance).: Später Warnhinweis

Doch selbst wenn man die unterlassene Aufnahme des Warnhinweises als fahrlässig ansehen würde, hätten sich die Beschuldigten wohl nicht strafbar gemacht. Hierfür müsste die Staatsanwaltschaft ihnen nachweisen, dass die mutmaßlich durch das schöllkrauthaltige Arzneimittel geschädigten Patient:innen den Beipackzettel gelesen haben und nach dem Lesen des hypothetischen Warnhinweises mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine Einnahme von Iberogast verzichtet hätten.

Pharmahersteller Bayer sieht sich derweil durch das Ergebnis in seiner Bewertung von Iberogast bestätigt, wie eine Sprecherin MedWatch mitteilte. Iberogast sei im hiesigen Markt das am ausführlichsten untersuchte pflanzliche Medikament in der Gastroenterologie. Die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit sei in über 20 Studien und Erhebungen mit über 50.000 Patienten untersucht worden. Bayer analysiere gemäß den gesetzlichen Vorgaben jeden gemeldeten Fall von Nebenwirkungen eingehend auf der Grundlage einer systematischen Betrachtung aller möglichen Ursachen. Bei über 100 Millionen Anwendern von Iberogast seit 1960 sei bisher kein einziger Fall bekannt, in dem Iberogast im Zuge der wissenschaftlich-medizinischen Analyse als gesicherte Ursache von schweren, die Leber betreffenden Nebenwirkungen identifiziert wurde.

Hier hat der Hersteller offenbar andere Analysen vorliegen als das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Immerhin, ein kleiner Trost: Die zusätzlichen Warnhinweise auf dem Iberogast-Beipackzettel, die Bayer nach jahrelanger Weigerung ergänzt hat, werden so belassen, wie sie das BfArM 2008 anmahnte.


Redaktion: Sigrid März