Diese Recherche beginnt mit einem Tweet. Ein User fragt das Netz, warum es ein Buch des Impfkritikers Hans Tolzin bei Amazon zu kaufen gibt. Nach kurzer Debatte wird MedWatch angefragt, ob man „da nicht irgendwas machen kann“. Kann man? Sollte man, muss man? Wer ist überhaupt der Autor, dieser Hans Tolzin?
Der Blick ins Web verrät: Tolzin betreibt seit vielen Jahren einen Blog, in dem er impfkritische Berichte online veröffentlicht. Er ist kein Arzt oder Naturwissenschaftler, er ist gelernter Molkereifachmann aus Schwäbisch Hall. Er stellt regelmäßig den Nutzen von Impfungen in Frage, er zweifelt die TherapieTherapie Therapie bezeichnet eine Heil- oder Krankenbehandlung im weitesten Sinn. Es kann hierbei die Beseitigung einer Krankheitsursache oder die Beseitigung von Symptomen im Mittelpunkt stehen. Ziel einer jeden Therapie ist die Widerherstellung der physischen und psychischen Funktionen eines Patienten durch einen Therapeuten. Soweit dies unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist. der AIDSAids AIDS ist die Abkürzung für Acquired Immunodeficiency Syndrome, was mit »Erworbenes Immunschwächesyndrom« übersetzt werden kann. Durch eine Infektion mit dem HI-Virus kommt es zu einer Schwächung des körpereigenen Immunsystems, so dass zumeist unproblematisch verlaufende Krankheiten zu einem Problem werden. Eine Infektion mit HIV wurde zum ersten Mal 1981 diagnostiziert und hat sich seitdem zu einer Pandemie entwickelt. Die Therapie wurde in den letzten Jahren massiv verbessert, so dass Infizierten ein wesentlich längeres Leben mit hoher Qualität ermöglich wird.-Erkrankung an und nennt Ebola eine Erfindung der Pharmaindustrie. Er verbreitet, dass Homosexualität „heilbar“ sei und Kinderlähmung wahrscheinlich durch das Pestizid DDT verursacht werde.
Tolzins Bücher
Tolzins Bücher enthalten ähnliche abstruse Aussagen, wie ich feststelle. Ich frage bei Amazon an. Mich interessiert, wie der Versandhändler generell mit Titeln umgeht, in denen offenkundig unwissenschaftliche und für die Gesundheit womöglich gefährliche Lehren verbreitet werden. Sieht er hier eine besondere Verantwortung, seine Kunden zu schützen?
Der Pressesprecher bittet um Textpassagen des Buches, um besser zu verstehen, was dessen Inhalt ist. Allerdings verweist er direkt auf die Guidelines für Verkäufer, es müsse schon Verbotenes drinstehen, damit man Produkte eines Kunden aus dem Sortiment streiche. Und ansonsten gelte eben die Meinungsfreiheit. Und Zensur, das wolle man ja auch nicht, oder?
Nein. Das will ich nicht. Aber muss Amazon gesundheitsgefährlichen Unsinn auch noch im großen Stil über seine Plattform verkaufen? Eine Frage, auf die es viele Antworten gibt, wie ich lerne.
Bevor ich Textpassagen an Amazon schicke, bitte ich die Behörden um eine Einschätzung. „Wir kommentieren solche Bücher generell nicht“, erklärt ein Sprecher des Robert Koch Instituts (RKI) , verweist aber auf die Sammlung von Fakten und Informationen zum Impfen, zusammengestellt in Kooperation mit dem Paul Ehrlich Institut (PEI), das in Deutschland für die Sicherheit von Impfstoffen verantwortlich ist. Das Paul Ehrlich Institut kommentiert auf meine Anfrage einzelne Passagen des Buches. So schreibt Hans Tolzin etwa, dass es….
„… keinen Sinn macht, gegen eine Infektionskrankheit zu impfenImpfen Eine Impfung hilft, vor schwer verlaufenden Infektionskrankheiten zu schützen. Durch abgeschwächte Erreger, durch Bruchteile von Erregern oder seit Neuestem mit mRNA-Stücken von Erregern wird bei einer aktiven Schutzimpfung das Immunsystem über die gezeigten Antigene spezifisch aktiviert. Dem Körper wird durch eine Impfung vorgegaukelt mit einem echten Erreger infiziert zu sein. Dadurch wird die gesamte Immunsystem-Kaskade in Gang gesetzt, inklusive der Bildung spezifischer Gedächtniszellen. Ist der Organismus später dem tatsächlichen Erreger ausgesetzt, kann er schnell, effizient und spezifisch reagieren ohne schwere Komplikationen zu entwickeln. Eine generelle Impfpflicht gibt es in hierzulande nicht. Die Ausnahme bildet die Masernimpfung: Seit 2020 muss bei Eintritt in eine Kindertagesstätte oder Schule ein Masern-Impfnachweis erbracht werden. Die STIKO gibt für Deutschland Impfempfehlungen heraus, an denen sich orientiert werden kann., wenn uns diese Krankheit keine Kopfschmerzen bereitet, wie beispielsweise die Windpocken, die selbst von vielen Schulmedizinern als nicht relevant angesehen werden“.
„Es mag Mediziner geben, die eine ImpfungImpfung Eine Impfung hilft, vor schwer verlaufenden Infektionskrankheiten zu schützen. Durch abgeschwächte Erreger, durch Bruchteile von Erregern oder seit Neuestem mit mRNA-Stücken von Erregern wird bei einer aktiven Schutzimpfung das Immunsystem über die gezeigten Antigene spezifisch aktiviert. Dem Körper wird durch eine Impfung vorgegaukelt mit einem echten Erreger infiziert zu sein. Dadurch wird die gesamte Immunsystem-Kaskade in Gang gesetzt, inklusive der Bildung spezifischer Gedächtniszellen. Ist der Organismus später dem tatsächlichen Erreger ausgesetzt, kann er schnell, effizient und spezifisch reagieren ohne schwere Komplikationen zu entwickeln. Eine generelle Impfpflicht gibt es in hierzulande nicht. Die Ausnahme bildet die Masernimpfung: Seit 2020 muss bei Eintritt in eine Kindertagesstätte oder Schule ein Masern-Impfnachweis erbracht werden. Die STIKO gibt für Deutschland Impfempfehlungen heraus, an denen sich orientiert werden kann. gegen Windpocken nicht für zwingend erforderlich halten“, erklärt hierzu Klaus Cichutek, Direktor des PEI. „Die generelle Aussage – ,eine Krankheit, die uns keine Kopfschmerzen bereitet‘ – halte ich für gefährlich. Jede Infektionskrankheit birgt die Gefahr von Komplikationen.“ Bei Viruserkrankungen komme hinzu, dass man sie nicht im bekannten Sinne therapieren könne, sondern nur die Symptome lindern. „Speziell zur Windpockenimpfung darf man auch nicht vergessen, dass Menschen, die die Windpocken als Krankheit durchgemacht haben, potenziell im Alter an Gürtelrose erkranken können“, sagt Cichutek. Die Gürtelrose sei eine schwere, häufig ausgesprochen schmerzhafte Krankheit, die je nachdem, an welcher Körperstelle sie auftritt, sehr schwerwiegende Folgen haben kann. So kann es zu Erblindung kommen, wenn sie am Auge auftritt.
An anderer Stelle schreibt Tolzin ist seinem Buch:
„Ist jedoch die Krankheit durch alternativmedizinische Maßnahmen schnell und gut in den Griff zu bekommen oder ist der Ausbruch durch bestimmte alternative Vorsorgemaßnahmen mit großer Wahrscheinlichkeit verhinderbar, so stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Impfung völlig neu.“
„Diese Aussage ist aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht falsch“, sagt Cichutek. „Infektionskrankheiten sind weder durch alternativmedizinische Maßnahmen gut in den Griff zu bekommen, noch sind sie mit ,alternativen Vorsorgemaßnahmen‘ verhinderbar.” Nach zwei Wochen Prüfung meldet sich Amazon. Man werde „die Anfrage leider nicht kommentieren“, schreibt der Pressesprecher – inklusive erneutem Verweis auf die Content Guidelines für Autoren (international) und die Produktbeschränkungen für Verkäufer in Deutschland. Demnach verlangt Amazon von Herstellern und Verkäufern sicherzustellen, dass die Gesetze eingehalten werden. Gleichzeitig räumt Amazon sich aber auch die Möglichkeit ein, die Inhalte selbst zu prüfen.
Verboten sind laut Amazon etwa:
- anstößige Materialien (Fotos von Tatorten, menschliche Körperteile)
- Pornofilme, einschließlich Zeitschriften, die grafische sexuelle Handlungen, Amateur-Pornos und schmutzige Unterwäsche darstellen
- gewaltverherrlichendes Material
- gestohlene Waren und Raubkopien
- rassistisches, diskriminierendes oder gewaltverherrlichendes Material oder Artikel, die den Nationalsozialismus verherrlichen oder verharmlosen
Ein impfkritisches Buch eines gelernten Molkereifachmanns fällt unter keine dieser Auflagen. Dennoch hat Amazon natürlich durchaus die Möglichkeit, im Einzelfall strengere Maßstäbe anzulegen.
Zurück zur anfänglichen Frage des Twitterers:
Es ist also kein „Fehler“, dass auf Amazon auch impfkritische Bücher wie die von Hans Tolzin vertrieben werden, jedenfalls entspricht dies den Haus-eigenen Guidelines. Ob Amazon dennoch eine größere Verantwortung hätte, auch derartige Machwerke genauer anzuschauen, bevor sie verkauft werden, darüber kann man sicher diskutieren, sagt die Psychologin Cornelia Betsch von der Uni Erfurt. Sie hat sich mit der Wirkung impfkritischer Informationen beschäftigt. „Man könnte jetzt die Diskussion aufmachen, warum Pornografie, anstößige Inhalte und gewaltverherrlichendes Material verboten sind, jedoch offensichtlich falsche und gesundheitsschädliche Information nicht“, sagt sie. Es scheine, als gebe es dringenden Nachholbedarf, auch „FakeFake Der englische Begriff Fake bezeichnet u.a. unwahre Informationen, Imitate und Fälschungen sowie Dinge, die vortäuschen echt zu sein, es jedoch nicht sind. Im Bereich der Nachrichten und Fakten spricht man von sog. Fake-News und Fake-Facts. Solche werden gezielt eingesetzt, um (falsche) öffentliche Meinungen zu bilden oder gar Wahlen zu beeinflussen. News“ genauer zu prüfen, erklärt Betsch.
Allerdings stehe dann die Frage der Definition im Raum: Was ist Fake, was nicht? Wer überprüft das? Ein offizielles Siegel für Ratgeber wäre bei einem so wichtigen Thema wie Impfen sicherlich eine gute Sache, findet Betsch. Aufklärung auf einer übergeordneten Sichtweise sei ebenso wichtig: „Wir müssen mehr auf einer Meta-Ebene über derartige Werke reden, um klar zu machen: Welche typischen Techniken und Argumentations-Tricks werden immer wieder erfolgreich angewandt, um uns an der Nase herumzuführen?“
Ich habe natürlich auch Hans Tolzin um eine Stellungnahme gebeten, ihm die kommentierten Zitate aus seinem Buch geschickt. Wie kam er zu seinen wissenschaftlich unhaltbaren Überzeugungen zum Impfen? Warum schreibt er das alles auch noch auf, in Büchern, in seinem Blog? Und warum verkämpft er sich derart, dass er Journalisten, die über eine impfkritische Veranstaltung in Nürnberg berichten wollten, Schläge androht? Eine Antwort bekomme ich nicht. Stattdessen stellt Tolzin mir Gegenfragen. Meine beantwortet er nicht.