Das Landgericht Hildesheim hatte den Geschäftsmann Dennis H. wegen des Verkaufs des gefährlichen Mittels „MMSMMS MMS ist die Kurzform für Miracle Mineral Supplement. Damit wird eine Chlordioxid-Lösung, auch CDL genannt, bezeichnet. Der Begriff geht auf Jim Humble zurück, welcher ein ehemaliges und langjähriges Scientology-Mitglied war und 2010 eine weitere Sekte gründete (Genesis II, Church of Health & Healing). Chlordioxid, ClO2, ist bei Raumtemperatur ein bernsteinfarbenes Gas, welches bei einer Konzentration von über 10% in der Luft explosiv ist. Deshalb wird es zumeist in wässriger, nicht explosiver, Lösung angeboten (MMS / CDL). Chlordioxid besitzt eine oxidative Wirkung, so dient es z.B. als Bleichmittel von Zellstoff (z.B. Papier) oder auch der Desinfektion von Trinkwasser. Auf vielen Foren wird es als Allheilmittel – auch gegen Corona – beschrieben, oft mit verehrenden gesundheitlichen Folgen. Die Anrufe beim Giftnotruf häufen sich und auch die Gabe von CDL / MMS an kleine Kinder wird propagiert. Für die angepriesene Heilung der verschiedensten Krankheiten gibt es aktuell keine wissenschaftliche Grundlage.“ zu einer Haftstrafe verurteilt – der BundesgerichtshofBundesgerichtshof Der BGH, der Bundesgerichtshof ist das oberste Gericht in Deutschland und die letzte Instanz im Bereich der Zivil- und Strafrechtspflege und hat seinen Sitz in Karlsruhe. Der BGH befindet sich in der Trägerschaft des Bundes. Oberstes Ziel ist die Sicherung der Rechtseinheit und die Klärung grundsätzlicher Fragen. Der BGH prüft Entscheidungen der vorgeschalteten Gerichte in der Regel ausschließlich auf Rechtsfehler. Die Rechtspraxis des Zivilrechtes orientiert sich in den meisten Fällen an den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes. wies heute die Revisionen von H. wie auch der Staatsanwaltschaft zurück. Zu seinen Gunsten werteten die Bundesrichter, dass er das vermeintliche Wundermittel auch an sich und seiner Familie angewandt hat.
Für drei Jahre und zwei Monate muss der Ende 30-jährige Geschäftsmann Dennis H. in Haft: Der Bundesgerichtshof wies die Revisionen der Verteidigung sowie der Staatsanwaltschaft zurück. H. hatte mit seinem Bruder über Jahre das Mittel „Miracle Mineral Supplement“ (MMS) verkauft, wie auch ein „MMS 2“ genanntes Produkt – hierbei handelt es sich um eine Natriumchloritlösung beziehungsweise Calciumhypochlorit. Beide Stoffe werden als Bleichmittel und zur Desinfektion eingesetzt, worauf H. in seinem Online-Shop auch hingewiesen hatte. Diesem Hinweis folgten jedoch Angaben zur Dosierung, Einnahmehäufigkeit und zu Mischungsverhältnissen – außerdem warben verlinkte Internetseiten damit, die Mittel könnten Diabetes, Asthma, AIDSAids AIDS ist die Abkürzung für Acquired Immunodeficiency Syndrome, was mit »Erworbenes Immunschwächesyndrom« übersetzt werden kann. Durch eine Infektion mit dem HI-Virus kommt es zu einer Schwächung des körpereigenen Immunsystems, so dass zumeist unproblematisch verlaufende Krankheiten zu einem Problem werden. Eine Infektion mit HIV wurde zum ersten Mal 1981 diagnostiziert und hat sich seitdem zu einer Pandemie entwickelt. Die Therapie wurde in den letzten Jahren massiv verbessert, so dass Infizierten ein wesentlich längeres Leben mit hoher Qualität ermöglich wird., Herpes oder Tuberkulose heilen. Und auf dem BeipackzettelBeipackzettel Fertigarzneimittel dürfen ausschließlich zusammen mit einer Packungsbeilage ausgeliefert werden. Das Arzneimittelgesetz (AMG) gibt vor, wie der Beipackzettel eines Medikaments gestaltet sein muss. Es muss die vorgegebenen Angaben in festgelegter Reihenfolge beinhalten. Dazu gehören unter anderem der Name des Medikamentes, Anwendungsbereiche, Gegenanzeichen, Vorsichtsmaßnahmen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Dosierung und Nebenwirkungen. Der Beipackzettel ist in erster Linie für die Anwender des Medikamentes verfasst. Damit dieser für Menschen ohne Fachwissen verständlich ist, durchlaufen Beipackzettel einen Lesbarkeitstest. Sie werden z.B. durch das BfArM oder das PEI geprüft und genehmigt, bevor sie in den Umlauf kommen. zu MMS 2 stand laut Landgericht Hildesheim „Gute Genesung“.
Zwischen Dezember 2008 und Juli 2014 haben die Brüder Erlöse von insgesamt rund 350.000 Euro erzielt. Die Anklage war den Brüdern vor, „die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen gefährdet und aus grobem Eigennutz für sich einen Vermögensvorteil großen Ausmaßes“ erlangt zu haben, indem sie die bedenklichen Mittel auf den Markt gebracht haben. Das Landgericht sprach den älteren Bruder von H., der wegen Beihilfe angeklagt war, frei – und verurteilte H. nicht wegen Vorsatz, sondern wegen Fahrlässigkeit. In die Gesamthaftstrafe floss eine frühere Bewährungsstrafe sowie die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung mit ein.
Die Verteidigung von H. beantragte vor Gericht, das Urteil aufzuheben. Der Geschäftsmann sei davon ausgegangen, dass er durch die Selbstversuche Bedenken bezüglich der Schädlichkeit der Mittel ausgeräumt habe. Auch Wasser könne tödlich sein, argumentierte der Verteidiger vor dem Bundesgerichtshof. Bei MMS verhalte es sich wie bei allen anderen Stoffen – „das ist alles eine Frage der Dosierung“, sagte er. Er kritisierte außerdem, dass das Landgericht Hildesheim keinen Hinweis gegeben habe, dass eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit in Betracht käme – der Angeklagte sei wie die Verteidigung nur von einer möglichen Verurteilung wegen Vorsatz ausgegangen. Dass MMS der Gesundheit nicht zuträglich ist, sei „nicht bestritten“, räumte er in einer Verhandlungspause gegenüber MedWatch ein.
Staatsanwaltschaft sieht Vorsatz
Die Staatsanwaltschaft wollte hingegen eine härtere Strafe für H. erzielen – und argumentierte, er habe vorsätzlich gehandelt. Es gebe „keinen Raum für die Annahme einer Fahrlässigkeitstat“, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft: Nach den Feststellungen des Landgerichts habe der Angeklagte um die möglichen negativen Gesundheitsauswirkungen gewusst. H. erklärte dem Lieferanten, von dem er die Ausgangssubstanzen bezog, er wolle sie zur Wasserdesinfektion nutzen – die Lieferungen waren mit Gefahrenpiktogrammen versehen. Nachdem ein erster Lieferant nicht mehr geliefert hat, da er Bedenken bezüglich des Einsatzzweckes hatte, bezog H. die Chemikalien von einem anderen Händler.
Für ein vorsätzliches Inverkehrbringen genüge es, dass der Angeklagte in dem Bewusstsein gehandelt hat, dass dies verboten ist, erklärte der Vertreter des Bundesgeneralanwaltschaft. H. habe die Präparate mit „frei erfundenen Anpreisungen“ auf den Markt gebracht. Daher könne die Verurteilung wegen Fahrlässigkeit keinen Bestand haben: Nach Ansicht der Bundesgeneralanwaltschaft muss das frühere Urteil aufgehoben und von einer anderen Strafkammer am Landgericht Hildesheim neu verhandelt werden.
Doch die Bundesrichter überzeugte die Argumentationen der Verteidigung wie auch der Bundesgeneralanwaltschaft nicht – es verwarf die Revisionen. Um Vorsatz nachzuweisen, müsste sich der Angeklagte einerseits „der Schädlichkeit seines erfundenen Medikaments“ bewusst sein, erklärte der Vorsitzende Richter Rolf Raum. Dies könne man bejahen – doch anderseits müsse der Angeklagte die Bedenklichkeit gewollt und in seinen Willen aufgenommen haben, erklärte er. Das Landgericht habe nach Einschätzung der Bundesrichter eine vertretbare Interessensabwägung vorgenommen. Auch in Bezug auf die Steuerhinterziehungsdelikte habe das Landgericht keinen durchgreifenden Rechtsfehler begangen, „sodass wir jetzt Frieden stiften konnten und alle Revisionen der Beteiligten verwerfen“, erklärte Raum.
„Zögerliches Verhalten der überörtlichen Behörden“
Der Fall hatte sich über Jahre hingezogen, und verschiedene Behörden beschäftigt. Obwohl H. seit 2008 MMS verkauft hatte, nachdem er ein Buch von dessen „Erfinder“ Jim HumbleJim Humble Jim Humble, Gründer der Sekte »Genesis II, Church of Health & Healing« (zu deutsch: Zweite Schöpfung, Kirche für Gesundheit und Heilung) war zuvor jahrelanges Scientology-Mitglied. Humble bezeichnet sich selbst als Erzbischof. Auf ihn geht die Bezeichnung MMS – Miracle Mineral Supplement – zurück, welches so ziemlich alle Krankheiten heilen soll. MMS ist Chlordioxid in wässriger Lösung. Normalerweise findet es Verwendung als Bleichmittel für Zellstoff (z.B. Papier) oder auch in der Desinfektion von Trinkwasser. gelesen und es wie auch seine Eltern und Geschwister ausprobiert hatte, reagierten die Behörden jahrelang nicht. 2012 hat das Bundesinstitut für RisikobewertungBundesinstitut für Risikobewertung Das BFR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, ist eine Bundesbehörde die dem BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) zugeordnet ist. Sie soll unabhängig von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessen z.B. die Sicherheit von Lebensmitteln, Chemikalien, Bioziden, Pflanzenschutzmitteln, Textilien, Lebensmittelverpackungen, Kosmetika und Tabakerzeugnisse bewerten. Auch die Bewertung gentechnisch veränderter Organismen in Lebens- und Futtermitteln, Pflanzen und Tieren zählt hier dazu. Die wissenschaftsbasierte Risikobewertung geschieht als Grundlage für den gesundheitlichen Verbraucherschutz innerhalb und außerhalb von Deutschland. vor MMS wegen Übelkeit, teils Blutdruckstörungen oder sogar Verätzungen gewarnt. H. versteckte seine Tätigkeiten teils über eine Briefkastenfirma. Erst im Mai 2013 kam es zu einer ersten Durchsuchung, nach der er seine Verkäufe jedoch fortführte. Ein Jahr später erfolgte eine weitere Durchsuchung. „In der Küche des insgesamt sehr vollgemüllten Objekts wurden auf der Arbeitsplatte braune Glasfläschchen mit der Etikettierung ‚MMS‘ sowie Flaschen mit der Etikettierung ‚Aktivator‘ vorgefunden, ferner im gesamten Haus überwiegend leere Eimer mit der Aufschrift Natriumchlorit“, schrieben die Hildesheimer Richter in ihrer Urteilsbegründung.
Auf Antrag des örtlichen Gewerbeaufsichtsamts warnte 2014 das Bundesinstitut für ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. und MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. vor den Produkten von H., welches es als zulassungspflichtig und bedenklich einstufte.
Zu Gunsten des Angeklagten hatten die Hildesheimer Richter auch berücksichtigt, dass es keine Beschwerden von Kunden gegeben habe. Der Angeklagte habe sich nach Auffassung des Landgerichts auch „durch das zögerliche Verhalten der überörtlichen Behörden“ bei der Einschätzung von „MMS“ bestätigt fühlen gedurft, erklärten sie. „Die erste feststellbare amtliche öffentliche Reaktion datiert vom 2. Juli 2012 und damit erst gut vier Jahre nach der Aufnahme der Vertriebstätigkeit des Angeklagten.“