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Heilversprechen getarnt als Erfahrungsberichte DMSO – Finger weg von Selbstmedikation

Hand hält ein Fläschchen aus Braunglas mit klarer Flüssigkeit als Inhalt
Zur Chemikalie DMSO (Dimethylsulfoxid) gibt es jede Menge irreführende Heilsversprechen © Denise Chan / Unsplash

Dimethylsulfoxid (DMSODMSO DMSO – Dimethylsulfoxid – ist ein farb- und geruchloser Wirkstoff aus der Gruppe der Antiphlogistika und wird zur äußerlichen Behandlung von Schmerzen, Entzündungen und Schwellungen eingesetzt. DMSO soll ausschließlich äußerlich angewandt werden. Dies kann als Gel, Creme oder Spray erfolgen. Eine besondere Eigenschaft von DMSO ist die Förderung der Aufnahme anderer Wirkstoffe in die Haut. Deshalb ist davon abzuraten, auf dem gleichen Hautareal, welches mit DMSO behandelt wurde, andere Arzneimittel aufzutragen. Im Körper wird DMSO zu Dimethylsulfid (DMS) und Dimethylsulfon metabolisiert. DMS wird über die Lunge und die Haut ausgeschieden, was unerwünschte Wirkungen wie allergische Reaktionen, Rötungen, Juckreiz, Brennen, ein knoblauchartiger Mund- und Körpergeruch sowie Verdauungsstörungen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung und Appetitmangel verursachen. Dimethylsulfoxid kann die Freisetzung von Histamin erhöhen. Sowohl bei Kindern als auch in der Schwangerschaft und Stillzeit soll es nicht angewandt werden.) soll gegen allerlei Krankheiten und Beschwerden wirken. Anbieter:innen verweisen auf Studien aus den 1960er-Jahren – und eigene Erfahrungen. Nebenwirkungen und Risiken hingegen verschweigen sie.

Die Geschichte von DMSO ist wie ein Puzzle. Trägt man einzelne Puzzlestücke zusammen, ergibt sich das Bild einer Substanz, die zwar oft auf eine potenziell heilende Wirkung untersucht wurde, aber nie wirklich medizinische Anwendung fand. Trotzdem hat die Chemikalie eine große Fangemeinde in der „Alternativmedizin“.

In der „Alternativmedizin“ wird DMSO als Wundermittel beworben

Für Hartmut Fischer und Karin Huber ist die Sache klar: DMSO, das „Wundermittel mit den vier Buchstaben“, ist ein medizinischer Alleskönner, der bis vor einigen Jahrzehnten noch in jeder Hausapotheke zu finden war. Ein Naturstoff, ganz rein und unbehandelt.

Fischer ist Chemiker, HeilpraktikerHeilpraktiker Heilpraktiker*in ist ein Medizinberuf, der auf dem deutschen Heilpraktikergesetz (HPG) beruht. Es handelt sich um einen sogenannten freien Beruf, dem keine einheitliche Ausbildung zugrunde liegt. Weder eine medizinische Ausbildung noch eine berufsqualifizierende Fachprüfung sind dafür erforderlich. Folgende Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsfelder sind jedoch ausgeschlossen: Geburtshilfe, Geschlechtskrankheiten, meldepflichtige übertragbare Krankheiten, die Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die Verordnung von Betäubungsmitteln. In Österreich ist der Beruf verboten. und Autor zahlreicher DMSO-Bücher. Er initiierte eine „DMSO Online Academy“, eine Fernschule, in der man sich die Lerninhalte in Eigenregie beibringt. Karin Huber betreibt das Urkornstüberl in Oberösterreich,1https://www.urkornstueberl.com die „erste Vitaminerei für mehr Lebensfreude“. Dort verkauft sie neben Mitteln für Darm-Detox-Kuren auch DMSO-Produkte. Huber ist Ernährungstrainerin und „DMSO & Co. Practitioner“. Diesen Titel erwarb sie in Fischers Fernschule. Sie unterstützt Fischer mit Werbung und Informationsveranstaltungen auf verschiedenen Social-Media-Kanälen, wo sie ihn als „den führenden DMSO-Experten“ vorstellt.

Frau und Mann vor begrüntem Hintergrund
Karin Huber und Hartmut Fischer in einem ihrer Youtube-Videos
© www.youtube.com/watch?v=GzgTaw2IiW0

DMSO – ein Lösungsmittel und Wirkstoffschlepper 

Aber was ist DMSO überhaupt? Dimethylsulfoxid ist eine farb- und geruchlose Flüssigkeit. Die chemische Industrie nutzt DMSO als Lösungs- und Abbeizmittel. Für die medizinische Forschung und die Pharmabranche steht aber eine weitere Eigenschaft im Fokus: DMSO durchdringt biologische Membranen, also etwa Zellwände und die menschliche Haut. Vor einigen Jahrzehnten nutzten Hersteller von Sport- oder Herpessalben DMSO deshalb als Hilfsstoff, weil es Wirkstoffe quasi Huckepack durch die Haut transportiert – wie ein Schleppermolekül. 

DMSO wurde zudem als Wirkstoff in zwei Medikamenten gegen Gelenkbeschwerden eingesetzt: DMSO 25-Krewel und Rheumabene. In diesen Arzneimitteln machte man sich die abschwellenden und entzündungshemmenden Eigenschaften von DMSO zunutze. 

Allerdings verschwand DMSO sowohl als Hilfs- als auch als Wirkstoff aus pharmakologischen Produkten: Salben enthalten mittlerweile andere Schleppermoleküle und die Zulassungen der Medikamente DMSO 25-Krewel und Rheumabene erloschen im Jahr 2002 beziehungsweise 2004. 

Warum? Auf Nachfrage schreibt das Bundesinstitut für ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. und MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. (BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen.), dass die Zulassungsinhaber – also die Pharmafirmen – kein Interesse an einer Verlängerung der Zulassung hatten. 

Gefährliche Nebenwirkungen

Ein möglicher Grund, warum DMSO als Arzneistoff vom Markt verschwand: Die Chemikalie kann gefährlich sein. „DMSO wurde in den 1960er-Jahren zunächst für den klinischen Einsatz untersucht, doch die Tests wurden beendet“, heißt es in einer Studie der Washington University von 2009. Die Forscher:innen beobachteten krankhafte Veränderungen der Augenlinsen. Und: In Tierversuchen führten selbst geringe Konzentrationen von DMSO zu Schäden am Nervensystem ungeborener Mäuse. 

Forscher:innen aus Portugal fassten in einem Kommentar zusammen, dass der Einsatz von DMSO in klinischen Tests zu systemischen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Hautausschlag sowie zu Nierenversagen, Herz- und Lungenproblemen führte. Zellschädigende Effekte und starke, zum Teil lebensbedrohende Nebenwirkungen traten hier vor allem bei der intravenösen Verabreichung von DMSO-Lösungen mit einer Konzentration ab 10 Prozent auf.

Labortests zeigen außerdem, dass selbst niedrig dosiertes DMSO Zellen direkt schädigt. Forscher:innen aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden berichteten 2019, dass DMSO bereits ab einer Konzentration von 0,1 Prozent die Erbsubstanz wie auch lebenswichtige Prozesse kultivierter menschlicher Herz- und Leberzellen störte. Eine weitere Untersuchung vietnamesischer Forscher:innen zeigt: Bereits in geringen Konzentrationen von 0,6 Prozent hemmt DMSO das Wachstum menschlicher Zelllinien.

DMSO als Hilfsstoff in der heutigen Medizin

Angebliche Wirkungen anpreisen, Nebenwirkungen verschweigen

Alles kein Grund für Fischer und Huber, auf DMSO zu verzichten. Über ihre Internetseiten verkaufen sie die Chemikalie beziehungsweise verlinken Onlineshops. Dass die Substanz heute nicht mehr in Arzneimitteln vorkommt, begründen sie damit, dass es für die Pharmaindustrie angeblich nicht möglich sei, das Sulfoxid zu patentieren. Studien, die gefährliche Nebenwirkungen aufzeigen, ignorieren sie.

Sie präsentieren DMSO als angeblich vergessenes Heilmittel, als ein „einfaches, bewährtes, kostengünstiges und natürliches Mittel“, das dem Körper rasche Regeneration und Regulation ermögliche. Eine Liste auf Fischers Webseite umfasst mehr als 40 Anwendungsgebiete, darunter Asthma, Epilepsie, Infarkte und Schlaganfälle. Medizinische Evidenz für eine Wirkung von DMSO bei diesen Erkrankungen gibt es nicht.

Dass sich Fischer und Huber mit diesen Aussagen in einer rechtlichen Grauzone befinden, ist ihnen offenbar bewusst. Zwar  behaupten sie, dass die Wirkung von DMSO in mehr als 20.000 Studien belegt sei. Doch gleichzeitig berufen sie sich auf „persönlich gesammelte Erfahrungen, die keinesfalls für Nachahmung, HeilversprechenHeilversprechen Bei einem Heilversprechen handelt es sich um die Zusage Heil zu bringen. Das Heil ist die Vorstellung eines gesunden Zustandes. Besonders in Krisenphasen – ob global betrachtet oder auf ganz individueller Ebene wie schweren Schicksalsschlägen – erhalten diese Heilversprechen Konjunktur. Ganz im Widerspruch zum modernen Leben, werden Heilversprechen oft auf Basis eines mythologischen Hintergrundes gegeben und geglaubt. Um als Anwender einer therapeutischen Methode, als Vertreiber eines medizinischen Produktes oder als Anbieter eines Heilverfahrens keine irreführenden Formulierungen zu tätigen, gibt es definierte Vorgaben, die durch das Heilmittelwerbegesetz geregelt sind. oder medizinische Anwendungen verwendet werden dürfen“. 

Fragen zu Anwendungen, Dosierung und Darreichungsformen beantworten sie unter anderem auf dem Youtube-Channel des Urkornstüberls2https://www.youtube.com/channel/UCmuayOycJJVmgvh2oSHu5eQ in knapp zwei Dutzend sogenannter „DMSO-Expertenrunden“. Als „Experten“ treten Fischer und Huber selbst auf.

„Mit ruhigem Gewissen kann ich es auch frischgebackenen Mamis und Schwangeren empfehlen“, sagt beispielsweise Karin Huber – nach eigenen Angaben selbst vierfache Mutter – in einem Video.3https://www.youtube.com/watch?v=l7vAHnsx44w Auch Fischer empfiehlt auf seiner Webseite Schwangeren DMSO und berichtet von angeblichen Erfolgen bei KrampfadernKrampfadern Krampfadern (Varizen) sind Erweiterungen der oberflächlichen Venen, die vor allem an Beinen und gehäuft im höheren Alter auftreten. Erste Anzeichen von Krampfadern sind zunächst harmlose bläuliche Linien unter der Haut. Ohne Behandlung kann es in darauffolgenden Stadien zu Wasseransammlungen im Gewebe, zu Hautgeschwüren oder sogar zu einem offenen Bein kommen. Ursächlich ist eine Schwäche in den Venen. Die Venenklappen schließen nicht mehr vollständig, sauerstoffarmes Blut kann nicht mehr effektiv aus der Haut, dem Fettgewebe sowie der Muskulatur in die tieferen Venen gepumpt werden. Das Blut ‚schwappt‘ in Teilen zurück und sammelt sich in den Beinen an. Im Laufe der Zeit dehnt dies die Wände der Venen. Zunehmendes Alter, familiäre Veranlagung, starkes Übergewicht, Berufe, in denen man lange stehen muss, bestimmte Gefäßerkrankungen sowie eine Schwangerschaft sind Risikofaktoren für Krampfadern. Bewegung und in Ruhephasen die Beine hochlegen können erste Abhilfe schaffen. Für eine Diagnostik der Krampfadern wird mit einer Ultraschalluntersuchung sowohl das oberflächliche als auch das tiefere Venensystem sichtbar gemacht. Krampfadern können zunächst konservativ mit Hilfe von Kompressionsstrümpfen und Bewegung, später auch invasiv behandelt werden. Nicht belegt ist die Wirkung von Cremes, Salben, Tabletten und Nahrungsergänzungsmitteln, die zur Behandlung von Krampfadern beworben werden. Lediglich eine Minderung von milden Symptomen konnte in Studien mit Cremes gezeigt werden. Von einer Ersatztherapie kann nicht die Rede sein., Brustentzündungen und Rückenschmerzen. 

Pharmazeut Stadler warnt

Pharmazeut Franz Stadler, Vorsitzender und Mitbegründer der Stiftung für ArzneimittelsicherheitArzneimittelsicherheit Arzneimittelsicherheit – auch Pharmakovigilanz genannt – bedeutet die fortwährende und systematische Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln nach ihrer Zulassung und Markteinführung. Dafür werden eingehende Verdachtsfälle zu Nebenwirkungen bewertet und Risiken im Verhältnis zum Nutzen eines Arzneimittels überwacht. Zuständig sind das Paul-Ehrlich-Institut sowie das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte), letzteres sogar über die Grenzen Deutschlands hinaus. Über Rote-Hand-Briefe kommen Ärzte und Apotheker an aktualisierte sicherheitsrelevante Informationen zu den Arzneimitteln pharmazeutischer Unternehmen. Den Verdacht auf eine Arzneimittel-Nebenwirkung kann jeder melden., warnt: „Ich würde DMSO weder in Schwangerschaft und Stillzeit noch für Babys und Kleinkinder einsetzen.“ Es gebe keinen klaren Nutzen von DMSO, während negative Wirkungen auf körpereigene Strukturen nicht ausgeschlossen werden könnten.

Zu möglichen Nebenwirkungen verlieren Fischer und Huber jedoch kein Wort. Einzig ein merkwürdiger Geruch auf der Haut und im Atem der Anwender:innen nach Gebrauch sei eine störende Begleiterscheinung der schwefelhaltigen Substanz. 

Woher kommt der merkwürdige Geruch nach Anwendung von DMSO?

Fischer behauptet, das sei „ein Zeichen dafür, dass gute Prozesse in Gang kommen und ein Anzeichen dafür, ob der Körper gut mit Sauerstoff versorgt ist.“ Denn der würde krankmachende freie Radikale wegfangen. Stadler hält diese Aussagen für Quatsch. Redoxprozesse im Körper seien normal, haben aber nichts mit der Sauerstoffsättigung im Körper zu tun. „Unklar ist vielmehr, was im Körper oxidiert wird und welche Folgen das wiederum hat oder haben kann. Nicht immer ist das Abfangen von Radikalen sinnvoll.“ Im Zusammenhang mit einer KrebstherapieKrebstherapie Eine Krebstherapie ist immer spezifisch auf die jeweilige Tumorart angepasst, da Krebs keine spezifische Krankheit, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Erkrankungen ist, die auf gleichen Grundlagen beruhen. Auch ist der Verlauf einer bösartigen Tumorerkrankung von Mensch zu Mensch individuell. Es existieren neben weiteren Methoden drei zentrale Säulen in der Krebsbehandlung: Operation, Strahlen- und Chemotherapie. wäre das sogar von Nachteil, sagt er, denn viele Zytostatika wirkten über genau solche Radikale. 

Auch wenn nach der Anwendung von DMSO Laborwerte der LeberLeber Die Leber ist ein Stoffwechselorgan im menschlichen Körper. Als Hauptentgiftungsstelle verantwortet sie die Verwertung von Nahrungsbestandteilen, den Abbau und die Ausscheidung von Stoffen. Sie baut, zusammen mit anderen Organen, alte oder beschädigte Blutkörperchen ab. Auch die Produktion lebenswichtiger Proteine gehört zu ihren Aufgaben. Sie speichert Vitamine und Spurenelemente und stellt mit Hilfe von Vitamin K Eiweiße her, die für die Blutgerinnung wichtig sind. Die Leber steuert zusätzlich den Blutzuckerspiegel und stellt Ausgangsprodukte für die Hormonproduktion her. Sie nimmt eine wichtige Rolle im Fettstoffwechsel ein. Eine Besonderheit der Leber ist, dass sie sich nach Verletzungen zu einem Großteil regenerieren kann, was für andere Organe nicht der Fall ist. und Niere auffällig sind, wundert sich Fischer nicht und behauptet, dass das Zeichen einer Entgiftung des Körpers seien. Franz Stadler widerspricht: „Auffällige Laborwerte deuten eher auf eine Vergiftung als auf eine Entgiftung hin.“ Die Leber arbeite dann nicht normal, sondern sei gestresst oder vielleicht sogar geschädigt. 

Aufruf zur Selbstmedikation – mehr als fahrlässig

Damit nicht genug. Fischer bezeichnet DMSO als „Dachmittel“ seines Gesundheitswerkzeugkastens und empfiehlt Kombi-Anwendungen mit anderen „Heilmitteln“, unter anderem ChlordioxidChlordioxid Chlordioxid, ClO2, ist bei Raumtemperatur ein bernsteinfarbenes Gas, welches bei einer Konzentration von über 10% in der Luft explosiv ist. Deshalb wird es zumeist in wässriger, nicht explosiver, Lösung angeboten (CDL). Chlordioxid besitzt eine oxidative Wirkung, so dient es z.B. als Bleichmittel von Zellstoff (z.B. Papier) oder auch der Desinfektion von Trinkwasser. Auf vielen Foren wird es als Allheilmittel – auch gegen Corona – beschrieben, oft mit verehrenden gesundheitlichen Folgen. Die Anrufe beim Giftnotruf häufen sich und auch die Gabe von CDL (oder MMS) an kleine Kinder wird propagiert. Für die angepriesene Heilung der verschiedensten Krankheiten gibt es aktuell keine wissenschaftliche Grundlage.-Lösung, Eigenurin oder AmygdalinAmygdalin Aus Amygdalin kann durch enzymatische Spaltung giftige Blausäure freigesetzt werden. Es findet sich in größeren Mengen in Mandeln, Aprikosenkernen sowie in Samen und anderen Steinfrüchten.. Über Wechselwirkungen mit Medikamenten spricht er nicht, obwohl bekannt ist, dass DMSO beispielsweise die Wirkung einer Chemotherapie verhindern und Amygdalin der Gesundheit schaden kann.

Dass DMSO nicht zur Selbstmedikation geeignet ist, ergibt sich aus der Arzneimittelverschreibungsverordnung: Ab einer Konzentration von 15 Prozent sind DMSO-haltige Salben oder Lösungen, die Apotheker:innen anmischen, verschreibungspflichtig. Es ist also die Entscheidung eines Arztes oder einer Ärztin abzuwägen, ob der Nutzen von DMSO die Risiken überwiegt.  

Fischer und Huber erwähnen diese Verschreibungspflicht nicht. Munter geben sie Anwendungs- und Dosierungshinweise für äußerliche und innerliche Anwendungen, selbst für Injektionen und Infusionen. Dabei empfehlen sie auch weit höhere Konzentrationen als 15 Prozent.

Auflistung Text
Die lange Liste der Krankheiten, Störungen und Beschwerden, gegen die DMSO nach Fischer und Huber angeblich eingesetzt werden kann
© https://medizinzumselbermachen.de

DMSO wird als Chemikalie verkauft

Wie aber kann es sein, dass Verbraucher:innen DMSO frei erwerben können, wenn es hochdosiert verschreibungspflichtig ist? Reines DMSO verkaufen Apotheken oder Onlineshops als Chemikalie. Und für diese gibt es statt eines Beipackzettels ein sogenanntes Sicherheitsdatenblatt. 

Was ist ein Sicherheitsdatenblatt?

Allerdings: Ein Sicherheitsdatenblatt muss beim Verkauf der Substanz an eine:n private:n Endabnehmer:in nicht zwingend dabei sein. Auf diese Weise gelangt DMSO legal und ohne weitere Sicherheitshinweise in den Handel – ein Umstand, der den Missbrauch der Chemikalie erleichtert. Und damit auch die Gefahr erhöht, dass Menschen sich unbeabsichtigt vergiften. 

Das Bundesinstitut für RisikobewertungBundesinstitut für Risikobewertung Das BFR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, ist eine Bundesbehörde die dem BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) zugeordnet ist. Sie soll unabhängig von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessen z.B. die Sicherheit von Lebensmitteln, Chemikalien, Bioziden, Pflanzenschutzmitteln, Textilien, Lebensmittelverpackungen, Kosmetika und Tabakerzeugnisse bewerten. Auch die Bewertung gentechnisch veränderter Organismen in Lebens- und Futtermitteln, Pflanzen und Tieren zählt hier dazu. Die wissenschaftsbasierte Risikobewertung geschieht als Grundlage für den gesundheitlichen Verbraucherschutz innerhalb und außerhalb von Deutschland. (BfRBfR Das BfR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, ist eine Bundesbehörde die dem BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) zugeordnet ist. Sie soll unabhängig von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessen z.B. die Sicherheit von Lebensmitteln, Chemikalien, Bioziden, Pflanzenschutzmitteln, Textilien, Lebensmittelverpackungen, Kosmetika und Tabakerzeugnisse bewerten. Auch die Bewertung gentechnisch veränderter Organismen in Lebens- und Futtermitteln, Pflanzen und Tieren zählt hier dazu. Die wissenschaftsbasierte Risikobewertung geschieht als Grundlage für den gesundheitlichen Verbraucherschutz innerhalb und außerhalb von Deutschland.) teilte auf Anfrage von MedWatch mit, dass ihnen Vergiftungsfälle im zweistelligen Bereich nach Hautkontakt oder Einnahme von DMSO bekannt seien. In einem Fall endete die orale Aufnahme von großen Mengen DMSO tödlich. Ein Mann hatte versucht, eine nicht heilende Wunde mit dem Trinken von mehreren hundert Millilitern DMSO zu behandeln.4Glaser, Nina, et al. “Fatal outcome after ingestion of dimethyl sulfoxide as a miracle cure.” CLINICAL TOXICOLOGY. Vol. 55. No. 5. 2-4 PARK SQUARE, MILTON PARK, ABINGDON OR14 4RN, OXON, ENGLAND: TAYLOR & FRANCIS LTD, 2017

DMSO ist kein Wundermittel

DMSO ist kein und war nie ein weit verbreitetes Heilmittel. Und es ist ganz bestimmt keine Substanz, die man bedenkenlos anwenden kann. Fischer und Huber werben mit irreführenden Behauptungen und angeblichen Wirkungen. 

Das kann DMSO:

Das kann DMSO nicht:

  • > Erkrankungen wie Epilepsie, Gürtelrose, Demenz, KrebsKrebs Statt eine spezifische Krankheit zu benennen, handelt es sich bei Krebs um einen Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten. Ihnen allen gemeinsam ist jedoch das unkontrollierte Wachstum von Körperzellen, aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Zellwachstum und Zelltod. Die Folge daraus ist – außer bei Blutkrebsarten – eine Geschwulst ohne organspezifische Funktion. Dringt diese in das umliegende gesunde Gewebe ein, spricht man von bösartigen Tumoren; ausschließlich bösartigen Tumore werden als Krebs bezeichnet. Krebs kann zudem metastasieren, d.h. er breitet sich im Körper aus, indem die Krebszellen über Blut- und Lymphbahnen wandern und infolgedessen in anderen Organen Tochtergeschwülste bilden. oder Infarkte heilen
  • > ADHS, Down-Syndrom oder Entwicklungsverzögerungen beeinflussen
  • > Wirkstoffen den „richtigen Weg“ zeigen
  • > antiallergisch und entgiftend wirken
  • > Zellen im Körper schützen oder regenerieren

MedWatch hat Fischer und Huber gefragt, warum sie Nebenwirkungen ignorieren oder offenbar billigend in Kauf nehmen, wenn sie DMSO als Allheilmittel anpreisen. Ob sie die Studien, die beweisen, dass DMSO schon in geringen Dosen toxisch wirkt, nicht kennen. Denn ansonsten würden sie es wohl kaum sogar für die empfindlichsten Menschen – für Schwangere, Babys und Kleinkinder – empfehlen, oder?

Wir wissen es leider nicht, denn auf die Fragen von MedWatch haben Fischer und Huber bis Redaktionsschluss nicht geantwortet. 


Redaktion: Sigrid März, Angela Bechthold, Nicole Hagen

  • 1
    https://www.urkornstueberl.com
  • 2
    https://www.youtube.com/channel/UCmuayOycJJVmgvh2oSHu5eQ
  • 3
    https://www.youtube.com/watch?v=l7vAHnsx44w
  • 4
    Glaser, Nina, et al. “Fatal outcome after ingestion of dimethyl sulfoxide as a miracle cure.” CLINICAL TOXICOLOGY. Vol. 55. No. 5. 2-4 PARK SQUARE, MILTON PARK, ABINGDON OR14 4RN, OXON, ENGLAND: TAYLOR & FRANCIS LTD, 2017