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Wirbel um Wasser Hexagonales Wasser – Humbug mit Heilsversprechen

Zaun mit sechseckigen Drahtmaschen bedeckt mit Raureif.
Hexagonales Wasser soll wahre Wunder bewirken. © Sigrid März / MedWatch

Hexagonales Wasser soll dank seiner besonderen Struktur Informationen speichern und heilend wirken. Sogar von einem neuen – vierten – Aggregatzustand ist die Rede. Weder für die Struktur noch für eine Wirkung gibt es wissenschaftlich haltbare Belege. 

„Über die Füße entgiften“ oder mit Ashwagandha die Schilddrüse behandeln – zu diesen Themen finden Interessierte Tipps und Tricks auf der „Schoepferinsel“. Mitgründer Andre Tochtermann präsentiert auf der Website Textbeiträge zu Kräuterwissen, NaturheilkundeNaturheilkunde Die Naturheilkunde verfolgt einen ganzheitlichen Gesundheits-Ansatz. Hierbei wird der Mensch im Ausgangspunkt der Handlungskette als etwas Gesundes betrachtet. Die sog. Schulmedizin stellt im Gegensatz dazu, zunächst die Krankheit in den Mittelpunkt. In der Naturheilkunde geht es um Selbstheilungskräfte, Wiederherstellung eines inneren Gleichgewichtes, sowie um die Vorbeugung von Krankheiten. Nicht die Krankheit, sondern der gesamte Organismus wird therapiert. Die Naturheilkunde kann sowohl von Ärzten als auch von Nichtärzten betrieben werden, sie ist jedoch von der sog. alternativen Medizin, zu der auch die Homöopathie gehört, abzugrenzen. Klassische Verfahren der Naturheilkunde sind zu einem großen Anteil in die Schulmedizin integriert. Hierzu zählen: Bewegungs- und Aromatherapie, Behandlung mit pflanzlichen Wirkstoffen, gesunde Ernährung und Heilfasten.Hinzu gesellen sich die eigenständigen Therapieformen der traditionellen Naturheilverfahren wie TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) und die altindische Ayurveda Therapie. und Selbstheilung. 

Wer ein wenig weiter scrollt, stößt zwischen Stockfotos und Spiritualität schnell auf Werbeblöcke für verschiedene Produkte: Von Bärlauchtinktur zur Ausleitung von Schwermetallen bis hin zum Gerät für Lichttherapien – für jedes Problem präsentiert Tochtermann scheinbar eine Lösung.

So wie den Hexagon-Wasserwirbler der Firma Cellavita, einem Webshop für „orthomolekulare Produkte“. Für 119,90 Euro verwirbeln Kund:innen mit einer Art Schneebesen händisch – wohlgemerkt mit der rechten Hand – Leitungswasser und hexagonalisieren es so. Das sagen zumindest Cellavita – und Tochtermann.

Gespickt mit scheinbar wissenschaftlichen Fakten erklärt er, was hexagonales Wasser sein und können soll. Er spart nicht mit Abbildungen zur Struktur, nennt konkrete Zahlen, verwendet Fachbegriffe und gibt Quellen für seine Thesen an. 

Wir stellen klar

Werbetreibende für Produkte und Anwendungen unterstellen hexagonalem Wasser Eigenschaften, die mit chemischen und physikalischen Gesetzen nicht vereinbar sind. Für einen wissenschaftlichen Anstrich flechten sie in ihre Erklärungen Fachbegriffe wie Entropie, Plasma, Wellenlänge oder Feldharmonisierung ein und verwenden irreführende Bilder wie die von Eiskristallen. 

  • Behauptung: „Hexagonales Wasser hat eine niedrigere Frequenz als Leitungswasser.“
    Richtig ist: Wasser hat keine Frequenz
  • Behauptung: „Durch die Strukturierung verbessert sich der Redoxwert des Wassers.”
    Richtig ist: Einen solchen Wert gibt es für Wasser nicht.
  • Behauptung: „Wasser kann positive Informationen speichern.“
    Richtig ist: Wasser speichert keine Informationen.
  • Behauptung: „Es gibt eine Wassermatrix.”
    Richtig ist: Eine Matrix ist ein geordnetes System, das nach einem bestimmten Bauplan gebildet wird. Das hat Wasser nicht.
  • Behauptung: „Hexagonales Wasser kann mehr Energie aufnehmen als normales Wasser.“
    Richtig ist: Es handelt sich in beiden Fällen um „normales“ Wasser.

Laut Tochtermann ist hexagonales Wasser ein wahrer Alleskönner: Es speichert Informationen wie eine CD, tötet Bakterien und hilft, in der Landwirtschaft höhere Erträge zu erzielen sowie schwere chronische Leiden zu lindern und sogar zu heilen.

Große Versprechungen, die Fragen aufwerfen: Wie entsteht hexagonales Wasser angeblich? Und was genau soll es von „normalem“ Wasser unterscheiden?

Hexagonales Wasser – was soll das sein?

Die Begriffe „hexagonales Wasser“, „strukturiertes Wasser“,  „Exclusion Zone Water“ oder „4th Phase Water“ – also Wasser im vierten Aggregatzustand – gehen im Wesentlichen auf den US-amerikanischen Wissenschaftler Gerald Pollack zurück.1G. H. Pollack: Wasser, viel mehr als H2O, VAK Verlags GmbH, Kirchzarten 2014 Pollack ist biomedizinischer Ingenieur und Wasserforscher am Department of Bioengeneering an der Universität Washington. 

Er will herausgefunden haben, dass Wasser sich an Oberflächen anderer Materialien selbst „ordnet“. Diese Schicht geordneter Wassermoleküle nennt er „Exclusion Zone“. Sie soll einige hundert Mikrometer umfassen, also etwa ein Zehntel Millimeter dick sein. 

Sie wollen mehr über Wasser an Grenzflächen erfahren?

Pollack präsentiert einen Strukturvorschlag, wie Wassermoleküle sich in der „Exclusion Zone“ sortieren sollen. Diesen hat er nicht gemessen oder berechnet. Stattdessen hat er sich die Struktur selbst überlegt: Sechsringe aus verbundenen Wassermolekülen sollen hexagonale Netze bilden, die sich dicht an dicht übereinander lagern. Wie Honigwaben in einem Bienenstock.

Hexagon mit Elektronen-Spirit

Hexagonale Strukturen existieren in der Tat – und zwar in Eiskristallen. Allerdings sind diese Sechsringverbände nicht flach wie ein Blatt Papier. Sie sind in alle Raumrichtungen miteinander verknüpft, wie die Seile eines Klettergerüstes. Außerdem ist Eis ein Feststoff. Im Gegensatz zum flüssigen Wasser halten die Moleküle im Eis wesentlich stärker zusammen. 

Dieses Dilemma bemerkte auch Pollack und löste es mit einer erstaunlichen Behauptung: Der Zusammenhalt der Schichten sei geschwächt, weil verbindende Wasserstoffatome fehlten. Damit läge statt hexagonalem Eis eine hexagonale Flüssigkeit vor. Oder zumindest etwas, das einer Flüssigkeit nahekommt, denn er nennt es „den vierten Aggregatzustand“ von Wasser. 

chemische Strukturformeln
Aus der bekannten Molekülstruktur von Wasser (H2O, links) ermittelte Pollack eine neue Summenformel für Wassermoleküle. Die lautet dann nicht mehr H2O, sondern H3O2. Diese Wassermoleküle lagern sich angeblich zu Sechsringen und die wiederum zu planaren Netzen zusammen (mittig). Tausende dieser Sechsring-Netze sollen in hexagonalem Wasser vielfach übereinander gestapelt vorliegen (rechts).
© Carolin Sage / MedWatch

Nun gleichen sich negative und positive Ladungen in Wasser in der Regel aus. Fehlen positiv geladene Wasserstoffionen, wäre jedes einzelne Hexagon negativ geladen. Diesen Ladungsunterschied gleichen aber nicht etwa übrig gebliebene Wasserstoffionen aus. Nein, die Ladung soll laut Pollack als Elektronenplasma delokalisiert im oder um das Netz herum vorliegen. Sozusagen als Elektronen-Spirit. 

Heilsame Wirkungen?

Dass also wundersame Kräfte am Werk sein müssen, um den Verband der Wasserteilchen zusammenzuhalten, scheint den Anhänger:innen des strukturierten Wassers klar zu sein. Sie preisen es dementsprechend an: Hexagonales Wasser sei „der heilige Gral der Gesundheit“, eines der „beeindruckendsten wissenschaftlichen Phänomene der letzten Jahre“ und „ohne EZ-Wasser [gäbe es sogar] kein Leben.“

Selbst mit Heilsversprechen sparen Betreiber:innen von entsprechenden Internetseiten nicht: „Studien zufolge hat sich hexagonales Wasser als wirksam bei der Vorbeugung und Behandlung von KrebsKrebs Statt eine spezifische Krankheit zu benennen, handelt es sich bei Krebs um einen Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten. Ihnen allen gemeinsam ist jedoch das unkontrollierte Wachstum von Körperzellen, aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Zellwachstum und Zelltod. Die Folge daraus ist – außer bei Blutkrebsarten – eine Geschwulst ohne organspezifische Funktion. Dringt diese in das umliegende gesunde Gewebe ein, spricht man von bösartigen Tumoren; ausschließlich bösartigen Tumore werden als Krebs bezeichnet. Krebs kann zudem metastasieren, d.h. er breitet sich im Körper aus, indem die Krebszellen über Blut- und Lymphbahnen wandern und infolgedessen in anderen Organen Tochtergeschwülste bilden., Diabetes, Alterung und AIDSAids AIDS ist die Abkürzung für Acquired Immunodeficiency Syndrome, was mit »Erworbenes Immunschwächesyndrom« übersetzt werden kann. Durch eine Infektion mit dem HI-Virus kommt es zu einer Schwächung des körpereigenen Immunsystems, so dass zumeist unproblematisch verlaufende Krankheiten zu einem Problem werden. Eine Infektion mit HIV wurde zum ersten Mal 1981 diagnostiziert und hat sich seitdem zu einer Pandemie entwickelt. Die Therapie wurde in den letzten Jahren massiv verbessert, so dass Infizierten ein wesentlich längeres Leben mit hoher Qualität ermöglich wird. erwiesen“, heißt es auf Aquawissen.de. Darüber: Werbung für Wasserfilter und Osmoseanlagen.

Spezielle Erholungszentren werben mit Ruhesesseln, die sie mit hexagonalem Wasser umspülen. Für etwa 50 Euro können gestresste Menschen in „Recreation Lounges“ eine halbe Stunde lang entspannen. Deutschlandweit an 15 Standorten, Heilsversprechen inklusive. 

„Mehr als abstrus”

Die Fans von hexagonalem Wasser sehen darin die Lösung für so ziemlich alles: Übersäuerte Körper, freie Radikale, krankmachende Frequenzen, elektromagnetische Wellen und sogar negative Gedanken.

Damit nicht genug: Pollack postuliert das strukturierte Wasser für eine schmale Schicht an einer Grenzfläche, nicht für größere Wassermengen. Das jedoch ignorieren Tochtermann & Co und tun so, als stände hexagonales Wasser – wenn es das denn überhaupt gäbe – hektoliterweise zur Verfügung.

„In flüssigem Wasser gibt es diese hexagonale Form nicht, schon gar nicht dauerhaft“, sagt Karina Morgenstern. Die Professorin forscht an der Ruhr-Universität Bochum an Eisstrukturen, Wasserclustern und der Wechselwirkung von Wassermolekülen mit Metalloberflächen. Die Theorien von hexagonalem Wasser oder „Exclusion Zones“ seien ihr nicht bekannt, es handele sich nicht um anerkannte Fachbegriffe. Dass Wasser in größeren Mengen mit Wirblern oder technischen Anlagen „hexagonalisiert“ werden solle, findet Morgenstern „mehr als abstrus“.

Eine gewisse Ordnung von Wassermolekülen könne man schon beobachten, etwa an geladenen Elektroden, sagt die Physikerin. „Aber das findet im Rahmen von zwei bis drei Wasserlagen statt und ist damit weit weg von Zonen mit mehreren hundert Mikrometern Dicke.“ Zudem herrsche selbst in solchen Szenarien noch immer eine gewisse Dynamik. Eine strikte Ordnung gebe es nur in Eis. 

Sechs Gründe, warum Pollacks Strukturmodell nicht plausibel ist:

1. Geladene Hexagone (und „Exclusion Zones“) gibt es nicht
Weder chemisch noch physikalisch lässt sich erklären, dass Wassermoleküle dauerhaft negativ geladen vorliegen. 

2. Planare hexagonalen Netze gibt es nicht
Sauerstoff versammelt Wasserstoffatome immer in der Form einer Pyramide um sicher herum. Flache Wasserschichten gibt es deshalb nicht.

3. Planare Eisschichten gibt es nicht
Auch in hexagonalem Eis, der Grundlage von Pollacks Strukturmodell, gibt es keine ebenen Schichten. Die Sechsringe bilden eine dreidimensionale Struktur.

4. Ein einzige Art sich zu verbinden, ist unwahrscheinlich
Für Wassermoleküle gibt es immer mehrere Möglichkeiten, sich zu verbinden. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass sich Millionen von Molekülen in immer der gleichen Weise – nämlich als Hexamer – verbinden.

5. Wasserstoffbrücken sind vergänglich
Wie lang- oder kurzlebig Wasserstoffbrücken sind, erwähnt Pollack in seiner Darstellung nicht. Er blendet diesen Punkt schlicht aus.

6. Sauerstoff ist mit Wasserstoff fest verbunden
In allen bekannten Strukturen ist jedes Sauerstoffatom fest mit zwei Wasserstoffatomen verknüpft. Dieses Naturgesetz wirft Pollack mit seinem Modell über den Haufen. 

Besondere Eigenschaften hat Wasser tatsächlich: Es hat seine maximale Dichte nicht wie andere Stoffe am Gefrierpunkt von 0 °C, sondern bei 4 °C. Deshalb schwimmen Eiswürfel in der Limo. Bekannt ist auch die Tatsache, dass Wassermoleküle im Wasser über schwache Wasserstoffbrücken miteinander interagieren. Die sind sehr kurzlebig und nicht im Ansatz so stark wie die Bindungen zwischen Atomen in einem Molekül. 

Sie wollen mehr über Wasserstoffbrückenbindungen erfahren?

Gerald Pollacks „Forschung“ hingegen mangelt es an wissenschaftlicher Basis. Er ignoriert chemische und physikalische Gesetze, etwa mit welchen Abständen und Winkeln verschiedene Atome in einem Molekül zueinander stehen. Er entwickelt sein Strukturmodell mit Eis als Vorbild, dessen Struktur er auch noch falsch verstanden hat. Messungen oder Berechnungen, um sein Modell zu belegen, spart er sich. 

Durchweg unwissenschaftliche Quellen

Gerald Pollack weiß durchaus, in welchem Kontext man seine Arbeiten betrachtet. Schließlich tritt er regelmäßig als Gastredner auf Symposien von Vereinigungen der Alternativmedizin und der alternativen Wasserforschung auf.

Die Universität Washington schweigt auf die Frage von MedWatch, wie sich die zweifelhaften Aussagen Pollacks mit dem Qualitätsanspruch der Forschung vereinbaren lassen.

All das stört Tochtermann und Fans der Theorie des hexagonalen Wassers aber nicht weiter; auch nicht, dass Forscher:innen weder das Strukturmodell noch Aussagen zu „Exclusion Zones“ in anerkannten Fachjournalen publizierten; „Belege“ entstammen durchweg unwissenschaftlichen Quellen.

Ebenso wenig belegt ist die Wirkung von Verwirblern, Steinen oder energetisierten Glasscheiben, mit deren Hilfe große Mengen Wasser strukturiert werden sollen.

Laut Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb ist irreführende Werbung verboten. Dass es sich bei den Auslobungen von hexagonalem Wasser um eine solche handelt, sieht man beim VerbraucherschutzVerbraucherschutz Verbraucherschutz ist deutschland- und europaweit ein breit gefächertes Gebiet. So gibt es ein Amt für Verbraucherschutz, ein Bundesinstitut für Risikobewertung, die EFSA – die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – und eine Health-Claims-Verordnung. In Deutschland existieren 16 Verbraucherzentralen und weitere verbraucherpolitische Organisationen, die in einem gemeinsamen Bundesverband gebündelt sind. Verbraucherschutz beinhält Rechtsvorschriften und Verbraucherrechte die z.B. Bereiche wie Lebensmittelsicherheit, Kaufverträge und Verträge mit Banken und Geldinstituten berücksichtigen. Baden-Württemberg auch so. Prozesse gegen die Werbetreibenden seien jedoch oft langwierig, für eine konsequente Verfolgung fehlten Kapazitäten, sagt eine Sprecherin gegenüber MedWatch.

Andre Tochtermann von der „Schoepferinsel“ hingegen möchte sich nicht äußern: „Angesichts verschiedener Aspekte ist es uns nicht möglich auf individuelle Fragestellungen zu antworten“, lautet es auf die Bitte um Stellungnahme.


Redaktion: Sigrid März, Angela Bechthold, Nicole Hagen

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    G. H. Pollack: Wasser, viel mehr als H2O, VAK Verlags GmbH, Kirchzarten 2014