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MedWatch Akut Kühlende Masken bei Migräne und Hypnose gegen ADHS

Frau mit dunkeln Haaren, vornübergebeugt und mit geschlossenen Augen, greift sich mit beiden Händen an ihre Schläfen.
Können Kühlpacks bei Migräne helfen? © fairpharma / Pixabay

Eine Kopfmaske mit Kühlpacks soll bei Migräne die Schmerzmittel ersetzen und Hypnose soll ADHS wegzaubern.

Akutfall 1: Kopfmaske gegen Migräne

Auf ihrem Instagram-Account wirbt Migree für eine Nylonmaske gegen Migräne. In einem Reel behauptet der Onlinehändler, die Maske lindere Migräne in Sekundenschnelle. Auf der Website steht zur Produktbeschreibung der Maske: „Schluss mit Kopfschmerzen“ – und zwar mit „Natur statt Tabletten.“

MedWatch ordnet ein.

Migräne ist der Tsunami unter den Kopfschmerzen. Rollt eine Attacke heran, können Betroffene ihr nur selten ausweichen. Mit voller Wucht schlägt sie zu. Rund jeder zehnte Mensch hatte schon einmal eine Migräneattacke, bei geschätzt einem bis zwei Prozent aller Menschen gilt die Migräne als chronisch.

Die starken Kopfschmerzen sind aber nicht das einzige Symptom: „Die Migräne ist eine komplexe neurologische Erkrankung, eine vorübergehende Funktionsstörung des Gehirns, […] die von neurologischen und vegetativen Störungen begleitet werden kann“, schreibt die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft in einer Infobroschüre. Betroffene leiden zum Beispiel unter Übelkeit und Erbrechen, reagieren empfindlich auf Licht, Geräusche und Gerüche oder zeigen Lähmungserscheinungen.

Betroffene können Migräne nur symptomatisch behandeln

Die Ursachen von Migräne sowie die genauen Mechanismen, die bei einem Anfall ablaufen, sind wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Man weiß jedoch, dass bei einer Migräneattacke der Stoffwechsel im Gehirn verändert ist und entzündliche Prozesse ablaufen. Außerdem kennt man die unterschiedlichen Phasen eines Migäneanfalls. 

Was die Anfälle begünstigt –  sogenannte Triggerfaktoren – ist individuell: hormonelle Schwankungen im Zyklus der Frau, wenig Schlaf, Stress oder anderes. Wichtig: Solche Umwelteinflüsse können bei Menschen mit Veranlagung zu Migräne einen Anfall auslösen, sie sind aber nicht deren Ursache. Selbst wenn Migräniker:innen Triggerfaktoren meiden, können Anfälle unverändert häufig oder heftig auftreten. 


Bei Migräneattacken können Betroffene lediglich die Symptome bekämpfen, denn als chronische Erkrankung ist Migräne nicht heilbar. Schmerzmittel wirken gegen die Kopfschmerzen, zudem dämpfen beispielsweise Triptane – spezielle Migränemedikamente – auch andere Symptome gut. Vielen Migränepatient:innen hilft es, sich in eine reizarme, dunkle Umgebung zurückzuziehen.

Keine Evidenz für Kühlpacks

Andere bevorzugen warme oder kühlende Umschläge. Für deren Wirksamkeit fehlt aber eine wissenschaftliche Evidenz.1https://s3.eu-west-1.amazonaws.com/public.s3b.spectra.io/docinside/prod/rosenfluh/media/arsmedici-dossier/2023/05/Akuttherapie-der-Migraene.pdf Möglicherweise tun sie Betroffenen bei leichten Anfällen gut. Schmerzmittel oder Migränemedikamente können sie aber nicht ersetzen.

Jedoch suggeriert die Werbung für eine kühlende Kopfmaske von Migree: „Diese Maske lindert in Sekunden meine Migräne!“

MedWatch hat bei Migree nachgefragt, was deren Beleg für die Wirkung der Maske sei. Der Geschäftsführer Dennis Oeder hat geantwortet, dass sie das Ganze als Herzensprojekt aufgesetzt hätten „um Menschen irgendwo eine ‘präventive’ und auch ‘aktive’ Möglichkeit zu bieten, wenn es um das Thema körperliche Beschwerden geht”. Weiter sähen sie sich als Alltagshelfer und würden nicht darauf hinweisen oder damit werben, auf Tabletten verzichten zu können und falls das so wirke, dann tue es ihnen leid. Kälte- oder Wärmetherapie sei ein allgemein bekannter Helfer und sie hätten ihn einfach nur empfohlen, weil er ihnen selbst auch geholfen habe. Zudem gäbe es auch viele Informationen dazu von Ärzt:innen, aus Zeitungsberichten oder Websites.  

Nun sind Zeitungsberichte und Co. aber keine Evidenz für ein Medizinprodukt. Und laut HeilmittelwerbegesetzHeilmittelwerbegesetz Das Heilmittelwerbegesetz (HWG) regelt den Wortlaut im Zusammenhang mit Heilversprechen. Es darf nach dem HWG nichts behauptet werden, was nicht stimmt. Wird damit geworben, dass ein Medikament oder eine Therapie wirkt, muss diese Wirksamkeit auch wissenschaftlich belegt sein. Dafür muss der Bewerber selbst wissenschaftliche Studienergebnisse vorlegen. Da kaum eine alternativmedizinische Behandlungsmethode wissenschaftlich belegt ist, dürfen Heilpraktiker keine Heilversprechen abgeben. ist es verboten, für Mittel oder Behandlungen zu werben, die Krankheiten lindern oder beseitigen sollen. Es sei denn, man kann dafür eine therapeutische Wirksamkeit belegen. 

Für Wellnessartikel hingegen darf man werben. Dann aber ohne gesundheitsbezogene Aussagen.

Akutfall 2: Hypnose gegen ADHS

Eine andere Art von Tsunami im Kopf erleben Menschen mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung): Konzentrationsstörungen, Impulsivität und Hyperaktivität. Betroffenen fehlen an wichtigen Stellen im Gehirn ausreichende Mengen bestimmter Botenstoffe wie Noradrenalin und Dopamin. Menschen mit ADHS wirken oft fahrig und nicht richtig bei der Sache. Äußere Reize lenken sie schnell ab, es fällt ihnen schwer, Handlungen konzentriert und geplant auszuführen. Oft wirken Betroffene unruhig oder gar gehetzt.2https://www.zi-mannheim.de/fileadmin/user_upload/downloads/lehre/flyer/Flyer-ADHS_im_Erwachsenenalter.pdf

Eine ADHS-Diagnose ist komplex

Gerade bei Kindern ist es herausfordernd, ADHS zu diagnostizieren. Schließlich sind viele Kinder per se impulsiv und lassen sich schnell ablenken. Hinzu kommt, dass die Symptome mannigfaltig sind und außerdem ebenso bei anderen Erkrankungen auftreten können. Der Vorwurf, ADHS sei überdiagnostiziert, war deshalb schon immer laut. Auch wissenschaftliche Untersuchungen konnten ihn nicht aus dem Weg räumen.3https://www.gelbe-liste.de/neurologie/ahds-ueberdiagnose-kinder-jugendliche Fest steht aber: ADHS gibt es und sie ist therapiebedürftig. 

Hypnose soll ADHS wegzaubern

Etienne Blinn, Mentalcoach und Hypnotiseur, sieht das anders. Bei Instagram sagt er: „ADHS ist in meinen Augen Schwachsinn und die größte Verarsche der Menschheit.“  Statt der üblichen umfassenden Behandlung – Psychotherapien und gegebenenfalls Medikamente – empfiehlt er Hypnose. Er bietet sie zudem direkt an, auch für Kinder. Nach ein bis zwei Hypnose-Sitzungen bei ihm sei „das Thema erledigt“, behauptet Blinn. 

Und das lässt er sich gut bezahlen: 219 Euro kostet die erste Sitzung, jede weitere 159 Euro. 

Studienlage ist mangelhaft

Wissenschaftler:innen haben versucht, herauszufinden, ob Hypnose ADHS-Betroffenen helfen kann. Doch die Studien haben Mängel. Ein französisches Team hat zum Beispiel untersucht, ob Hypnose das Selbstbewusstsein von Kindern mit neurologischen Störungen verbessern kann. Tatsächlich gab ein signifikanter Teil der Kinder nach der Hypnose an, sich selbstbewusster zu fühlen. Allerdings schloss die Studie nur 14 Teilnehmer:innen ein, sechs von ihnen mit ADHS. Für eine sichere Aussage sind das zu wenige Personen. Weitere große Mängel: Die Forscher:innen maßen den Erfolg der TherapieTherapie Therapie bezeichnet eine Heil- oder Krankenbehandlung im weitesten Sinn. Es kann hierbei die Beseitigung einer Krankheitsursache oder die Beseitigung von Symptomen im Mittelpunkt stehen. Ziel einer jeden Therapie ist die Widerherstellung der physischen und psychischen Funktionen eines Patienten durch einen Therapeuten. Soweit dies unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist. nicht objektiv, die Kinder schätzten ihn selbst ein. Zudem fehlte eine Kontrollgruppe, also Teilnehmer:innen, die keine oder eine andere Therapieform erhielten.  

In einer anderen Studie untersuchten finnische Wissenschaftler:innen, wie schnell Testpersonen Konzentrationsaufgaben vor und nach Hypnose lösen.4https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25962151/ Dazu maßen sie zu vier Zeitpunkten, wie lange die Versuchspersonen für die Aufgaben benötigten: einmal vor der Hypnose, zweimal währenddessen und einmal danach. Bei dieser Studie gab es auch eine Kontrollgruppe von Menschen, die nicht von ADHS betroffen waren. Das Ergebnis der Untersuchung war: Während der Hypnose war die ADHS-Gruppe im Schnitt ein klein wenig schneller, doch schon kurz nach der Hypnose war der Effekt wieder verpufft. 

Im Jahr 1986 testeten zwei Forscher den Effekt von Hypnose auf Schüler:innen mit ADHS. Die Studie begann mit elf Teilnehmer:innen, die zunächst auf sieben, dann auf drei und zuletzt auf ein einziges Kind reduziert wurden. Bei diesem Kind war die Hypnose erfolgreich. Statistisch aussagekräftig ist die Studie damit aber nicht.  

Die Studienlage zum Effekt von Hypnose bei ADHS ist also mangelhaft. 

MedWatch hat Mentalcoach Etienne Blinn deshalb gefragt, wie er seine Aussagen begründet und auf welcher Basis er Hypnose bei ADHS empfiehlt. Er hat nicht geantwortet.


Redaktion: Marie Eickhoff, Sigrid März, Nicole Hagen

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    https://s3.eu-west-1.amazonaws.com/public.s3b.spectra.io/docinside/prod/rosenfluh/media/arsmedici-dossier/2023/05/Akuttherapie-der-Migraene.pdf
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    https://www.zi-mannheim.de/fileadmin/user_upload/downloads/lehre/flyer/Flyer-ADHS_im_Erwachsenenalter.pdf
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    https://www.gelbe-liste.de/neurologie/ahds-ueberdiagnose-kinder-jugendliche
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    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25962151/