Reklame aus der Gesundheitsbranche begegnet einem im Internet immer öfter. Die große Nachfrage nach Selbstbehandlung und -optimierung trifft auf ein scheinbar grenzenloses Angebot. Das kommt oft mit fragwürdigen Vertriebspraktiken daher – zum Beispiel mit Content-Empfehlungen. Ein Milliardengeschäft, in dem deutsche Medien, die AOKAOK Allgemeine Ortskrankenkasse. Krankenkasse mit 11 Regionalkassen. und sogar die Deutsche Rentenversicherung mitmischen.
Kennen Sie Informationsportale wie „Apotheken-Magazin“, „Ratgeber der Gesundheit“ oder „Pro Verbraucher“? Wohl eher nicht. Gleichwohl sind Ihnen diese seriös klingenden Fachpublikationen sicherlich schon tausendfach im Internet begegnet. Zum Beispiel auf den Webseiten von SPIEGEL, ZEIT, T-Online oder BILD. Unter den dort veröffentlichten Artikeln der Redaktion werden regelmäßig Anzeigen wie die folgenden eingeblendet:
Content-Empfehlungen von Outbrain und Taboola in deutschen Online-Medien
Wer sind Taboola und Outbrain?
Hinter diesen Einblendungen stecken die Unternehmen Outbrain und Taboola. Ursprünglich in Israel gegründet, befinden sich ihre Hauptsitze mittlerweile in New York. Warum aber schalten internationale Konzerne in deutschen Online-Medien Werbung für Reizdarm- oder Abnehmprodukte? Klar ist – es ist Teil eines Milliardengeschäfts: Der Umsatz der börsennotierten Taboola Inc. betrug im vergangenen Jahr rund 1,4 Milliarden US-Dollar.1https://www.finanzen.net/bilanz_guv/taboola Die Outbrain Inc., seit 2021 ebenfalls an der US-amerikanischen Börse, liegt mit 992 Millionen US-Dollar Jahresumsatz ein gutes Stück dahinter.2https://www.finanzen.net/bilanz_guv/outbrain Allerdings kooperiert Outbrain hierzulande mit den größten Verlagshäusern wie SPIEGEL oder Axel Springer.
Die Marktanteile beider Unternehmen ändern sich stetig: So erwarb Outbrain 2019 überraschend den deutschen Konkurrenten Ligatus vom mittlerweile zerschlagenen Medienunternehmen Gruner + Jahr und steigerte seine Reichweite damit erheblich.3https://www.wuv.de/Archiv/G-J-verkauft-Ligatus-an-Outbrain Noch im selben Jahr erklärte sich Outbrain selbst wiederum zu einer Übernahme durch Taboola bereit. 4https://www.cnbc.com/2019/10/03/ad-tech-companies-taboola-and-outbrain-to-merge.html Doch die Fusion der beiden Schwergewichte scheiterte: Taboola-Gründer und CEO Adam Singolda begründete dies ein Jahr später in einem öffentlichen Statement mit der ablehnenden Haltung von Investoren. Medienberichten zufolge waren Kapitalgeber im Zuge der CoronaCorona Mit Corona bezeichnet die Allgemeinbevölkerung zumeist SARS-CoV-2 (Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2). Es ist ein neues Beta-Coronavirus, welches zu Beginn des Jahres 2020 als Auslöser der Krankheit COVID-19 identifiziert wurde. Coronaviren waren schon vor 2020 altbekannt. In Menschen verursachen sie vorwiegend milde Erkältungskrankheiten (teils auch schwere Lungenentzündungen) und auch andere Wirte werden von ihnen befallen. SARS-CoV-2 hingegen verursacht wesentlich schwerere Krankheitsverläufe, mit Aufenthalten auf der Intensivstation bis hin zum Tod. Der Virusstamm entwickelte und entwickelt seit seiner Entdeckung verschiedene Virusvarianten, die in ihren Aminosäuren Austausche aufweisen, was zu unterschiedlichen Eigenschaften bezüglich ihrer Infektiosität und der Schwere eines Krankheitsverlaufes führt. Seit Dezember 2020 steht in Deutschland ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung.-PandemiePandemie Pandemie bezeichnet eine globale Epidemie, eine zeitlich begrenzte und zugleich weltweit stattfindende Infektionskrankheit. Fehlende Grundimmunitäten gegen, z.B. neu mutierte, Bakterien- oder Virenstämme erhöhen Infektions- und Todesraten. Während einer Pandemie mit schweren Krankheitsverläufen sind Überlastungen von Gesundheitsversorgungsstrukturen und des öffentlichen Lebens schnell erreicht. Bekannte Beispiele für durch Viren hervorgerufene Pandemien sind HIV (seit den 80er Jahren), das Influenza-A-Virus (H1N1) von 2009 sowie Corona (seit 2019). Der weltweite Handel, eine globale Mobilität sowie immer weniger Rückzugsorte für andere Lebewesen begünstigen nicht nur die Entstehung von Infektionskrankheiten, sondern auch deren Ausbreitung. Die WHO kontrolliert in einem ständigen Prozess das Auftreten und die Verbreitung von Infektionskrankheiten, die potentiell epidemisch oder pandemisch werden könnten. abgesprungen.5https://www.adzine.de/2020/09/die-fusion-von-outbrain-und-taboola-ist-abgeblasen/
Ein lohnendes Geschäftsmodell
Ihr Geld verdienen Taboola und Outbrain mit kontextbezogener Werbung. Deutsche Verlagshäuser stellen den Unternehmen auf ihren Internetseiten Werbeflächen zur Verfügung, auf denen diese eine Anzeigenauswahl von Drittunternehmen („Advertiser“ genannt) einspielen. Welche konkreten Anzeigen den Seitenbesucher:innen angezeigt werden, entscheidet der im Hintergrund arbeitende Algorithmus.6https://www.klickkomplizen.de/blog/social-media-und-businessnetzwerke/taboola/ Die Verlagsseiten werden so zu einer Art Litfaßsäule, die von Taboola oder Outbrain mit der Werbung für die „Advertiser“ bestückt wird. Allerdings mit einer Besonderheit: Die Leser:innen des SPIEGEL bekommen mitunter andere Werbebanner zu Gesicht als die von T-Online. Wer sich für Promi-Nachrichten interessiert, ist für andere Anzeigen empfänglich als Fans des Wissenschaftsressorts. Im Marketing-Sprech nennt sich das „Targeting“ oder „Zielgruppengenauigkeit“.7https://www.onlinemarketing-praxis.de/glossar/targeting Taboola behauptet, auf diese Weise monatlich bis zu 1,4 Milliarden Nutzer:innen zu erreichen.
Dass sich Werbung mit dieser Reichweite für die Händler lohnt, liegt auf der Hand. Aber warum ist dieses Geschäftsmodell auch für die Medienunternehmen attraktiv?
Wie Verlage am Affiliate-Marketing verdienen
Der „Advertiser“ (auch „Merchant“ genannt), der sein Produkt vermarkten möchte, veröffentlicht nicht selbst eine Werbeanzeige, sondern bezahlt einen Geschäftspartner („Affiliate“ oder „Publisher“) dafür, dass dieser Bannerwerbung auf seiner Seite oder sogenannte Affiliate-Links in redaktionellen Beiträgen einbaut.8https://www.ionos.de/digitalguide/online-marketing/verkaufen-im-internet/so-funktioniert-affiliate-marketing/ Der Link besteht dabei aus einem komplexen Buchstaben- und Zahlensalat, durch dessen Entschlüsselung der Händler weiß, von welcher Webseite die Verbraucher:innen zu ihm geführt wurden.
Taboola und Outbrain operieren als Schnittstelle zwischen „Advertisern“ und „Publishern“. Sie rechnen gegenüber dem „Advertiser“ jeden Klick ab, der die Leser:innen von SPIEGEL, ZEIT und Co. auf seine Seite schickt. Neben dieser verbreiteten Provision auf Basis von „Cost per click“ (CPC) gibt es auch das Abrechnungsmodell „Cost per mille“ (CPM), in dem die Zahlung jeweils bei eintausend Reklame-Aufrufen fällig wird.9https://www.outbrain.com/glossary/cpm-cost-per-mille/
Die genauen Provisionsraten sind Verhandlungssache und vor allem abhängig von der Wettbewerbssituation des Landes, in dem die Werbeanzeige erscheinen soll. Der Blogger Pedro Campos taxiert die durchschnittliche CPC-Rate auf 0,37 bis 3,00 Dollar für Taboola und 0,15 bis 0,30 Dollar für Outbrain. Wie viel die beiden Unternehmen davon an die Verlage weitergeben, ist offiziell nicht bekannt. Verschiedene Quellen berichten aber davon, dass der Kuchen ungefähr zur Hälfte mit den „Publishern“ geteilt wird.10https://www.ft.com/content/d4e728da-30e9-3f65-9ca5-10fc8969d34f, 11https://hevodata.com/learn/taboola-vs-google-adsense/#f3
Als wäre dieses „Vertriebsviereck“ zwischen Affiliate-Netzwerken, Verlagen, Händlern und Verbraucher:innen nicht schon kompliziert genug, kommt regelmäßig noch eine weitere Ebene hinzu: Der „Advertiser“, auf dessen Seite die Werbebanner die Verbraucher:innen führen, ist häufig gar nicht Hersteller der Produkte, die dort beworben werden. Eine Outbrain-Kampagne des „Apotheken-Magazins“ verlinkt beispielsweise von Spiegel Online auf einen Artikel mit der Überschrift „Ischias? So bändigen Sie den Schmerz im Nerv!“12https://apotheken-magazin.net/ischias-so-baendigen-sie-den-schmerz-im-nerv/ Laut Impressum steckt hinter dieser Website die MK Health GmbH aus Düsseldorf, die unter anderem für die Seiten „Gesundheits-Beratung“, „Ratgeber der Gesundheit“, „Spiegel der Gesundheit“ und „Welt der Gesundheit“ verantwortlich ist. In dem besagten Artikel wird für das homöopathische Präparat „Restaxil“ aus dem Hause PharmaSGP geworben. Der Arzneimittelhersteller bedient sich also MK Health, Outbrain und SPIEGEL, um seine Produkte an die geeignete Zielgruppe zu bringen.
Virales Marketing mit „Native Advertising“ und „Clickbaiting“
Bei Content-Empfehlungen für Gesundheitsprodukte kommen zwei weitere berüchtigte Werbetechniken zum Einsatz: „Native Advertising“ und „Clickbaiting“. Erstere beschreibt die „unauffällige Einbettung von Werbung in ein bekanntes Textumfeld“.13Ahrens in Gloy/Loschelder/Danckwerts, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 5. Auflage, § 70, Rn. 98 Die Leser:innen erkennen nur auf den zweiten Blick, dass hier kommerzieller und nicht etwa redaktioneller Inhalt verlinkt wird. Nach Ansicht von Olaf Sosnitza, Jura-Professor an der Uni Würzburg, ist der Begriff „letztlich nur eine modische Umschreibung der klassischen Formen von Schleichwerbung, Produktplatzierung oder Sponsoring“.14Sosnitza in Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 8. Auflage, § 5a, Rn. 103
Beim Clickbaiting hingegen sollen sensationelle oder skandalisierende Text- und Bildsprache die Neugierde der Leser:innen wecken. Allerdings halten die verlinkten Inhalte nicht/selten, was sie versprechen. Dennoch – der Klick zählt.15https://www.deutschlandfunk.de/clickbaiting-das-geschaeft-mit-den-klicks-100.html Der Deutsche Presserat stellte 2020 anlässlich einer Beschwerde des Medienjournalisten Stefan Niggemeier gegen die FUNKE Mediengruppe fest, dass extremes Clickbaiting dem Ansehen der Presse schaden kann.16https://uebermedien.de/52979/presserat-funkes-clickbaiting-portal-bedroht-ansehen-der-presse/; Hinweis: In diesem Beschwerdeverfahren ging es nicht um Clickbaiting im Rahmen von Content-Empfehlungen, sondern als Werbemethode für eigene Redaktionsartikel.
Selbst KrankenkassenKrankenkassen Eine Krankenkasse ist der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Krankenkassen stellen den Versicherten Leistungen zur Verfügung, die nach Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte in Anspruch genommen werden können. Die meisten dieser Leistungen sind im SGB V festgeschrieben. Krankenkassen sind organisatorisch sowie finanziell unabhängig und unterstehen der Aufsicht von Bund oder Ländern. Im Gegensatz zu gesetzlichen Krankenversicherungen sind private Krankenversicherungsunternehmen Aktiengesellschaften oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG). mischen mit
Die Reichweite seiner Content-Empfehlungen macht Outbrain auch für Krankenkassen wie die AOK interessant. Mit boulevardesken Überschriften wie „Altersunterschied in der Beziehung: Tipps für Paare“, „7 Recyclingideen für Kaffeesatz“ oder „Ingwer-Shot: Was kann der scharfe Drink?“ wirbt die AOK unter anderem auf den Seiten von „Business Insider“ und BUNTE für ihr hauseigenes Gesundheitsmagazin.
Ist das erlaubt? In den für gesetzliche Krankenkassen geltenden Wettbewerbsgrundsätzen heißt es: „Die Werbung hat in einer Form zu erfolgen, die einer öffentlich-rechtlichen Institution angemessen ist.“ MedWatch wollte von der AOK wissen, warum Clickbaiting und Native Advertising angemessene Werbetechniken einer öffentlich-rechtlichen Institution sein sollen und was die beworbenen Inhalte mit dem gesetzlichen Auftrag einer Krankenkasse zu tun haben.17§ 1 SGB V: „Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Das umfasst auch die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten. […] Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und unter Berücksichtigung von geschlechts-, alters- und behinderungsspezifischen Besonderheiten auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken.“
Die Antwort der AOK: Man mache keine Werbung für Produkte oder Leistungen, sondern veröffentliche „medizinisch fachgeprüfte redaktionelle Inhalte“, die der gesundheitlichen Aufklärung dienen sollen. Warum braucht es hierfür Native Advertising? „Damit unsere gesundheitliche Aufklärung möglichst viele Bundesbürgerinnen und Bundesbürger erreicht“, so die Erklärung des AOK-Bundesverbands. Mit anderen Worten: Der Zweck heiligt die Mittel. Ob die dabei verwendeten Überschriften boulevardeskes Clickbaiting seien, liege im Auge der Betrachtenden.
Die Deutsche Rentenversicherung ist auch dabei
Doch auch in Bereichen der gesetzlichen Sozialversicherung, wo es traditionell keinen Wettbewerb der Kostenträger untereinander gibt, greift man auf Content-Empfehlungen zurück. So sind wir bei unseren Recherchen überraschenderweise auf eine Outbrain-Kampagne der Deutschen Rentenversicherung gestoßen. Diese macht etwa mit folgenden Werbebannern auf eine medizinische Reha für Kinder und Jugendliche aufmerksam:
Warum lässt die Deutsche Rentenversicherung solche Anzeigen schalten? Auf Anfrage von MedWatch teilte die Pressestelle der DRV Bund mit, dass die Reha für Kinder und Jugendliche eine zentrale, jedoch weniger bekannte Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung sei. „Aus diesem Grund gehen wir hier mit werblichen Mitteln aktiv auf ausgewählte Zielgruppen zu, um sie dafür zu sensibilisieren.“ Native Advertising biete dabei den Vorteil, dass es von den Nutzenden als weniger störend wahrgenommen werde. Sind traurig blickende Kinder im Zaubererkostüm weniger störend als seriöse Formen der gesundheitlichen Aufklärung? Auch das liegt wohl im Auge der Betrachtenden.
Wer haftet für Rechtsverstöße?
Die Unternehmen?
Unternehmen haften nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) auch für unzulässige Werbung, die von ihren „Beauftragten“ veröffentlicht wird18§ 8 Absatz 2 UWG Dies können eigenständige Unternehmen wie Werbeagenturen sein, sofern ihr Auftraggeber einen „bestimmenden, durchsetzbaren Einfluss“ auf die Vertriebstätigkeit hat.19Fritzsche in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Auflage, UWG, § 8, Rn. 365 Vereinfacht gesagt ist ein Händler nur für seinen Auftragnehmer verantwortlich, wenn er dessen Handeln entscheidend beeinflussen kann. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs20https://medwatch.de/wp-admin/post.php?post=12820&action=edit fehlt es dort an genügend Einflussmöglichkeiten, wo Anzeigengestaltung und Verlinkung im alleinigen Ermessen des Affiliates liegen.21BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 – Az. I ZR 27/22
Taboola und Outbrain?
Sind Taboola und Outbrain nach diesen Maßstäben Beauftragte der „Advertiser“? Ja. Schließlich verlinken die US-Konzerne nicht von sich aus auf die Händlerseiten. Die deutschen Unternehmen wiederum haben durchaus Kontrolle über die eingesetzten Werbemittel. Ohne ihre Initiative kommen die Werbekampagnen mit Taboola oder Outbrain gar nicht erst zustande. Taboola überlässt es den Händlern, ob sie „Unterstützung bei der Entwicklung nativer Anzeigen [erhalten] oder nicht“.22https://blog.taboola.com/de/9-top-native-werbenetzwerke-fuer-werbetreibende-und-publisher/ Auch das Kampagnen-Tool von Outbrain sieht vor, dass die Werbetreibenden die Überschriften und Bilder selbst einfügen.23https://www.outbrain.com/help/de/advertisers/erste-kampagne/
Das ist mehr als genug Einfluss, um mit den Worten des Bundesgerichtshofs von einer „gewissen Beherrschung des Risikobereichs“ zu sprechen.24BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 – Az. I ZR 27/22 Die Pharma-Hersteller und Versicherungen können sich also nicht damit herausreden, dass die Anzeigen auf den Verlagsseiten nicht sie, sondern Taboola und Outbrain einblenden.
Haften die Verlage?
Haften denn Verlage für irreführende Content-Empfehlungen, die auf ihren Webseiten erscheinen? Nein, denn sie sind keine Beauftragten der Händler, da sie lediglich die Werbefläche für Outbrain oder Taboola zur Verfügung stellen. Auch haben sie keinen Einfluss darauf, welche Anzeigen der jeweilige Algorithmus einblendet. Weder rechtlich noch praktisch können Gerichte von ihnen verlangen, anlasslos jede einzelne Werbung vorab auf Rechtsverstöße hin zu überprüfen.25Rechtsanwalt Dr. Oliver Spieker, „Haftungsrechtliche Aspekte für Unternehmen und ihre Internet-Werbepartner (Affiliates)“, GRUR 2006, 903
Anders liegt der Fall nur dann, wenn die „Publisher“ von konkreten rechtswidrigen Inhalten wissen und trotzdem nicht eingreifen. Bei entsprechenden Hinweisen muss der Verlag die unzulässige Werbung entfernen und verhindern, dass vergleichbarer Content an ihre Stelle tritt.26BGH, Urteil vom 12. Juli 2007 – Az. I ZR 18/04; Hinweis: In diesem Verfahren ging es zwar nicht um Rechtsverstöße durch Content-Empfehlungen, sondern um den Verkauf jugendgefährdender Medien bei eBay. Der BGH hat in seinem Urteil jedoch allgemeine Grundsätze in Bezug auf die „wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht eines Telediensteanbieters hinsichtlich rechtsverletzender fremder Inhalte“ aufgestellt, die auf „Publisher“ von Content-Empfehlungen übertragbar sind. Unterm Strich bieten Taboola und Outbrain den Verlagshäusern somit eine lukrative Einnahmequelle bei überschaubaren Haftungsrisiken.
Mehr als nur ein bisschen Schleichwerbung
Problematische Behandlungstipps
Der Klick auf kontextbezogene Gesundheitswerbung führt häufig direkt zu problematischen Behandlungstipps: Das „Apotheken-Magazin“ verlinkt beispielsweise mit Content-Empfehlungen – getarnt als „Potenzmittel-Vergleich“ – auf einen pseudo-redaktionellen Artikel über die beliebtesten Produkte bei Erektionsstörungen.27https://apotheken-magazin.net/beliebtesten-produkte-bei-erektionsstoerungen-2/ Dass darin auch NahrungsergänzungsmittelNahrungsergänzungsmittel Nahrungsergänzungsmittel werden den Lebensmitteln zugeordnet und sind abgegrenzt von Medikamenten zu betrachten. So dürfen sie, wie der Name schon sagt, die normale Ernährung ergänzen, sie jedoch nicht ersetzen und zudem keine arzneiliche Wirkung zeigen. Sie werden als Kapseln, Tabletten, Tropfen oder Ähnliches angeboten und enthalten oft Vitamine, Mineralstoffe oder sonstige Nährstoffe, die eine Wirkung erzielen sollen. Sie dürfen jedoch nicht wie ein Arzneimittel beworben werden. Die Hersteller dürfen keine spezifische Wirkung wie die Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit anpreisen oder für ein definiertes Anwendungsgebiet werben. beworben werden, verstößt gegen die EU-Lebensmittelinformationsverordnung, nach der krankheitsbezogene Werbung für Lebensmittel verboten ist.28Artikel 7 Absatz 3 und Absatz 4 Buchstabe a) Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel; Hinweis: Als „Krankheit“ im Sinne der Vorschrift gilt „jede, auch geringfügige oder voll gegebene Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Funktionen des Körpers“ (LG Berlin, Urteil vom 22.06.2021 – Az. 102 O 5/20) Immerhin weisen die Autor:innen darauf hin, dass das über Amazon erhältliche Präparat aus Maca-Wurzel-Extrakt „kein Apothekenqualitätsprodukt“ sei.
Gesundheitssiegel und Detox
Ein anderes Beispiel: Das selbsternannte Gesundheitsportal „Lifeline“ gehört zur FUNKE Mediengruppe und trägt das afgis-Logo „für hochwertige Gesundheitsinformationen im Internet“. Warum dieses Siegel keine Garantie für verlässliche Informationen ist, hat MedWatch zusammen mit „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ im vergangenen Jahr gezeigt. Als bedürfte es hierfür noch eines Beweises, macht die Redaktion von „Lifeline“ in ihrer Outbrain-Kampagne Werbung für eine homöopathische Detox-Kur. „Auch im Anschluss an eine medikamentöse TherapieTherapie Therapie bezeichnet eine Heil- oder Krankenbehandlung im weitesten Sinn. Es kann hierbei die Beseitigung einer Krankheitsursache oder die Beseitigung von Symptomen im Mittelpunkt stehen. Ziel einer jeden Therapie ist die Widerherstellung der physischen und psychischen Funktionen eines Patienten durch einen Therapeuten. Soweit dies unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist. oder bei wiederkehrenden Infekten kann eine Entgiftung sinnvoll sein“, schreibt die Autorin und empfiehlt sechs homöopathische Stoffe, die den Körper beim Entgiften unterstützen sollen. Dabei ist Detox erstens ein Mythos und aus wissenschaftlicher Sicht gar nicht nötig.29https://www.quarks.de/gesundheit/ernaehrung/warum-detox-ein-mythos-ist/ Zweitens sind die meisten der vermeintlichen Entgiftungsmittel als registrierte homöopathische Arzneimittel auf dem Markt. Für ihren Verkauf ist keine reguläre Arzneimittelzulassung und daher auch kein Nachweis irgendeiner pharmakologischen Wirkung notwendig.
Die Bandbreite der Unternehmen, die auf Content-Empfehlungen setzen, ist groß. Bei den beworbenen Produkten und Leistungen ist fast alles dabei – von Arzneimitteln über MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. und Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu Impfungen und privaten Krankenzusatzversicherungen. Virales Marketing, das sich für alle Beteiligten auszuzahlen scheint – nur nicht für die Verbraucher:innen.
Redaktion: Nicola Kuhrt, Sigrid März, Nicole Hagen
- 1https://www.finanzen.net/bilanz_guv/taboola
- 2https://www.finanzen.net/bilanz_guv/outbrain
- 3https://www.wuv.de/Archiv/G-J-verkauft-Ligatus-an-Outbrain
- 4https://www.cnbc.com/2019/10/03/ad-tech-companies-taboola-and-outbrain-to-merge.html
- 5https://www.adzine.de/2020/09/die-fusion-von-outbrain-und-taboola-ist-abgeblasen/
- 6https://www.klickkomplizen.de/blog/social-media-und-businessnetzwerke/taboola/
- 7https://www.onlinemarketing-praxis.de/glossar/targeting
- 8https://www.ionos.de/digitalguide/online-marketing/verkaufen-im-internet/so-funktioniert-affiliate-marketing/
- 9https://www.outbrain.com/glossary/cpm-cost-per-mille/
- 10https://www.ft.com/content/d4e728da-30e9-3f65-9ca5-10fc8969d34f
- 11https://hevodata.com/learn/taboola-vs-google-adsense/#f3
- 12https://apotheken-magazin.net/ischias-so-baendigen-sie-den-schmerz-im-nerv/
- 13Ahrens in Gloy/Loschelder/Danckwerts, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 5. Auflage, § 70, Rn. 98
- 14Sosnitza in Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 8. Auflage, § 5a, Rn. 103
- 15https://www.deutschlandfunk.de/clickbaiting-das-geschaeft-mit-den-klicks-100.html
- 16https://uebermedien.de/52979/presserat-funkes-clickbaiting-portal-bedroht-ansehen-der-presse/; Hinweis: In diesem Beschwerdeverfahren ging es nicht um Clickbaiting im Rahmen von Content-Empfehlungen, sondern als Werbemethode für eigene Redaktionsartikel.
- 17§ 1 SGB V: „Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Das umfasst auch die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten. […] Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und unter Berücksichtigung von geschlechts-, alters- und behinderungsspezifischen Besonderheiten auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken.“
- 18§ 8 Absatz 2 UWG
- 19Fritzsche in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Auflage, UWG, § 8, Rn. 365
- 20https://medwatch.de/wp-admin/post.php?post=12820&action=edit
- 21BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 – Az. I ZR 27/22
- 22https://blog.taboola.com/de/9-top-native-werbenetzwerke-fuer-werbetreibende-und-publisher/
- 23https://www.outbrain.com/help/de/advertisers/erste-kampagne/
- 24BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 – Az. I ZR 27/22
- 25Rechtsanwalt Dr. Oliver Spieker, „Haftungsrechtliche Aspekte für Unternehmen und ihre Internet-Werbepartner (Affiliates)“, GRUR 2006, 903
- 26BGH, Urteil vom 12. Juli 2007 – Az. I ZR 18/04; Hinweis: In diesem Verfahren ging es zwar nicht um Rechtsverstöße durch Content-Empfehlungen, sondern um den Verkauf jugendgefährdender Medien bei eBay. Der BGH hat in seinem Urteil jedoch allgemeine Grundsätze in Bezug auf die „wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht eines Telediensteanbieters hinsichtlich rechtsverletzender fremder Inhalte“ aufgestellt, die auf „Publisher“ von Content-Empfehlungen übertragbar sind.
- 27https://apotheken-magazin.net/beliebtesten-produkte-bei-erektionsstoerungen-2/
- 28Artikel 7 Absatz 3 und Absatz 4 Buchstabe a) Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel; Hinweis: Als „Krankheit“ im Sinne der Vorschrift gilt „jede, auch geringfügige oder voll gegebene Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Funktionen des Körpers“ (LG Berlin, Urteil vom 22.06.2021 – Az. 102 O 5/20)
- 29https://www.quarks.de/gesundheit/ernaehrung/warum-detox-ein-mythos-ist/