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Lauterbachs Krankenhausreform Eine „einmalige Chance“ für die Ernährungsmedizin?

Tablett mit Essen darauf.
Krankenhausessen sollte ein wesentlicher Bestandteil in der Therapie sein. © rawpixel.com / Freepik

Um die Heilungschancen von Patient:innen zu verbessern, drängen 24 medizinische Fachgesellschaften auf mehr Ernährungstherapie in den Kliniken. Den Durchbruch bringen soll die Krankenhausreform der Bundesregierung – doch das GesundheitsministeriumGesundheitsministerium Das Gesundheitsministerium ist das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Es erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. blockt ab.

Es ist nicht alltäglich, dass sich in Deutschland 24 medizinische Fachgesellschaften gemeinsam in eine politische Debatte einmischen. Die von Bundesgesundheitsminister Karl LauterbachKarl Lauterbach Karl Wilhelm Lauterbach, Mediziner, Epidemiologe, Gesundheitsökonom und Politiker (SPD). Seit 2005 ist Karl Lauterbach Mitglied des Deutschen Bundestages und seit dem 8. Dezember 2021 Bundesminister für Gesundheit (Stand 2022). (SPD) geplante Krankenhausreform führte sie zusammen. Initiiert von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM), fordert das breite Bündnis in einer Stellungnahme Maßnahmen gegen Mangelernährung.

Man braucht einen Brandschutz- und einen Datenschutzbeauftragten, um ein Krankenhaus zu betreiben – aber niemanden, der sich mit der Ernährung auskennt.

Matthias Pirlich

Unter anderem die Deutschen Gesellschaften für Innere Medizin (DGIM), Geriatrie (DGG), die KrebsKrebs Statt eine spezifische Krankheit zu benennen, handelt es sich bei Krebs um einen Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten. Ihnen allen gemeinsam ist jedoch das unkontrollierte Wachstum von Körperzellen, aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Zellwachstum und Zelltod. Die Folge daraus ist – außer bei Blutkrebsarten – eine Geschwulst ohne organspezifische Funktion. Dringt diese in das umliegende gesunde Gewebe ein, spricht man von bösartigen Tumoren; ausschließlich bösartigen Tumore werden als Krebs bezeichnet. Krebs kann zudem metastasieren, d.h. er breitet sich im Körper aus, indem die Krebszellen über Blut- und Lymphbahnen wandern und infolgedessen in anderen Organen Tochtergeschwülste bilden.- (DKG) und die Diabetesgesellschaft (DDG) unterstützen den Appell. Geht es nach ihnen, würden Patient:innen bei der Aufnahme in ein Krankenhaus künftig routinemäßig auf MangelernährungMangelernährung Eine Mangelernährung – Malnutrition – bezeichnet die unzureichende Versorgung des Organismus mit Nährstoffen. Ursache einer Mangelernährung kann der Appetitverlust, bedingt durch chronische Krankheiten, sein. Auch Schluckstörungen, Verdauungsprobleme sowie bestimmte Medikamente können eine unausgeglichene Ernährung nach sich ziehen. Eine solche Mangelernährung kann in jedem Alter auftreten, besonders häufig ist sie jedoch in der älteren Bevölkerung zu finden. Zu den Symptomen zählen unter anderem Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme, Sehstörungen, Verlust der Muskelkraft, Wundheilungsstörungen bis hin zu Herzrhythmusstörungen. Die Ausprägung der Symptome hängt vom Schweregrad der Mangelernährung ab. Durch die chronische Essstörung Anorexia nervosa kann sich auf Grund einer unzureichenden Versorgung mit Nährstoffen die sogenannte Lanugobehaarung bilden. Das ist eine Flaumbehaarung die ausschließlich bei Kindern im Mutterleib vorkommt und sich nach der Geburt zurückentwickelt. untersucht und erhielten bei Bedarf eine individuell angepasste Ernährungstherapie. Beides ist bis heute alles andere als der Standard. Dazu sollen „interprofessionelle Ernährungsteams“, in denen zum Beispiel Fachärzt:innen, Diätassistent:innen, Ökotropholog:innen und geschultes Pflegepersonal zusammenarbeiten, die Patient:innen betreuen und beraten. Die Krankenhausreform biete „die einmalige Chance“, das durchzusetzen.

„Mit der Ökonomisierung übertrieben“

Mit seinem Großprojekt will der Arzt und Gesundheitsökonom Lauterbach langjährige Fehlentwicklungen korrigieren. Man habe es „mit der Ökonomisierung“ in der Medizin „übertrieben“, bekannte der Minister auf einer Pressekonferenz. Künftig müssten die Patient:innen „wieder im Mittelpunkt stehen“. Lauterbach will in Kürze einen Vorschlag vorlegen und diesen bis zum Sommer in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe abstimmen. Die Vorarbeit leistete eine Expertengruppe, die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“.

Genau an diesem Titel knüpfen nun die 24 Fachgesellschaften an. Zu einer „modernen und bedarfsgerechten“ Versorgung, argumentieren sie, gehöre es auch, endlich die „Ernährungskompetenz“ in den Kliniken durch ausreichend Personal und Mittel zu gewährleisten. Wie MedWatch.de immer wieder berichtete, zeigt rund ein Viertel der Klinik-Patient:innen Anzeichen einer Mangelernährung – ein Risiko für schwere Krankheitsverläufe und Komplikationen. Im Jahr 2019 stufte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) dies als „relevantes Gesundheitsproblem“ mit „gravierenden Folgen“ ein, blieb jedoch weitestgehend ungehört. Dabei rechnen Studien immer wieder vor, dass etwa bei Krebserkrankten bis zu 20 Prozent der Todesfälle ursächlich nicht auf die eigentliche Erkrankung, sondern auf die Folgen einer Mangelernährung zurückgehen. Es sei bekannt, dass Menschen sterben, dennoch werde nicht einmal richtig hingesehen, bestätigte der Ernährungsmediziner Johann Ockenga im MedWatch-Interview.

Sterberisiko verringert sich durch Ernährungstherapie

Evident ist auch, welchen Nutzen eine konsequente Ernährungstherapie haben kann. Letzte Zweifel beseitigte 2018 der in ‚The Lancet‘ veröffentlichte „EFFORT“-Versuch. Über mehrere Jahre hinweg hatte ein Schweizer Forscher:innen-Team um den Internisten Philipp Schütz rund 1.000 mangelernährte Patient:innen mit unterschiedlichen Diagnosen – Infektionen, Krebs, Herz-Kreislauf-, Magen-Darm-, Lungen-, Nieren- oder Stoffwechselerkrankungen – über zehn Tage in der Klinik ernährungstherapeutisch versorgt. Einschließlich einer individuell angepassten Verpflegung. Nach 30 Tagen verglichen sie den Effekt mit einer Kontrollgruppe aus ebenfalls gut 1.000 Personen mit Mangelernährung und vergleichbaren Diagnosen, die während des Klinikaufenthalts die Standard-Kost erhalten hatte. In der Versuchsgruppe verlief die Heilung besser. Die Patient:innen fühlten sich wohler, hatten seltener Komplikationen – und ein niedrigeres Sterberisiko. Im Schnitt ließ sich bei 37 ernährungstherapeutisch behandelten Patient:innen ein Todesfall vermeiden.

Als Teil einer anderen Forschergruppe bestätigte Schütz 2021 das Potenzial bei einer statistischen Auswertung von Krankenhausaufenthalten. Mangelernährte, die eine Ernährungstherapie erhielten, hatten demnach ein um 21 Prozent geringeres Sterberisiko.

Mit einer separaten Kostenauswertung zum EFFORT-Versuch wies die Forschergruppe sogar nach, dass die Maßnahmen für Kliniken gut angelegtes Geld sind. Ihre Kosten pro Patient waren geringer, wenn sie in Ernährungstherapie investierten, statt mit mehr Komplikationen sowie längeren Klinikaufenthalten umgehen zu müssen – und damit, dass Menschen nach ihrer Entlassung aufgrund von Rückschlägen erneut ins Krankenhaus aufgenommen werden.

Vorhalte- statt FallpauschalenFallpauschalen Über die Fallpauschale werden seit 2004 voll- und teilstationäre Leistungen ermittelt und berechnet. Für den Krankenhausbereich gibt es somit eine eigene Regelung, die sich von den Abrechnungen in Arztpraxen unterscheidet, da bei der stationären Behandlung für Privat- und Kassenpatienten gleiche Entgelte zugrunde gelegt werden. Kritiker bemängeln, dass das Fallpauschalen-System zu einer Verschiebung weg von Allgemeinkrankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft hin zu Privatkliniken führt. Grundlagen für die Fallpauschalen-Berechnung bilden die Klassifizierungssysteme ICD-10 (International Classification of Diseases) und OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel).

Der Anknüpfungspunkt für die Ernährungsmedizin bei der Krankenhausreform: Lauterbachs Regierungskommission hat vorgeschlagen, die bisher üblichen Fallpauschalen, mit denen Kliniken unabhängig vom Behandlungsverlauf vergütet werden, zumindest teilweise durch sogenannte Vorhaltepauschalen abzulösen. Kliniken bekämen demnach Geld, wenn sie zu festgelegten Zwecken Personal und Ausstattung „vorhalten“. Künftig auch für Ernährungsteams, die als Goldstandard für die ernährungsmedizinische Betreuung im Klinikum gelten? Bisher – schätzen Expert:innen – haben weniger als zehn Prozent der deutschen Krankenhäuser ein solches Team.

Das Thema steht nicht erst seit der Stellungnahme der 24 Fachgesellschaften und Lauterbachs Reformplänen auf der politischen Agenda. Unter Beteiligung der damaligen Bundesregierung verabschiedete der Europarat 2003 eine Resolution. Darin stufte er die Zahl mangelernährter Menschen in Kliniken als „inakzeptabel“ ein und forderte in einer langen Liste zahlreiche Maßnahmen. Diese bestätigte im Kern eine internationale Gruppe ernährungsmedizinischer Fachorganisationen, die die Ernährungsversorgung in ihrer „Vienna Declaration“ als Menschenrecht definiert. Umgesetzt wurde von all den Maßnahmen in Deutschland bislang praktisch nichts.

Anders in der Schweiz. Das Management von Mangelernährung wird dort künftig Teil des verbindlichen Qualitätsvertrags zwischen Kliniken und dem Bundesamt für Gesundheit sein. Nach Auskunft des Forschers Philipp Schütz verhandelten die Vertragspartner:innen derzeit über die Kriterien. Es sei geplant, dass die Kliniken etwa 90 Prozent ihrer Patient:innen auf Mangelernährung screenen und bei Bedarf eine Beratung anbieten müssen. Verfehlen sie die Vorgabe, werden die Häuser finanziell bestraft. In Deutschland hingegen rang sich der Gemeinsame Bundesausschuss vor einigen Monaten lediglich zu einem Beschluss durch, dem zufolge Maßnahmen gegen Mangelernährung als Teil von Qualitätsverträgen „erprobt“ werden sollen.

Gesundheitsministerium sieht keinen politischen Handlungsbedarf

Auf Anfrage bezeichnet das BundesgesundheitsministeriumBundesgesundheitsministerium Das Bundesgesundheitsministerium, oder auch Bundesministerium für Gesundheit, erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. Mangelernährung im Krankenhaus als „nicht vertretbar“ – politischen Handlungsbedarf sieht es jedoch offenbar nicht. „Besteht der Verdacht, dass eine Patientin oder ein Patient in einem bestimmten Krankenhaus mangelernährt wird, kann darin ein zivilrechtlich und ggf. auch strafrechtlich relevanter Behandlungsfehler liegen“, teilt eine Lauterbach-Sprecherin mit. Darüber hinaus gebe es Expertenstandards für die Behandlung von Mangelernährung, ärztliche Leitlinien für ernährungstherapeutische Maßnahmen und die Qualitätsstandards für die Klinikverpflegung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Dass diese allesamt unverbindlich sind, darauf geht die Sprecherin ebenso wenig ein wie auf die Details der von den 24 Fachgesellschaften erhobenen Forderungen.

In zwei Punkten legt sich die Ministeriumssprecherin fest: „Die Bundesregierung plant nicht, verpflichtende Ernährungsteams in Kliniken vorzuschreiben“, schreibt sie. Zudem seien die Klinikträger „im Rahmen ihrer Organisationshoheit selbst für die Verpflegung im Krankenhaus verantwortlich“ – also auch keine Frage der Politik.

DGEM-Präsident Matthias Pirlich sieht das anders: „Wir brauchen politische Regulierung“, sagt er. Und zieht den Vergleich zu anderen Bereichen: „Man braucht einen Brandschutz- und einen Datenschutzbeauftragten, um ein Krankenhaus zu betreiben – aber niemanden, der sich mit der Ernährung auskennt.“ Stand jetzt, wird die Krankenhausreform daran wohl wenig ändern.


Redaktion: Sigrid März, Nicole Hagen