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Verbände fordern klare Rechtslage Gadolinium-haltige Kontrastmittel: Wirtschaftlichkeit versus Therapiefreiheit

MRT-Bildgebung eines menschlichen Kopfes mit Kontrastmittel.
Mit einer MRT-Bildgebung können krankhafte Veränderungen im Körper diagnostiziert werden. Kontrastmittel führen hier zu einer besseren Erkennbarkeit anatomischer Strukturen. CC0: raspberry vibe / Wikimedia Commons

Zulassungsbehörden raten, Kontrastmittel mit dem Metall Gadolinium möglichst niedrig zu dosieren. Aber: Verträge zwischen KrankenkassenKrankenkassen Eine Krankenkasse ist der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Krankenkassen stellen den Versicherten Leistungen zur Verfügung, die nach Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte in Anspruch genommen werden können. Die meisten dieser Leistungen sind im SGB V festgeschrieben. Krankenkassen sind organisatorisch sowie finanziell unabhängig und unterstehen der Aufsicht von Bund oder Ländern. Im Gegensatz zu gesetzlichen Krankenversicherungen sind private Krankenversicherungsunternehmen Aktiengesellschaften oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG). und Herstellern zwingen Radiolog:innen, nur bestimmte Kontrastmittel zu verwenden – obwohl es welche gibt, die mit weniger Gadolinium auskommen. Ärzt:innen, die sich nicht an die Vertragsbindung halten, sind nun mit Regressforderungen der Krankenkassen konfrontiert.

Stellen Sie sich vor, Sie leben mit der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose, kurz: MS. Körpereigene Immunzellen greifen fälschlicherweise Nervenzellen und -fasern an und schädigen sie. MS verläuft chronisch, ist also nicht heilbar; allein in Deutschland gibt es mehr als 130.000 MS-Betroffene. Einige zeigen kaum Symptome, andere hingegen haben starke Beschwerden wie Kraftlosigkeit in Armen und Beinen oder Sehstörungen. 

Ob leichter oder schwerer Verlauf – MS-Betroffene sind auf regelmäßige Kontrollen angewiesen, etwa um Entzündungen im Körper aufzuspüren. Dafür nutzen sie die Magnetresonanztomografie (MRT). Diese Untersuchungen kommen ohne Röntgenstrahlen aus und sind für den Körper ungefährlich. Allerdings verabreichen Radiolog:innen meist ein Kontrastmittel, mit dem sie gesundes von krankhaftem Gewebe unterscheiden können. Das enthält üblicherweise das Metall Gadolinium. 

Wie funktioniert Magnetresonanztomografie und was bewirkt ein Gadolinium-haltiges Kontrastmittel?


Warum kann Gadolinium zum Problem werden?

Lange Zeit galten Gadolinium-haltige Kontrastmittel als unbedenklich. Im Jahr 2017 jedoch zeigten Untersuchungen an Ratten, dass Kontrastmittel mit linearen Komplexen kleine Mengen an Gadolinium freisetzten.1https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5417580/ Das Metall reicherte sich im Körper der Tiere an.2https://www.ema.europa.eu/en/documents/referral/gadolinium-article-31-referral-annex-ii_de.pdf Ob solche Ablagerungen – vor allem im Gehirn – für Patient:innen irgendwelche Folgen haben, ist bis heute unklar.  

Dennoch: Wenn Gadolinium als freies Metall in den Körper gelangt, ist es giftig. Die europäische Arzneimittelagentur EMA nahm die entsprechenden Kontrastmittel deswegen vorsichtshalber vom Markt. Als Alternative gab es damals bereits Kontrastmittel mit zyklischen Gadolinium-Komplexen, in denen das Metall fester gebunden ist. Sie setzen also kein Gadolinium frei. Seit 2018 verabreichen Radiolog:innen bei MRT-Untersuchungen deshalb nur noch diese Kontrastmittel.

Zusätzlich gaben das Bundesinstitut für ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. und MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. (BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen.) sowie die deutsche Röntgengesellschaft die generelle Empfehlung, die Menge der verabreichten Kontrastmittel mit Gadolinium so gering wie möglich zu halten.3https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2018/rhb-gadolinium.html EMAEMA Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gewährleistet die wissenschaftliche Bewertung, Überwachung und Sicherheitsüberprüfung von Human- und Tierarzneimitteln in der Europäischen Union, sie erleichtert die Entwicklung und Zugänglichkeit von Arzneimitteln und informiert Beschäftigte im Gesundheitswesen sowie Patienten. Darüber hinaus berät und unterstützt sie pharmazeutische Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung. Sie ist vor allem für die europäische Zulassung von Arzneimitteln zuständig und überprüft diese auch nach der Einführung auf ihre Sicherheit. Dafür hat sie ein Pharmakovigilanz-Netzwerk eingerichtet. Der ursprüngliche Sitz der EMA war London, seit 2019 ist sie in Amsterdam verortet. und die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDAFDA FDA ist die US-amerikanische Arzneimittelbehörde U.S. Food and Drug Administration. Zu ihren Aufgabengebieten gehören u.a. die Zulassung, Kontrolle und Überwachung von Arzneimitteln, Impfungen und Medizinprodukten in den USA. Das deutsche Äquivalent ist die EMA, die europäische Arzneimittel-Agentur. schlossen sich der Empfehlung an. 

Krankenkassen und Hersteller handeln Rahmenverträge aus

Etwa zeitgleich mit der EMA-Entscheidung begann in Deutschland ein Streit um die Preise der Kontrastmittel. Diese waren für Kliniken nämlich viel günstiger als für ambulante Praxen. Die Krankenkassen handelten deshalb besonders günstige Konditionen mit Herstellern und Großhändlern aus, damit die Kontrastmittel auch in den niedergelassenen radiologischen Praxen billiger würden.

Wie teuer ein Medikament ist, bestimmen nicht pauschal die Hersteller. Krankenkassen handeln mitunter Rabatte aus oder sagen schlichtweg, welchen Preis sie für ein Arzneimittel zahlen wollen. Wer mitgeht, bekommt den Zuschlag. Der Gedanke dahinter: Solche Absprachen sollen das GesundheitssystemGesundheitssystem Das deutsche Gesundheitssystem ist ein duales Krankenversicherungssystem bestehend aus der GKV (Gesetzlichen Krankenversicherung) und der PKV (private Krankenversicherungen). Seit der Gesundheitsreform 2007 muss jeder, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat, eine Krankenversicherung haben. Wichtig ist zudem das Prinzip der Selbstverwaltung und der Sachleistung. D.h. Krankenkassen erfüllen die ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben in eigener Verantwortung. Es existiert eine gemeinsame Selbstverwaltung der Leistungserbringer und Kostenträger. Wichtigstes Organ hierbei auf Bundesebene ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). in Deutschland entlasten, denn die Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente steigen seit Jahren. Günstigere Medikamente wiederum sollen Patient:innen geringere Krankenkassenbeiträge ermöglichen – zumindest in der Theorie.

Es gibt allerdings einen Haken: Kommt ein solcher Vertrag zwischen Hersteller und Versicherer zustande, müssen Apotheken4gemäß § 129 SGB V, Fünftes Buch Sozialgesetzbuch das preisgünstigste Arzneimittel ausgeben und mit der Krankenkasse abrechnen – außer der Arzt/die Ärztin schließt dies aus medizinisch-therapeutischen Gründen aus.5§ 29 Absatz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte Wenn es einen solchen Grund gibt, müssten die Behandelnden das auf dem Rezept speziell vermerken.6Das machen sie, indem sie „aut idem“ oder „aut simile“ auf dem Rezept durchstreichen; dabei bedeutet „aut idem”, dass ein anderes Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff ausgegeben werden darf. „aut simile“ bedeutet, dass auch der Wirkstoff ausgetauscht werden kann. Sonst erhalten Patient:innen in der Apotheke automatisch das vertragsgebundene Medikament. Das ist eine wirtschaftliche Lösung, die den Ärzt:innen aber immer noch die Möglichkeit lässt, sich für ein bestimmtes Arzneimittel zu entscheiden, auch wenn dieses mehr kostet.

Für Kontrastmittel, die zwar auch Arzneimittel sind, ist die Sache etwas komplizierter. Sie zählen zum sogenannten Sprechstundenbedarf. Welche Regeln hierfür gelten, ist in Deutschland aber keineswegs einheitlich geregelt. In bundesweit 17 sogenannten KV-Regionen verhandeln die Krankenversicherer selbständig.

Sprechstundenbedarf in den KV-Regionen


MedWatch hat in allen KV-Regionen nachgefragt, welche Verträge zu Gadolinium-haltigen Kontrastmitteln dort gelten: In 14 Bezirken dürfen Radiolog:innen Kontrastmittel mit verschiedenen Gadolinium-haltigen Wirkstoffen verwenden. Dort haben Krankenkassen, federführend die AOKAOK Allgemeine Ortskrankenkasse. Krankenkasse mit 11 Regionalkassen., Rabatte mit Herstellern unterschiedlicher Wirkstoffe ausgehandelt oder Pauschalen festgelegt. In Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein jedoch sind Radiolog:innen vertraglich dazu verpflichtet, bei MRT-Untersuchungen ausschließlich Kontrastmittel mit dem Wirkstoff Gadotersäure zu verwenden. Gadotersäure ist einer der makrozyklischen Wirkstoffe, in denen Gadolinium fest gebunden ist.

Keine Verträge für Kontrastmittel, die eine Dosisreduktion zulassen

Präparate mit Gadotersäure funktionieren gut. Allerdings gibt es einen anderen Gadolinium-haltigen Wirkstoff, Gadobutrol, der für die meisten MRT-Untersuchungen eine Dosisreduktion um 25 Prozent zulässt – ohne, dass die Qualität der Bilder nachlässt. „Dies betrifft Untersuchungen des zentralen Nervensystems, die mehr als 60 Prozent aller Kernspin-Untersuchungen mit Konstrastmittel ausmachen“, sagt Wolfram Schaeben, Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Radiologen Rheinland-Pfalz.

Das ist besonders für jene Patient:innen relevant, die krankheitsbedingt häufiger „in die Röhre“ müssen – gemäß dem Ziel der Fachgesellschaften und Aufsichtsbehörden, die Gadolinium-Dosis für Patient:innen gering zu halten. Und Radiolog:innen würden genau das auch gerne tun – wenn man sie ließe. 

In den KV-Bezirken Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein dürfen sie Gadobutrol aber nicht nutzen. Dort haben Krankenkassen Verträge ausgehandelt, die die Verwendung des Wirkstoffs untersagen. Diese sogenannten Exklusivverträge schreiben im Detail vor, welches Kontrastmittel von welchem Hersteller verwendet werden darf

Warum haben die Kassen das getan? Ganz einfach: Weil das Kontrastmittel mit Gadotersäure billiger ist. Was aber ist mit „aut idem“ – der Möglichkeit für Ärzt:innen, ein teureres Präparat zu verschreiben, wenn sie es für nötig erachten? Die Option wird ausgeklammert, denn die Vergütung von Kontrastmitteln läuft anders ab als die von Medikamenten, die man in der Apotheke bekommt. Radiolog:innen verabreichen Kontrastmittel in der Praxis und beziehen sie direkt vom Hersteller oder Großhändler. „Kontrastmittel werden in allen KV-Regionen zum Sprechstundenbedarf gezählt“, sagt Markus Henkel, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Radiologen. Und für Sprechstundenbedarf gilt die Regel: Sie müssen möglichst günstig sein.

Krankenkassen erlauben Ausnahmen. Vielleicht

Steht die Wirtschaftlichkeit hier über dem Wohle der Patient:innen und der Therapiefreiheit? Ist es nicht wichtig, dass Ärzt:innen bei der Wirkstoffauswahl die Krankengeschichte ihrer Patient:innen berücksichtigen können? Diese Fragen hat MedWatch den Krankenkassen gestellt. Und zwar den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), unter deren Federführung die wirkstoffübergreifenden Ausschreibungen stattgefunden haben. Sie handelten die Exklusivverträge aus, denen sich die übrigen gesetzlichen Krankenversicherungen anschlossen.

„Die Sicherheit der Patientinnen und Patienten […] wird durch die Ausschreibung von Kontrastmitteln nicht gefährdet, da selbstverständlich ausschließlich zugelassene Kontrastmittel eingesetzt werden, deren Sicherheit im Rahmen der Zulassung geprüft und bestätigt wurde“, antwortet die AOK. Schließlich hätten die Zulassungsbehörden keinerlei Vorgaben für den bevorzugten Einsatz bestimmter Kontrastmittel gemacht. Weiter schreibt der Versicherer: „Darüber hinaus haben die radiologisch tätigen Ärztinnen und Ärzte grundsätzlich die Möglichkeit, in medizinisch begründeten Ausnahmefällen Produkte anderer Anbieter einzusetzen, wenn dies aufgrund patientenindividueller Ausnahmesituationen erforderlich ist.“ 

Das scheinen gute Nachrichten für MRT-Dauerpatient:innen, denn für sie wäre ein niedrig dosiertes Kontrastmittel definitiv angebracht. Nur: Offenbar haben die Krankenkassen diese Patient:innen nicht im Blick. Denn rund zwei Dutzend Praxen in den betroffenen KV-Bezirken sehen sich mit Regressforderungen vonseiten der Krankenkassen konfrontiert. Ihr Vergehen? Sie hatten bei Patient:innen mit häufigen MRT-Terminen Kontrastmittel verwendet, die eine Dosisreduktion zulassen. Sie handelten also genau so, wie die AOK es selbst empfiehlt.7Neben der Vorsichtsmaßnahme bei Patient:innen mit häufigen MRT-Terminen gab es noch einen weiteren Grund, von den vertragsgebundenen Kontrastmitteln abzuweichen: Die bezuschlagten Arzneimittel waren gar nicht immer lieferbar.

„Die Empfehlung, möglichst wenig Gadolinium zu verwenden, ist berechtigt. Sie folgt aus den Erfahrungen mit linearen Kontrastmitteln. Und wir würden diesen Empfehlungen sehr gerne nachkommen“, sagt eine Radiologin mit eigener Praxis in Rheinland-Pfalz. Ihren Namen möchte sie nicht nennen. Ihre Gemeinschaftspraxis ist eine derer, die von den Regressforderungen betroffen ist. 

Radiolog:innen sollen zahlen

Auf Antrag der gesetzlichen Krankenkassen führte eine Prüfstelle eine Wirtschaftlichkeitsprüfung bei radiologischen Praxen durch und bemängelte, dass einige Praxen auch andere als die bezuschlagten Kontrastmittel verwendet hatten. „Obwohl wir die Abweichungen im Einzelfall patientenbezogen begründen konnten und das auch dokumentiert hatten, wollen die Krankenkassen den Differenzbetrag zu den günstigeren Kontrastmitteln von uns zurückfordern“, sagt die Radiologin aus Rheinland-Pfalz. „Diese Regressforderung hat uns wirklich überrascht.“ Bei ihrer Praxis geht es um knapp über 10.000 Euro pro Quartal und Vertragsarzt, insgesamt um rund 160.000 Euro im Jahr.

160.000 Euro dafür, dass Ärzt:innen eigenmächtig über die Verordnung eines Wirkstoffs entschieden haben. Eine Tätigkeit, die eigentlich niemand infrage stellen sollte. Hinzu kommt, dass die Preise der rabattierten Kontrastmittel gar nicht bekannt sind, die Verträge sind nämlich nicht einsehbar. So wissen Ärzt:innen gar nicht, welche Mehrkosten sie verursachen, wenn sie nicht bezuschlagte Präparate verwenden. 

Bei der radiologischen Praxis in Rheinland-Pfalz geht es „nur“ um einen Differenzbetrag zu den günstigeren Kontrastmitteln. Den sollen die Ärzt:innen aus eigener Tasche bezahlen. Im KV-Bezirk Nordrhein8Der KV-Bezirk hatte zuvor Exklusivverträge, die mittlerweile nicht mehr gelten. gibt es auch Praxen, die aufgefordert werden, mehr als den Differenzbetrag zum teureren Mittel zurückzuzahlen. Dort sollen die Praxen die Kosten der Kontrastmittel komplett übernehmen. Nach dem Motto: Ihr habt entschieden, dass ihr ein teureres Mittel verwendet, dann müsst ihr es auch selbst bezahlen. 

Die Verfahren9Wirtschaftlichkeitsprüfungen gemäß § 106 SGB V gegen die radiologischen Praxen befinden sich noch in der Widerspruchsphase.

Pharmariese BayerBayer Bayer ist ein Chemie- und Pharmakonzern mit Sitz in Leverkusen. Bei den meisten Produkten, die das Unternehmen produziert, handelt es sich um Medikamente; hauptsächlich für Menschen, aber auch für Tiere. Zudem vertreibt es Nahrungsergänzungsmittel, Fußpflege-Produkte und Sonnencremes. Für die Landwirtschaft entwickelt Bayer Saatgut und Pflanzenschutzmittel. Wegen des Unkrautvernichters Roundup steht der Konzern immer wieder vor Gericht. versus AOK

Rund um die Lieferung von Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf stellen sich viele komplizierte Rechtsfragen. Jedenfalls im Verhältnis zwischen Krankenkassen und Herstellern ohne Exklusivvertrag ist die Rechtslage nun geklärt: Das Bundessozialgericht hat in letzter Instanz ein Machtwort gesprochen und dem PharmaunternehmenPharmaunternehmen In einem Pharmaunternehmen werden Arzneimittel erforscht, entwickelt, produziert und / oder vermarktet. Es kann sich hierbei um eigens neu entwickelte Medikamente oder um Generika (Nachahmungen) handeln. Für die Herstellung von Arzneimitteln oder Arzneistoffen brauchen pharmazeutische Unternehmen eine behördliche Erlaubnis und unterliegen speziellen arzneimittelrechtlichen Verpflichtungen, um Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit ihrer Produkte zu gewährleisten. Zu dem Produktsortiment der Pharmaunternehmen gehören verschiedenste verschreibungspflichtige und rezeptfreie Arzneimittel für die Human- und Veterinärmedizin, wie z.B. Medikamente, Blutprodukte und Impfstoffe. Bayer Vital im Verfahren gegen die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland recht gegeben. 

Bayer hatte radiologische Praxen in der KV-Region Rheinland-Pfalz auf deren Bestellung hin mit Kontrastmitteln beliefert. Die Kassen zahlten aber nicht. Begründung der AOK: Die Verordnung der Bayer-Kontrastmittel sei unzulässig gewesen, die Vertragsärzt:innen hätten die günstigeren Präparate verwenden müssen. Zudem sei das Pharmaunternehmen nicht berechtigt gewesen, Arzneimittel zu liefern, die nicht bezuschlagt waren. Dagegen klagte Bayer – und bekam bereits dreimal recht, und zwar vor dem Sozialgericht Düsseldorf,10https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=SG%20D%FCsseldorf&Datum=29.11.2018&Aktenzeichen=S%208%20KR%20219/18 dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen11https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=LSG%20Nordrhein-Westfalen&Datum=09.12.2021&Aktenzeichen=L%2016%20KR%20868/18 und nun auch vor dem Bundessozialgericht.12https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2023/2023_09_21_B_03_KR_04_22_R.html

Damit bekommt zumindest das Unternehmen Bayer sein Geld. 

Unklare Rechtslage: Sind wirkstoffübergreifende Ausschreibungen rechtswidrig?

Ob in diesem Urteil aber auch das Grundproblem der wirkstoffübergreifenden Ausschreibung endgültig gelöst wird, ist ungewiss; eine Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Nach Ansicht des Berufsverbands der Deutschen Radiologen ist diese Ausschreibung nämlich rechtswidrig. „Es gibt im Sozialgesetzbuch kein Gesetz, das so eine Ausschreibung vorsieht“, sagt Markus Henkel. Und auch das Sozialgericht Düsseldorf, an dem der Fall zuerst verhandelt wurde, sagte bereits 2018 in seiner Urteilsbegründung im Bayer-Prozess: „Das Instrument einer Ausschreibung mit Exklusivverträgen hat der Gesetzgeber nur im Hilfsmittelbereich vorgesehen (§ 127 SGB V), dagegen nicht im Arzneimittelbereich.“ Es fehlt also ein Gesetz, das die wirkstoffübergreifende Ausschreibung von Medikamenten für den Sprechstundenbedarf und damit die Exklusivverträge explizit erlaubt.

Ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung des Gesetzgebers. Mehrfach schon hatten sich Verbände an das BundesgesundheitsministeriumBundesgesundheitsministerium Das Bundesgesundheitsministerium, oder auch Bundesministerium für Gesundheit, erarbeitet Gesetzesentwürfe, Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften. Zu seinen Aufgaben gehört es die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Es ist zuständig für die Reform des Gesundheitssystems. Wichtige Punkte sind zudem die Bereiche Gesundheitsschutz, Krankheitsbekämpfung und Biomedizin. Auch kümmert es sich und die Rahmenvorschriften für Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie um die Sicherheit biologischer Arzneimittel wie Blutprodukte. Berufsgesetze für die Zulassung zu den bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufen gehören ebenso zu seinem Aufgabenspektrum. gewandt. Auch verschiedene kassenärztliche Vereinigungen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sowie verschiedene Berufsverbände hatten die Exklusivausschreibungen kritisiert. „Es ist unser zentrales Ansinnen, von den Exklusivverträgen wegzukommen“, sagt Radiologe Schaeben. Open-House oder Pauschalverträge würden erlauben, aus unterschiedlichen Kontrastmitteln mit zum Teil unterschiedlichen Wirkstoffen auszuwählen. „Und wir könnten im Falle von Lieferengpässen auf ein anderes Präparat ausweichen“, sagt Schaeben. Die KBV und der BDR (Berufsverbandes Deutscher Radiologen) hatten sogar das Bundesgesundheitsministerium angeschrieben, leider erfolglos. 

Dabei wäre es wichtig, den Bezug von Kontrastmitteln eindeutig zu regeln. Die nächste Generation MRT-Kontrastmittel steht nämlich schon in den Startlöchern. Ein Arzneimittel mit einem neuen Gadolinium-Komplex ist bereits zugelassen, ein weiteres befindet sich in Phase II der klinischen Studien. Warum die neuen Mittel vielversprechend sind, erklärt Bernd Hamm, Direktor der Klinik für Radiologie an der Charité in Berlin: „Bei den neuen Gadolinium-Präparaten wird ein sehr guter Kontrast bei der Hälfte der bisherigen Gadolinium-Dosis erreicht. Das ist für uns hochinteressant.“

Bleibt zu hoffen, dass im Fall der Gadolinium-haltigen Kontrastmittel bald eine Lösung gefunden wird. Dann läge die Entscheidung, was für Patient:innen das Beste ist, erneut in den Händen der Ärzt:innen, und würde nicht zur Wirtschaftlichkeitsfrage von Krankenkassen erklärt.

Zusätzliche Quellen

KBV-Stellungnahme: https://www.kbv.de/html/suche.php?s=true&srt=relevance&stp=fulltext&sch=true&dateFrom=&dateTo=&q=19%2F8753&sbmtBtn= 

BDR-Brief: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP19/TSVG/TSVG_BDR2.pdf


Redaktion: Sigrid März, Arne Weinberg, Nicole Hagen

  • 1
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5417580/
  • 2
    https://www.ema.europa.eu/en/documents/referral/gadolinium-article-31-referral-annex-ii_de.pdf
  • 3
    https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2018/rhb-gadolinium.html
  • 4
    gemäß § 129 SGB V, Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
  • 5
    § 29 Absatz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte
  • 6
    Das machen sie, indem sie „aut idem“ oder „aut simile“ auf dem Rezept durchstreichen; dabei bedeutet „aut idem”, dass ein anderes Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff ausgegeben werden darf. „aut simile“ bedeutet, dass auch der Wirkstoff ausgetauscht werden kann.
  • 7
    Neben der Vorsichtsmaßnahme bei Patient:innen mit häufigen MRT-Terminen gab es noch einen weiteren Grund, von den vertragsgebundenen Kontrastmitteln abzuweichen: Die bezuschlagten Arzneimittel waren gar nicht immer lieferbar.
  • 8
    Der KV-Bezirk hatte zuvor Exklusivverträge, die mittlerweile nicht mehr gelten.
  • 9
    Wirtschaftlichkeitsprüfungen gemäß § 106 SGB V
  • 10
    https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=SG%20D%FCsseldorf&Datum=29.11.2018&Aktenzeichen=S%208%20KR%20219/18
  • 11
    https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=LSG%20Nordrhein-Westfalen&Datum=09.12.2021&Aktenzeichen=L%2016%20KR%20868/18
  • 12
    https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2023/2023_09_21_B_03_KR_04_22_R.html