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Betrugsmasche mit Fake-Medikamenten Mit Weihrauch und Teufelskralle gegen Arthrose?

Zwei goldenen Metallgefäße, geformt wie Vasen. Eine steht, die andere liegt. Davor liegen Räucherstäbchen, eines auf einem Ständer verströmt Rauch.
Artrolux, Hondrox, Flexumgel: Im Internet werben unseriöse Webseiten für vermeintliche Wundermittel gegen Gelenkerkrankungen. © 4174332 / Pixabay

Artolux, Hondrox oder doch lieber Felxumgel? Im Internet werben unseriöse Webseiten für vermeintliche Wundermittel gegen Gelenkerkrankungen wie ArthroseArthrose Degenerative Gelenkerkrankung, bei welcher der Knorpel an den Gelenken verschleißt. Verursacht wird der Gelenkverschleiß durch Alter, Über- oder auch Fehlbelastungen oder Verletzungen. Manches Mal sind auch Stoffwechselerkrankungen ursächlich. Bewegung und Schmerztherapie können in vielen Fällen helfen eine OP zu vermeiden; eine Heilung gibt es jedoch nicht. Oft sind Knie, Hüfte, Schultern, Hände und Finger sowie die Füße betroffen. oder Rheuma. Deren Nutzen ist im besten Fall fraglich. Mitunter gibt es die beworbenen Produkte gar nicht.

Dramatische Meldungen aus der Medizin-Welt: „Gelenkerkrankungen sind die Ursache für vorzeitigen Tod“ behauptet „Anna Müller“ auf einer vermeintlichen Online-Newsseite. Über allem thront als „Nachrichten der Woche“: „Täglich werden in Deutschland Tausende von Menschen wegen kranker Gelenke behindert. Wer will sie retten?“

Hilfe naht in Person von „Peter Rottendorf“, der auf einem Foto verträumt hinter seiner dunkelblauen Brille hervorschaut. Über einem hellblauen Hemd trägt er einen creme-farbenen Pullover, vor ihm ein Mikrofon. Laut Webseite gehört er zu den „zehn intelligentesten Medizinstudenten der Welt“ und hat eine großartige Entdeckung gemacht: eine „einzigartige Formel, mit der kranke Gelenke vollständig wiederhergestellt werden können.“ Dafür feiert ihn die Fachwelt und verlieh ihm einen – nicht benannten – Preis. Auf einem „europäischen Kongress der Rheumatologen […] applaudierte das gesamte Publikum 10 Minuten lang“.

Arthrose-Wunder: Das Schema ist immer das gleiche. (Screenshot: MedWatch)

Peter selbst gibt sich uneigennützig. Schließlich könne er das Produkt, das aus seiner Entwicklung entstand, für Tausende Dollar auf den Markt bringen. Aber offenbar aus reiner Nächstenliebe – und um der Pharmabranche eins auszuwischen – verkauft Peter das Wundermittel gemeinsam mit dem deutschen Staat und dem „Rheumatologen Matthias Moritz, Doktor der Medizin, Professor und Akademiker der Akademie der Wissenschaften“ für sagenhafte 49 Euro. Das zumindest sagt der Text.

Rheuma: Wunder gegen tragisches Schicksal

Zu schön, um wahr zu sein? Allerdings. Denn „Peter Rottendorf“ gibt es ebenso wenig wie „Matthias Moritz“ oder „Anna Müller“. Die Inhalte dieser Webseite sind beliebig austauschbar – ebenso die Produkte, Namen und Bilder. Das ganze System ist eine Betrugsmasche, die seit Jahren das Internet durchzieht.

Das Schema ist immer das gleiche: Ein genialer Student oder eine ebensolche Studentin haben ein Produkt entwickelt, das die Medizin revolutioniert. Motivation für diese Entdeckung war stets eine tragische Familiengeschichte; mal betrifft sie die Mutter, mal den Vater, mal die Oma. Sie alle litten unter „Gelenkerkrankungen“, die Mediziner nicht zufriedenstellend behandelten. Vorhandene Medikamente halfen nicht, schädigten im Gegenteil sogar „Gelenke und LeberLeber Die Leber ist ein Stoffwechselorgan im menschlichen Körper. Als Hauptentgiftungsstelle verantwortet sie die Verwertung von Nahrungsbestandteilen, den Abbau und die Ausscheidung von Stoffen. Sie baut, zusammen mit anderen Organen, alte oder beschädigte Blutkörperchen ab. Auch die Produktion lebenswichtiger Proteine gehört zu ihren Aufgaben. Sie speichert Vitamine und Spurenelemente und stellt mit Hilfe von Vitamin K Eiweiße her, die für die Blutgerinnung wichtig sind. Die Leber steuert zusätzlich den Blutzuckerspiegel und stellt Ausgangsprodukte für die Hormonproduktion her. Sie nimmt eine wichtige Rolle im Fettstoffwechsel ein. Eine Besonderheit der Leber ist, dass sie sich nach Verletzungen zu einem Großteil regenerieren kann, was für andere Organe nicht der Fall ist.“. Die Rede ist von nachlässigen Ärzten, unsachgemäßen Behandlungen und aggressiven Apothekern, die mit der Pharmabranche klüngeln.

Auch in der Schweiz will ein Wunder-Student Menschen mit Gelenk-Schmerzen helfen (Screenshot: MedWatch)

Tausende Betroffene solle es geben; Menschen, die leiden und in der evidenzbasierten Medizin keine Hilfe finden. In einem „Interview“ berichten die „Wunderkind-Studenten“ von ihren Erfahrungen und sparen nicht mit Details wie „verfaulende Gelenke“ und fatale „Blutinfektionen“. Es drohten zudem Herzstillstand, Hirnschäden, Leberkrebs oder Nierenversagen, erklären sie. Im schlimmsten Fall enden die Leidensgeschichten mit dem Tod der erkrankten Personen.

Der Gedanke, dass schmerzende Gelenke möglicherweise der Beginn einer dramatischen, tödlich verlaufenden Erkrankung sind, ist unangenehm. Niemand möchte, dass seine Knie „verfaulen“ und den Körper von innen heraus vergiften. Die alarmistische Sprache der Texte schürt Angst, die Geschichten sind emotional. Gleichzeitig suggerieren Begriffe wie „wissenschaftliche Strukturen“, „medizinische Institute“ oder „Spezialisten des Instituts für Rheumatologie“, die die vermeintlichen Wundermittel feiern, fachliche Seriosität. Die Angaben bleiben jedoch schwammig, konkrete Namen von Universitäten oder Instituten fehlen. Dafür äußert sich ein angeblicher Experte lobend zu den Produkten. Und selbstverständlich gibt es Kommentare mit Lobeshymnen glücklicher Anwender:innen.

…und noch ein Wunder-Student. (Sreenshot: MedWatch)

Perfide Masche gegen Gelenk-Erkrankungen

Gegen welche Gelenkerkrankung die Produkte helfen sollen, bleibt unklar. Auf den Webseiten ist vage von „schmerzenden Gelenken“ die Rede, etwa der Kniegelenke, selten konkret von Arthrose. Die wiederum ist gut erforscht. Eine Kniegelenksarthrose (Gonarthrose) – beispielsweise – ist ein langsam fortschreitender Verschleiß des Gelenkknorpels. Meist tritt sie im Alter auf, vor allem, wenn Gelenke übermäßig beansprucht wurden. Bei fortschreitender Erkrankung beeinträchtigt eine Kniegelenksarthrose die Lebensqualität Betroffener, denn selbst Laufen schmerzt dann stark.

Besonders zu Beginn der Erkrankungen können Bewegung und ein gezielter Muskelaufbau die Gelenkveränderungen verlangsamen. Entzündungshemmende Schmerzmittel wie Diclofenac können Arthrose-bedingte Schmerzen lindern.

Ein Schnäppchen gegen Gelenkschmerzen? (Screenshot: MedWatch)

Selten entzündet sich ein Kniegelenk nach Operationen oder starken Verletzungen. Auslöser dafür sind Krankheitserreger – meist Bakterien, aber auch Viren oder Pilze –, die durch Wunden ins Gewebe eindringen. Eine solche Septische oder Infektiöse Arthritis ist gut behandelbar.

Bei sachgemäßer Behandlung faulen weder die Gelenke noch führen die Erkrankungen zu einer Vergiftung des Körpers. Evidenzbasierte Medikamente mit geprüften Wirkstoffen lindern Schmerzen und Entzündungen.

Bringen dann eventuell die beschriebenen Begleiterscheinungen wie zum Beispiel Herzerkrankungen Menschen mit Arthrose um? Schwedische Forscher:innen untersuchten im Jahr 2019, ob Arthrose-Patient:innen früher sterben als Menschen ohne Arthrose. Tatsächlich beobachteten sie eine „Übersterblichkeit durch chronische ischämische Herzerkrankungen und Herzversagen“.

Allerdings liegt das laut Studien-Autor:innen daran, dass sich Menschen mit starken Schmerzen weniger bewegen. Bewegungsmangel und daraus resultierendes Übergewicht wiederum sind bekannte Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Präventiv wirken Maßnahmen zur Behebung von Mobilitätseinschränkungen und zur Aufrechterhaltung oder Steigerung des körperlichen Aktivitätsniveaus.

FakeFake Der englische Begriff Fake bezeichnet u.a. unwahre Informationen, Imitate und Fälschungen sowie Dinge, die vortäuschen echt zu sein, es jedoch nicht sind. Im Bereich der Nachrichten und Fakten spricht man von sog. Fake-News und Fake-Facts. Solche werden gezielt eingesetzt, um (falsche) öffentliche Meinungen zu bilden oder gar Wahlen zu beeinflussen.-Produkte gegen Arthrose ohne Nutzen – im besten Fall

Arthrose-Patient:innen stehen in Deutschland also zahlreiche evidenzbasierte Behandlungsansätze zur Verfügung. Trotzdem suggerieren die Wundermittel-Webseiten, dass es Bedarf an alternativen Heilmitteln gebe. Diese werden von den Anbietern als „natürlich“ und „frei von Nebenwirkungen“ beworben. Die Produkte mit Namen wie Artrolux+, Hondrogel, Hondrox oder Flexumgel kommen als Pulver, Kapsel oder Creme daher und versprechen Linderung bei „schmerzenden Gelenken“, sollen „Knorpel und Knochengewebe wiederherstellen“ und „Fäulnisprozesse stoppen“. Können die Inhaltsstoffe diese Versprechen halten?

Wunder mit Glucosamin und Chondroitin? (Screenshot: MedWatch)

Im NahrungsergänzungsmittelNahrungsergänzungsmittel Nahrungsergänzungsmittel werden den Lebensmitteln zugeordnet und sind abgegrenzt von Medikamenten zu betrachten. So dürfen sie, wie der Name schon sagt, die normale Ernährung ergänzen, sie jedoch nicht ersetzen und zudem keine arzneiliche Wirkung zeigen. Sie werden als Kapseln, Tabletten, Tropfen oder Ähnliches angeboten und enthalten oft Vitamine, Mineralstoffe oder sonstige Nährstoffe, die eine Wirkung erzielen sollen. Sie dürfen jedoch nicht wie ein Arzneimittel beworben werden. Die Hersteller dürfen keine spezifische Wirkung wie die Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit anpreisen oder für ein definiertes Anwendungsgebiet werben. Artrolux+ finden sich beispielsweise Perlenpulver, Boswellia-Extrakt, Glucosamin und Chondroitin. Während Boswellia – besser bekannt als Weihrauch – Schmerzen und Bewegungseinschränkungen bei altersbedingter Abnützung, also Arthrose, der Kniegelenke möglicherweise geringfügig lindert, ist für die Einnahme von Glucosamin und Chondroitin keine gesundheitsfördernde Wirkung bekannt.

Seit 2012 dürfen Nahrungsergänzungsmittel mit diesen beiden Stoffen nicht mehr mit einer positiven Wirkung auf Gelenke beworben werden. Die Verbraucherzentrale warnt sogar vor ihrer Einnahme. Allergische Reaktionen seien ebenso möglich wie unerwünschte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.

Für den Extrakt der Teufelskralle, der in der „Gelcreme“ Hondrogel enthalten sein soll, fehlen wissenschaftliche Belege für einen Nutzen bei Gelenkschmerzen – vor allem, wenn sich Menschen den Extrakt nur aufs Knie schmieren. Bei der Einnahme von Teufelskralle drohen jedoch Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Auch die anderen Bestandteile der Creme – Kollagen, Hyaluronsäure und Haifischleberöl – helfen nicht bei Gelenkerkrankungen.

Ein weiteres beworbenes Produkt ist Flexumgel. Für dieses Produkt finden sich je nach Anbieter unterschiedliche Angaben, was das Gel enthält, wie zum Beispiel: Seeigel- und Seestern-Extrakt sowie Teufelswurzelextrakt oder Eukalyptus, Propolis, Arnica-Montana-Extrakt, Niacinamid, Menthol und Kampfer. Das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) stellte 2021 fest, dass es für eine medizinische Wirksamkeit des Gels keine wissenschaftlichen Daten gebe und resümierte: „Das über internationale Online-Verkaufsplattformen und diverse illegale Webseiten […] vertriebene Produkt ‚Flexumgel‘ wird vom BASG […] als illegales ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. (Präsentationsarzneimittel) eingestuft.“

Auch das laut Webseite „wärmende Spray“ Hondrox enthält neben Glucosamin und Chondroitin nur ätherische Öle, Vitamine und Arnica-Extrakt. Nichts davon beeinflusst Gelenke, vor allem nicht, wenn es äußerlich aufgebracht wird. Im Zusammenhang mit Hondrox warnten im April 2022 die österreichischen Portale „Watchlist Internet“ und „Mimikama“ vor Online-Shops, die „dieses vermeintliche Wundermittel“ anbieten. „Watchlist Internet“ und „Mimikama“ durchleuchten Betrug und Falschmeldungen im Internet.

Darüber hinaus finden sich auf den Webseiten der Onlinehändler keine Mengenangaben für die einzelnen Inhaltsstoffe. Auch fehlen für Gele und Cremes obligatorische Anhaben zu ihren Träger- und Grundstoffen wie Emulgatoren, Fetten und Wasser.

Wunderkind-Studenten: Alles Fake und Betrug

Worauf warten Sie noch? Wundergel gegen Arthrose und andere Gelenkerkrankungen. (Screenshot: MedWatch)

Während die Inhaltsstoffe der vermeintlichen Wundermittel nachweislich keine Wirkung haben, ist auch nicht klar, ob die Produkte überhaupt existieren. Das Bewertungsportal „Trustpilot“ warnt vor Online-Händlern, die ihre Produkte trotz Zahlung nicht verschicken.

Auch die vermeintlichen Produkt-Bewertungen sind gefälscht. Etliche der verwendeten Fotos lassen sich mittels Bilder-Rückwärtsuche ihren Internet-Originalen zuordnen. Auf einer Seite etwa schwärmt „Katharina Rieser“ vom Artrolux+-Spray. Auf ihrem eigenen Beweisfoto allerdings schmiert sich eine Person eine weiße Creme auf ein stark behaartes Knie. Auf der Tube ist der Name des Produkts mit „Artrovex“ angegeben.

Außerdem befinden sich die vermeintlichen Entwickler- und Experten-Interviews allesamt auf unseriösen Domains. Wenngleich die Webseiten optisch Nachrichtenportale imitieren – etwa mit Reitern wie „Politik“ oder „Sport“ –, sind alle dortigen Links entweder inaktiv oder führen zu Verkaufsportalen der beworbenen Produkte. Die Texte sind durchzogen von Superlativen sowie sprachlichen und sachlichen Fehlern. Angaben zu Impressum oder Geschäftsbedingungen fehlen.

Artrolux+, Artrovex: Internationale Betrugsmasche

Solche Seiten sind kein deutsches Phänomen. Auch in Nachbarländern werden vergleichbare Produkte angeboten. „Sara Calamarà“ wirbt auf einer italienischen Webseite für ein Produkt gegen Übergewicht, während „Pavle Milojević“ in Serbien wie auch „Fritz Rüdiger“ in Österreich Menschen von Gelenkerkrankungen heilen möchte.

Letzterer verwendet auf der Werbe-Webseite ein Foto von sich, wie er im schnieken blauen Anzug und mit stolzem Blick eine Medaille präsentiert. Doch eigentlich handelt es sich bei dem jungen Mann auf dem Foto um Cornel Micu. Der 20-jährige Rumäne und Informatikstudent am Imperial College London erhielt am 3. Februar 2019 aus den Händen der britischen Queen die „Goldmedaille der Königin für hervorragende akademische Leistungen“.

Und „Peter Rottendorf“, der nicht nur in Deutschland, sondern als „Kiril Štastnji“ in der Slowakei und als „Gerardo i Martin“ in Brasilien für eine Vielzahl unterschiedlicher Wundermittel wirbt? Der scheint ein Student der Russischen Rechtsakademie zu sein, wie das serbische Portal „Fake News Tragač“ aufdeckte.

Fazit: Bei den Internetseiten handelt es sich um eine international angewandte Betrugsmasche. Nicht nur verwenden die Macher falsche Expert:innen und Entwickler:innen, um ihre Produkte zu bewerben. Die Salben, Pulver und Sprays enthalten zudem Substanzen, die für die genannten Indikationen wirkungslos sind.


Dieser Text erschien zunächst und in verkürzter Form bei Gute Pillen – Schlechte Pillen (Ausgabe 4/2022).

Redaktion: Henrik Müller, Nicola Kuhrt