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Alternativmedizin Elfen, Zwerge, Spontanheilungen: Quacksalberei im NDR?

Eine Frau und ein Mann sitzen auf einem großen roten Sofa. Sie unterhalten sich.
© Screenshot der NDR-Sendung DAS! / 02.07.2018

Ein wenig Talk mit einem prominenten Gast auf dem roten Studiosofa, einige Einspielfilme und ein kurzer Nachrichtenblock: Die Sendung „DAS!“ vom NDRNDR NDR – Norddeutsche Rundfunkanstalt – produziert Inhalte für das Fernsehen, den Hörfunk sowie Online mit Sitz in Hamburg (Lokstedt). Der NDR ist eine gemeinsame Landesrundfunkanstalt der Länder Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen sowie Schleswig-Holstein. verspricht jeden Abend einen Mix aus Unterhaltung und Informationen, aber mit Niveau. „Jede einzelne Sendung“, so heißt es auf der Homepage, würde von der Redaktion „Tage und Wochen vorbereitet“. Eine Behauptung die erstaunt, angesichts der wirren Mischung aus Aberglauben und fragwürdigen Gesundheitstipps, die am 2. Juli in der Sendung präsentiert wurden.

Im Studio zu Gast ist eine „Kräuterexpertin“, die von Moderator Hinnerk Baumgarten geradezu überschwänglich angekündigt wird: „Caroline Deiß ist Expertin für Wildkräuter, und es ist wirklich Unglaubliches, was sie uns heute dazu erzählen kann.“ Was sie dann in den kommenden 45 Minuten ohne kritische Nachfragen des Moderators von sich geben darf, ist tatsächlich unglaublich – unglaublich fragwürdig.

Metallmesser, Elementarwesen und wundersame Spontanheilungen

Denn schon bei der Frage, wie Kräuter am besten geerntet werden, wird es bizarr. Messer aus Metall, so behauptet Deiß, seien jedenfalls nicht geeignet, „denn Metallmesser, die vertreiben Elfen, Feen und Zwerge, die uns bei der Gesunderhaltung des Körpers auch dienlich sind.” Diese „Elementarwesen“ sollen laut Deiß eine „Energie“ zu den Kräutern geben, die „natürlich“ verschwinde, wenn ein Metallmesser benutzt würde. Kupfermesser seien da besser geeignet, so Deiß weiter. Den von einem Sender mit Bildungsanspruch zu erwartenden Widerspruch von Moderator Baumgarten gegen diesen offensichtlichen Unsinn gibt es nicht. Auch die naheliegende Frage, ob Kupfer denn kein Metall sei, stellt der Moderator nicht. Mit einem lakonischen „manchmal versetzt der Glaube ja auch Berge“ geht es weiter in der Sendung.

Deiß wagt sich nun an die ganz großen Themen. Warum sind manche Menschen gesund und andere krank? Für sie steht fest: es liegt an der Psyche. „Ein negativ denkender Mensch ist immer wesentlich mehr dazu geneigt, krank zu werden, als ein positiv eingestellter.“ Diese Botschaft kennt man sonst nur von esoterischen Wunderheilern. Krankheit wird zur Einstellungssache, zu einer Folge negativen Denkens. In dieser Weltsicht genügt es, sich in eine positive Stimmung zu versetzen, um die körperlichen Gebrechen schnell und ohne lästige Medikamente oder Operationen zu beseitigen. Für Patienten ist dieser Ansatz gefährlich, weil er suggeriert, selbst lebensbedrohliche Erkrankungen könnten durch einfache Verhaltensänderungen erreicht werden. Zudem wird Patienten unterstellt, durch ihr Denken und Handeln selbst verantwortlich für ihre gesundheitliche Situation zu sein. Dies könne zu Schuldgefühlen und einer großen psychischen Belastung führen, warnt etwa das Deutsche Krebsforschungszentrum.

Brennesseln und der Kontakt zu den Ahnen

Deiß erzählt Geschichten von wundersamen Spontanheilungen, die diesen Mythos stützen. Sie selbst sei über Nacht von Neurodermitis geheilt gewesen, weil sie ihren Job in einem internationalen Kreditinstitut aufgegeben habe, behauptet sie bei „DAS!“. Wie es zu dieser Erkrankung und der anschließenden Spontanheilung kam, erklärt Deiß gegenüber MedWatch am Telefon. Krankheiten werden ihrem Glauben zufolge meistens durch die Psyche ausgelöst. Sie treten auf, weil die Seele trauere, wenn sie nicht das Leben leben könne, für welches sie bestimmt sei. Die Folge seien Erkrankungen wie Neurodermitis, Multiple Sklerose oder KrebsKrebs Statt eine spezifische Krankheit zu benennen, handelt es sich bei Krebs um einen Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten. Ihnen allen gemeinsam ist jedoch das unkontrollierte Wachstum von Körperzellen, aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Zellwachstum und Zelltod. Die Folge daraus ist – außer bei Blutkrebsarten – eine Geschwulst ohne organspezifische Funktion. Dringt diese in das umliegende gesunde Gewebe ein, spricht man von bösartigen Tumoren; ausschließlich bösartigen Tumore werden als Krebs bezeichnet. Krebs kann zudem metastasieren, d.h. er breitet sich im Körper aus, indem die Krebszellen über Blut- und Lymphbahnen wandern und infolgedessen in anderen Organen Tochtergeschwülste bilden.. Eine Spontanheilung trete auf, wenn der Mensch erkenne, dass er manipuliert worden sei. Deshalb sei ihre Neurodermitis auch mit der Kündigung ihres alten Jobs verschwunden.

In einem ihrer Bücher geht Deiß noch einen Schritt weiter. Dort spricht sie nicht nur davon, dass „Krankheiten von uns über Nacht abfallen“ könnten. Vielmehr warnt sie davor, auf den medizinischen Rat von Fachleuten zu vertrauen: „Keine noch so gut gemeinten Ratschläge unserer Eltern, Freunde, Lehrer, Ärzte, Psychologen etc. können uns unseren Weg weisen.“ Auf MedWatch-Nachfrage erklärt Deiß, sie sei nicht gegen die klassische Medizin. Diese werde jedoch in vielen Fällen nur angewandt, um Profit zu machen. Deshalb sei sie beispielsweise gegen Chemotherapien. Als Empfehlung möchte Deiß dies jedoch nicht verstanden wissen. Jeder müsse selbst entscheiden, welchen Weg er geht, so Deiß.  Auf ihrer Internetseite empfiehlt sie beispielsweise Brennnessel als „Allesheiler“, unter anderem bei Nierenerkrankungen und Tumoren.

Patienten, die aufgrund alternativer Heilsversprechen auf wissenschaftlich erforschte Behandlungsmethoden verzichten, riskieren damit ihr Leben. Eine im Januar im Journal of the National Cancer Institute veröffentlichte Studie zeigte, dass die Sterblichkeit der alternativ behandelten Patienten zweieinhalbmal mal so hoch war wie die der konventionell therapierten. Von Heilsversprechen wie jenen von Caroline Deiß geht demnach eine Gefahr für die Zuschauer aus: Verzögern sie eine medizinische Behandlung oder verzichten sie ganz auf diese, können gesundheitliche Schäden bis hin zum Tod die Folge sein.

„War ich in einer Satiresendung?”

Deiß erklärte in der Sendung auch, dass der Konsum von Wildkräutern bei Blutdruckproblemen „automatisch“ den Blutdruck senken könne. Auf Nachfrage sagt Deiß, dieses Wissen beruhe auf ihrer Erfahrung und auf alten Büchern, die sie gelesen habe – unter anderem von Nicholas Culpeper, einem englischen Arzt aus dem 17. Jahrhundert. Der glaubte allerdings auch noch daran, dass die Planeten den Verlauf von Krankheiten bestimmen und durch Pflanzen geheilt werden können, die er dem jeweils entgegengesetzten Planeten zuordnete. Derartige Theorien spielen in der heutigen Medizin aus guten Gründen längst keine Rolle mehr. Im Programm des Norddeutschen Rundfunk feierten sie, modern verpackt, ihre Wiederauferstehung. Auf wissenschaftliche Studien konnte die „Expertin“ hingegen nicht verweisen.

Dass Deiß in der Sendung außerdem behaupten darf, Brennnesseln würden den Kontakt zu den „Ahnen“ in eine „andere Welt“ vermitteln, und der Geist ihres Ex-Freundes sei erst durch Wildkräuterräuchern aus ihrer Wohnung geflogen zeigt, wie wenig diese DAS!-Ausgabe mit seriöser Information und wie viel sie mit EsoterikEsoterik Esoterik versteht sich als eine Geheimlehre, deren Wissen ursprünglich nur für einen kleinen Kreis bestimmt war. Hierzu zählen Methoden wie das Kartenlegen, Hellsehen, die Astrologie und Magie. Heute ist die Esoterik ein häufiger Anlaufpunkt für Sinnsuchende oder dient als Hoffnungsschimmer für unheilbar Kranke, mit teils teuren Konsequenzen., Pseudowissenschaft und Aberglaube zu tun hatte.


Entsprechend deutlich war die Kritik der Zuschauer in den sozialen Netzwerken. „Ich habe als Neurodermitis-Betroffener weiß Gott was für Versuche unternommen, das Problem in den Griff zu bekommen, und dann erzählt mir in eurer Sendung eine sogenannte Expertin, dass bei ihr ein paar Kräuter geholfen haben. Und der Moderator nimmt diesen Aluhut-Schwachsinn auch noch unwidersprochen hin. Und lässt sie dann noch über Kontakte in andere Welten und Räucher-Rituale schwafeln. Ohne jede redaktionelle Einordnung versteht sich.“ schreibt ein Zuschauer auf Facebook.


Kritik auch bei Twitter:

Ich habe die Sendung gesehen und war entsetzt-fasziniert. War ich in einer Satiresendung? Hatte Astro-TV den @ndr gekapert? Keine kritischen Nachfragen seitens des Moderators – da habe ich mich geschämt.



Das Medien-Magazin Übermedien veröffentlichte auf Twitter die Antwort des NDR an einen Zuschauer, der sich über die esoterischen Inhalte der Sendung beschwerte. Darin heißt es lapidar: „Es ist schade, dass Ihnen der gestrige Gast nicht gefallen hat. Dennoch weisen wir Sie freundlich darauf hin, dass es sich hierbei um ihre subjektive Meinung handelt.“ Die Redaktion wolle den Zuschauern einen „bunt gemischten Mix an Gästen“ präsentieren.

MedWatch hat den NDR gefragt, wieso ausgerechnet Caroline Deiß als Wildkräuter-Expertin eingeladen wurde, und inwiefern der Sender seiner journalistischen Sorgfaltspflicht nachgekommen sei. Immerhin gehört zum Programmauftrag des Senders auch Information, Bildung und Beratung. Gesprächspartner zu Gesundheitsthemen sollten von der Redaktion sorgsam ausgewählt werden. Doch in Hamburg mag man im Auftritt der abergläubischen „Expertin“ kein Problem erkennen. Wildkräuter-Experten seien rar, und Deiß habe Bücher vorgelegt, „die sachlich richtig das Erkennen von essbaren Kräutern vermitteln“.

Dafür hätte der Sender allerdings nicht auf Deiß zurückgreifen müssen: Aktuell sind über 250 Bücher zum Thema in Deutschland lieferbar, und auch die Universitäten beschäftigen sich mit Wildkräutern. Im Weiteren beruft sich der Sender auf die Meinungsfreiheit – an Elfen, Feen und Zwerge zu glauben sei ja nicht verboten. Das ist zwar richtig, kann aber kaum der Anspruch eines öffentlich-rechtlichen Senders im 21. Jahrhundert sein.

Während die Zuschauer der Sendung mit reichlich Fehlinformationen und offensichtlichem Blödsinn zurückbleiben, profitiert Deiß von der kostenlosen Werbeplattform. Sie sei selbst überrascht, wie viele Anfragen von potentiellen Kunden sie nach der Sendung erhalten habe, so Deiß gegenüber Medwatch.