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Verschwörungserzählungen zur Corona-Impfung Die Angst vor einer Fehlgeburt

Impfstoff-Ampullen
Impfung gegen das Corona-Virus. © Adrià Crehuet Cano / unsplash

Auf Verschwörungswebsites, Telegram-Kanälen und Twitter verbreiten sich Artikel über extrem hohe Fehlgeburten bei Schwangeren nach einer CoronaCorona Mit Corona bezeichnet die Allgemeinbevölkerung zumeist SARS-CoV-2 (Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2). Es ist ein neues Beta-Coronavirus, welches zu Beginn des Jahres 2020 als Auslöser der Krankheit COVID-19 identifiziert wurde. Coronaviren waren schon vor 2020 altbekannt. In Menschen verursachen sie vorwiegend milde Erkältungskrankheiten (teils auch schwere Lungenentzündungen) und auch andere Wirte werden von ihnen befallen. SARS-CoV-2 hingegen verursacht wesentlich schwerere Krankheitsverläufe, mit Aufenthalten auf der Intensivstation bis hin zum Tod. Der Virusstamm entwickelte und entwickelt seit seiner Entdeckung verschiedene Virusvarianten, die in ihren Aminosäuren Austausche aufweisen, was zu unterschiedlichen Eigenschaften bezüglich ihrer Infektiosität und der Schwere eines Krankheitsverlaufes führt. Seit Dezember 2020 steht in Deutschland ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung.-ImpfungImpfung Eine Impfung hilft, vor schwer verlaufenden Infektionskrankheiten zu schützen. Durch abgeschwächte Erreger, durch Bruchteile von Erregern oder seit Neuestem mit mRNA-Stücken von Erregern wird bei einer aktiven Schutzimpfung das Immunsystem über die gezeigten Antigene spezifisch aktiviert. Dem Körper wird durch eine Impfung vorgegaukelt mit einem echten Erreger infiziert zu sein. Dadurch wird die gesamte Immunsystem-Kaskade in Gang gesetzt, inklusive der Bildung spezifischer Gedächtniszellen. Ist der Organismus später dem tatsächlichen Erreger ausgesetzt, kann er schnell, effizient und spezifisch reagieren ohne schwere Komplikationen zu entwickeln. Eine generelle Impfpflicht gibt es in hierzulande nicht. Die Ausnahme bildet die Masernimpfung: Seit 2020 muss bei Eintritt in eine Kindertagesstätte oder Schule ein Masern-Impfnachweis erbracht werden. Die STIKO gibt für Deutschland Impfempfehlungen heraus, an denen sich orientiert werden kann.. Sie berufen sich auf ein renommiertes Medizinjournal. Was steckt dahinter?

Anfang September hat sich die Ständige Impfkommission (STIKO) dafür ausgesprochen, Schwangere und Stillende gegen SARS-CoV‑2 zu impfen. Es dauerte nicht lang, da tauchten die ersten Falschmeldungen und Gerüchte dazu im Internet auf. So schrieb etwa der Twitterer Peter S. auf seinem selbsternannten „News-Kanal“ vom „COVID-19Covid-19 COVID-19 ist ein Akronym für die englische Bezeichnung Coronavirus Disease 2019, was so viel wie Corona-Virus-Krankheit 2019 heißt. Sie wird von dem neuen Beta-Coronavirus SARS-CoV-2 und seinen Varianten ausgelöst. Eine Erkrankung mit COVID-19 äußert sich zumeist – ca. vier bis sechs Tage nach Infektion – relativ unspezifisch durch Husten, Schnupfen, Halsschmerzen und Fieber sowie Störungen des Geruchs- und/oder Geschmackssinns. Atemnot, Kopf- und Gliederschmerzen, allgemeine Schwäche oder auch Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall können hinzukommen. Die Symptome können je nach Virusvariante variieren. Auch schwere Verläufe mit Aufenthalten auf der Intensivstation bis hin zum Tod sind möglich.-Horror“. Er erwähnte eine Studie, wonach es unter geimpften Schwangeren eine Fehlgeburtsrate von 81,8 Prozent gebe. Nur: Diese Zahl existiert in der Studie überhaupt nicht.

Peter S. streut regelmäßig Falschmeldungen rund um das Coronavirus und die  Vakzine dagegen. Dafür bedient er Twitter, Facebook, Telegram und einen Blog. Auf seiner Website bezeichnet er sich als „freier Journalist“, „Menschenrechtler“ und „Bibelforscher“. Gegenüber MedWatch erklärt er, über keine klassische journalistische Ausbildung, dafür über 20 Jahre Bibelstudium bei den Zeugen Jehovas zu verfügen. Das Entscheidende fehlt ihm indes: medizinische Expertise.

Horror-Geschichten zur Corona-Impfung und Fehlgeburten

Twitter kennzeichnet den Tweet zur angeblich 82-prozentigen Fehlgeburtenrate inzwischen in einer Warnmeldung als irreführend und hat eine Sperre eingebaut: Der Tweet darf nicht mit einem Herz versehen, geteilt oder beantwortet werden. Allerdings kann man noch auf den Link zu einem Artikel klicken, in dem ein Autor namens „Manfred U.“ über die vermeintliche Gefahr für Schwangere schreibt. Gleich in der Überschrift spricht er von einem „Genozid an Ungeborenen“. Worte, die erschrecken und in die Irre führen.

Bevor man die ersten Sätze des Artikels lesen kann, erscheint ein Hinweis: „Liebe Leser, unsere Inhalte werden inzwischen vollumfänglich zensiert. […] abonnieren Sie jetzt unseren Kanal auf Telegram!“ Fast 38.000 Menschen haben den Telegram-Kanal der Website abonniert (Stichtag: 13.Oktober 2021). Die Seite hat kein Impressum, was in Deutschland Pflicht ist. Wer Kontakt mit den Betreibern der Website aufnehmen will, gelangt zu einem russischen Domain-Betreiber.

Neben weiteren Horror-Geschichten über die Corona-Impfung verbreitet die Website allerlei unwissenschaftliche und falsche Informationen: Kurkuma könne Grippewellen stoppen, Deutschland habe keine Verfassung, die deutsche Bevölkerung befände sich in einem „molekularen Bürgerkrieg“. Die meisten Texte hetzen gegen Journalisten, Politikerinnen und Menschen mit Migrationsgeschichte. Der Autor „Manfred U.“ schreibt auch auf anderen Verschwörungsblogs, die ebenfalls Falschmeldungen und rechte Hetze veröffentlichen. Für MedWatch war er nicht zu erreichen.

Studie zur Sicherheit der Impfung Schwangerer

In seinem Text zur Impfung Schwangerer bezieht er sich auf eine wissenschaftliche Publikation im „The New England Journal of Medicine“ (NEJM). Tatsächlich gibt es in dem Journal wissenschaftliche Artikel zur Impfung Schwangerer und Stillender.

In einer USA-weiten Studie untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie sicher eine Impfung Schwangerer ist. Dabei blickten die Forschenden auf die mRNA-Vakzinen der BioTech-Unternehmen ModernaModerna Moderna Inc. ist ein seit 2010 bestehendes US-amerikanisches Biotechnologieunternehmen. Der Firmenname ist eine künstliche Wortkombination aus den Bestandteilen »modified« (abgewandelte) und »RNA«. Moderna gehört zu den führenden Vertreibern eines Covid-19-Vakzins SPIKEVAX® auf Basis der mRNA-Technologie. und BioNTechBioNTech Die BioNTech SE ist ein Biotechnologieunternehmen aus Mainz. Es konzentriert sich auf Immuntherapien in der Onkologie sowie bei Infektionskrankheiten mit dem Schwerpunkt von mRNA-Therapeutika. Im Jahr 2020 wurde das erste mRNA-basierte Arzneimittel für den Einsatz am Menschen zugelassen: der COVID-19-Impfstoff Comirnaty® in Kooperation mit dem US-amerikanischen Pharmaunternehmen Pfizer.. Rund 36.000 Frauen zwischen 16 und 54 Jahren nahmen teil. Die Ergebnisse der Studie: Die Forschenden fanden keine Sicherheitsrisiken. Schwangere klagten öfter über Schmerz an der Einstichstelle als Nicht-Schwangere. Dagegen traten Kopf- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost und Fieber bei Schwangeren seltener auf. Fehlgeburten kamen bei geimpften Schwangeren genauso häufig vor wie bei nicht geimpften vor der PandemiePandemie Pandemie bezeichnet eine globale Epidemie, eine zeitlich begrenzte und zugleich weltweit stattfindende Infektionskrankheit. Fehlende Grundimmunitäten gegen, z.B. neu mutierte, Bakterien- oder Virenstämme erhöhen Infektions- und Todesraten. Während einer Pandemie mit schweren Krankheitsverläufen sind Überlastungen von Gesundheitsversorgungsstrukturen und des öffentlichen Lebens schnell erreicht. Bekannte Beispiele für durch Viren hervorgerufene Pandemien sind HIV (seit den 80er Jahren), das Influenza-A-Virus (H1N1) von 2009 sowie Corona (seit 2019). Der weltweite Handel, eine globale Mobilität sowie immer weniger Rückzugsorte für andere Lebewesen begünstigen nicht nur die Entstehung von Infektionskrankheiten, sondern auch deren Ausbreitung. Die WHO kontrolliert in einem ständigen Prozess das Auftreten und die Verbreitung von Infektionskrankheiten, die potentiell epidemisch oder pandemisch werden könnten..

Normalerweise enden etwa 10 bis 15 Prozent aller Schwangerschaften in einer Fehlgeburt. In den meisten Fällen finden sie in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft statt – oft, ohne dass die Frau selbst es bemerkt. Unter den Studienteilnehmerinnen hatten 13,9 Prozent (115 von 827 Frauen) Fehlgeburten nach einer Corona-Impfung. Diese Rate liegt im Normalbereich.

Woraus schlussfolgert der Autor „Manfred U.“ also eine Fehlgeburtenrate von 81,8 Prozent? Peter S., der Twitter-Nutzer, ist bemüht, die Frage gegenüber MedWatch zu beantworten – mit Links zu weiteren Verschwörungswebsites.

Verschwörungstheoretiker rechnen falsch

Auf ihnen bezieht man sich auf das Kleingedruckte unter einer Tabelle in der Studie des New England Journal of Medicine. Die Autorinnen und Autoren der Verschwörungsblogs haben sich folgende Rechnung überlegt: 127 Teilnehmerinnen wurden in den ersten zwei Trimestern der Schwangerschaft geimpft. Diese Zahl stimmt. In den ersten 20 Schwangerschaftswochen verzeichnete die Studie bei 104 Schwangeren spontane Aborte. Teilt man 104 durch 127 ergibt das einen Anteil von rund 82 Prozent. Die Rechnung klingt zunächst plausibel, ist aber aus mehreren Gründen falsch: Erstens endet das zweite Trimester mit der 24. Schwangerschaftswoche. Die 104 Aborte beziehen sich aber auf 20 Wochen. Hier werden zwei Zahlen ins Verhältnis gesetzt, die sich auf unterschiedliche Zeiträume beziehen. Der Vergleich ist unsauber.

Zweitens ließe die falsch errechnete Fehlgeburtenrate von 82 Prozent nur eine Aussage über die ersten zwei Drittel der Schwangerschaft zu. Denn insgesamt beendeten 827 Teilnehmerinnen ihre Schwangerschaft während der Studienzeit. 827 ist der korrekte Nenner, wenn man Aussagen über die komplette Schwangerschaft treffen will. Drittens sagt die Studie nichts über die Gründe der 104 Abgänge vor der 20. Woche. Ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Corona-Impfung und Fehlgeburten gibt, geht nicht hervor.

STIKOStiko Die STIKO - Ständige Impfkommission - am Robert-Koch-Institut berät und empfiehlt mit Hilfe eines unabhängigen Expert*innengremiums welche Impfungen wann sinnvoll sind. Ihre Empfehlungen haben weitreichende Konsequenzen. Aus diesem Grund folgt die ständige Impfkommission der systematischen Methodik der Evidenzbasierten Medizin (EbM) und bewertet das Nutzen-Risiko-Verhältnis jeder Impfung. Sie gibt Impfkalender heraus und informiert über Impfabstände. Die STIKO beantwortet in ihrem Internet-Auftritt Fragen von Bürgern und Ärzten rund um das Thema »Impfen« und möchte so eine breite Öffentlichkeit umfangreich informieren. Eingerichtet wurde sie bereits im Jahre 1972, seit 2001 ist die ständige Impfkommission zudem gesetzlich über das Infektionsschutzgesetz verankert. Seit 2007 entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf Grundlage der STIKO-Empfehlungen, ob eine Impfung zur Pflichtleistung der Gesetzlichen Krankenkassen wird. Seit Ende 2015 existiert zudem eine Ständige Impfkommission Veterinärmedizin (StIKo Vet) am Friedrich-Loeffler-Institut, welche den Einsatz von Impfstoffen in der Tiermedizin bewertet. empfiehlt Impfung von Schwangeren gegen Corona

Die Verschwörungsgläubigen verdrehen, verkneten und verrechnen hier Fakten und Zahlen so lange, bis von der Wahrheit kaum etwas bleibt. Die STIKO stuft es – nach eingehender Prüfung – wiederholt als sicher und effektiv ein, wenn Schwangere sich ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel einen mRNA-Impfstoff injizieren lassen.

Schwangere gelten generell als vulnerable Gruppe für Infektionskrankheiten. Erkranken sie an Covid-19, steigt das Risiko für eine Frühgeburt und Präeklampsie, früher Schwangerschaftsvergiftung genannt. Über einen „Genozid an Ungeborenen“ zu sprechen, wie es der Autor „Manfred U.“ macht, könnte unpassender nicht sein: In einem Genozid werden Menschen systematisch ermordet. Impfungen retten Leben.


Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Textes stand, die STIKO empfehle die Impfung für Schwangere ab dem letzten Schwangerschaftsdrittel. Die Empfehlung gilt aber bereits ab dem zweiten. Wir haben dies korrigiert.


Redaktion: Nicola Kuhrt, Henrik Müller