Während viele Arztpraxen und Apotheken unter Personalmangel leiden, versprechen Digitalunternehmen, die medizinische Versorgung selbst in die Hand zu nehmen. Ein beliebtes Angebot: ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. per Fragebogen bestellen – auch wenn das nach deutschem Recht nicht erlaubt ist. Nach einer Abmahnung nahm ein Plattformbetreiber die Werbung für die „PillePille Hormonelles Verhütungsmittel – Kontrazeptivum – mit dem der Eisprung verhindert wird. Im Allgemeinen handelt es sich hierbei um ein Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparat. Daneben gibt es reine Gestagen-Produkte. danach“ per Fragebogen aus dem Programm. Doch die AntibiotikaAntibiotika Medikamente für bakterielle Infektionskrankheiten. Das Wirkprinzip beruht darauf, dass in Biosynthesen des Bakteriums eingegriffen wird, die es im menschlichen Körper nicht gibt. Wichtige Angriffspunkte dieser antimikrobiellen Verbindungen können z.B. die Ribosomen, die Zellwand oder auch die DNA-Replikation sein. blieben.
Die medizinische Gesundheitsversorgung steht unter Druck, vielerorts fehlt Personal. Bis zum Jahr 2035 sollen Schätzungen zufolge 1,8 Millionen Stellen im Gesundheitssektor unbesetzt sein. Währenddessen wird Deutschland immer älter – und damit behandlungsbedürftiger.
In diese Lücke stoßen Unternehmen, die versprechen, die medizinische Unterversorgung schon jetzt zu lösen – digital und sicher. Eines von ihnen ist die Wellster Healthtech Group mit Sitz in München. Im Portfolio: Die Webseiten gospring.de, helloeasy.de und myspring.com. Auf ihnen finden Nutzer:innen Arzneimittel oder Apps, die bei Erektionsstörungen, Haarausfall oder psychischen Problemen helfen sollen.
Eine neue Seite speziell für die Frauengesundheit rief das Unternehmen im Frühjahr 2022 ins Leben: MySummer.de. Ob Verhütungsmittel oder Antibiotika bei Blasenentzündungen – alles liefert der Betreiber bequem nach Hause. Kundinnen müssen sich nur durch einen Fragebogen klicken. Angeblich prüfen Fachärzt:innen jeden dieser Fragebögen.
Verschreibungspflichtige Medikamente direkt an die Haustür, ohne jemals eine:n Ärzt:in persönlich gesehen zu haben – ist das sicher? Auf Anfrage von Medwatch schreibt ein Wellster Healthtech-Sprecher, die Fragebögen auf MySummer.de seien auf Grundlage anerkannter Studien entwickelt worden. „Wir klären insofern sehr umfangreich mittels des Fragebogens, der Homepage aber auch Videomaterial auf“, schreibt der Sprecher. Bei Bedarf könnten Kund:innen auch Videosprechstunden mit Mediziner:innen in Anspruch nehmen, doch dies sei nur äußerst selten der Fall.
Ohne „peinliche Fragen“ zur Pille danach
So ganz eindeutig ist die Lage aber nicht, wie das folgende Beispiel zeigt: Noch im September 2022 warben die Betreiber auf MySummer.de für die „Pille danach“. Bestellungen ohne „peinliche Fragen“ – anders als in der Apotheke –, lautete das Konzept. Wie immer waren nur einige Klicks durch einen Fragebogen notwendig.
Die Bundesapothekerkammer empfiehlt, Arzneimittel zur Notfallverhütung immer direkt der betroffenen Frau zu übergeben. An Mädchen unter 14 Jahren sollten solche Medikamente sogar nur mit dem Einverständnis eines Erziehungsberechtigten abgegeben werden. Mit dem Fragebogen-Prinzip von MySummer.de fehlt eine solche Kontrollmöglichkeit. Egal, wer am PC sitzt: Jede:r kann sich als volljährige Frau ausgeben.
Außerdem: Werbung für die „Pille danach“ verstößt gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Das sieht vor, dass gegenüber Endverbrauchern nicht für Notfallkontrazeptiva geworben werden darf. Die Apothekerkammer Baden-Württemberg bemerkte zudem, dass es verboten sei, die „Pille danach“ zu versenden – und begründete dies mit der Apothekenbetriebsordnung.
Die Apothekerkammer Nordrhein mahnte den MySummer.de-Betreiber ab, und tatsächlich unterzeichnete die Wellster Healthtech Group Anfang Oktober 2022 eine Unterlassungserklärung. Heute findet sich das Angebot zur „Pille danach“ nicht mehr auf der Webseite.
Werbung für Antibiotikum bleibt
Anders beim Antibiotikum Fosfomycin. „Fragebogen online ausfüllen, Lieferung per gratis Expressversand“, darunter eine Schachtel Fosfomycin des Herstellers Aristo Pharma. So warben die Betreiber von MySummer.de für das verschreibungspflichtige Medikament. Auch das sei rechtswidrig, argumentierte die Apothekerkammer Nordrhein, denn die Werbung verstoße ebenfalls gegen das HeilmittelwerbegesetzHeilmittelwerbegesetz Das Heilmittelwerbegesetz (HWG) regelt den Wortlaut im Zusammenhang mit Heilversprechen. Es darf nach dem HWG nichts behauptet werden, was nicht stimmt. Wird damit geworben, dass ein Medikament oder eine Therapie wirkt, muss diese Wirksamkeit auch wissenschaftlich belegt sein. Dafür muss der Bewerber selbst wissenschaftliche Studienergebnisse vorlegen. Da kaum eine alternativmedizinische Behandlungsmethode wissenschaftlich belegt ist, dürfen Heilpraktiker keine Heilversprechen abgeben..
Dennoch können Patient:innen weiterhin Fosfomycin bestellen. Wellster Healthtech tauschte lediglich das Bild auf der Webseite aus: Aus der Packung Fosfomycin wurde eine schlichte Pappschachtel mit der Beschriftung „Medikamentöse TherapieTherapie Therapie bezeichnet eine Heil- oder Krankenbehandlung im weitesten Sinn. Es kann hierbei die Beseitigung einer Krankheitsursache oder die Beseitigung von Symptomen im Mittelpunkt stehen. Ziel einer jeden Therapie ist die Widerherstellung der physischen und psychischen Funktionen eines Patienten durch einen Therapeuten. Soweit dies unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist.“. Mit einem Klick auf die Anzeige landen Nutzer:innen nach wie vor beim Fragebogen, der ihnen Zugang zum Antibiotikum gewährt.
Weiter kritisierte die Apothekerkammer in ihrer Abmahnung, die Werbung führe dazu, „dass Frauen, die meinen an einer Blasenentzündung zu leiden, sich faktisch im Wege der Selbstmedikation ein Antibiotikum besorgen“ könnten. Blasenentzündungen seien schwerwiegende Erkrankungen, die bei nicht fachgerechter Behandlung zu Nierenversagen führen könnten.
In Sachen Aufklärung stehe die Webseite der Versorgung vor Ort in nichts nach, argumentiert der Wellster-Sprecher gegenüber MedWatch. Wenn es Kontraindikationen gebe, würden sichere Alternativen angezeigt oder empfohlen, den Arzt aufzusuchen.
Und tatsächlich: Eine „falsche“ Angabe im Fragebogen führt dazu, dass die Befragung mit dem Hinweis endet, einen Arzt aufzusuchen. Doch mit der praktischen „Zurück“-Option lässt sich die Angabe einfach korrigieren, bis die Kund:innen ihre Bestellung abschließen können. Mit etwas Ausdauer kommt so jede:r ans Ziel – Fosfomycin.
Gefährlich leichter Weg zum Antibiotikum
Das ist durchaus gefährlich, und zwar nicht nur für die Nutzer:innen von MySummer.de. Mediziner:innen sind mittlerweile sensibilisiert, Antibiotika umsichtig und in den richtigen Fällen zu verschreiben. Denn weltweit stellen bakterielle Erreger, die gegen einzelne oder mehrere Antibiotika resistent sind, eine Bedrohung dar.
Als ein Grund für vermehrt auftretende Resistenzen gilt der teils unkontrollierte Einsatz von Antibiotika. Die Folge: Patient:innen mit eigentlich unkomplizierten Infektionen erkranken schwer oder sterben sogar, weil verfügbare Antibiotika nicht mehr wirken.
Um diese Entwicklung zu verfolgen, sammelt das Robert Koch-InstitutRobert Koch-Institut Das Robert-Koch-Institut (RKI) ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Seine Kernaufgaben sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere von Infektionskrankheiten. Das Robert-Koch-Institut wirkt bei der Entwicklung von Normen und Standards mit. Es informiert und berät die Fachöffentlichkeit, sowie die breite Öffentlichkeit. (RKIRKI Das RKI – Robert-Koch-Institut – ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Seine Kernaufgaben sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere von Infektionskrankheiten. Das RKI wirkt bei der Entwicklung von Normen und Standards mit. Es informiert und berät die Fachöffentlichkeit, sowie die breite Öffentlichkeit.) Daten zum Antibiotika-Verbrauch in Krankenhäusern und bei niedergelassenen Ärzten. Zahlen zu Antibiotika, die über Webseiten verkauft werden, fließen in die RKI-Auswertungen nicht ein.
Nach deutschem Recht unzulässig
Bereits im September 2022 berichtete MedWatch über Antibiotika, die Nutzer:innen per Klick im Internet bestellen können. Damals schrieben wir: Nach deutschem Recht genügt ein Fragebogen nicht, um Arzneimittel zu verschreiben. Ein direkter Kontakt zwischen Ärzt:in und Patient:in ist notwendig.
Warum kann Wellster Healthtech trotzdem auf diesem Weg Arzneimittel versenden? Betreiber von Plattformen wie MySummer.de nutzen die Patientenmobilitätsrichtlinie der Europäischen Union für ihr Geschäftsmodell aus. Die Richtlinie berechtigt Bürger:innen, in jedem Land der EU eine Behandlung in Anspruch zu nehmen. Firmen wie Wellster Healthtech verlegen ihren Sitz in EU-Länder, in denen eine Verordnung per Fragebogen erlaubt ist. Sie versenden dann zwar Arzneimittel aus EU-Ländern nach Deutschland, unterliegen aber nicht deutschem Recht.
Juristische Maßnahmen gegen vergleichbare Plattformen könnten deshalb nur wenig ausrichten, sagt Otto Quintus Russe im Gespräch mit Medwatch. Russe ist Geschäftsführer des House of Pharma & Healthcare an der Goethe-Universität und Vorstandsmitglied der Landesapothekerkammer Hessen. „Wir brauchen für die Formular-Verschreibung im Internet eine politische Lösung, eventuell sogar auf europäischer Ebene.“
Für Russe klingt außerdem das Konzept von MySummer.de wie auch das der anderen Portale mit Online-Formularen zum Ausfüllen nicht nach digitaler Revolution zum Wohle der Patientin und des Patienten. Er sagt: „Ein direkter Patienten-Arzt-Kontakt, selbst in einer Videosprechstunde, würde mehr Sicherheit bieten.“
Es bleibt deshalb abzuwarten, welche Firmen nur das schnelle Geld suchen und wer sich für nachhaltige Lösungen einsetzt.
Redaktion: Claudia Liebram, Sigrid März, Nicole Hagen