Wird es draußen nass und kalt oder kündigt sich eine Erkältung an, greifen manche Menschen fix zu Pillen, Pulver und Shots, um das Immunsystem mit einer Extradosis Vitaminen und Mineralstoffen zu stärken. Solche NahrungsergänzungsmittelNahrungsergänzungsmittel Nahrungsergänzungsmittel werden den Lebensmitteln zugeordnet und sind abgegrenzt von Medikamenten zu betrachten. So dürfen sie, wie der Name schon sagt, die normale Ernährung ergänzen, sie jedoch nicht ersetzen und zudem keine arzneiliche Wirkung zeigen. Sie werden als Kapseln, Tabletten, Tropfen oder Ähnliches angeboten und enthalten oft Vitamine, Mineralstoffe oder sonstige Nährstoffe, die eine Wirkung erzielen sollen. Sie dürfen jedoch nicht wie ein Arzneimittel beworben werden. Die Hersteller dürfen keine spezifische Wirkung wie die Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit anpreisen oder für ein definiertes Anwendungsgebiet werben. sind unnötig und können manchmal sogar schaden.
Jeder dritte Erwachsene in Deutschland nutzt regelmäßig Vitamin- und Mineralstoffpräparate oder andere Nahrungsergänzungsmittel. Der Markt für diese Produkte wächst stetig. Im Jahr 2022 lag der Umsatz mit Nahrungsergänzungsmitteln hierzulande bei 2,96 Milliarden Euro. Nutzer:innen erwarten – entsprechend der Angaben der Hersteller – gesundheitliche Vorteile.
NEM – Unzulässige Reklame
Anbieter werben häufig mit HeilversprechenHeilversprechen Bei einem Heilversprechen handelt es sich um die Zusage Heil zu bringen. Das Heil ist die Vorstellung eines gesunden Zustandes. Besonders in Krisenphasen – ob global betrachtet oder auf ganz individueller Ebene wie schweren Schicksalsschlägen – erhalten diese Heilversprechen Konjunktur. Ganz im Widerspruch zum modernen Leben, werden Heilversprechen oft auf Basis eines mythologischen Hintergrundes gegeben und geglaubt. Um als Anwender einer therapeutischen Methode, als Vertreiber eines medizinischen Produktes oder als Anbieter eines Heilverfahrens keine irreführenden Formulierungen zu tätigen, gibt es definierte Vorgaben, die durch das Heilmittelwerbegesetz geregelt sind. für Nahrungsergänzungsmittel. „Natürlicher Aufbau von Abwehrkräften zur Vorbeugung und Bekämpfung von Erkältungen“ heißt es etwa auf einem Nahrungsergänzungsmittel fürs Immunsystem. Allerdings ist solche krankheitsbezogene Werbung für Nahrungsergänzungsmittel – im Gegensatz zu Arzneimitteln – verboten.
Ein anderer „Immunbooster“ trägt die Aufschrift: „Vor allem in der kalten Jahreszeit kann Vitamin C das Immunsystem unterstützen“. Nach Ansicht der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die im Herbst 2022 in einem Marktcheck 19 solcher Produkte „fürs Immunsystem“ untersuchte, ist das eine unzulässige Aussage.
Die Begründung: Hersteller dürfen gesundheitsbezogene Aussagen (Health Claims) nur machen, wenn diese wissenschaftlich bewiesen und zugelassen sind. In der Europäischen Union ist ein solcher Health Claim zum Immunsystem für die Vitamine A, B6, B12, C, D und Folsäure sowie für die Mineralstoffe Zink, Eisen, Selen und Kupfer zugelassen. Dabei kommt es auf den Wortlaut an. Die gestattete Formulierung lautet „trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“.
Die genannte Angabe eines Anbieters, dass Vitamin C das Immunsystem „vor allem in der kalten Jahreszeit“ unterstütze, erweitert den Health Claim laut Verbraucherzentrale in unzulässiger, gegebenenfalls sogar Angst machender Art. Auch verstärkende Aussagen wie „stärkt das Immunsystem“ seien nicht erlaubt. Insgesamt fanden die Verbraucherschützer:innen 44 unzulässige Angaben auf 15 Produkten. Ein Produkt trug sogar elf Health Claims, von denen nur zwei erlaubt waren.
Viel hilft nicht viel
Erlaubt ist zum Beispiel die Aussage „Vitamin C trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“, sofern die Tagesdosis des Produkts mindestens 15 Prozent des Referenzwertes für die tägliche Zufuhr des Nährstoffs liefert. Aber: Die Tatsache, dass Hersteller damit werben dürfen, bedeutet nicht automatisch, dass das Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll ist. Vitamin C und andere Nährstoffe, für die Health Claims zur Immunfunktion zugelassen sind, nehmen die meisten Menschen in ausreichender Menge über die tägliche Nahrung auf.
Eine Extradosis ist – außer bei nachgewiesenem Mangel oder bestimmten Personengruppen wie Schwangeren – unnötig oder gar schädlich. Bestenfalls scheidet der Körper überflüssige Vitamine und Mineralstoffe wieder aus. Sehr hohe Dosen von Vitamin C und Calcium begünstigen jedoch Nierensteine. Und: Vitamin D beispielsweise reichert sich im Körper an, eine Überdosierung kann zu Vergiftungen führen.
Legale Überdosis
Die Verbraucherzentrale fand im Marktcheck bei 18 der 19 Produkte höhere Gehalte an Vitaminen bzw. Mineralstoffen, als das Bundesinstitut für RisikobewertungBundesinstitut für Risikobewertung Das BFR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, ist eine Bundesbehörde die dem BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) zugeordnet ist. Sie soll unabhängig von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessen z.B. die Sicherheit von Lebensmitteln, Chemikalien, Bioziden, Pflanzenschutzmitteln, Textilien, Lebensmittelverpackungen, Kosmetika und Tabakerzeugnisse bewerten. Auch die Bewertung gentechnisch veränderter Organismen in Lebens- und Futtermitteln, Pflanzen und Tieren zählt hier dazu. Die wissenschaftsbasierte Risikobewertung geschieht als Grundlage für den gesundheitlichen Verbraucherschutz innerhalb und außerhalb von Deutschland. (BfRBfR Das BfR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, ist eine Bundesbehörde die dem BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) zugeordnet ist. Sie soll unabhängig von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessen z.B. die Sicherheit von Lebensmitteln, Chemikalien, Bioziden, Pflanzenschutzmitteln, Textilien, Lebensmittelverpackungen, Kosmetika und Tabakerzeugnisse bewerten. Auch die Bewertung gentechnisch veränderter Organismen in Lebens- und Futtermitteln, Pflanzen und Tieren zählt hier dazu. Die wissenschaftsbasierte Risikobewertung geschieht als Grundlage für den gesundheitlichen Verbraucherschutz innerhalb und außerhalb von Deutschland.) für sicher hält. Das ist bedenklich, denn diese Produkte zu konsumieren, könnte die fein regulierten Mechanismen der Immunabwehr eher stören als sie zu unterstützen. Die Immunabwehr ist komplex und hängt weniger von Megadosen einzelner Nährstoffe ab, als vielmehr von einem idealen Gleichgewicht vieler Faktoren. Dazu gehören ausreichend Schlaf und Bewegung sowie eine bunte, ausgewogene Ernährung, die die ganze Vielfalt an Vitaminen und Mineralstoffen sowie gesundheitsfördernde sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe liefert.
Gesetzliche Grenzwerte für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln gibt es nicht. Laut Verbraucherzentrale sind die Dosierungen der Hersteller willkürlich und konzeptlos. So enthielten die untersuchten Produkte bis zu 300 Milligramm Vitamin C pro Tagesdosis, obwohl für den zugelassenen Health Claim nur 12 Milligramm nötig wären und andere Lebensmittel wie Gemüse und Obst genug davon liefern.
Die Verbraucherzentrale hält verbindliche Höchstmengen für dringend notwendig und fordert, dass Nahrungsergänzungsmittel – genau wie ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. – behördlich geprüft und zugelassen werden sollten. Bisher müssen die Hersteller das Inverkehrbringen lediglich anzeigen.
Ein weiterer Kritikpunkt: Durch Nennung pflanzlicher Inhaltsstoffe wie Echinacea, Eukalyptus und Ginkgo, die auch in pflanzlichen Arzneimitteln enthalten sind, wecken die Produkte bei Verbraucher:innen falsche Hoffnungen, etwa dass sie bei Krankheiten wirksam sind. Deshalb haben Arzneipflanzen nach Ansicht der Verbraucherzentrale in Nahrungsergänzungsmitteln nichts zu suchen.
NEM: überflüssige Kalorien- und Zuckerfalle
Doch damit nicht genug: Während Anbieter bei anderen Lebensmitteln Kalorien, Fett, Eiweiß, Salz und Zucker kennzeichnen müssen, müssen sie bei Nahrungsergänzungsmitteln nur die wertgebenden Inhaltsstoffe wie Vitamine oder Mineralstoffe deklarieren. So war der Kalorien- und Zuckergehalt als freiwillige Angabe nur auf 6 der 19 untersuchten Produkte zu finden. Mit bis zu 14 Gramm Zucker pro Portion betrug er immerhin mehr als ein Viertel der empfohlenen Höchstmenge von 50 Gramm pro Tag für Erwachsene.
Fehlen Angaben zu Kalorien oder Zucker auf der Verpackung, hilft ein Blick in die Zutatenliste. Nicht nur hinter dem Wort Zucker, sondern auch hinter Glukosesirup, Fruktose, Dextrose, Malzextrakt oder Maltodextrin sowie Saftkonzentraten verstecken sich kalorienhaltige Süßungsmittel. Ein Anbieter etwa nennt Zucker, Wasser, Zuckersirup, Saftkonzentrat und Malzextrakt als Hauptzutaten für seinen „Löffel voller Gesundheit“ – dabei ist zu viel Zucker gar nicht gesund.
Der Beitrag erschien zuerst bei Gute Pillen – Schlechte Pillen und wurde für die Veröffentlichung bei MedWatch angepasst.
Reaktion: Sigrid März, Nicole Hagen