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Reizdarm 2.0 SIBO – Versuch und Irrtum

Frau hält sich den Bauch.
SIBO-Betroffene hoffen auf Heilung. So leicht ist das jedoch nicht. © freepic.diller / Freepik

Vom Körnerkissen bis zum Antibiotikum – gegen Blähungen und Bauchkrämpfe testen Menschen alles, was helfen könnte. Solche Symptome treten häufig auf, wenn Bakterien im Dünndarm wuchern. Mit der Diagnose dieser Fehlbesiedlung namens SIBO hoffen Betroffene auf Heilung. Doch eine einfache Lösung gibt es nicht.

„Was kannst du gerade essen, Mara?“, fragen ihre Freund:innen vor dem gemeinsamen Kochen. Nach dem Essen reichen sie ihr ein aufgewärmtes Körnerkissen. Die Wärme hilft gegen die Bauchkrämpfe. Mal kriegt Mara* die Krämpfe allein von gedünsteten Möhren, mal verträgt sie eine Pizza ganz gut. „Ganz gut“ heißt für Mara, dass sie nur einen Blähbauch davon bekommt. 

Seit zehn Jahren, seit sie nach dem Abitur in Brasilien war, leidet Mara an schmerzhaften Darmproblemen. Hat sie sich auf der Reise einen ParasitenParasiten Bei einem Parasiten handelt es sich um einen Organismus, der auf oder in einem anderen Organismus, seinem Wirt, lebt. Bei diesen Schmarotzern kann es sich um Tiere, Pflanzen, Pilze oder Bakterien handeln. Sie schädigen ihren Wirt, indem sie ihm z.B. Nährstoffe entziehen. Schädigungen durch die Abgabe von Giften oder die mechanische Verletzung von Haut und Geweben sind ebenso möglich. Zudem können sie Krankheiten übertragen.Parasit-Wirt-Interaktionen existieren für die unterschiedlichsten Arten. So werden z.B. auch Pflanzen regelmäßig von Parasiten heimgesucht. Bekannte Beispiele für Parasiten des Menschen sind u.a. Zecken, Kopfläuse, Bandwürmer, Flöhe sowie der Malaria-Erreger Plasmodium. Infektionen mit Parasiten häufen sich in tropischen und subtropischen Gebieten. Darmparasiten tauchen vermehrt unter schlechten hygienischen Bedingungen auf. In Industrieländer immigrieren dort nicht heimische Parasiten durch Wanderbewegungen des Menschen und vermehren sich anschließend in Personen mit geschwächtem Immunsystem. Gegen zahlreiche Parasiteninfektionen stehen wirksame Medikamente zur Verfügung. eingefangen? Nein, eine tropenmedizinische Untersuchung ergab keine Auffälligkeiten. Für die in Köln wohnende Studentin folgte eine jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt: Unverträglichkeitstests, Ultraschalluntersuchungen, Magen- und Darmspiegelungen. „Da ist nichts. Es muss Reizdarm sein“, hörte sie von allen Ärzt:innen.

„Ich habe dann dies und das ausprobiert“, sagt Mara. Sie besuchte einen Osteopathen und eine Ernährungsberaterin, verzichtete auf verdächtige Lebensmittel, hielt die FODMAP-Diät ein, versuchte es mit HomöopathieHomöopathie Der deutsche Arzt Samuel Hahnemann postulierte gegen Ende des 18. Jh.s: »Ähnliches heilt Ähnliches«. So leitet sich das Wort Homöopathie von Homoion (für ähnlich) und Pathos (für Leiden) ab. Hahnemann verfolgte die Theorie, dass der Auslöser einer Krankheit oder der Auslöser für bestimmte Symptome auch zu deren Therapie genutzt werden kann. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Chinarinde, mit der früher Malaria behandelt wurde. Die Einnahme dieser löste in einem Selbstversuch Hahnemanns Symptome einer Malaria aus. Damit sah er seine Theorie bestätigt. Die Homöopathie ist heute eine eigenständige Therapieform in der Alternativmedizin. Häufig werden für Globuli und Tinkturen die eingesetzten Substanzen zur Behandlung so stark verdünnt, dass in ihnen kein Wirkstoff mehr vorhanden ist. Für die Wirkung der Verdünnungen (Potenzen) wird ein Gedächtnis des Lösungsmittels, z.B. Wasser, angenommen. Für solch ein Gedächtnis von Wasser oder für eine generelle Wirkweise der Homöopathie über den Effekt eines Placebos hinaus gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege; trotz mehr als 200 hochwertiger Studien dazu., nahm Probiotika, übte Entspannung und machte Psychotherapie. Nichts half. „IberogastIberogast Iberogast® ist ein pflanzliches Arzneimittel des Pharmaunternehmens Bayer gegen Magen-Darm-Beschwerden. Iberogast® Classic beinhält Schöllkraut, eine Pflanzenart aus der Familie der Mohngewächse. Bei hoher Dosierung und längerer Anwendungsdauer kann Schöllkraut die Leber schädigen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel forderte bereits 2008 den damaligen Hersteller auf, über das Leberrisiko dieses Präparates im Beipackzettel aufzuklären. Nach langem Ringen und einem Todesfall im Jahr 2018 nahm Bayer einen entsprechenden Warnhinweis in den Beipackzettel auf. Seit Ende 2020 bietet Bayer eine Schöllkrautfreie Variante an (Iberogast® Advance). ist mein ständiger Begleiter“, sagt die 28-Jährige. Und ihre Wärmflasche. Mit der Wärmflasche am Bauch geht sie zu Bett, um schlafen zu können, und mit der Wärmflasche sitzt sie in der Unibibliothek, um arbeiten zu können.

Mara schöpft neue Hoffnung auf eine Diagnose und eine TherapieTherapie Therapie bezeichnet eine Heil- oder Krankenbehandlung im weitesten Sinn. Es kann hierbei die Beseitigung einer Krankheitsursache oder die Beseitigung von Symptomen im Mittelpunkt stehen. Ziel einer jeden Therapie ist die Widerherstellung der physischen und psychischen Funktionen eines Patienten durch einen Therapeuten. Soweit dies unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist., als ihr bei Instagram SIBO begegnet. Könnte SIBO die Ursache ihrer Beschwerden sein? Mara teilt die Entdeckung mit ihrem Hausarzt.

Was ist SIBO?

Der Mensch lebt in Gemeinschaft mit Hunderten Bakterienarten, die alle Körperoberflächen wie Haut und Schleimhäute besiedeln. Berechnungen zufolge wiegen die vergesellschafteten Mikroorganismen zusammen etwa 200 Gramm und ihre Anzahl ist mit nahezu 40 Billionen so groß wie die Anzahl unserer Körperzellen. Die meisten Bakterien leben im Dickdarm. Hier unterstützen sie unter anderem die Verdauung, das Immunsystem und die Entwicklung des Nervensystems.

Der vorgeschaltete Dünndarm ist dagegen nur spärlich besiedelt. Siedeln sich hier zu viele eigentlich harmlose Bakterien an, kann das zu ernsthaften Verdauungsstörungen führen. Denn wuchernde Dünndarmbakterien vergären Zuckermoleküle wie Glucose, die normalerweise vollständig vom Dünndarm ins Blut übergehen. Dabei entsteht Gas. Der medizinische Fachbegriff dafür lautet „bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms“, im Englischen „Small Intestinal Bacterial Overgrowth“ (SIBO)

Menschen mit SIBO können – abhängig von der zugrunde liegenden Ursache – verschiedene und unterschiedlich schwere Symptome haben: Blähungen, Aufstoßen, Durchfall oder Verstopfung, Bauchschmerzen, Krämpfe, Völlegefühl, Übelkeit und Erbrechen, Sodbrennen, Müdigkeit und Schwäche sowie Gewichtsverlust und Nährstoffmangel1Sender R, Fuchs S, Milo R: Revised Estimates for the Number of Human and Bacteria Cells in the Body. PLoS Biol 14 (8) (2016) e1002533, 2Ursell LK, Metcalf JL, Parfrey LW et al.: Defining the human microbiome. Nutrition Reviews 70 (2012) S38-S44, 3Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178.

Humbug oder plausibler Ansatz?

Maras Hausarzt hat noch nie von SIBO gehört. Er hält es für Humbug. Also recherchiert sie auf eigene Faust weiter, informiert sich in Facebook-Gruppen und kauft in einem Onlineshop einen SIBO-Selbsttest für 90 Euro. Die Auswertung kommt ein paar Tage später per E-Mail und erhärtet ihren Verdacht: SIBO.

„Leider ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Ärzte nicht auf SIBO untersuchen“, schreibt Martina McQueen auf ihrer Website. Die Ernährungsberaterin – selbst von SIBO betroffen  – schildert dort, dass auf SIBO aufmerksam gewordene Menschen stattdessen im Internet nach Hilfe suchten, auf widersprüchliche oder falsche Informationen träfen und irgendwann verzweifelt irgendwelche Supplemente einnähmen, um wenigstens irgendetwas zu tun.

Während McQueen SIBO als „eine der am meisten übersehenen und unterdiagnostizierten Erkrankungen“ bezeichnet, ordnet der Gastroenterologe Thomas Frieling SIBO als sekundäres Phänomen ein. „SIBO ist keine eigene primäre Erkrankung”, sagt der Chefarzt am Helios Klinikum Krefeld. „Die Ursachen und das Erscheinungsbild sind vielfältig und die klinische Bedeutung ist unklar.“

Ist SIBO also eher Ei statt Henne? Zumindest ist die Liste möglicher Ursachen lang und setzt andere Störungen oder Erkrankungen des Dünndarms voraus. So tritt SIBO etwa nach Operationen oder Infektionen auf, bei defekter Ileozäkalklappe – das ist eine Art Ventil zwischen Dünndarm und Dickdarm – oder wenn der Darminhalt den Dünndarm zu langsam passiert. Letzteres kann bei Ausstülpungen der Dünndarmwand (Divertikeln) oder bei zu geringer Darmbeweglichkeit (Motilität) der Fall sein. Gleichzeitig kommt SIBO häufig  zusammen mit Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Bauchspeicheldrüsenentzündung,  Leberzirrhose oder dem Reizdarmsyndrom vor, von dem es kaum zu unterscheiden ist4Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178.

Dennoch betont Frieling: „Wir müssen die Menschen mit ihren unspezifischen Symptomen ernst nehmen, sie bilden sich die nicht ein.“ Wie können die Menschen aber erfahren, ob SIBO hinter ihren Beschwerden steckt oder nicht? 

SIBO oder nicht SIBO?

Tests auf SIBO

Eine der Methoden, mit der Ärzt:innen eine bakterielle Fehlbesiedlung diagnostizieren können, ist folgende: Ein Labor bestimmt die Anzahl der Bakterien in endoskopisch gewonnenem Dünndarmsekret. Diese Methode gilt bis heute als „Goldstandard“. Finden sich in der Bakterienkultur der Probe mehr als tausend sogenannter koloniebildende Einheiten pro Milliliter, gilt SIBO als bestätigt. Allerdings ist es aufwändig und für Patient:innen belastend, Sekret aus dem Dünndarm zu entnehmen.

In der Praxis diagnostizieren Gastroenterolog:innen SIBO deshalb indirekt über einen Atemtest. Sie messen die Konzentration von Wasserstoff in der Ausatemluft, bevor und nachdem die Patient:innen eine Flüssigkeit mit 75 Gramm Glucose oder zehn Gramm Lactulose getrunken haben. Bakterien im Menschen zersetzen diese Kohlenhydrate dann unter anderem zu Wasserstoff. Übersteigt die Wasserstoffkonzentration 90 Minuten nach dem Testtrunk den Ausgangswert um 20 Parts per Million oder beträgt der Nüchternwert bereits mehr als 20 Parts per Million, gilt das als ein Diagnosekriterium für SIBO5Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178.

Atemtest ist unzuverlässig

Allerdings ist die Methode in ihrer Aussage unsicher. Wissenschaftler:innen diskutieren noch über adäquate Techniken, etwa über die zu messenden Gase – neben Wasserstoff können auch Methan und Schwefelwasserstoff relevant sein – und über ihre Grenzwerte. 

Wie unzuverlässig der Wasserstoffatemtest mit Lactulose ist, zeigt eine Studie britischer und US-amerikanischer Forscher:innen: Der Test erkannte 57 von 100 Betroffenen sowie 85 von 100 nicht Betroffenen korrekt. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Der Test erkannte fast die Hälfte der SIBO-Betroffenen nicht, und er bescherte jedem siebten nicht Betroffenen eine falsche Diagnose. 

Die Ergebnisse des Atemtests korrelieren also nicht immer mit denen des Goldstandards. Gleichzeitig bedeute ein positiver Atemtest nicht zwangsläufig, dass eine relevante bakterielle Fehlbesiedlung vorliegt, sagt Frieling. Und: „Was wir messen, erklärt nicht zwangsläufig die Beschwerden der Menschen.“ Außerdem sei kein Symptom spezifisch für SIBO. Daher empfiehlt der Gastroenterologe, nicht nur auf Symptome und den Atemtest zu schauen, sondern Risikokonstellationen mit anderen Grunderkrankungen zu berücksichtigen. Denn bei Menschen mit Divertikeln oder sonstigen Passagestörungen könne man sich SIBO erklären – nicht jedoch bei einem augenscheinlich gesunden Magen-Darm-Trakt. Zu einer Diagnose gehöre deshalb eine gründliche Anamnese. Ärzt:innen sollten ihre Patient:innen beispielsweise gezielt nach früheren Magen-Darm-Operationen befragen. Ebenso relevant sind Blutwerte und bildgebende Untersuchungen wie Ultraschall.

Vor Selbsttests zur SIBO-Diagnose warnt Frieling. Betroffene würden sie oft nicht richtig anwenden und die Interpretation sei schwierig. Im Zweifelsfall lenken sie Hilfesuchende auf eine falsche Fährte. „Menschen mit Magen-Darm-Problemen sollten immer über den Hausarzt zum Spezialisten gehen“, sagt der Experte für Verdauungsstörungen. „Alles andere ist so ein bisschen wie Würfeln.“

Evidenz oder Empirie in der Therapie?

Rifaximin – Off-Label-Use bei SIBO

Nach einiger Zeit findet Mara eine Gastroenterologin, die SIBO kennt und behandelt. Die Fachärztin verordnet Mara das Antibiotikum Rifaximin, das hochdosiert die Bakterien im Dünndarm töten soll. Medizinische Leitlinien zu Motilitätsstörungen des Darms und Reizdarmsyndrom schlagen diese SIBO-Therapie vor. Über zwei Wochen nimmt Mara dreimal täglich eine Tablette mit je 550 Milligramm Rifaximin. Das entspricht der fünffachen Dauer und doppelten Tagesdosis einer bei Reisedurchfall empfohlenen Einnahme. 

Bedeutsam sind zwei in der Leitlinie zum Reizdarmsyndrom stehende Anmerkungen dazu: „Off-Label; Therapie kann bei Bedarf in Zyklen wiederholt werden“. 

„Off-Label“ heißt, dass Rifaximin in Deutschland anders als etwa in den USA nicht für die Indikation SIBO zugelassen ist. KrankenkassenKrankenkassen Eine Krankenkasse ist der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Krankenkassen stellen den Versicherten Leistungen zur Verfügung, die nach Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte in Anspruch genommen werden können. Die meisten dieser Leistungen sind im SGB V festgeschrieben. Krankenkassen sind organisatorisch sowie finanziell unabhängig und unterstehen der Aufsicht von Bund oder Ländern. Im Gegensatz zu gesetzlichen Krankenversicherungen sind private Krankenversicherungsunternehmen Aktiengesellschaften oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG). übernehmen die Behandlungskosten deshalb nicht. Mara muss den Preis von 400 Euro selbst zahlen.

„Therapie kann bei Bedarf in Zyklen wiederholt werden“ heißt: Ob das Antibiotikum wirkt, ist unklar. Selbst wenn es wirkt, taucht SIBO häufig erneut auf. Für diesen Fall empfehlen die Autor:innen der Leitlinie eine zyklische, präventive Antibiotikagabe. Das erscheint paradox, denn Breitbandantibiotika wie Rifaximin töten zahlreiche Bakterienarten und bringen das Darmmikrobiom so mitunter durcheinander. Zur SIBO-Therapie eingesetzt, soll ein Antibiotikum aber das Gleichgewicht der Darmbakterien wiederherstellen? Es ist unklar, ob dadurch nicht eher ein Teufelskreis entsteht.

Leitlinien zu SIBO

Während deutsche Fachgesellschaften SIBO im Zusammenhang mit anderen Störungen erwähnen, veröffentlichte das „American College of Gastroenterology“ (ACG) eine eigene SIBO-Leitlinie. Aus ihr geht hervor, dass der Antibiotikaeinsatz seit Langem ein Eckpfeiler der SIBO-Therapie ist – allerdings eher aufgrund anekdotischer Belege als auf Basis guter wissenschaftlicher Daten. Denn die verfügbare Evidenz beschränkt sich auf klinische Studien von geringer Qualität und die Praxis der wiederholten Antibiotikabehandlung ausschließlich auf Expert:innenmeinungen. Nutzen und potenzieller Schaden der Maßnahme sind nicht sicher geklärt.

Die Autor:innen der ACG-Leitlinie fordern, AntibiotikaAntibiotika Medikamente für bakterielle Infektionskrankheiten. Das Wirkprinzip beruht darauf, dass in Biosynthesen des Bakteriums eingegriffen wird, die es im menschlichen Körper nicht gibt. Wichtige Angriffspunkte dieser antimikrobiellen Verbindungen können z.B. die Ribosomen, die Zellwand oder auch die DNA-Replikation sein. bei SIBO mit Bedacht einzusetzen. Sie warnen vor einer möglichen Entwicklung resistenter Bakterien sowie opportunistischen Infektionen, zum Beispiel mit dem Durchfallerreger Clostridioides difficile.6Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178

Mara lässt sich dennoch auf die Therapie mit dem Antibiotikum ein. „Es ist eh alles im Eimer”, sagt sie. Rifaximin ist ein weiterer Strohhalm, an den sie sich klammert. Doch die Enttäuschung folgt auf dem Fuß: Nach zwei Wochen zeigen weder die Symptome noch der Atemtest eine Besserung.

Symptomlinderung statt Ursachenbehandlung

„Wenn wir SIBO therapieren, behandeln wir die Bakterien, aber nicht die Ursachen für die Fehlbesiedlung“, sagt Frieling. Nur die individuelle Behandlung der Ursache könne den Betroffenen dauerhaft helfen. Diese mit klinischen Methoden eindeutig zu diagnostizieren, sei jedoch nicht immer möglich. Dann könnten Ärzt:innen auch keine spezifischen ursächlichen Therapien und Empfehlungen bieten.

So ist es nicht verwunderlich, dass neben der Gabe eines Antibiotikums auch andere Optionen zur SIBO-Therapie in ihrer Wirkung kaum belegt sind. Ärzt:innen empfehlen ganz allgemein eine gesunde Lebensführung, also nicht zu rauchen, wenig Alkohol zu trinken, bewusst zu essen, sich ausreichend zu bewegen, genug zu schlafen und Stress zu vermeiden. 

Um Symptome darüber hinaus zu lindern, könnten Betroffene krampflösende Mittel ausprobieren, sagt Frieling. Auch Phytopharmaka, also ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. aus Pflanzen wie Kamille und Fenchel, Pfefferminz- und Kümmelöl sowie Probiotika könnten helfen. Zudem sollten Betroffene Lebensmittel meiden, die sie nicht vertragen. Menschen mit Übergewicht könne es helfen abzunehmen. Maßnahmen wie diese könnten das Bakterienwachstum kontrollieren und sich förderlich auf das Darmmikrobiom auswirken.

„Es gibt nicht den EINEN richtigen Weg“, schreibt Ernährungsberaterin McQueen. Was bei Einem helfe, könne beim Nächsten sogar zu zusätzlichen Beschwerden führen. Die Suche nach einer wirksamen SIBO-Behandlung gleiche meist „einer sehr kurvenreichen Straße mit einigen Schlaglöchern”. Umso wichtiger sei es, dass Betroffene mit professioneller Unterstützung individuell hilfreiche Ansätze finden.

Verheißungen einfacher Lösungen sind bei SIBO fehl am Platz

Die „Ernährungs Docs“ etwa behaupten, „Dünndarm-Fehlbesiedlung ist gut zu behandeln“ und man könne „Bakterien aushungern”, indem man über einige Wochen auf Weißmehl und Zucker verzichte. Das weckt womöglich falsche Hoffnungen.
Der Mediziner William Davis beschreibt in seinem aktuellen Ratgeber „Neustart für den Darm“ SIBO als Ursache fast aller Leiden der modernen Menschen. Gleichzeitig stellt er den Menschen in Aussicht, SIBO schlichtweg selbst zu diagnostizieren und zu behandeln. Im Klappentext des Ratgebers heißt es: „Der Experte zeigt auf, wie man SIBO erkennt, das MikrobiomMikrobiom Das Mikrobiom beinhält nicht nur die gesamte Bakteriengemeinschaft eines Organismus, sondern auch die Gene und Stoffwechselprodukte der Bakterien sowie deren Umweltbedingungen. Beim Menschen finden sich solche Bakteriengemeinschaften vermehrt auf der Haut und vor allem sehr divers und massereich im Darm. Je heterogener diese Zusammenstellung desto größer ist die Widerstandskraft des Trägers. Veränderungen des Mikrobioms werden in Verbindung mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Allergien, Adipositas, Diabetes und Depressionen sowie Demenz gebracht. Seine Zusammensetzung kann durch Ernährung maßgeblich mit beeinflusst werden. Das Mikrobiom ist aktuell ein wichtiger Forschungsgegenstand, da die genauen Funktionen erst noch erschlossen werden müssen. neu programmiert und mit einfachen Techniken und Änderungen des Lebensstils endlich gesund, schlank, fit und leistungsfähig wird.“ Darmgesundheit als Lifestyle.

Die Hoffnung bleibt

„Ich habe mich damit abgefunden, dass der Darm mein empfindliches Körperteil ist“, sagt Mara. Früher überkam sie oft Wut, wenn der krampfende Bauch ihr mal wieder das Ausgehen vermieste und sie mit Wärmflasche ins Bett statt mit der Clique in die nächste Bar zog. Heute akzeptiert sie es. Trotzdem wünscht sie sich, dass entspannte Phasen mal die schmerzhaften Phasen überwiegen. Dafür startet Mara sogar eine zweite Runde der Antibiotikatherapie. Und sie hofft auf neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft, damit Fachkräfte Betroffene besser versorgen können.

Tatsächlich arbeiten Forscher:innen an indirekten und genaueren Mikrobiomtests. Damit könnte das, was heute SIBO heißt, zu einer Sammlung medizinischer Phänomene werden. Jedes dieser Phänomene wäre dann nach spezifischen Mikroorganismen benannt, die für sein Erscheinungsbild verantwortlich sind7Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178. So könnte es in Zukunft auch spezifische Behandlungen geben.

Aktuell existiert die SIBO-Therapie leider nicht. Aber es gibt Mittel und Wege, um die Symptome zu lindern. Eines dieser Mittel ist Maras Wärmflasche.

*Name von der Redaktion geändert


Redaktion: Sigrid März, Henrik Müller, Nicole Hagen

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    Sender R, Fuchs S, Milo R: Revised Estimates for the Number of Human and Bacteria Cells in the Body. PLoS Biol 14 (8) (2016) e1002533
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    Ursell LK, Metcalf JL, Parfrey LW et al.: Defining the human microbiome. Nutrition Reviews 70 (2012) S38-S44
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    Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178
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    Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178
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    Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178
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    Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178
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    Pimentel M, Saad RJ, Long MD et al.: ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J Gastroenterol 115 (2020) 165–178