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Schule? Alternativ? „Schulmedizin“: Es gibt keine Schulen in der Medizin

Leeres Klassenzimmer einer Schule
Leere Klasse: Was Medizin ist und was nicht, hat nichts mit unterschiedlichen „Schulen“ zu tun. CC0; Pexels

Die Medizin wird im alltäglichen Sprachgebrauch gerne in zwei Bereiche unterteilt: „Schulmedizin“ und „Alternativmedizin“. Doch dieses Begriffspaar gaukelt Unterschiede und Gegensätze vor, die es so gar nicht gibt. Was Medizin ist und was nicht, hat nichts mit unterschiedlichen „Schulen“ zu tun. Wichtig ist etwas ganz anderes.

Der Duden beschreibt „Medizin“ als „Wissenschaft vom gesunden und kranken Organismus des Menschen, von seinen Krankheiten, ihrer Verhütung und Heilung“. Diese Definition beginnt mit einem entscheidenden Wort, nämlich Wissenschaft. Der Duden beruft sich damit auf den einzigen Standard, der Medizin charakterisieren kann: Jedes medizinische Verfahren – egal, ob es zur Diagnostik, zur Behandlung oder zur Prävention gehört – muss den wissenschaftlichen Nachweis erbringen, dass es mehr nützt als schadet oder besser ist als der bisherige Standard.

Wozu also die Einteilung in Schulmedizin und Alternativmedizin? Dieses Begriffspaar suggeriert, dass es in der Medizin zwei gleichwertige Lehrschulen gäbe. Das ist falsch. Dieser Irrweg geht nicht zuletzt auf ideologische Betrachtungsweisen im nationalsozialistischen Deutschland zurück.

Anfänge der „Schulmedizin“

Der Begriff „Mediziner der Schule“ tauchte 1832 zum ersten Mal auf. Der Begründer der HomöopathieHomöopathie Der deutsche Arzt Samuel Hahnemann postulierte gegen Ende des 18. Jh.s: »Ähnliches heilt Ähnliches«. So leitet sich das Wort Homöopathie von Homoion (für ähnlich) und Pathos (für Leiden) ab. Hahnemann verfolgte die Theorie, dass der Auslöser einer Krankheit oder der Auslöser für bestimmte Symptome auch zu deren Therapie genutzt werden kann. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Chinarinde, mit der früher Malaria behandelt wurde. Die Einnahme dieser löste in einem Selbstversuch Hahnemanns Symptome einer Malaria aus. Damit sah er seine Theorie bestätigt. Die Homöopathie ist heute eine eigenständige Therapieform in der Alternativmedizin. Häufig werden für Globuli und Tinkturen die eingesetzten Substanzen zur Behandlung so stark verdünnt, dass in ihnen kein Wirkstoff mehr vorhanden ist. Für die Wirkung der Verdünnungen (Potenzen) wird ein Gedächtnis des Lösungsmittels, z.B. Wasser, angenommen. Für solch ein Gedächtnis von Wasser oder für eine generelle Wirkweise der Homöopathie über den Effekt eines Placebos hinaus gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege; trotz mehr als 200 hochwertiger Studien dazu., Samuel Hahnemann, bezeichnete so all jene, die seiner Theorie, man könne Ähnliches mit Ähnlichem erfolgreich behandeln, kritisch gegenüberstanden. 1880 setzte der Laienhomöopath Heinrich Milbrot „Schulmedizin“ als Kampfbegriff ein, um damals etablierte medizinische Methoden abzuwerten.

Die medizinische Wissenschaft machte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts große Fortschritte, die das Potenzial hatten, der gesamten Menschheit zu nutzen. Der erste Impfstoff gegen Diphtherie, das erste Medikament gegen Syphilis, die Entdeckung von Insulin und Penicillin. Das alles gefiel den „Rassehygienikern“ der Nationalsozialisten nicht. Sie bevorzugten Forschung, die einem „gesunden Volkskörper“ diente und die angebliche eigene biologische Überlegenheit untermauern sollte.

Der Begriff Schulmedizin sollte also von Beginn an die üblichen medizinischen Verfahren in Zweifel ziehen. Nationalsozialistische Ideologen perfektionierten diesen Ansatz. Zuerst werteten sie alternative medizinische Ansätze weiter auf, um jüdischen Ärztinnen und Ärzten das Arbeiten zu erschweren. „Verjudete Schulmedizin“ wurde zum Kampfbegriff, um sowohl jüdische Mediziner:innen als auch die wissenschaftlichen Verfahren zu diskreditieren. Jüdische Professor:innen wurden bereits ab 1933 aus ihren Arbeitsstellen vertrieben. Später wurden auf Grundlage der berüchtigten Nürnberger Gesetze Menschen jüdischer Abstammung untersagt, ärztlich tätig zu sein, und nichtjüdische Ärzte und Ärztinnen sollten keine Menschen jüdischer Herkunft mehr behandeln.

Der Aufstieg der „Alternativmedizin“

Die Nazis haben auch entscheidend dazu beigetragen, dass die Alternativmedizin als Konzept Auftrieb bekam. Schon 1933 erschien im Deutschen Ärzteblatt ein Plädoyer für die „häufige Überlegenheit“ von alternativen gegenüber etablierten medizinischen Verfahren. Sie wollten eine „ganz neue, deutsche Heilkunst entwickeln“, wie es der Arzt Erwin Liek formulierte. Er war ein Anhänger der Euthanasie und Eugenik und spitzte damit zu, was sich viele Mediziner:innen dieser Zeit wünschten – ganz im Sinne der nationalsozialistischen Idee.

Schließlich wurde das HeilpraktikerHeilpraktiker Heilpraktiker*in ist ein Medizinberuf, der auf dem deutschen Heilpraktikergesetz (HPG) beruht. Es handelt sich um einen sogenannten freien Beruf, dem keine einheitliche Ausbildung zugrunde liegt. Weder eine medizinische Ausbildung noch eine berufsqualifizierende Fachprüfung sind dafür erforderlich. Folgende Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsfelder sind jedoch ausgeschlossen: Geburtshilfe, Geschlechtskrankheiten, meldepflichtige übertragbare Krankheiten, die Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die Verordnung von Betäubungsmitteln. In Österreich ist der Beruf verboten.-Recht verschärft, damit jüdische Ärzte und Ärztinnen auch nicht mehr als Heilpraktiker arbeiten konnten. Die Nazis verunglimpften sie als „Krankenbehandler“, die nur noch jüdische Menschen behandeln durften. Diese Repressalien und die anschließende Emigration oder Ermordung jüdischer Ärzt:innen trug zu einem Versorgungsmangel bei, der noch lange nach dem Krieg spürbar war. Das HeilpraktikergesetzHeilpraktikergesetz Das Heilpraktikergesetz (HPG) existiert sei 1939. Dies mit der ursprünglichen Intension, den Berufsstand des Heilpraktikers und der Heilpraktikerin aussterben zu lassen. Es finden sich im Heilpraktikergesetz keine Regelungen zur Ausbildung oder zu einer staatlichen Prüfung. Es wird aktuell lediglich überprüft, ob keine Gefahr vom Behandler ausgeht. Im HPG wird der Begriff Krankheit als jede Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers definiert, die geheilt oder gelindert werden kann. Dies beinhaltet somit auch unerhebliche oder vorübergehende Störungen und ist weit auslegbar. Damit entspricht der Krankheitsbegriff nicht der Definition von Krankheit des Sozialversicherungsrechts. Eine Krankheit im Rechtssinne ist definiert durch eine erhebliche Abweichung vom idealen Zustand. galt in Westdeutschland weiter, so konnten auch Menschen, die nicht Medizin studiert hatten, Behandlungen anbieten. Damals half es, den „Medizinbetrieb“ funktionsfähig zu halten, sorgt aber heute dafür, dass Heilpraktiker:innen oft als gleichwertige Alternative zu Hausärzten und -ärztinnen wahrgenommen werden und damit auch ihre zumeist nicht wissenschaftlich bestätigten Methoden.

Teile der alternativmedizinischen Szene liebäugeln bis heute mit dem Erbe der nationalsozialistischen Narrative. So ist es auch kein Zufall, dass die einschränkenden CoronaCorona Mit Corona bezeichnet die Allgemeinbevölkerung zumeist SARS-CoV-2 (Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2). Es ist ein neues Beta-Coronavirus, welches zu Beginn des Jahres 2020 als Auslöser der Krankheit COVID-19 identifiziert wurde. Coronaviren waren schon vor 2020 altbekannt. In Menschen verursachen sie vorwiegend milde Erkältungskrankheiten (teils auch schwere Lungenentzündungen) und auch andere Wirte werden von ihnen befallen. SARS-CoV-2 hingegen verursacht wesentlich schwerere Krankheitsverläufe, mit Aufenthalten auf der Intensivstation bis hin zum Tod. Der Virusstamm entwickelte und entwickelt seit seiner Entdeckung verschiedene Virusvarianten, die in ihren Aminosäuren Austausche aufweisen, was zu unterschiedlichen Eigenschaften bezüglich ihrer Infektiosität und der Schwere eines Krankheitsverlaufes führt. Seit Dezember 2020 steht in Deutschland ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung.-Maßnahmen mit ähnlich kruden Parolen kritisiert wurden, wie zuvor schon Impfungen oder ChemotherapieChemotherapie Die Chemotherapie ist, neben OP und Strahlentherapie, eine der zentralen Behandlungsmöglichkeiten bei Krebs. Sie umfasst die zyklische Behandlung mit chemischen Substanzen – Zytostatika – in Form von Infusionen, Spritzen oder Tabletten. Die zumeist systemisch wirkenden Medikamente richten sich auch gegen gesunde Zellen, was die typischen Nebenwirkungen wie Haarausfall, Blutarmut, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Infektionen im Mund erklärt.: „Holocaust am Deutschen Volk“ sei das. Die Kritiker:innen der Corona-Maßnahmen vergleichen sich gar mit unterdrückten Jüdinnen und Juden im Dritten Reich.

Es gibt keine Schulen in der Medizin

Der Begriff Schulmedizin lehnt sich an das Wort Schulweisheit an und soll damit andeuten, dass es sich dabei um eine verstaubte und überholte Lehre handele. Dagegen soll der Begriff Alternativmedizin Assoziationen mit einer frischen, unkonventionellen Schule erzeugen.

Doch in Wahrheit ist es genau andersherum: Die üblichen Verfahren sind durch streng definierte Methoden der medizinischen Wissenschaft abgesichert, den alternativen fehlt in der großen Mehrheit der Wirkungsnachweis. Sie prüft ihre Verfahren nicht. Die Medizin, die nach dieser Denkart als althergebrachte Schule verunglimpft wird, entwickelt sich dagegen fortlaufend weiter und stellt sich selbst kritisch auf den Prüfstand.

Schon das Bild zweier unterschiedlicher Schulen ist problematisch, denn es suggeriert verschiedene gleichberechtigte Glaubensrichtungen – das Gegenteil einer nüchternen wissenschaftlichen Herangehensweise. Die Idee, jeweils „das Beste“ aus beiden „Schulen“ zu wählen und es zu einem „Besseren“ zusammenzusetzen, ist wissenschaftlich absurd.

Die berechtigte Kritik an einem apparatezentrierten, profitorientierten Gesundheitswesen, das zu oft das Patientenwohl gefährdet, sollte ohne die künstliche Konstruktion eines solchen Gegensatzes auskommen. Wir sollten deshalb aufhören, von Schulmedizin und Alternativmedizin zu reden, sondern von nachweislich wirksamen und nicht-wirksamen Verfahren. Und „ärztliche Empathie und Zuwendung sind im Rahmen der wissenschaftlich fun­dierten Behandlung wesentliche Elemente einer patientenorientierten Medizin.“ (M. Anlauf)

Hinweis: Dieser Artikel stammt aus dem GPSP-Heft 6 / 2021


Weiterlesen: Heilpraktikerschulen: Medizinische Parallelwelten


Redaktion: Nicole Hagen

1 comment
  1. Vielen Dank für die geschichtlichen Hintergründe. Ich habe in letzter Zeit mehrere Filme aus der NS-Zeit (z.B. die Euthanasie betreffend) gesehen, mit ihrem Bericht konnte ich nun die einzelnen Puzzleteile zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen. Vielen Dank.