<

Hormonelle Verhütungsmittel Neue Studie zum Suizidrisiko führt zu Warnhinweis bei Pillen, Spiralen und Stäbchen

Blister einer Antibaby-Pille. Blinder hat drei Reihen mit unterschiedlich vielen Pillen, diese in drei verschieden Farben.
© GabiSanda / Pixabay

Eine dänische Studie ergab im vergangenen Jahr, dass die hormonelle Verhütung offenbar mit erhöhten Suizidrisiken verbunden ist: Die Wissenschaftler hatten alle Frauen in ihre Untersuchung eingeschlossen, die zwischen 1996 und 2013 ihren 15. Geburtstag hatten und zuvor weder eine psychiatrische Diagnose noch Antidepressiva oder hormonelle Verhütungsmittel eingenommen hatten. Von den knapp 500.000 dänischen Frauen begingen 6.999 mindestens einen Selbstmordversuch, 71 begingen Selbstmord. Dabei hatten die Frauen, die hormonell verhüteten, ein rund doppelt so hohes Risiko für Suizidversuche – und ein sogar dreifach so hohes Risiko für vollendeten Selbstmord.

Auf Grund dieser Ergebnisse entschied der zuständige Ausschuss der Europäischen Arzneimittelbehörde EMAEMA Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gewährleistet die wissenschaftliche Bewertung, Überwachung und Sicherheitsüberprüfung von Human- und Tierarzneimitteln in der Europäischen Union, sie erleichtert die Entwicklung und Zugänglichkeit von Arzneimitteln und informiert Beschäftigte im Gesundheitswesen sowie Patienten. Darüber hinaus berät und unterstützt sie pharmazeutische Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung. Sie ist vor allem für die europäische Zulassung von Arzneimitteln zuständig und überprüft diese auch nach der Einführung auf ihre Sicherheit. Dafür hat sie ein Pharmakovigilanz-Netzwerk eingerichtet. Der ursprüngliche Sitz der EMA war London, seit 2019 ist sie in Amsterdam verortet. im Oktober, dass sowohl der BeipackzettelBeipackzettel Fertigarzneimittel dürfen ausschließlich zusammen mit einer Packungsbeilage ausgeliefert werden. Das Arzneimittelgesetz (AMG) gibt vor, wie der Beipackzettel eines Medikaments gestaltet sein muss. Es muss die vorgegebenen Angaben in festgelegter Reihenfolge beinhalten. Dazu gehören unter anderem der Name des Medikamentes, Anwendungsbereiche, Gegenanzeichen, Vorsichtsmaßnahmen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Dosierung und Nebenwirkungen. Der Beipackzettel ist in erster Linie für die Anwender des Medikamentes verfasst. Damit dieser für Menschen ohne Fachwissen verständlich ist, durchlaufen Beipackzettel einen Lesbarkeitstest. Sie werden z.B. durch das BfArM oder das PEI geprüft und genehmigt, bevor sie in den Umlauf kommen. wie auch die an Ärzte und Apotheker gerichtete Fachinformation von hormonellen Verhütungsmitteln überarbeitet werden sollen. Neben Migräne, Übelkeit, Eierstockzysten oder Brustschmerzen listet etwa der Beipackzettel der Hormonspirale Mirena von BayerBayer Bayer ist ein Chemie- und Pharmakonzern mit Sitz in Leverkusen. Bei den meisten Produkten, die das Unternehmen produziert, handelt es sich um Medikamente; hauptsächlich für Menschen, aber auch für Tiere. Zudem vertreibt es Nahrungsergänzungsmittel, Fußpflege-Produkte und Sonnencremes. Für die Landwirtschaft entwickelt Bayer Saatgut und Pflanzenschutzmittel. Wegen des Unkrautvernichters Roundup steht der Konzern immer wieder vor Gericht. derzeit auch depressive Stimmung beziehungsweise DepressionDepression Die Depression ist eine schwere psychische Erkrankung, die sich durch zahlreiche Beschwerden äußert und in jedem Alter auftreten kann. Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, ein Leben ohne Antrieb und Interesse gehören ebenso zur breiten Palette der Symptome als auch körperliche Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Appetitstörungen und Schmerzen. Auch die Entwicklung von Suizidgedanken gehört zum Symptomspektrum. Nur wenige können sich selbst helfen, zudem sind Frauen doppelt so häufig von dieser Störung betroffen als Männer. Durch ihr vielfältiges Erscheinungsbild wird die Depression vom Hausarzt oft nicht erkannt. Dabei lässt sie sich mit psychotherapeutischen Behandlungen, wenn nötig auch mit Medikamenten, sehr gut behandeln. als „häufige NebenwirkungNebenwirkung Laut Arzneimittelgesetz ist eine Nebenwirkung die schädliche und unbeabsichtigte Reaktion auf ein Arzneimittel. Sie ist eine Wirkung eines Medikaments, die nicht zu der beabsichtigten Wirkung gehört und zusätzlich auftaucht. Auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Substanzen, Folgen von Überdosierungen und die Entwicklung von Abhängigkeiten können können dazu zählen. Zudem erfolgt eine Unterteilung in Arzneistoff-typische und unvorhersehbare Nebenwirkungen. Erstere sind erwartet und konzentrationsabhängig; letztere sind mengenunabhängig, wie z.B. Allergien auf Inhaltsstoffe des Präparates. Des Weiteren kann sie nach ihrer Häufigkeit eingeteilt werden. So existieren sehr häufige, häufige, gelegentliche, seltene und sehr seltene Nebenwirkungen. Diese Begrifflichkeiten sind an feste prozentuale Werte gekoppelt. So müssen sie auch verpflichtend im Beipackzettel eines pharmakologischen Präparates aufgelistet sein. Zudem wird sie manches Mal in erwünscht und unerwünscht eingeteilt. Dementsprechend können einige unerwartete Nebenwirkungen für manche Patientengruppen von Vorteil sein, für andere wiederum nicht. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden jedoch hauptsächlich die unerwünschten Wirkungen als Nebenwirkung bezeichnet. Ein behandelnder Arzt muss je nach Schwere der unerwünschten Wirkungen abschätzen, ob der Nutzen des Präparates das jeweilige Risiko aufwiegt.“ auf: Sie können bei 1 bis 10 von 100 Anwenderinnen auftreten. Zusätzlich soll der Beipackzettel nun auch auf suizidale Risiken aufmerksam machen – nicht in der Liste der Nebenwirkungen, sondern als weitere Hinweis.

Zu beachten ist hierbei, dass die Studie keinen Nachweis erbringen konnte, inwiefern tatsächlich die Verhütungsmittel für das erhöht Risiko ursächlich verantwortlich sind. „Ein eindeutiger Kausalzusammenhang konnte auf Basis der Gesamtheit der Daten nicht ermittelt werden“, erklärt das Bundesinstitut für Arzneimittel. „Da jedoch Suizid manchmal als Folge der mit der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva bekannten Nebenwirkung Depression auftreten kann, soll ein neuer Warnhinweis in Fach- und Gebrauchsinformation hormoneller Kontrazeptiva aufgenommen werden.“

In der Fachinformation liest sich der Passus wie folgt:

Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung

Depressive Verstimmung und Depression stellen bei der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva allgemein bekannte Nebenwirkungen dar (siehe Abschnitt 4.8). Depressionen können schwerwiegend sein und sind ein allgemein bekannter Risikofaktor für suizidales Verhalten und Suizid. Frauen sollte geraten werden, sich im Falle von Stimmungsschwankungen und depressiven Symptomen – auch wenn diese kurz nach Einleitung der Behandlung auftreten – mit ihrem Arzt in Verbindung zu setzen.

Und in die Beipackzettel soll neu aufgenommen werden:

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen

Psychiatrische Erkrankungen:

Manche Frauen, die hormonelle Verhütungsmittel wie {Bezeichnung des Arzneimittels} anwenden, berichten über Depression oder depressive Verstimmung. Depressionen können schwerwiegend sein und gelegentlich zu Selbsttötungsgedanken führen. Wenn bei Ihnen Stimmungsschwankungen und depressive Symptome auftreten, lassen Sie sich so rasch wie möglich von Ihrem Arzt medizinisch beraten.

Einer der größten Hersteller für Verhütungsmittel ist Bayer – die Pharmafirma hatte sich beim Magenmittel IberogastIberogast Iberogast® ist ein pflanzliches Arzneimittel des Pharmaunternehmens Bayer gegen Magen-Darm-Beschwerden. Iberogast® Classic beinhält Schöllkraut, eine Pflanzenart aus der Familie der Mohngewächse. Bei hoher Dosierung und längerer Anwendungsdauer kann Schöllkraut die Leber schädigen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel forderte bereits 2008 den damaligen Hersteller auf, über das Leberrisiko dieses Präparates im Beipackzettel aufzuklären. Nach langem Ringen und einem Todesfall im Jahr 2018 nahm Bayer einen entsprechenden Warnhinweis in den Beipackzettel auf. Seit Ende 2020 bietet Bayer eine Schöllkrautfreie Variante an (Iberogast® Advance). zunächst juristisch dagegen gewehrt, vom BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen. vorgeschriebene Warnhinweise zu seltenen Leberschädigungen in den Beipackzettel aufzunehmen, bis es zu einem womöglich durch Iberogast ausgelösten Todesfall kam. In Sachen des Warnhinweises zu Suizidrisiken ist der Konzern vorsichtiger. „Unter Berücksichtigung aller Stärken und Schwächen der Studie ist Bayer zu der Auffassung gelangt, dass diese neue Studie diverse methodische Einschränkungen aufweist, welche die Interpretation der Ergebnisse schwierig machen und die Aussagekraft der beschriebenen Zusammenhänge in Frage stellen“, erklärt eine Sprecherin zwar auf Nachfrage von MedWatch. Sie betont, dass eine interne Untersuchung ergeben habe, dass keine übereinstimmenden Nachweise vorliegen, die einen kausalen Zusammenhang zwischen der Verwendung hormoneller Kontrazeptiva und dem Auftreten schwerer psychiatrischer Störungen wie schweren Depressionen, Angststörung oder suizidalen Gedanken unterstützen.

Firmen wollen Hinweis aufnehmen

Doch sei die Möglichkeit des Auftretens von depressiver Verstimmung und Depression bei der Verwendung hormoneller Verhütungsmittel bekannt. „Eine Depression kann schwerwiegend sein und gelegentlich zu suizidalen Gedanken führen“, erklärt die Firmensprecherin. Bayer habe aktiv an der Diskussion zu diesem Thema teilgenommen und werde „auch weiterhin eng mit den Gesundheitsbehörden zusammenarbeiten“, sagt sie. Daher werde die Firma die vereinbarte Formulierung entsprechend umsetzen.

Die Frist, bis zu der Arzneimittelhersteller die überarbeiteten Dokumente den Behörden zur Prüfung vorlegen sollen, ist der 29. Dezember. Die Pharmafirma Hexal will gleichfalls die Vorgaben der EMA umsetzen. „Wir werden diese Hinweise natürlich bringen“, erklärte ein Sprecher gegenüber MedWatch.

Auch weitere möglichen Nebenwirkungen wurden zuletzt auf Ebene der EMA diskutiert. So nimmt etwa durch die Einnahme der AntibabypilleAntibabypille Hormonelles Verhütungsmittel – Kontrazeptivum – mit dem der Eisprung verhindert wird. Im Allgemeinen handelt es sich hierbei um ein Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparat. Daneben gibt es reine Gestagen-Produkte. das Risiko für Tumore in der Gebärmutterschleimhaut sowie für EierstockkrebsEierstockkrebs Der Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) ist ein bösartiger Tumor an den Eierstöcken. Lange Zeit treten keine Symptome auf und es existieren zudem keine Früherkennungsuntersuchungen. Dadurch wird diese aggressive Tumorart oft erst sehr spät und im fortgeschrittenen Stadium entdeckt. Die Behandlung erfolgt durch eine Operation, meist begleitet durch eine Chemotherapie. Das Risiko für eine Erkrankung steigt mit höherem Alter. und Dickdarmkrebs etwas ab, für BrustkrebsBrustkrebs In Deutschland ist Brustkrebs die zurzeit häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Das Risiko für ein Mammakarzinom steigt mit zunehmendem Alter. Bei Männern tritt er nur selten auf. Wird er frühzeitig erkannt bestehen sehr gute Heilungschancen durch operative Entfernung, Bestrahlung und Chemotherapie. Risikofaktoren sind auf der einen Seite das Geschlecht, auf der anderen Seite spielen Alter, genetische Veranlagung hormonelle Faktoren oder ein ungesunder Lebensstil eine wichtige Rolle. jedoch leicht zu. Wieder basierend auf Daten dänischer Frauen kam eine Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Einnahme hormoneller Verhütungsmittel über ein Jahr zu einem zusätzlichen Brustkrebsfall unter 7690 Frauen führt. Bei der EMA wurde auch diskutiert, ob die Verwendung von Hormonspiralen mit dem Wirkstoff Levonorgestrel zu einem höheren Risiko für Ängstlichkeit, Panikattacken, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und Unruhe führen könnte – doch sah der zuständige Ausschuss angesichts der aktuell vorliegenden Daten keinen Handlungsbedarf. Stattdessen soll die Situation weiter beobachtet werden. Praktische Hilfe für Ärzte sowie auch Anwendern sollte außerdem eine derzeit laufende Überarbeitung der deutschen Leitlinie zur Empfängnisverhütung geben.

Linkempfehlung: Unsere Kollegin Silke Jäger hat sich für das Online-Magazin „Krautreporter“ detailliert mit Risiken sowie den Vorteilen der „Pille“ beschäftigt.


Sie wollen über MedWatch informiert bleiben? Abonnieren Sie unseren Newsletter – oder folgen Sie uns auf Facebook oder Twitter. Damit wir MedWatch als unabhängiges Online-Magazin betreiben können, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen: Beteiligen Sie sich an unserer Crowdfunding-Kampagne.