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Irreführung von Verbrauchern Heilerde: Viel Staub um nichts

Heilerde in einem Mörsergefäß samt Stößel.
Klinische Studien fehlen, welche den Nutzen oder die Sicherheit von Heilerden in der Wundversorgung bei Menschen belegen. © freepik / freepik

Die Firma Luvos bewirbt ihre Heilerden mit Versprechen, die sie zum Teil nicht halten können. Das wird dann gefährlich, wenn Verbraucher:innen auf eine Wirkung vertrauen. Mehr noch: Verschiedene Produkte – mit angeblich unterschiedlichen Wirkungen – enthalten die gleiche Erde. MedWatch hat nachgemessen.

Vor knapp zwei Jahren änderte sich Margit P.s * Leben von einem auf den anderen Tag. Aus der lebenslustigen Seniorin, die gern mit ihrer Enkelin im Garten spielte, wurde eine Frau, die auf Hilfe angewiesen ist. Dabei begann alles ganz unspektakulär.   

Im September 2021 bemerkte die 76-Jährige eine Cent-Stück große Blase am Rücken ihres linken Fußes. Vermutlich hatte der Schuh die Haut wund gerieben. Eine Bagatelle, dachte Margit P., und kein Grund, zum Arzt zu gehen. Eine Bekannte gab ihr den Tipp: Versuch’s doch mal mit Heilerde! Sie hätte damit gute Erfahrungen gemacht.

Die Seniorin besorgte sich im Drogeriemarkt eine Packung Heilerde der Firma Luvos. Genauer: Luvos Heilerde 2 hautfein. In der Packungsbeilage liest sie: „Zur unterstützenden Behandlung bei […] kleinflächigen, nässenden Geschwüren und eiternden Wunden“. Nässende Wunden sollen leichter trocknen, steht dort weiter, und Anwender:innen bräuchten keine Angst vor „Erde“ in der Wunde zu haben. Luvos schreibt: „Die feine Heilerde bietet Erregern keinen Nährboden“.

Zweimal täglich rührte sie das Pulver zu einer Paste an, trug es auf die Wunde auf und deckte die Hautpartie mit einem feuchten Tuch ab. So steht es im BeipackzettelBeipackzettel Fertigarzneimittel dürfen ausschließlich zusammen mit einer Packungsbeilage ausgeliefert werden. Das Arzneimittelgesetz (AMG) gibt vor, wie der Beipackzettel eines Medikaments gestaltet sein muss. Es muss die vorgegebenen Angaben in festgelegter Reihenfolge beinhalten. Dazu gehören unter anderem der Name des Medikamentes, Anwendungsbereiche, Gegenanzeichen, Vorsichtsmaßnahmen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Dosierung und Nebenwirkungen. Der Beipackzettel ist in erster Linie für die Anwender des Medikamentes verfasst. Damit dieser für Menschen ohne Fachwissen verständlich ist, durchlaufen Beipackzettel einen Lesbarkeitstest. Sie werden z.B. durch das BfArM oder das PEI geprüft und genehmigt, bevor sie in den Umlauf kommen..


Was ist Heilerde und was soll sie können?


Heilerde – ein Mittel für alle Fälle?

Der Markt für Heilerde ist vielfältig: ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten., MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter., Kosmetika. Die Heilerde-Gesellschaft Luvos Just mit Sitz im hessischen Friedrichsdorf vertreibt mehrere pulverisierte Heilerden, die – je nach Vermahlungsgrad – gegen allerlei gesundheitliche Probleme helfen sollen und auch so beworben werden.

Das schreibt der Hersteller Luvos über seine Heilerde-Produkte

  • mikrofein“: Bindung von Cholesterin und Fetten aus der Nahrung, Unterstützung der Darmsanierung und Entschlackung, Linderung von Magen-Darm-Beschwerden, verbunden mit Blähungen, Magendruck und Völlegefühl
  • magenfein“: unterstützende Behandlung funktioneller Magen-Darm-Erkrankungen wie Reizdarm und Reizmagen
  • imutox“: Unterstützung des Körpers bei der „Entgiftung von innen“, „ganzheitliches Detoxen“
  • hautfein“: unterstützende Behandlung von Prellungen, Akne und Neurodermitis bis hin zu Verbrennungen und eitrigen Wunden

Aber was ist dran an solchen Wirkversprechen? Klinische Studien, die Nutzen oder Sicherheit von Heilerden in der Wundversorgung bei Menschen belegen, fehlen. Das Wundzentrum Hamburg listet Heilerde sogar in einer Negativliste, und zwar als „Bedarfsgegenstand ohne zugelassene therapeutische Indikation“: „Die […] aufgeführten Produkte bzw. Substanzen und Gegenstände sind für den Patienten bei Verwendung als Therapeutika in Wunden gefährlich“, schreibt der Verein. Ihre Anwendung in der Wunde dürfe von Ärzten nicht angeordnet und von Pflegefachkräften keinesfalls ausgeführt werden.

Im Fall von Margit P. war das aber auch gar nicht der Fall. Sie hatte das Produkt selbst angewandt, so wie in der Packungsbeilage beschrieben.

Wenige Wochen später lag sie mit einer schweren eitrigen Infektion des Fußes im Krankenhaus. Als plötzlich Schmerzen im Bein auftraten, hatte P. ihren Hausarzt zwar noch um Hilfe gebeten. Der kam zum Hausbesuch und verschrieb direkt ein Antibiotikum, aber die Entzündung war bereits zu weit fortgeschritten. Insgesamt sechsmal operierten Ärzt:innen die Seniorin und transplantierten Haut, weil die Wunde mittlerweile groß wie eine EC-Karte war.

Gefährliche Wirkversprechen

Werner Sellmer ist Fachapotheker für Klinische Pharmazie und Vorstandsmitglied beim Hamburger Wundzentrum. Er findet es unglaublich, dass Heilerde laut Packungsbeilage sogar bei eitrigen Wunden und nässenden Geschwüren empfohlen wird: „Derartige Medizinprodukte haben in einer Wunde überhaupt nichts zu suchen“, sagt er. Besonders, wenn sie unsteril seien. Die Aussage des Herstellers „Keine Angst vor Erde in der Wunde: Die feine Heilerde bietet Erregern keinen Nährboden“ hält er schlicht für unverantwortlich.

Kern des Problems ist, wie bei anderen evidenzfernen Behandlungskonzepten, dass Betroffene sie oft alternativ zu wirksamen Therapien anwenden. In der Wundversorgung wären das zum Beispiel antiseptische Therapeutika, die Infektionen verhindern oder lindern können. Diese Gefahr nimmt Hersteller Luvos bei seiner Vermarktungsstrategie offenbar billigend in Kauf.

So schreibt Ariane Kaestner, Geschäftsführerin von Luvos, auf MedWatch-Anfrage, dass Luvos-Heilerde als Wundauflage eingesetzt werden könne: „Durch die Bindung von Wundsekret, das Bakterien und deren Stoffwechselprodukte enthält, fördert Heilerde vielmehr die Wundheilung und verbessert das Mikroklima um die Wunde.“

Einer solchen pauschalen Aussage kann Gabriel Schlager nicht zustimmen. Der Mediziner arbeitet in der Wundforschung an der München-Klinik und der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Akute Wunden würden sich bei gesunden Menschen durch die Absonderung von Wundsekret selbst reinigen. Das sogenannte Wundexsudat befördert Bakterien sowie abgestorbene Zellen und Dreck aus der Wunde. „Werden akute Wunden sauber gehalten, heilen sie in der Regel folgenlos ab“, sagt Schlager.

Text
Luvos empfiehlt, Heilerde als Paste auf Wunden und entzündete Stellen aufzutragen
© Auszug: Gebrauchsanweisung Luvos Heilerde 2 hautfein / Stand 2021

Noch mehr Widerspruch von Experten

Luvos empfiehlt zudem, die Wundauflage aus Heilerde feucht zu halten. So wie auch Margit P. es in der Packungsbeilage gelesen und durchgeführt hat. „Bei akut-entzündlichen Beschwerden wird die kalte Heilerde äußerlich feucht aufgetragen und bei Bedarf mit nassen Wickeln feucht gehalten“, schreibt Luvos-Geschäftsführerin Kaestner auf MedWatch-Anfrage. Das solle die Einwanderung von Immunzellen fördern, die Kühlung zudem antientzündlich wirken.

Auch hier widerspricht Wundforscher Schlager. Kühlende Wickel oder Auflagen hätten in erster Linie eine schmerzstillende Wirkung. Zudem sei eine antientzündliche Behandlung – also die Unterdrückung der Körperabwehr – bei herkömmlichen akuten oder gar infizierten Wunden nicht zielführend. Schließlich bekämpften Immunzellen eingedrungene Bakterien. Und das machten sie selbstständig. „Immunzellen wandern als Teil der regulären Wundheilung automatisch in die Wunde ein“, sagt Gabriel Schlager. Bei infizierten Wunden empfiehlt der Mediziner deshalb eine antibakterielle TherapieTherapie Therapie bezeichnet eine Heil- oder Krankenbehandlung im weitesten Sinn. Es kann hierbei die Beseitigung einer Krankheitsursache oder die Beseitigung von Symptomen im Mittelpunkt stehen. Ziel einer jeden Therapie ist die Widerherstellung der physischen und psychischen Funktionen eines Patienten durch einen Therapeuten. Soweit dies unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist., etwa mit AntibiotikaAntibiotika Medikamente für bakterielle Infektionskrankheiten. Das Wirkprinzip beruht darauf, dass in Biosynthesen des Bakteriums eingegriffen wird, die es im menschlichen Körper nicht gibt. Wichtige Angriffspunkte dieser antimikrobiellen Verbindungen können z.B. die Ribosomen, die Zellwand oder auch die DNA-Replikation sein..

Hinzu kommt: Eine feuchte Auflage nimmt keine weitere Feuchtigkeit auf. „Eine Behandlung mit feuchten Produkten über einen längeren Zeitraum kann zum Aufweichen und einer Schädigung der gesunden Wundumgebung führen“, sagt Schlager. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass sich bei infizierten Wunden Bakterien in einer feuchten Wundauflage weiter vermehren. Statt also weniger seien am Ende womöglich mehr Bakterien in der Wunde.

MedWatch hat Luvos gefragt, warum ein frei verkäufliches Produkt wie „Heilerde 2 hautfein“ keine Warnhinweise zu Grenzen und Risiken einer Selbstbehandlung von Wunden enthalte. Darauf antwortete Frau Kaestner nicht. Ebenso nicht auf die Frage, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage Luvos Heilerde auf Wunden empfiehlt.


Heilerde – Arzneimittel oder Medizinprodukt?


Wie die Erde in die Wunde kam

Externe Gutachten für Heilerde braucht es nicht, denn Medizinprodukte der Klasse 1 dürfen Hersteller einfach selbst prüfen. Das hat Luvos – zumindest für die äußerliche Anwendung – auch gemacht. Hinterlegt ist das im Deutschen Medizinprodukte-Informations- und Datenbanksystem (DMIDS) des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArMBfArM Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) sowie für die Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten. Es regelt sowohl das legale Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln und ihren Ausgangsstoffen als auch deren Herstellung, Anbau und Handel. Das BfArM agiert ebenso dafür Forschung und regulierende Tätigkeiten miteinander zu vernetzen.).

Allerdings gibt es eine überraschende Genese: Verzichtete Luvos im Jahr 2002 in der Beschreibung für sein Heilerde-Produkt noch auf eine mögliche Anwendung bei eitrigen Wunden, nässenden Geschwüren oder Verbrennungen, zeigen zwei Datenbank-Einträge der Jahre 2018 und 2021 auch diese Indikationen. Also eben solche Anwendungsbeispiele, die Margit P. überzeugten, Heilerde auf ihre Wunde aufzutragen.

MedWatch fragte bei der zuständigen Behörde nach, ob es sich bei den Datenbankeinträgen um derzeit im Handel erhältliche Heilerde-Produkte handelt, sowie ob und wann Luvos-Medizinprodukte zur äußerlichen Anwendung überprüft wurden. Ein Pressesprecher antwortete lediglich, dass Medizinprodukte im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Darmstadt „risikobezogen nach gesetzlichen Vorgaben“ geprüft würden. Diese Prüfung umfasse auch das HeilmittelwerbegesetzHeilmittelwerbegesetz Das Heilmittelwerbegesetz (HWG) regelt den Wortlaut im Zusammenhang mit Heilversprechen. Es darf nach dem HWG nichts behauptet werden, was nicht stimmt. Wird damit geworben, dass ein Medikament oder eine Therapie wirkt, muss diese Wirksamkeit auch wissenschaftlich belegt sein. Dafür muss der Bewerber selbst wissenschaftliche Studienergebnisse vorlegen. Da kaum eine alternativmedizinische Behandlungsmethode wissenschaftlich belegt ist, dürfen Heilpraktiker keine Heilversprechen abgeben..

Bis zum 25.05.2021 sahen diese gesetzlichen Vorgaben eine behördliche Prüfung in „angemessenem Umfang“ vor. Seit dem 26.05.2021 gilt eine Marktüberwachung anhand „angemessener Stichproben“. Das bedeutet: Entweder wurden bei der Prüfung die potenziellen Risiken der Anwendung von Heilerde in Wunden nicht erkannt. Oder die Medizinprodukte mit Heilerde zur äußerlichen Anwendung wurden einfach gar nicht überprüft.

Fein, feiner, am feinsten?

Das ist aber nicht die einzige Überraschung. Die einzelnen Heilerde-Produkte unterscheiden sich in ihren vermeintlichen Wirkversprechen. Deshalb entschied Margit P. sich im Drogeriemarkt für Luvos Heilerde „hautfein“, die der Hersteller als Pulver zur äußerlichen Anwendung auch bei offenen Wunden bewirbt.

Grundlage für die verschiedenen Wirkversprechen sind – laut Luvos – anwendungsspezifische Feinheitsgrade. „In einem speziellen Verfahren wird der Luvos Löss so aufbereitet, dass die […] Heilerde ihre idealen Eigenschaften für die therapeutische Anwendung erhält”, schreibt der Hersteller etwa in der Packungsbeilage der Heilerde „hautfein“. Die Heilerde würde fein vermahlen und nach Korngrößen in unterschiedliche Feinheitsgrade gesiebt.

Die Botschaft: Je nach Feinheit des Pulvers soll die Heilerde mal gegen dieses oder jenes wirken. Das spiegelt sich auch im Preis wider: Günstigere Produkte wie „fein“ oder „hautfein“ gibt es schon ab rund 10 Euro pro Kilo. Heilerde „Imutox“ hingegen kostet in Reformhäusern und Apotheken bis zu 25 Euro pro Kilo.

Junges Mädchen mit Heilerde im Gesicht.
Unterschiedliche Feinheitsgrade der Heilerde versprechen unterschiedliche Wirkungen.
© Screenshot www.luvos.de / 23.06.23

Die Aussagen zum Feinheitsgrad kann Bernd Mühlbauer nicht nachvollziehen. Der Mediziner ist Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie am Klinikum Bremen Mitte. Allein die Hypothese, dass unterschiedliche Mahlgrade der Heilerde zu veränderten gesundheitsbezogenen oder gar pharmakologischen Eigenschaften führen sollen, hält er für nicht plausibel.

„Die Vermahlung der Erde ist insofern relevant, dass eine größere Oberfläche natürlich leichter mit Molekülen interagieren kann“, sagt Mühlbauer, „aber man wird mit Sicherheit nicht von feingemahlener zu mikrofeingemahlener Heilerde unterschiedliche Substanzeigenschaften beobachten.“ Entsprechende Werbeaussagen hält er für „echte Verbrauchertäuschung“.

MedWatch misst nach

Wie genau Luvos die unterschiedlichen Feinheitsgrade definiert, verrät der Hersteller nicht. Und wer sich beim Öffnen der Verpackungen einen mit bloßem Auge erkennbaren Unterschied zwischen den verschiedenen Pulvern erhofft, wird enttäuscht. Alle Heilerden sehen sich auffällig ähnlich.

Die Inhaltsstoffe

Grund genug, nachzumessen. Fritz SörgelFritz Sörgel Fritz Sörgel ist der Institutsleiter des IBMPs, des Instituts für biomedizinische und pharmazeutische Forschung in Heroldsberg. Seine Forschungsschwerpunkte richten sich unter anderem auf Substanzen, die in der Onkologie eingesetzt werden, auf therapeutische Proteine und Biosimilars, Erythropoietin (EPO) und Interferone. Zudem beschäftig er sich umfassend mit Generikauntersuchungen, Verunreinigungen von Arzneimitteln mit Nitrosaminen und Homöopatika., Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg, fasst die im Auftrag von MedWatch unter seiner Leitung durchgeführten Untersuchungen des traditionellen Arzneimittels „Heilerde fein“, des vergleichsweise teuren Medizinprodukts „Imutox” und von „Heilerde hautfein“ (zur äußerlichen Anwendung) zusammen: „Die Analysen liefern keinen Hinweis darauf, dass die drei Produkte unterschiedliche pharmakologische oder physikalische Eigenschaften haben könnten.“ Leichte Schwankungen zwischen den Produkten im Eisen- und Nitratgehalt hält Sörgel für irrelevant. Auf die Frage, ob es einen Unterschied mache, wenn man die drei Produkte aus Versehen verwechseln würde, antwortet er: „Definitiv nicht.“

Allerdings sagt die chemische Zusammensetzung nichts über die beworbenen Feinheitsgrade aus. Deshalb ließ MedWatch alle sechs derzeit verkauften Luvos-Heilerden im Labor für Anorganische Chemie und Angewandte Materialwissenschaft der Fachhochschule Münster vermessen. Die Frage: Wie groß sind die Körnchen der unterschiedlichen Erden?

Die Korngrößen

Labor-Ingenieur David Enseling sagt: „Die sechs Proben haben alle eine sehr ähnliche Partikelgröße von etwa 33 Mikrometern und eine sehr ähnliche Partikelgrößenverteilung.“ Das heißt, alle Erden enthalten vergleichbare Anteile gleich großer Körnchen.

Abbildung 1: Partikelgrößenbestimmung: Gemessen wurden sechs Heilerde-Produkte der Firma Luvos, deren Partikelgrößenverteilung zur Veranschaulichung als Punkteverläufe übereinander gelegt wurden. Der Median aller Heilerden-Partikeldurchmesser liegt bei rund 33 Mikrometern. Das heißt, dass die eine Hälfte der Körner kleiner, die andere Hälfte größer als rund 33 Mikrometer ist. Angegeben sind zudem die Werte für die Randbereiche der Verteilung (D, distribution): Zehn Prozent aller Partikel sind kleiner als rund 11, zehn Prozent größer als rund 70 Mikrometer. Das wiederum bedeutet, dass 80 Prozent aller Heilerde-Körner zwischen 11 und 70 Mikrometer groß sind.
© Zusammenstellung der Daten: Sigrid März/MedWatch

Mit einer weiteren Messmethode bestimmte Enseling außerdem, aus welchen Mineralien die Proben bestehen. Auch hier zeigten sich keine Unterschiede: „Die verschiedenen Proben bestehen aus den gleichen Mineralien, zum großen Teil aus Quarz und Kalziumkarbonat”, sagt der Ingenieur.

Die Messungen zeigen also: In den sechs angeblich unterschiedlichen Heilerden ist das Gleiche drin. 

MedWatch hat Luvos mit den Messergebnissen konfrontiert und gefragt, wie die Firma die unterschiedlichen Indikationen der Heilerde-Produkte begründet. Luvos hat sich dazu nicht weiter äußern wollen, man sei „in der nächsten Zeit […] mit vielen Projekten stark eingebunden“.

Trotzdem wirbt Luvos mit angeblich spezifischen Wirkungen verschiedener „Feinheitsgrade“ seiner Heilerden – und verkauft die Produkte auch zu unterschiedlichen Preisen. Beziehungsweise lässt sie verkaufen, denn Luvos bringt seine Produkte über Händler wie Apotheken und Drogerien zu den Verbraucher:innen. Die Anbieter verlangen zum Beispiel für Heilerde „fein“ 17,48 Euro pro Kilogramm, für Heilerde „mikrofein“ 26,29 Euro pro Kilogramm (Stand: 17.04.23; gleicher Anbieter). 

Auf die Frage von MedWatch, wie Luvos die Preisgestaltung der Produkte begründet, antwortete die Firma nicht. 

Erstaunlich unbehelligt

VerbraucherschutzVerbraucherschutz Verbraucherschutz ist deutschland- und europaweit ein breit gefächertes Gebiet. So gibt es ein Amt für Verbraucherschutz, ein Bundesinstitut für Risikobewertung, die EFSA – die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – und eine Health-Claims-Verordnung. In Deutschland existieren 16 Verbraucherzentralen und weitere verbraucherpolitische Organisationen, die in einem gemeinsamen Bundesverband gebündelt sind. Verbraucherschutz beinhält Rechtsvorschriften und Verbraucherrechte die z.B. Bereiche wie Lebensmittelsicherheit, Kaufverträge und Verträge mit Banken und Geldinstituten berücksichtigen. und Gerichte scheinen machtlos. Nur selten weisen sie das Unternehmen in seine Schranken, etwa für das Medizinprodukt „Imutox”: Das Oberlandesgericht Frankfurt (Main) bewertete die Bewerbung zur „Körperentgiftung” als irreführend und Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz.1https://openjur.de/u/2383077.html

Auch die Verbraucherzentrale NRW hatte 2022 mehrere Aussagen zur „Detox“-Wirkung des Produkts imutox abgemahnt. Unter anderem: „Bei Detox- […]kuren […] kann Luvos-Heilerde imutox unterstützend angewandt werden.“ Trotzdem wirbt Luvos auf der Homepage: „Detoxen und Fasten mit Luvos Heilerde imutox unterstützen”. Wie kann das sein?

Gesa Schölgens von der Verbraucherzentrale NRW ist Leiterin des Projekts Faktencheck Gesundheitswerbung und nennt es einen Kampf von David gegen Goliath: „Während ein Werbetext auf einer Webseite von Anbietern und Herstellern schnell umformuliert ist und vielleicht in der Masse an Informationen nicht sofort auffällt, brauchen wir einige Zeit für eine gründliche rechtliche Prüfung und den Versand von Abmahnungen. Das weiß die Gegenseite natürlich.“ Da Anbieter und Hersteller oft auf vielen Kanälen aktiv seien, fehle es häufig einfach an Kapazitäten. Manche Anbieter und Hersteller machten daher trotz einer Abmahnung und unterzeichneter Unterlassungserklärung mit ihrer unzulässigen Werbung einfach weiter.

Im Klartext: Es gibt zwar Gesetze, aber die Rechtsdurchsetzung kommt aufgrund der Flut an Verstößen verschiedener Unternehmen an ihre Grenzen. 

Es bleiben viele weitere Wirk- und Heilsversprechen, die Luvos in Verbindung mit ihren Heilerden verbreiten und die auf der Annahme beruhen, dass die Produkte sich in Zusammensetzung und Körnung unterscheiden. 

Und Margit P.?

Für Margit P. kämen Abmahnungen und Gerichtsurteile sowieso zu spät. Von der schweren Infektion erholt sie sich nur langsam. Lange unterstützte ein Pflegedienst die Seniorin in ihrem Alltag. Gehen konnte sie nur noch mithilfe eines Rollators. 

Sie fragt sich, ob der schwere Krankheitsverlauf hätte verhindert werden können, wenn sie eher zum Arzt gegangen wäre. Vorerkrankungen, die Wunden schlechter heilen lassen – wie Diabetes oder Durchblutungsstörungen –, hatte sie zwar nicht. Trotzdem dauert es fast ein Jahr, bis die Wunde vollständig verschlossen ist.

Margit P. ist aber auch wütend und fragt, auf welcher Grundlage die blumigen Empfehlungen zum Einsatz von Heilerde in der Wundversorgung eigentlich basieren. Und warum der Hersteller bei seinen Produkten nicht auf die Grenzen der Selbsttherapie hinweist. In der gesamten Packungsbeilage las sie dazu nichts.

* Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.


Redaktion: Nicola Kuhrt, Arne Weinberg, Nicole Hagen

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