Im Sommer 2016 kamen drei Patienten ums Leben, nachdem der HeilpraktikerHeilpraktiker Heilpraktiker*in ist ein Medizinberuf, der auf dem deutschen Heilpraktikergesetz (HPG) beruht. Es handelt sich um einen sogenannten freien Beruf, dem keine einheitliche Ausbildung zugrunde liegt. Weder eine medizinische Ausbildung noch eine berufsqualifizierende Fachprüfung sind dafür erforderlich. Folgende Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsfelder sind jedoch ausgeschlossen: Geburtshilfe, Geschlechtskrankheiten, meldepflichtige übertragbare Krankheiten, die Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die Verordnung von Betäubungsmitteln. In Österreich ist der Beruf verboten. Klaus R. sie mit dem experimentellen Wirkstoff 3BP behandelt hatte. Der Stoff sei mehrfach überdosiert worden, erklärte die Staatsanwaltschaft zu Prozessauftakt. Am zweiten Verhandlungstag stand die Waage des Heilpraktikers im Mittelpunkt des Prozesses vor dem Landgericht Krefeld.
Drei Waagen sind im Sitzungssaal aufgebaut, eine stammt aus der Praxis des Heilpraktikers Klaus R. Doch bevor es in der Verhandlung am Freitag an die Details des Wiegens ging, setzte der Vorsitzende Richter die Vernehmung des Heilpraktikers fort: Zunächst ging es nicht um 3-Bromopyruvat3-Bromopyruvat 3-Brompyruvat (3-BP) ist das Bromderivat der Brenztraubensäure. Chemisch betrachtet ist es der Milchsäure sehr ähnlich und verursacht schwere Verätzungen der Haut und schwere Augenschäden. 3-Brompyruvat bindet an Cysteinreste und führt als sogenanntes Alkylans Alkylgruppen in die DNA ein. Es ist zudem in der Lage die Blut-Hirn-Schranke zu überschreiten. Für 3-Brompyruvat wird aktuell ein onkologischer Wirkmechanismus postuliert. Zellversuche deuten auf eine zytostatische Wirkweise, auf die Hemmung des Wachstums von Zellen, hin. Um einen Tumor mit dieser Substanz zu behandeln, muss 3-BP lokal verabreicht, also direkt in die Wucherung geleitet werden, um eine gezielte Wirkung zu erreichen. Es besitzt ein sehr enges Wirkspektrum, und kann schon bei leichten Überdosierungen zum Tode führen. Es existieren bisher keine klinischen Studien zu 3-Brompyruvat. Als Krebsmedikament ist es nicht hinreichend erforscht und somit in Deutschland als solches nicht zugelassen. Manche Heilpraktiker verweisen jedoch auf die effektive Krebstherapie mit 3-Bromopyruvat. Die führte bereits zu mehreren Todesfällen., sondern um ein anderes experimentelles Mittel, DichloracetatDichloracetat Unter Dichloracetat (DCA) versteht man zumeist die Natrium- oder Kaliumsalze der Dichloressigsäure. Reine Dichloressigsäure ist eine starke organische Säure und darf nicht eingenommen werden. Bei DCA handelt es sich um ein Xenobiotikum, welches zur Behandlung seltener angeborener Formen der Laktatazidose angewendet. Die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA stuft DCA als umweltgefährliche Chemikalie ein. (DCADCA Unter Dichloracetat (DCA) versteht man zumeist die Natrium- oder Kaliumsalze der Dichloressigsäure. Reine Dichloressigsäure ist eine starke organische Säure und darf nicht eingenommen werden. Bei DCA handelt es sich um ein Xenobiotikum, welches zur Behandlung seltener angeborener Formen der Laktatazidose angewendet. Die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA stuft DCA als umweltgefährliche Chemikalie ein.), welches er ebenfalls eingesetzt habe. Klaus R. gab bereitwillig Auskunft: „Immer montags und donnerstags, das war die erste Infusion am Morgen.“ Er habe die Patienten aufgeklärt, dass dieses Mittel zu Nervenschädigungen führen kann, diese seien aber reversibel.
Der Vorsitzende Richter Johannes Hochgürtel zeigte sich vor allem darüber irritiert, dass DCA selbst im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC etwa stuft die Substanz als „möglicherweise krebserregend“ ein. „Haben Sie den Patienten das gesagt?“ Klaus R. konnte sich nicht erinnern. Für ihn ist DCA ein gängiges Mittel der alternativen Krebsmedizin, bei einem Lehrgang habe er davon erfahren. Die weitere Diskussion über den Stoff wurde vertagt, damit sich die Verteidigerin vorbereiten kann.
Als letzten Punkt erfragte der Richter die Kosten der Behandlung. „Das waren 9.900 Euro für zehn Wochen“, erklärte der Heilpraktiker. „Darin waren pauschal alle Leistungen enthalten: Labor, Infusionen, Gespräche, alles abgedeckt.“
„In Holland dürfen Heilpraktiker nicht invasiv arbeiten.“
Anschließend befragte Staatsanwältin Rahel Plass den Heilpraktiker. Sie ließ sich zunächst ausführlich die Praxisräume und den Arbeitsalltag von R. beschreiben. Vier bis fünf Patienten habe er pro Tag behandelt. Der Heilpraktiker betonte, dass er sich für alle viel Zeit genommen hat. „Da ist eine freundschaftliche Ebene entstanden, ich habe jede Frage beantwortet.“ Auch untereinander hätten sich die Patienten geholfen und ausgetauscht. Das sei auch wegen der Sprache sehr wichtig gewesen. R. erzählte, dass er fast ausschließlich Patienten aus den Niederlanden behandelt hat, und erklärt sich das so: „In Holland dürfen Heilpraktiker nicht invasiv arbeiten, die dürfen da viel weniger machen als hier. Da geht es mehr um HomöopathieHomöopathie Der deutsche Arzt Samuel Hahnemann postulierte gegen Ende des 18. Jh.s: »Ähnliches heilt Ähnliches«. So leitet sich das Wort Homöopathie von Homoion (für ähnlich) und Pathos (für Leiden) ab. Hahnemann verfolgte die Theorie, dass der Auslöser einer Krankheit oder der Auslöser für bestimmte Symptome auch zu deren Therapie genutzt werden kann. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Chinarinde, mit der früher Malaria behandelt wurde. Die Einnahme dieser löste in einem Selbstversuch Hahnemanns Symptome einer Malaria aus. Damit sah er seine Theorie bestätigt. Die Homöopathie ist heute eine eigenständige Therapieform in der Alternativmedizin. Häufig werden für Globuli und Tinkturen die eingesetzten Substanzen zur Behandlung so stark verdünnt, dass in ihnen kein Wirkstoff mehr vorhanden ist. Für die Wirkung der Verdünnungen (Potenzen) wird ein Gedächtnis des Lösungsmittels, z.B. Wasser, angenommen. Für solch ein Gedächtnis von Wasser oder für eine generelle Wirkweise der Homöopathie über den Effekt eines Placebos hinaus gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege; trotz mehr als 200 hochwertiger Studien dazu. und Psychotherapie.“ Die Patienten seien wegen der Alternativmedizin zu ihm gekommen.
Im Zentrum der Behandlung stand seit Ende 2015 das experimentelle Mittel 3-Bromopyruvat, 3BP. Die Staatsanwältin ließ sich erklären, von welcher Wirkungsweise der Heilpraktiker ausgegangen ist. Insbesondere wollte sie wissen, wieso der Stoff vor allem auf Krebszellen, nicht aber auf gesunde Zellen wirken soll. 3BP beeinflusst den Glukosestoffwechsel der Zellen und unterbindet so die Energieversorgung der Zellen, vermutete der Heilpraktiker. Die Staatsanwältin war gut vorbereitet und wunderte sich, was denn an dieser Art der Behandlung „biologisch“ sei. Sie erinnert das Ganze an die ChemotherapieChemotherapie Die Chemotherapie ist, neben OP und Strahlentherapie, eine der zentralen Behandlungsmöglichkeiten bei Krebs. Sie umfasst die zyklische Behandlung mit chemischen Substanzen – Zytostatika – in Form von Infusionen, Spritzen oder Tabletten. Die zumeist systemisch wirkenden Medikamente richten sich auch gegen gesunde Zellen, was die typischen Nebenwirkungen wie Haarausfall, Blutarmut, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Infektionen im Mund erklärt.. „3BP wirkt ja auch chemisch, das ist ein biochemischer Eingriff in den Stoffwechsel.“ Der Heilpraktiker antwortete mit einem zögerlichen Ja. „Doch entscheidend ist, dass die gesunden Zellen nicht vergiftet werden, wenn man sich an die Dosierung hält.“ Er habe deshalb nur zwei bis 2,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht gegeben. Allenfalls auf ausdrücklichen Wunsch der Patienten habe er die Dosis auf 3 Milligramm pro Kilogramm erhöht. „Haben sie diesen expliziten Wunsch dokumentiert?“, fragte die Staatsanwältin. „Nein“, erklärte R. Bei der zulässigen Höchstdosis habe er sich an Erfahrungen aus dem Tierversuch orientiert. Er habe gelesen, dass selbst wesentlich höhere Gaben dort unschädlich geblieben seien.
Das Krebsmittel 3BP wurde Pi mal Daumen dosiert
Am konkreten Beispiel will die Staatsanwältin herausfinden, wie sorgfältig R. den Wirkstoff dosieren konnte. Eine Patientin bekam mit 210 Milligramm die Höchstdosis, aufgeteilt auf zwei Infusionsflaschen à 105 Milligramm. „Wie haben Sie das denn dosiert?“ Die etwas zerknirschte Antwort: „Das ging ja nicht. Ich hab dann Richtung 100 dosiert, weil die Waage die dritte Stelle nicht anzeigt.“ Allzu große Genauigkeit sei aber auch gar nicht nötig gewesen, denn es gebe ja einen Toleranzbereich. An diesem Punkt wurde die Staatsanwältin energisch: „Sie arbeiten mit einem Stoff, der wissenschaftlich völlig unbekannt ist, und den ich nach Milligramm pro Kilo Körpergewicht dosiere, und jetzt wollen Sie mir weismachen, dass es unerheblich ist, ob ich genau arbeite?“ Das könne ja wohl nicht sein. „Ich halte es für extrem erheblich, dass ich das Körpergewicht genau kenne, und ich halte es für extrem wichtig, dass meine Waage genau abwiegen kann.“
Ob die Waage das kann, sollte der praktische Teil des Prozesses klären: R. dokumentierte mit Handschuh, Dosierlöffel und Waage, wie er gearbeitet hat. Nur der Wirkstoff ist nicht echt, im Gerichtssaal kommt statt 3BP Kochsalz zum Einsatz.
Das Problem wird sofort deutlich: Die Waage gibt Gramm statt Milligramm an, und hinter dem Komma folgen nur zwei Stellen. Auf Bitte des Gerichts wog der Heilpraktiker verschiedene Dosierungen ab. Ein Sachverständiger überprüfte das Ganze mit einer dafür geeigneten Waage und führte Kontrollen durch. Es gab kleinere Abweichungen, doch im Rahmen ihrer Möglichkeiten funktionierte die Waage. „Es bestehen also keine Bedenken gegen die Waage“, stellt die Anwältin des Heilpraktikers fest. „Die Waage funktioniert wie sie soll, aber sie ist nicht geeignet“, entgegnete die Staatsanwältin. Im Verlauf des Prozesses wurde noch ein weiteres Problem deutlich: Die Waage verfügt über eine sogenannte Zero-Tracking-Funktion. Wenn sie eingeschaltet ist, werden kleine Mengen, die auf die Waage gelegt werden, nicht erkannt, sondern automatisch auf Null gezogen: eine zusätzliche Fehlerquelle. Der Sachverständige Guido Scharf urteilte deshalb: „Ich halte die Waage für grundsätzlich nicht geeignet.“
„Wenn man es nicht kann, muss man es lassen“
Scharf ist Amtsapotheker und unter anderem zuständig für die ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten.überwachung in Nordrhein-Westfalen. Am Ende des Prozesses schilderte er ausführlich, unter welchen Bedingungen Infusionen, wie R. sie eingesetzt hat, eigentlich hergestellt werden müssen. Während er von Kontrollschritten, sterilen Bedingungen, Reinraumklassen und steriler Kleidung berichtete, sackte Klaus R. immer mehr in sich zusammen. Richter Hochgürtel fasst die langen Ausführungen des Sachverständigen zusammen: „A: Das hätte er nicht hinbekommen und B: Das hätte er nicht gedurft.“ Die Rechtsanwältin hob auf Sonderregeln für Heilpraktiker ab. Der Sachverständige ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass solche Ausnahmen nicht existieren: „Arzneimittelqualität ist im Grunde genommen unteilbar. Es gibt da keinerlei Abstriche. Wenn man es nicht kann, muss man es lassen.“
Die Rechtsanwältin erkundigte sich, welche Haltung der Amtsapotheker zu Heilpraktikern hat. Doch sowohl die Staatsanwältin als auch der Richter weisen diese Frage als unerheblich zurück. Hier gehe es ja schließlich um Gesetze und Vorschriften. Dass Klaus R. dagegen massiv verstoßen hat, scheint klar. Wie die hohe Überdosierung zustande gekommen ist und inwiefern mögliche Änderungen beim Wirkstoff hatten, den R. bezogen hat, sollen die kommenden Verhandlungstage klären, aktuell sind bis Ende Juni acht weitere Termine geplant. Am Ende des Prozesses stellt sich dann die Frage, ob der Heilpraktiker sich tatsächlich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat, wie die Staatsanwaltschaft es annimmt.